September 2006: Hubbles »Top 10«
Kaum ein anderes Fernrohr hat unser Wissen vom Kosmos so entscheidend beeinflusst wie das Weltraumteleskop Hubble. Das heißt aber nicht, dass damit besonders viele Entdeckungen gelungen wären. Bedeutsam ist das Gerät eher dadurch geworden, dass es im Zusammenspiel mit anderen Satelliten und irdischen Teleskopen betrieben wird.
Erkennen Astronomen mit diesen Instrumenten Hinweise auf besonders interessante Objekte oder Ereignisse, wird das Weltraumteleskop benutzt, um Bilder in einer Schärfe zu liefern, die schon oft vage Spekulationen in überzeugende Beweise verwandelt haben – und Theoretiker dazu zwangen, ihre Aussagen vom Universum und den darin befindlichen Objekten nachzubessern.
Im April dieses Jahres war das Teleskop bereits 16 Jahre in der Erdumlaufbahn. In dieser Zeit hat es nicht nur das Weltbild der Astronomen revolutioniert, sondern auch unzählige Laien für die Wunder des Kosmos begeistert. Leider ist das Weltraumteleskop mittlerweile eher wegen seiner unsicheren Zukunft im Gespräch, doch das aus gutem Grund: Ohne eine weitere Reparatur würde das Teleskop womöglich bereits 2008 seinen Betrieb einstellen müssen. Während die Nasa darum kämpft, erneut regelmäßige Flüge mit dem Spaceshuttle durchzuführen, verschlechtert sich Hubbles Zustand von Tag zuTag.
Vielleicht ist ein solcher Augenblick, in dem noch viel zu retten ist, ein guter Anlass für einen Rückblick auf anderthalb Jahrzehnte, die uns im Nachhinein als ein goldenes Zeitalter der Astronomie erscheinen. Auf den folgenden Seiten berichte ich von dem, was ich für die zehn wichtigsten Beiträge Hubbles halte.
Natürlich ist das eine subjektive Auswahl, aber in einem so kurzen Artikel ist es unmöglich, allen Leistungen von Hubble gerecht zu werden. Das Datenarchiv enthält bereits mehr als 27 Terabyte Daten und wächst pro Monat im Durchschnitt um 390 Gigabyte an. Mehr als 6200 wissenschaftliche Publikationen basieren bis heute auf diesen Daten, ohne dass ein Ende abzusehen wäre.
Allein in den letzten Monaten wurden mit Hubble zwei neue Monde des Planeten Pluto, eine erstaunlich massereiche Galaxie im frühen Universum sowie ein planetarischer Begleiter bei einem Braunen Zwerg entdeckt – jede für sich eine bahnbrechende Entdeckung. Wir haben das Glück, in einer Zeit zu leben, in der die Menschen Einzelheiten des Kosmos sehen können, die noch vor wenigen Jahren unvorstellbar waren.
1 Der große Komenteneinschlag
Aus kosmischer Perspektive betrachtet, war der Einschlag des Kometen Shoemaker-Levy 9 auf Jupiter im Juli 1994 nichts Besonderes: Die kraterübersäten Oberflächen der terrestrischen Planeten und zahlreicher Monde lassen keinen Zweifel daran, dass solche Ereignisse früher einmal zum Alltag im Sonnensystem gehörten. Aus der Sicht eines Menschen war der Einschlag hingegen einzigartig, denn nur etwa alle tausend Jahre kommt es zum Zusammenstoß eines Kometen mit einem Planeten.
Bereits im Jahr 1993 zeigten Aufnahmen von Hubble, dass der Kern von Shoemaker-Levy 9 in ein Dutzend Fragmente zerfallen war. Der erste dieser Brocken aus Eis und Gestein schlug am 16. Juli 1994 in die Atmosphäre Jupiters ein, die anderen im Lauf der folgenden Woche. Innerhalb von zehn Minuten nach dem Aufprall breiteten sich dunkle Wolken über der Einsturzstelle aus, die Atompilzen ähnelten und über Monate wie Narben sichtbar blieben.
Die Hubble-Aufnahmen machten auf ein Rätsel über den Aufbau des gasförmigen Riesenplaneten aufmerksam. Sie zeigten, dass sich Wellen mit einer Geschwindigkeit von 450 Metern pro Sekunde von der Einschlagstelle entfernten. Vermutlich handelte es sich um so genannte Schwerewellen, bei denen der Auftrieb als Rückstellkraft wirkt – ähnlich wie ein schwimmender Korken aufund abschwingt, nachdem er ins Wasser gedrückt wurde, wobei auf der Oberfläche von ihm Wellen ausgehen.
Die Ausbreitung der Schwerewellen in der Jupiteratmosphäre hängt von deren Gasgemisch ab. Der gemessenen Geschwindigkeit zufolge muss das Verhältnis von Sauerstoff zu Wasserstoff zehnmal so groß sein wie in der Sonne – ein rätselhafter Befund, denn schließlich sind der Planet und unsere Sonne vermutlich aus derselben Scheibe aus Gas und Staub entstanden und sollten deshalb chemisch ähnlich zusammengesetzt sein.
2 Extrasolare Planeten
Die meisten Astronomen halten die Entdeckung von Planeten außerhalb des Sonnensystems für eines der wichtigsten Ereignisse der vergangenen Jahrzehnte. Heute kennen wir rund 180 dieser Objekte, Monat für Monat kommen weitere hinzu. Die meisten werden mit irdischen Teleskopen aufgespürt und geben sich durch ein periodisches Hinund Hertaumeln ihrer Zentralsterne zu erkennen, das diese extrasolaren Planeten auf Grund ihrer Schwerkraft verursachen. Doch diese Bewegung verrät den Forschern nur wenig über die Größe und die Exzentrizität der Umlaufbahn der Planeten und liefert ihnen für deren Masse nur einen Mindestwert.
Bei manchen Planeten liegt die Bahnebene in unserer Sichtlinie zu ihren Zentralsternen, und so geschieht es, dass sie in regelmäßigem Abstand vor diesen Lichtquellen vorbeiziehen. Bei einem solchen Transit schwächen die Planeten das vom Stern sichtbare Licht geringfügig – und daraus können die Forscher einiges über die Planeten lernen. Hubble-Beobachtungen des Sterns HD209458 im Sternbild Pegasus, in dessen Umlaufbahn 1997 der erste Transitplanet entdeckt wurde, lieferten bislang die meisten Informationen über einen extrasolaren Planeten.
Dieses Objekt, inzwischen als HD209458b bekannt, ist um 30 Prozent masseärmer als Jupiter, dafür aber 30-mal so groß und befindet sich so nah an seinem Zentralstern, dass er diesen in nur 3,5 Tagen umrundet. Vielleicht bläht die intensive Strahlung seiner Sonne diesen Riesen auf. Die Messungen mit Hubble sind sehr genau; deshalb können die Forscher damit sogar breite Ringe oder größere Monde des Planeten aufspüren – doch davon fanden sie nichts.
Mit Hubble gelang es erstmals, die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre eines extrasolaren Planeten zu ermitteln. Die Gashülle von HD209458b enthält Schwefel, Kohlenstoff und Sauerstoff. Zudem strömt von ihm Wasserstoff ins Weltall ab und bildet einen kometenartigen Schweif.
3 Sterne im Todeskampf
Der Theorie zufolge enden Sterne mit mehr als der achtfachen Masse unserer Sonne in einer Supernovaexplosion. Hat ein Stern seinen nutzbaren Nuklearbrennstoff aufgebraucht, verliert er schlagartig den Kampf gegen sein eigenes Gewicht: Sein Kern kollabiert zu einem Neutronenstern – ein stabiler, extrem dichter Überrest –, während das Gas der äußeren Schichten mit hoher Geschwindigkeit ins All geschleudert wird.
Diese Theorie direkt zu überprüfen ist jedoch nicht leicht, denn in unserem Milchstraßensystem ist die letzte Supernova im Jahr 1680 explodiert – lange vor der Erfindung moderner Teleskope und Messinstrumente. Doch am 23. Februar 1987 erhielten die Astronomen einen nahezu gleichwertigen Ersatz, als das Licht von einer Supernova in der Großen Magellanschen Wolke, einer Begleitgalaxie der Milchstraße, die Erde erreichte.
Damals war Hubble noch nicht im All, aber drei Jahre später begann das Weltraumteleskop damit, die weiteren Ereignisse im Umfeld des explodierten Sterns zu verfolgen. Die Forscher entdeckten ein System aus drei Ringen um die Stelle, an der sich vor der Explosion ein massereicher Stern befand. Der innere Ring scheint die schmale Taille einer sanduhrförmigen Gaswolke zu repräsentieren, während es sich bei den beiden größeren Ringen um deren Enden handelt. Diese Wolken sind offenbar schon Tausende von Jahren vor der Explosion des Sterns entstanden.
Im Jahr 1994 entdeckten Astronomen mit Hubble helle Punkte, die entlang dem inneren Ring aufleuchteten – genau wie es die Theorie für den Fall vorhergesagt hatte, dass die von der Supernova ausgestoßene Materie auf den Ring stößt.
Im Gegensatz zu massereichen Sternen verläuft das Ende sonnenähnlicher Sterne weniger spektakulär. Ohne zu explodieren, stoßen sie im Verlauf von rund zehntausend Jahren ihre äußeren Gasschichten ab. So wird der heiße Kern des Sterns freigelegt, und dessen Strahlung ionisiert das ausgestoßene Gas, was durch die Anregung ionisierten Sauerstoffund Wasserstoffgases zur Aussendung grünen und roten Lichts führt.
Solche leuchtende Gaswolken werden bis heute »Planetarische Nebel« genannt, ein missverständlicher Begriff, der daran erinnert, dass manche Astronomen des 18. Jahrhunderts diese Objekte zunächst für Planeten hielten. Heute kennen wir etwa zweitausend Planetarische Nebel. Die Aufnahmen des Hubble-Teleskops zeigen in zuvor unerreichter Detailfülle, welche außerordentlich komplexe Formen sie besitzen können.
Einige der Nebel bestehen aus zahlreichen konzentrischen Ringen, die vermutlich darauf hinweisen, dass die Abstoßung der Hüllen unregelmäßig verläuft, wobei wohl etwa 500 Jahre zwischen zwei Ausstößen vergehen. Das ist zu lang, um auf dynamische Pulsationen zurückzugehen, bei denen sich der Stern im Wechselspiel von Schwerkraft und Gasdruck zusammenzieht und aufbläht. Andererseits ist diese Zeitspanne zu kurz, um auf thermischen Pulsationen zu beruhen, die als Zeichen eines Gleichgewichtsverlusts des Wärmetransports im Sterninneren gelten – und so bleibt die Ursache für die Formen der Planetarischen Nebel weiter rätselhaft.
4 Kosmische Geburten
Dass gebündelte Gasströme im Verlauf einer Sterngeburt entstehen, wissen Astronomen seit Langem. Ein Sternenembryo kann ein Paar solcher »Jets« ausstoßen, das sich über mehrere Lichtjahre erstreckt. Doch wie entstehen diese Gasströme? Möglich ist, dass ein großräumiges Magnetfeld mit der Gasund Staubscheibe um das junge Objekt verwoben ist. Dann wäre die durch die Strahlung des Sterns ionisierte Materie gezwungen, sich entlang der magnetischen Feldlinien zu bewegen, und würde dadurch herausgeschleudert werden, ähnlich wie Perlen auf einer rotierenden Schnur. Dieses Modell sagt voraus, dass die Jets vom Zentrum der Scheibe ausgehen – und genau das konnten die Astronomen mit dem Weltraumteleskop erkennen.
Eine andere Hypothese musste hingegen begraben werden. Die Forscher hatten erwartet, dass die zirkumstellaren Scheiben tief in den Gaswolken der Sternentstehungsregionen verborgen und deshalb unbeobachtbar sind. Hubble lieferte Bilder zahlreicher unverdeckter Scheiben, die leicht zu erkennen sind, sich vor dem Hintergrund der Gasnebel abzeichnen und als Entstehungsorte für Planeten gelten. Deshalb werden sie »Proplyds« (nach englisch: proto-planetary disks) genannt. Mindestens jeder zweite junge Stern scheint eine solche Scheibe zu besitzen.
5 Galaktische Archäologie
Astronomen vermuten, dass große Welteninseln wie die Milchstraße und die Andromeda-Galaxie im Lauf ihres Lebens anwachsen, indem sie kleinere Galaxien verschlucken. Diese wilde, geradezu kannibalische Vergangenheit sollte in der Verteilung, dem Alter, der Zusammensetzung sowie den Geschwindigkeiten der Sterne Spuren hinterlassen – und Hubble hat sich als ausgezeichnetes Werkzeug erwiesen, um diese nachzuweisen.
Ein gutes Beispiel ist die Beobachtung des stellaren »Halos« der Andromeda-Galaxie, einer kugelförmigen Wolke aus Sternen und Sternhaufen, die weit über die sichtbare Scheibe dieser Galaxie hinausreicht. Mit dem Weltraumteleskop fanden die Astronomen heraus, dass die Sterne in diesem Halo zu unterschiedlichen Zeiten entstanden. Einige von ihnen sind 11 bis 13,5 Milliarden Jahre alt, doch mehr als die Hälfte wurde vor »nur« 6 bis 8 Milliarden Jahren geboren. Letztere könnten früher zu einer kleineren Nachbargalaxie gehört haben, die dann verschluckt wurde. Vielleicht bildeten sich diese Sterne jedoch infolge eines Zusammenstoßes oder einer nahen Begegnung der Andromeda-Galaxie mit einem kosmischen Nachbarn, bei dem ihre Scheibe gestört wurde.
Der Halo der Milchstraße enthält keine vergleichbar jungen Sterne. Obwohl sich unsere Milchstraße und die AndromedaGalaxie äußerlich ähneln, müssen sich ihre Lebensläufe demzufolge deutlich voneinander unterscheiden.
6 Supermassenreiche Schwarze Löcher
Seit den 1960er Jahren vermuten Astronomen, dass die zumeist weit entfernten, hell leuchtenden Quasare und andere aktive Galaxienkerne von Schwarzen Löchern angetrieben werden, die Materie aus ihrer Umgebung aufsaugen und zum Teil in Strahlung umwandeln. Beobachtungen mit Hubble bestätigen dieses Bild. In nahezu jeder sorgfältig beobachteten Galaxie konnten die Forscher ein Schwarzes Loch aufspüren.
Hoch aufgelöste Bilder zeigen, dass sich die meisten Quasare in hellen elliptischen Galaxien befinden oder beim Zusammenstoß von Galaxien hervortreten. Möglicherweise gibt es bestimmte Prozesse, die Materie in die Zentren der Galaxien transportieren und dort die Schwarzen Löcher füttern. Außerdem besteht ein Zusammenhang zwischen der Masse dieser zentralen Schwarzen Löcher und der Masse der sie umgebenden sphärischen Verdickungen der Galaxien, den so genannten Bulges. Vermutlich ist das Schicksal der Galaxien eng mit dem ihrer Schwarzen Löcher verknüpft.
7 Die größten Explosionen
Gammastrahlenausbrüche geben den Astronomen seit mehr als dreißig Jahren Rätsel auf: plötzlich auftretende, energiereiche Strahlungspulse, die in offenbar beliebigen Richtungen am Himmels erscheinen, verblassen und sich nie wiederholen. Erst seit wenigen Jahren wissen wir, dass diese Ausbrüche in fernen Galaxien stattfinden und nicht in der Umgebung der Sonne oder etwa im Halo der Milchstraße.
Einige der Ausbrüche dauern nur wenige Millisekunden an, andere bis zu zehn Minuten. Je nachdem, ob sie kürzer oder länger als zwei Sekunden erscheinen, unterscheiden sie sich deutlich. Die länger andauernden Ausbrüche enthalten Photonen mit niedrigerer Energie als die kurz andauernden. Beobachtungen mit dem Compton Gamma Ray Observatory, einem Satelliten der Nasa, dem italienischen Röntgensatelliten BeppoSAX sowie Teleskopen auf der Erde weisen darauf hin, dass die langen Ausbrüche vermutlich durch den Kollaps massereicher, kurzlebiger Sterne ausgelöst werden. Auch Supernovae entstehen durch den Kollaps solcher Sterne. Worin unterscheiden sich dann die Ursachen dieser Ereignisse?
Beobachtungen mit Hubble zeigten, dass es in allen Sternentstehungsregionen zu einer Supernova kommen kann, während sich nur in den hellsten Regionen der Galaxien, in denen sich die massereichsten Sterne befinden, lang andauernde Gammastrahlenausbrüche ereignen. Zudem sind die Wirtsgalaxien dieser Ausbrüche lichtschwächer, erscheinen in unregelmäßigeren Formen und sind, im Vergleich zu denen von Supernovae, ärmer an schweren Elementen. Massereiche Sterne, die nur wenige schwere Elemente enthalten, erzeugen schwächere Sternwinde als Sterne, die einen hohen Anteil an schweren Elementen besitzen. Im Verlauf ihres Lebens verlieren sie demzufolge weniger Materie und sind am Ende ihres Lebens massereicher als Sterne der gleichen Ursprungsmasse, die mehr schwere Elemente enthalten. Kollabieren sie schließlich, so entsteht dabei eher ein Schwarzes Loch als ein Neutronenstern.
Deshalb vermuten Astronomen, dass Gammastrahlenausbrüche von gebündelten Jets erzeugt werden, die von rotierenden Schwarzen Löchern ausgehen. So scheint die Masse des Vorgängersterns darüber zu entscheiden, ob sein Todeskampf als Schwarzes Loch oder als Gammastrahlenausbruch endet. Erst im vergangenen Jahr gelang es mit den Satelliten Hete-2 und Swift, die Lage von kurz andauernden Ausbrüchen in ihren Wirtsgalaxien genau zu bestimmen. Beobachtungen mit Hubble und dem Röntgensatelliten Chandra zeigten daraufhin, dass bei diesen kurzen Ausbrüchen insgesamt viel weniger Energie freigesetzt wird als bei ihren lang andauernden Gegenstücken.
Kurze Ausbrüche wurden nicht nur in Spiralgalaxien, sondern sogar in elliptischen Galaxien beobachtet, in denen keine neuen Sterne mehr entstehen. Demzufolge gehen die kurzen Gammastrahlenausbrüche nicht direkt auf massereiche kurzlebige Sterne zurück, sondern auf ältere stellare Überreste. Vielleicht werden die kurzen Ausbrüche durch die Verschmelzung zweier Neutronensterne oder eines Neutronensterns und eines Schwarzen Lochs ausgelöst.
8 Am Rand der Welt
Ein großer Wunsch der Astronomen ist es, die Entwicklung der Galaxien bis zu ihrem Ursprung zurückzuverfolgen. Um eine Vorstellung davon zu gewinnen, wie heute existierende Galaxien früher einmal aussahen, versuchen die Forscher, Bilder von Galaxien aller Altersstufen aufzunehmen. In Absprache mit anderen Sternwarten untersuchte Hubble einige ausgewählte Himmelsregionen mit extrem lang belichteten – im Astronomenjargon: tiefen – Aufnahmen. Diese Beobachtungen ermöglichen visuelle Zeitreisen, denn je weiter entfernt die Objekte sind, umso älter ist das von ihnen empfangene Licht und umso früher in ihrer Entwicklung wurde es ausgesandt. Tatsächlich gelingt es Astronomen mit den »Hubble Deep Fields«, dem »Hubble Ultra Deep Field« und dem »Great Observatories Origins Deep Survey«, in die Kinderstube der Galaxien zu blicken.
Diese äußerst empfindlichen Aufnahmen zeigen Galaxien zu einem Zeitpunkt, als das Universum erst wenige hundert Millionen Jahre alt war. Das sind nur fünf Prozent seines heutigen Alters. Damals existierende Galaxien waren kleiner und wiesen unregelmäßigere Formen auf als die heutigen – genau wie es zu erwarten ist, wenn heute existierende Galaxien aus der Verschmelzung kleinerer Systeme entstanden sind und nicht etwa durch die Teilung größerer Galaxien. Astronomen haben gelernt, aus Beobachtungen der »tiefen Felder« auf das Auf und Ab der Sternentstehung im Verlauf der kosmischen Geschichte zu schließen. Bereits eine Jahrmilliarde nach dem Urknall bildeten sich demnach erstaunlich viele Sterne, während die Rate an neuen Sternen in den vergangenen sieben Milliarden Jahren abgenommen hat und auf ein Zehntel des damaligen Werts gesunken ist.
9 Das Alter des Universums
Beobachtungen von Edwin Hubble und anderen Astronomen zeigten in den 1920er Jahren, dass wir in einem expandierenden Universum leben. Jede Galaxie entfernt sich von allen anderen – und zwar umso schneller, je größer ihr Abstand ist. Offenbar ist es der Raum selbst, der sich ausdehnt. Die Hubble-Konstante beschreibt die heutige Geschwindigkeit dieser Expansion und ist gleichzeitig ein Mittel, um das Alter des Universums zu bestimmen.
Nimmt man an, das Universum dehne sich ohne Beschleunigung oder Verlangsamung gleichmäßig aus und die HubbleKonstante sei die Rate, mit der sich die Galaxien voneinander entfernen, dann kann man aus ihrem Kehrwert die Zeitspanne berechnen, die seit dem Augenblick vergangen ist, als alle Galaxien vermeintlich an einem Ort zusammengeklumpt waren. Darüber hinaus wirkt dieser jedoch auch auf den Wachstumsverlauf der Galaxien ein, die Entstehung der leichten Elemente kurz nach dem Urknall sowie die Entfernungsbestimmung von Galaxien aus der Messung ihrer Fluchtgeschwindigkeit. So überrascht es nicht, dass die Bestimmung der Hubble-Konstante von Anfang an eines der Hauptziele des Weltraumteleskops war.
Mit dem Weltraumteleskop Hubble gelang es, besonders zuverlässige Entfernungsindikatoren bis in eine große Distanz zu beobachten: Cepheiden, ein Typ regelmäßig pulsierender Sterne, deren durchschnittliche Leuchtkraft mit der Periodenlänge zunimmt – ein Zusammenhang, der an Sternen in der Milchstraße geeicht werden kann. Misst man die scheinbare Helligkeit und die Perioden dieser Sterne in fernen Galaxien, kann man damit auf deren Entfernung schließen.
Aus Beobachtungen von Cepheiden in 31 Galaxien gelang es den Forschern, die Messfehler erheblich zu verkleinern und die Hubble-Konstante bis auf eine Genauigkeit von zehn Prozent zu bestimmen. In Kombination mit Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung ergibt sich daraus das Alter der Welt: 13,7 Milliarden Jahre.
10 Das beschleunigende Universum
Im Jahr 1998 verkündeten zwei Forscherteams unabhängig voneinander eine sensationelle Entdeckung: Die Expansion des Universums beschleunigt sich. Bis dahin hatten Astronomen eher vermutet, sie würde durch die gegenseitige Anziehungskraft der Galaxien abgebremst. Weit entfernte Supernovae erscheinen jedoch lichtschwächer, als man in einem Universum mit abnehmender Expansionsgeschwindigkeit erwartet, und so hat es sich früher offenbar schneller ausgedehnt.
Was die Beschleunigung der kosmischen Expansion antreibt, gilt heute als eines der größten Geheimnisse der Physik. Anscheinend enthält das Universum eine bislang unbekannte Komponente, die so genannte Dunkle Energie. Aus der Verbindung von Beobachtungen, die mit dem Weltraumteleskop Hubble und Fernrohren auf der Erde gewonnen wurden, mit Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung schließen Astronomen, dass diese Dunkle Energie rund drei Viertel der Gesamtenergiedichte des Kosmos ausmacht.
Den Befunden zufolge begann die beschleunigte Phase der Expansion vor etwa fünf Milliarden Jahren, davor hatte sich die Expansion vermutlich sogar verlangsamt. Im Jahr 2004 wurden mit Hubble 16 weit entfernte Supernovae entdeckt, die diese kritische Übergangsphase abdecken und helfen, Theorien der Dunklen Energie einzuschränken. Möglich wäre etwa, dass es sich um die Energie des Vakuums handelt.
Noch mehr entfernte Supernovae zu finden, ist entscheidend, um die Geschichte der kosmischen Expansion genauer zu ermitteln – und konkurrierende Theorien der Dunklen Materie zu bewerten. Dass Hubble für dieses Projekt so wichtig ist, gilt als das vielleicht entscheidende Argument dafür, das Weltraumteleskop zu reparieren und weiter zu betreiben. Auf absehbare Zeit wird kein anderes Teleskop dazu in der Lage sein, weit entfernte Supernovae zu finden, deren verblassendes Licht uns hilft, die Eigenschaften der Dunklen Energie dingfest zu machen.
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