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Historische Wasserwirtschaft im Alpenraum und an der Donau


Die Wasserwirtschaft entwickelt sich im Spannungsfeld von Technik und Gesellschaft. Daß ihre Aufgaben nicht einfacher geworden sind, zeigen die Fragen rund um die jüngsten Hochwasser, wie sie derzeit insbesondere an den Wasserbau gestellt werden. Historische Erfahrungen bieten Lehrstücke dafür, technische Fortschritte gegenüber ökologischen Gefahren abzuwägen und aktuelle Entscheidungen in Verantwortung für die Zukunft zu treffen.

Mit dieser Zielsetzung veröffentlicht der Deutsche Verband für Wasserwirtschaft und Kulturbau in einer Buchserie Darstellungen technischer Leistungen aus der Vergangenheit seines Fachgebiets. Zwar versteht er sich in erster Linie als Vereinigung von Fachleuten und erstellt das (nationale) technische Regelwerk. Doch genau das legitimiert die historische Betrachtungsweise, haben doch Wasserbauten nicht nur eine große räumliche Ausdehnung, sondern auch Folgen für mehr als eine Generation. Der Verband wird also sein Vorhaben noch keineswegs abgeschlossen haben, wenn sich der vorliegende Band an die bisherigen Arbeiten über Talsperren und Küstenschutz anfügt.

Das Buch faßt 35 Einzelbeiträge von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern aus Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz zusammen. Wie im Titel angekündigt, erzählen sie von der Kultivierung der Alpen und der Donau zu Lebensräumen für menschliche Gemeinschaften. Eindrücklich belegen sie in Text und Bild den Beitrag des Wasserbaus zur Besiedlung, gestützt auf Urkunden, Pläne und Spuren technischer Zeugnisse. Dieser Beitrag wurde oft übersehen, weil die Verfahren inzwischen überholt oder die Anlagen zu selbstverständlichen Bestandteilen unserer Infrastruktur geworden sind.

Der Titel verspricht etwas mehr, als er halten kann. Trotz Mitwirkung aus vier Ländern ist die Auswahl begrenzt auf das Gebiet zwischen den Schweizer Alpen und dem Wiener Becken. Die französischen Alpen fehlen, ebenso der Donauraum östlich von Wien. Diesem Schwerpunkt entsprechend sind die Texte durchweg auf deutsch abgefaßt – einschließlich jener aus dem Tessin und Südtirol. Sprachliche Hürden waren trotzdem zu nehmen, denn selbst deutsche Fachwörter variieren je nach Landesgegend; sie müssen etymologisch wie technologisch erklärt werden, was hier geschehen ist, wenn auch ohne Glossar.

Der Zeitraum der historischen Betrachtung wurde offenbar nicht strukturiert. Epochen aufzuspüren bleibt dem Leser überlassen. Einige Autoren beginnen bei der Besiedlung des jeweiligen Raums, andere bei den geomorphologischen Voraussetzungen der Gewässer. Im Ergebnis liegt der Schwerpunkt bei Mittelalter und Neuzeit, während der Einfluß der industriellen Revolution nur stellenweise in Betracht kommt.

Sachlich hingegen wird die Wasserwirtschaft breit abgedeckt. Nahezu alle klassischen Gebiete des Wasserbaus sind vertreten, vom Küstenschutz selbstverständlich abgesehen. Im einzelnen sind es die Bewässerung und Entwässerung im Dienste der Landwirtschaft (hier Kulturbau genannt), die Ver- und Entsorgung der Städte und Dörfer (heute unter Siedlungswasserwirtschaft zusammengefaßt) sowie der Ausbau von Flüssen, Wildbächen und Seen zwecks Hochwasserschutz, Landgewinnung, Stauhaltung, Verkehr und Nutzung der Wasserkraft. So ist es ein Vergnügen, ihren Vorläufern vor Ort nachzuspüren. Namentlich erwähnt seien die Beispiele in den Walliser, Bündner und Tiroler Bergtälern, im Berner Seeland und in der Linthebene zwischen Zürich- und Walensee, in Oberschwaben und an der bayrischen Donau sowie vor den Toren Wiens.

Mit "Wasserwirtschaft" hat Werner Konold von der Universität Hohenheim das Thema auf einer anderen Ebene angesetzt, als dies etwa bei der Untersuchung eines Bautyps (Weiher, Talsperre) oder einer natürlichen Formation (Moor, Wiese) geschieht. Entsprechend anspruchsvoll wird allerdings die Durchführung. Begrifflich versteht man heute unter Wasserwirtschaft die zielbewußte Ordnung aller menschlichen Einwirkungen auf das Wasser, sowohl in bezug auf Menge als auch auf Güte. Solche Einwirkungen nützen dem Menschen oder schützen seinen Lebensraum. Unweigerlich treten Zielkonflikte auf, die gelöst werden müssen. Einwirkungen baulicher Art definieren in ihrer Gesamtheit den Wasserbau mit den erwähnten Fachgebieten.

Das Buch umreißt nun viele dieser Einwirkungen, doch offen bleibt die Fra-ge nach der zielbewußten Ordnung, dem ebenso wichtigen Element der Wasserwirtschaft. Wie kommt eine solche Ordnung zustande, wie wird sie aufrechterhalten? Gemeint sind damit die gestaltenden Eingriffe in diese menschlichen Einwirkungen und nicht bloß die Ordnung einzelner Baumaßnahmen.

Damit sind wir beim eingangs erwähnten Spannungsfeld von Technik und Gesellschaft. Wenn das Wasser unter staatlicher Hoheit steht, wie entwickelte sich dann die zugehörige Rechtsordnung? Wenn Wasser eine Herausforderung an technische Kompetenz darstellte, wer erbrachte nach welchen Regeln die fachliche Leistung? Schließlich: In welchem Verhältnis entwickelten sich technische Lösungen und politische Anforderungen? Gab es Wechselwirkungen zwischen ihnen, welche die jeweils geltenden Regeln veränderten?

Antworten dazu gibt dieses Buch auf der lokalen Ebene (Beispiele: Isny im Allgäu, Biberach an der Riß) oder in einzelnen Fachgebieten (Wildbachverbauungen in Österreich, Flußkorrektionen in der Schweiz). Hier finden sich auch die Erklärungsmuster, die einem helfen können, aus der Geschichte zu lernen.

Mit diesem Buch ist den Herausgebern ein weiteres Mal das Unternehmen gelungen, technische Leistungen in die Kulturgeschichte einzubinden. Ingenieure können davon zwar keine Rezepte zur Lösung erwarten, wohl aber eine breitere Aufklärung über den Sinn technischer Maßnahmen – und dies erleichtert deren Bewertung.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1995, Seite 131
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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