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Hochschulalltag im Dritten Reich. Die Hamburger Universität 1933 bis 1945


Die Geschichte der Universitäten und der Wissenschaft im Dritten Reich ist erst um die Mitte der sechziger Jahre ins Blickfeld der Forschung gerückt. Am Anfang standen Ringvorlesungen an einzelnen Universitäten wie Tübingen, Heidelberg, München und Berlin, die zum Teil publiziert wurden. Seitdem sind zahlreiche Untersuchungen mit ganz unterschiedlichen Ansätzen erschienen.

Ebenso wie entsprechende Arbeiten über die Universitäten Göttingen (1987) und Freiburg (1991) ist das vorliegende dreibändige Werk eine Gemeinschaftsarbeit über eine bestimmte Universität. Im Vergleich zu Untersuchungen von Einzelforschern wie Uwe Dietrich Adam für Tübingen (1977) oder Eike Wolgast für Heidelberg (1987) entgehen Unternehmen dieser Art offenbar nur schwer der Gefahr der wiederholten Ausbreitung derselben Tatbestände durch die beteiligten Autoren. Daß zum Beispiel die deutsche Professorenschaft in der Weimarer Republik überwiegend nationalkonservativ eingestellt war und der Weimarer Reichsverfassung distanziert gegenüberstand, so daß ein mehr oder weniger weitreichendes Einverständnis mit Adolf Hitlers Kritik an der Republik herrschte, läßt sich selbstverständlich für jede einzelne Disziplin und jede einzelne Fakultät erneut belegen.

Gegenüber Darstellungen zur gesamten Geschichte einer einzelnen Universität, wie sie in letzter Zeit Notker Hammerstein für Frankfurt (1989) und Alfred Wendehorst für Erlangen (1993) vorgelegt haben, hat die Konzentration auf die Zeit des Nationalsozialismus den Nachteil, daß die Fragen nach den Formen und Bedingungen des Neubeginns 1945, nach der Entnazifizierung, nach dem Grad der personellen Kontinuität im Lehrkörper, nach der Auseinandersetzung der Universität mit ihrer eigenen Rolle unter dem Regime und schließlich die Bedingungen des Studiums und die Erwartungen der Studierenden in den ersten Nachkriegsjahren nicht mehr in die Analyse einbezogen werden. Angesichts dessen ist besonders hervorzuheben, daß sich Arnold Sywottek am Ende des dritten Bandes der vorliegenden Publikation in Form eines Ausblicks mit der "Kontinuität im Neubeginn" (Seiten 1387 bis 1416) befaßt.

Diesem Aufsatz steht antipodisch der gewichtige Beitrag von Barbara Vogel am Beginn des ersten Band gegenüber: "Anpassung und Widerstand. Das Verhältnis Hamburger Hochschullehrer zum Staat 1919 – 1945" (Seiten 3 bis 83). Auf breiter archivalischer Grundlage geht die Autorin der Fage nach, "auf welche Weise die Hochschulen das ,Dritte Reich' mittrugen, sich mit seinen Herrschaftsträgern arrangierten und an welchen Punkten sie sich distanzierten oder opponierten" (Seite 4).

Trotz seiner zentralen Thematik und seiner strategischen Plazierung ist der Beitrag nicht breit genug gefaßt, um die Funktion einer zugleich einführenden wie konzeptionellen Grundlegung des Gesamtwerks zu übernehmen. Dafür zieht der Mitherausgeber Ludwig Huber in der zweiten von zwei Einleitungen vorab ein knappes Resümee des Ertrags der Gemeinschaftsarbeit und lenkt damit den Blick des Lesers zugleich auf die Fragen, die den Herausgebern und den Autoren – nahezu sämtlich selbst Angehörige der Universität Hamburg – besonders wichtig waren.

Problematisch erscheint der Titel des Werkes. Alltagsgeschichte ist in den letzten fünfzehn Jahren zu einem Modebegriff geworden, dessen Schwierigkeiten schon damit beginnen, daß er nicht eindeutig definiert ist. Der Mitherausgeber Eckart Krause fügt den bekannten Definitionen in der ersten der beiden Einleitungen eine neue hinzu: Herausarbeitung der Grautöne statt Schwarz-Weiß-Malerei (Seite XXV), als ob dies nicht immer das Ziel historischer Forschung wäre. Einige Seiten weiter wird dann erklärt, daß dieses Werk kein "alltagsgeschichtliches" Unternehmen sei (Seite XXXIII). Der größere Teil der Beiträge versucht tatsächlich nicht, Alltagswirklichkeit – was immer das sein mag – zu rekonstruieren, sondern analysiert die Geschichte von Institutionen, Ideologien, Mentalitäten und sozialen Verhältnissen sowie Lebensläufe einzelner Personen in dem Bestreben, gerade nicht das zu vergegenwärtigen, was den Zeitgenossen im Alltag präsent war, sondern aufzudecken, was sich hinter ihrem Rücken und – für sie undurchschaubar – prozeßhaft abspielte.

Das Gesamtwerk ist in acht Teile gegliedert. Von diesen bestreitet jede der vier Fakultäten (Philosophische, Rechts- und Staatswissenschaftliche, Mathematisch-Naturwissenschaftliche und Medizinische Fakultät) einen Teil: Zunächst wird jeweils die Geschichte der betreffenden Fakultät, dann die der einzelnen Institute behandelt. Die Geschichte eines Instituts ist fast zwangsläufig immer auch ein Stück Geschichte der zugehörigen Wissenschaft. Die Autoren sind im allgemeinen Vertreter der jeweiligen Fächer und nicht Historiker.

Vorangestellt ist ein Teil "Allgemeine Aspekte", der außer dem bereits genannten Aufsatz von Barbara Vogel unter anderem Beiträge über die Juden an der Hamburger Universität (Peter Freimark), über die Studentenschaft (Martin Grüttner), über die Bücherverbrennung (Jan Hans) und über die Frauen an der Universität (Astrid Dageförde) enthält. Den ersten Teil der Publikation bildet die doppelte Einleitung, den siebten Teil der erwähnte Beitrag von Sywottek. Der achte und letzte Teil ist ein Anhang mit einer Fülle von sehr wichtigen personalen, institutionellen und statistischen Informationen.

Die Geschichte einer einzelnen Universität unter dem Nationalsozialismus ist nicht nur für sich, sondern auch als ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Universität im Dritten Reich überhaupt zu würdigen. In dieser Hinsicht liegt der Ertrag des vorliegenden Werks auf vier Ebenen.

Zunächst wird vieles bestätigt und erhärtet, was aus anderen Untersuchungen bereits bekannt war. Dazu gehören die nationalkonservative Grundorientierung der Professorenschaft, das Ausbleiben nennenswerten Widerstandes der Universität bei der Entlassung der jüdischen Professoren, die frühe Radikalisierung der Studentenschaft, die Einführung des Führerprinzips an der Universität, die Gründung von Instituten und Professuren für regimenahe Fächer wie Kriegsgeschichte oder Rassenbiologie und anderes mehr.

Zweitens hat jede Hochschule ihre Besonderheiten, ihre spezifischen Erfahrungen, auch ihre zufälligen personellen Konstellationen. Die Hamburger Universität gehörte mit denen von Frankfurt am Main und Köln in eine Gruppe von Neugründungen des 20. Jahrhunderts. Darum beeinflußte 1933 die Sorge vor einer Schließung der Universität das Verhalten der Professoren und der Universitätsleitung beträchtlich. Unter den fachlichen Schwerpunkten der Universität wird die Kolonial- und Auslandskunde herausgestellt. Hamburg gehörte zu den Universitäten mit einer besonders großen Zahl von jüdischen Gelehrten: Im Frühjahr 1933 waren es 43 Personen oder 18,82 Prozent des Lehrkörpers (Seite 134).

Die dritte Ebene betrifft die Kontinuität nach 1945. Trotz des Beitrags von Sywottek stehen der Forschung in bezug auf Hamburg wie auch auf andere deutsche Universitäten noch wichtige Aufgaben bevor.

Viertens stellt sich die Frage, worin der Anstoß des Werkes für die weitere Forschung zu erblicken sei. Besonders wichtig ist hier der Hinweis von Geoffrey Giles (Seite 121), daß zu einer sachgerechten Beurteilung der wirklichen Rolle der Professoren im Nationalsozialismus die ins Detail gehende und darum aufwendige biographische Methode die zuverlässigsten Ergebnisse verspreche.

Das Werk ist den vertriebenen und verfolgten Mitgliedern der Universität gewidmet, darunter den aus rassischen oder politischen Gründen aus dem Amt gedrängten Professoren. Sie werden im Anhang (Seiten 1471 bis 1490) mit Kurzbiographien vorgestellt. Besonders gedacht wird auf dem Widmungsblatt derer, die in der Verfolgung ihr Leben gelassen haben; darunter sind sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie vier Mitglieder der Hamburger "Weißen Rose".



Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1994, Seite 126
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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