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Streitgespräch: "Ich scheue mich nicht, an altehrwürdigen Lehren zu rütteln"

Psychologen und Hirnforscher haben in den letzten Jahren viele neue Erkenntnisse über das menschliche Gedächtnis gesammelt. Vor dem Hintergrund "falscher Erinnerungen" und anderer "Verformungen" fordert der Frankfurter Mediävist Johannes Fried nun eine neue Art der Quellenanalyse. Revolutioniert er mit seiner "Memorik" die Geschichtsforschung? Der Althistoriker und Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts Hans-Joachim Gehrke ist skeptisch. Ein Streitgespräch
epoc: Herr Gehrke, welche Bedeutung haben Schriftquellen für den Historiker im Vergleich etwa zu bildlichen Darstellungen oder archäologischen Artefakten?

Hans-Joachim Gehrke: Darauf antworte ich am besten mit einem Beispiel: der DAI-Grabung auf dem Göbekli Tepe in der Türkei. Was dort auf einem unscheinbaren Hügel seit einigen Jahren zum Vorschein kommt, ist einfach fantastisch: ein monumentales Heiligtum aus der Mitte des 10. vorchristlichen Jahrtausends. Steinkreise, gewaltige Pfeiler in einer eigentümlichen T-Form, Reliefs mit wilden Tieren und rätselhaften Zeichen. Alles dort atmet Spiritualität. Doch welche Vorstellungen von Geistern oder Göttern jene Altvordern in Stein gehauen haben, wie ihre Rituale und Kulthandlungen aussahen, das können wir nur mutmaßen. Wie es hingegen Jahrtausende später beispielsweise im Heiligtum von Olympia zuging, das wissen wir recht genau, denn es gibt dazu eine umfangreiche schriftliche Überlieferung. Natürlich sprechen auch Bilder und Architektur zu uns, diese Sprache ist aber schwerer zu dekodieren und dann weit weniger eindeutig.

epoc: Folgt man Ihnen, Herr Fried, darf man dem Bericht eines Zeitzeugen jedoch nur bedingt trauen – selbst wenn er die Kulte in Olympia mit eigenen Augen gesehen hat!

Johannes Fried: Natürlich ist die Deutung eines Textes mit weniger Unsicherheiten behaftet als die Interpretation von Bodenfunden. Vorsicht ist dennoch geboten, denn solche Berichte beruhen erstens auf der Wahrnehmung von etwas, und die ist niemals ein objektives Abbild des Wahrzunehmenden. Zweitens basieren sie – auf Grund des zeitlichen Abstands zur Niederschrift – auf Erinnerungen, die im so genannten episodischen Gedächtnis kodiert sind. Nicht allein der Vorgang der Verschriftung bringt Abweichungen mit sich, die aktuelle Psychologie und Hirnforschung lehren uns vielmehr, dass unser episodisches Gedächtnis kein simpler Datenspeicher ist! Da werden Informationen schon beim Speichern mit altbekannten Inhalten verknüpft, und jedes Abrufen geht mit einem anschließenden Neuspeichern einher. Dabei moduliert beispielsweise die aktuelle Situation des Datenabrufs die ursprüngliche Information. Kriminalisten kennen das, wenn sie die Verlässlichkeit eine Zeugenaussage bewerten müssen. Unter uns Historikern haben sich diese Erkenntnisse leider noch nicht herumgesprochen ...

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