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Hochwasserschutz: Hochwasser – ein hausgemachtes Problem?


Als die Oder im Juli 1997 weite Teile Tschechiens und Polens sowie die Ziltendorfer Niederung südlich von Frankfurt an der Oder überflutete, war auch die unter dem Wasserspiegel liegende Oderbruch-Region in Brandenburg bedroht. Nur unter Aufbietung aller Kräfte des Katastrophenschutzes wie auch privater Hilfsbereitschaft gelang es, dort die Flußdeiche zu stabilisieren. Bilder überschwemmter Ortschaften und gefährdeter Dämme waren in allen Medien präsent, und rasch war die Rede von der Jahrhundertflut (Bild 1). Erst 1993 und 1995 hatte man dieses Etikett schon den extremen Winterhochwassern an Mosel und Rhein vergeben. Kaum erwähnenswert scheint es mittlerweile, wenn Main, Donau oder Neckar über die Ufer treten.

So stellt sich die bange Frage, ob mit ähnlich extremen oder gar schlimmeren Hochwassern in nächster Zeit erneut zu rechnen ist.

Dramatische Pegelanstiege beruhen meist schlicht auf besonders intensivem oder lang anhaltendem Regen. (Mitunter sind sie aber auch die Folge seltener Ereignisse: Eine den Abfluß stauende Barriere aus Eis oder Geröll oder ein Staudamm kann plötzlich nachgeben, ein Hang abrutschen und eine Flutwelle auslösen.) In Mulden, Furchen und anderen Vertiefungen der Geländeoberfläche sammelt sich ein Teil des Niederschlags und verdunstet oder versickert in den Grundwasserleiter, der dann Bäche und Flüsse in den regenarmen trockenen Perioden speist. Der Rest jedoch fließt unmittelbar in Rinnen und Bächen den nächstgrößeren Gewässern zu.

Dieser Anteil ist auf wenig aufnahmebereiten Böden entsprechend größer – etwa im Winter, wenn nach längeren Frostperioden die oberen Bodenschichten durchgefroren sind. Löst eine Warmfront mit starken Niederschlägen solche Kälteperioden rasch ab, kann der Boden den Regen nicht zwischenspeichern, weil die gefrorenen Schichten nicht schnell genug tauen. Doch auch starke Durchfeuchtung etwa nach der Schneeschmelze fördert den Abfluß des Wassers an der Oberfläche, weil sie die Poren füllt und so die Aufnahmekapazität des Bodens verringert; mitunter reichen sogar dauerhafte Nieselregen dazu aus. Freilich spielt auch die Größe des Einzugsgebietes eine Rolle: Bei kleineren steigt der Pegel schon nach kurzen, aber heftigen Regenfällen über die Uferhöhe, bei viele tausend Quadratkilometer großen Einzugsgebieten erst nach lang anhaltendem Landregen.


Vom Umgang mit dem Risiko

Nun sind Überflutungen weder ein neues Phänomen, noch grundsätzlich negativ zu beurteilen. Sie haben das Aussehen der Erde zu allen Zeiten geprägt: Flora und Fauna von Flußauen brauchen das Wechselspiel von Hoch- und Niedrigwasser, Täler und Klüfte entstanden durch die erodierende Wirkung der Geschiebe und Sande. Bleiben die Hochwasser aus, weil der Mensch regulierend in das Ökosystem eingegriffen hat, hat das tiefgreifende Folgen. Beispielsweise bildeten sich im Grand Canyon Blockaden im Flußlauf, während Sandbänke nicht ausreichend neues Material erhielten; 1996 hat man die Schlucht deshalb mehrmals geflutet (Spektrum der Wissenschaft, März 1997, Seite 76). Auch die ägyptische Hochkultur wäre ohne die bewässernden und düngenden alljährlichen Überflutungen der Felder durch den Nil kaum denkbar gewesen.

Im allgemeinen jedoch beeinträchtigen Hochwasser die Belange der Menschen. Sie legen zumindest vorübergehend die Schiffahrt lahm und gefährden Städte und Siedlungen. Deshalb entstanden Handels- und Gewerbezentren früher oft in der Nähe, doch nach Möglichkeit in ausreichendem Abstand von Gewässern.

Mit Beginn des starken Bevölkerungswachstums zu Anfang des vorigen Jahrhunderts und der zunehmenden Nutzung des Wasser und der Wasserwege im Verlaufe der industriellen Revolution gewannen die Überschwemmungsflächen der meist geräumigen Flußtäler aber an Wert. Sie wurden eingedeicht und urbar gemacht.

Selbstverständlich vermochten Planer und Ingenieure zu keiner Zeit eine Garantie gegen Hochwasser zu geben. Doch schien der zu erwartende Nutzen stets höher als die möglichen Schäden und die damit verbundenen Kosten. Daß diese Rechnung nicht immer aufgeht, belegen die genannten „Jahrhundertfluten“. Auch das Oderbruch, eine ehemalige Sumpfniederung der Oder in Brandenburg, wurde im 18. Jahrhundert auf Anweisung Friedrichs des Großen (1772 bis 1786) trockengelegt und besiedelt. Der Gesamtschaden in der Ziltendorfer Niederung belief sich auf mehrere hundert Millionen Mark – um wieviel größer hätte er werden können.


Anthropogene Fluten

Schiffahrt und Wasserkraftwerke erforderten ebenso wie die Nutzung der Uferzonen als Siedlungs-, Acker- und Industrieflächen Veränderungen in Verlauf und Gefälle der Flüsse. Stehen seitliche Überschwemmungsflächen nicht mehr als Pufferzonen zur Verfügung, muß sich ein Hochwasser seinen Weg im eingeengten und unter Umständen begradigten Flußbett suchen. In der Regel laufen nun die Flutwellen schneller ab und treffen früher bei den Unterliegern an.

Die 1817 vom Karlsruher Bauingenieur Johann Gottfried Tulla (1770 bis 1828) begonnene Regulierung des Oberrheins ist hierfür ein markantes Beispiel (Tulla legte 1807 durch Gründung einer Ingenieurschule zudem den Grundstein der heutigen Universität Karlsruhe). Die Begradigung des stark mäandrierenden Laufs verkürzte den Fluß um 81 Kilometer; das dementsprechend stärkere Gefälle beschleunigte die Hochwasserwelle und führte sie – wie erwünscht – schneller ab. Infolgedessen fielen versumpfte Auen trocken und ließen sich nutzen.

Bis heute wurde der Oberrhein mehrfach ausgebaut und mit Staustufen versehen. Säumten ihn ursprünglich 1000 Quadratkilometer Auenlandschaft (Bild 2), waren es 1955 gerade noch 270, 1977 schließlich nur noch 130 Quadratkilometer. Während der Scheitel einer Hochwasserwelle auf dem Rhein ehemals 64 Stunden benötigte, um von Basel nach Karlsruhe zu gelangen, reichen ihm heute 23 Stunden. Weil nun aber an den Mündungen von Nebenflüssen deren Wellenmaxima oft zeitgleich mit dem Scheitel der Welle des Hauptstroms eintreffen, haben sich die Hochwasserspitzen insgesamt deutlich erhöht. Mitunter kann die Beschleunigung allerdings auch bewirken, daß die jeweiligen Maxima jetzt nacheinander ablaufen.

Als weiterer Grund für die zu beobachtende Häufung von Hochwassern in den letzten Jahrzehnten wird oft die zunehmende Bodenversiegelung durch Wege, Straßen, Gebäude und Plätze angesehen. Das ist teilweise richtig, denn solchermaßen abgedichtete Flächen vermögen den Niederschlag nicht zurückzuhalten, sondern leiten ihn ohne große Verzögerung in die Flüsse. Allerdings wirkt sich das nur in Gebieten mit einem hohen Anteil solcher Flächen aus, also insbesondere bei kleinen Einzugsgebieten in Siedlungsnähe. Bei größeren Flußeinzugsgebieten sind meist nur wenige Prozent der Gesamtfläche besiedelt oder von Straßen durchzogen; im Bundesland Bayern – also auch in großen Flußeinzugsgebieten wie dem der Donau – gilt das im Mittel für neun Prozent der Fläche (Bild 3). Zudem sind die Bebauungen nur zu etwa einem Drittel gänzlich wasserundurchlässig. In solchen Regionen verursacht vielmehr die natürliche Versiegelung durch Frost oder Durchnässung Hochwasser.

Auch landwirtschaftlich genutzte Böden können je nach Bewirtschaftung verdichtet werden und zum Abfluß beitragen. Desgleichen hat die Entwaldung unter Umständen eine der Versiegelung vergleichbare Wirkung, denn der wurzeldurchzogene und mit Nadelteppich bedeckte Boden vermag Wasser gut zu speichern. Zudem leistet das Abholzen besonders in bergigen Regionen der Erosion Vorschub, was die Speicherfähigkeit für Niederschlag oder geschmolzenen Schnee weiter mindert.

Die Auswirkungen solcher Eingriffe auf die Entstehung von Hochwassern lassen sich beispielsweise in Beregnungsexperimenten und Computersimulationen untersuchen. Wesentlich schwerer zu prüfen ist die Vermutung, daß die Häufung extremer Niederschläge in den letzten Jahren auf anthropogen bedingte Veränderungen des Weltklimas zurückgeht. Zwar mehren sich die Anzeichen für einen verstärkten Treibhauseffekt, doch ein wissenschaftlich eindeutiger Beweis steht aus. Die hoch komplexen Vorgänge in der Atmosphäre und den Ozeanen – den Motoren des globalen Wettergeschehens – sowie ihr Wechselspiel sind erst teilweise verstanden und müssen noch sehr viel gründlicher erforscht werden.


Jahrhunderthochwasser

Insgesamt spricht vieles dafür, daß Hochwasser aufgrund unbedachter Einflußnahme auf natürliche Ökosysteme tatsächlich häufiger und stärker auftreten, obgleich der Vorgang an sich natürlich und nur wegen der Besiedlung gefährdeter Flächen problematisch ist. (So trat die Mud, ein Nebenfluß des Mains im Odenwald im Januar 1995 über die Ufer, obwohl das 390 Quadratkilometer große Einzugsgebiet zu Dreiviertel bewaldet und nur zu 1,7 Prozent versiegelt ist, das Gewässer nicht begradigt wurde und somit keine Rückhalteräume verloren gingen. Flächendeckende starke Regenfälle und gleichzeitige Schneeschmelze bei noch gefrorenen beziehungsweise wassergesättigten Böden waren die Ursache.)

Die dramatische Bezeichnung Jahrhunderthochwasser ist aber meist unzutreffend, wie eine Analyse etwa der seit dem späten Mittelalter an Bauwerken angebrachten Hochwassermarken und der heutzutage automatisch registrierten Wasserstände zeigt. So erreichte der Rhein bei Köln 1926 einen Pegel von 10,69 und 1993 von 10,63 Meter. Die schwerste überlieferte Katastrophe für diesen Fluß ereignete sich Ende Februar 1784: Eine meterdicke Eisdecke zwischen Mülheim und Köln hatte ihn gestaut; als sie bei starkem Tauwetter brach, stieg der Pegel in Köln auf 13,55 Meter; die heranflutenden Wasser- und Eismassen forderten zahlreiche Opfer.

Als Kriterium für einen besonders starken Anstieg eignet sich die Definition des hundertjährlichen Hochwassers, die in Deutschland der Bemessung der meisten Anlagen an Flüssen zugrundeliegt. Untersucht wird der Abfluß, der in einem beliebigen Jahr mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Prozent erreicht oder überschritten wird. Häufig spricht man auch von einer statistischen Wiederholungszeitspanne von 100 Jahren; eine Wiederkehr in den nächsten Jahren ist damit freilich nicht ausgeschlossen. Betrachtet man nun die Pegel der Winterhochwasser am Rhein von 1993 und 1995, ergibt sich nur eine Jährlichkeit zwischen 10 Jahren bei Worms und etwa 60 Jahren bei Köln; allenfalls das letztjährige Anschwellen der Oder erfüllte das genannte Kriterium.


Vorbeugender Schutz

Rechtzeitige und verläßliche Vorhersagen ermöglichen im Akutfall Maßnahmen zum Schutz vor Überflutung bis hin zur Evakuierung. Im Einzugsgebiet des Rheins sind gegenwärtig insgesamt 25 Hochwassermeldedienste damit beschäftigt, die verfügbaren Abflußdaten zu registrieren und daraus Prognosen abzuleiten. Die derzeit eingesetzten mathematischen Modelle erlauben jedoch gesicherte Aussagen nur für 12 bis 24 Stunden. Entsprechende Zentren in den Niederlanden, dem untersten Anrainer des Rheins, können aufgrund der umfassenden Daten der Oberlieger den Wasserstand bis zu zwei Tagen mit ausreichender Genauigkeit prognostizieren. Von künftigen Modellen ist zu fordern, daß sie diesen Zeitraum auch für die deutschen Flußabschnitte auf mehrere Tage ausdehnen, um Schutzmaßnahmen besser planen zu können. Die am Oberrhein derzeit zum Schutz der Strecke bis Worms vorhandenen Rückhalteräume von etwa 100 Millionen Kubikmetern könnte man dann gezielt füllen – bislang ist die Wahl des Zeitpunkts ein Vabanquespiel.

In gewissem Maße läßt sich auch durch künstlich angelegte Rückhaltebecken einer Überflutung vorbeugen. Kleinere Anlagen – mit einer Speicherkapazität von meist nur wenigen Millionen Kubikmetern – befinden sich im Oberlauf vieler Flüsse. Größere Becken sind oft als Mehrzweckspeicher konzipiert und erfüllen außer dem Hochwasserschutz auch andere wasserwirtschaftliche Aufgaben. Ein Beispiel ist der in den fünfziger Jahren gebaute Sylvensteinspeicher an der bayerischen Isar: Er kappt Hochwasserspitzen durch Zwischenspeichern der Zuflüsse und füllt zudem die Isar bei Niedrigwasser in Trockenperioden; in geringem Maße dient er auch der Stromerzeugung (Bild 4).

An größeren Flüssen wären solche Bauwerke angesichts häufig mehrerer hundert Millionen Kubikmeter Wasser im Akutfall entweder technisch gar nicht zu realisieren oder unwirtschaftlich. Wegen der sehr hohen Abflußvolumina bei extremen Hochwassern würde auch die Rückgabe ehemaliger Überschwemmungsgebiete allenfalls in kleineren Einzugsgebieten oder im Oberlauf von größeren Flüssen Wirkung zeigen.

Der beste Schutz vor Überschwemmungen besteht darin, der Hochwassergefahr auszuweichen; die Behörden müßten entsprechende Flächennutzungspläne erstellen und Baugenehmigungen in gefährdeten Gebieten verweigern. Wo dies nicht möglich oder nicht erwünscht ist, wäre zu klären, zu welchen Teilen das Risiko vom einzelnen, von den betroffenen Gemeinden und von der Allgemeinheit zu tragen ist.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1998, Seite 78
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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