Gene und Erziehung: Die Stärke der Empfindsamen
Im September 1995 berichtete der kalifornische Kinderarzt und Psychologe Thomas Boyce über einen überraschenden Befund. Zusammen mit neun Kolleginnen hatte er untersucht, wie Stress und Atemwegsinfekte zusammenhängen. Im Zentrum der Arbeit stand die These, dass stressempfindliche Menschen in einem belastenden Umfeld leichter erkranken. Als Versuchspersonen dienten dem Forschungsteam 137 Vorschulkinder in vier verschiedenen Kindertagesstätten. Um festzustellen, welche der Kleinen besonders stressanfällig waren, hatte man alle einer Reihe von Tests unterzogen. So sollten sie beispielsweise ein Konstrukt aus Holzklötzchen nachbauen, das sie nur kurz gesehen hatten, oder sich eine lange Abfolge von Ziffern merken. Manche Kinder blieben eher gelassen, bei anderen stiegen vor Aufregung Blutdruck und Puls stark an. In den folgenden sechs Monaten registrierte eine Krankenschwester penibel, welche der jungen Probanden einen Husten oder Schnupfen bekamen.
Wichtig dabei: Die vier Kitas unterschieden sich extrem in ihrer Qualität. In manchen waren die Räume schlecht ausgestattet, die Zahl der Betreuungspersonen zu niedrig, und diese wechselten zudem oft. Insgesamt waren die Kinder dort mutmaßlich mehr Stress ausgesetzt als in den besseren Tagesstätten. Tatsächlich wurden in den schäbigeren Einrichtungen die von vornherein eher dünnhäutigen Mädchen und Jungen signifikant öfter krank als alle anderen. Die Resultate bestätigten also die These. Unerwartet dagegen: In den schönen Kitas mit fürsorglichen Bedingungen hatten ausgerechnet die »Sensibelchen« am seltensten eine Erkältung…
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