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Identifizierung von unbekanntem nuklearem Material

Verschiedene Analyseverfahren liefern gleichsam einen Fingerabdruck von radioaktiven Elementgemischen. So lassen sich Herkunft, Verwendungszweck und Vorgeschichte der Probe ermitteln.

Seit Beginn der Kernenergienutzung haben sich große Mengen künstlich erzeugter radioaktiver Substanzen angesammelt. Weltweit sind bisher 140000 Tonnen abgebrannter Brennelemente aus Kernkraftwerken entladen worden. Außer den unterschiedlichsten Spaltprodukten enthalten sie weitere neue Radionuklide, die sich bei der Bestrahlung mit Neutronen im Reaktor bilden und ihrerseits wieder spaltbar sind wie das für den Bombenbau verwendbare Plutonium.

Etwa 90 Tonnen davon sind bereits extrahiert worden, weitere 600 Tonnen befinden sich noch in zwischengelagerten Brennstäben. Mit der Inbetriebnahme großer Wiederaufarbeitungsanlagen in Europa und Japan ließen sich künftig pro Jahr ungefähr 40 Tonnen davon gewinnen. In den Arsenalen der Kernwaffenstaaten lagern zusätzliche Plutoniummengen, die man auf mehr als 200 Tonnen schätzt. Infolge der vereinbarten Abrüstungsmaßnahmen fallen bei der Verschrottung von Gefechtsköpfen jährlich etwa zehn Tonnen Plutonium an.

Derartige Mengen dieses Waffenmaterials werfen enorme Sicherheitsprobleme auf – ihre technisch und politisch sichere Beseitigung ist noch weitgehend ungelöst (Spektrum der Wissenschaft, Oktober 1993, Seite 32). Auch andere hochradioaktive Transurane oder Spaltprodukte – deren Menge allerdings geringer ist – müssen voraussichtlich längere Zeit in Zwischenlagern aufgehoben werden, bevor sie endgültig beseitigt werden können. Deshalb ist selbst bei striktester Überwachung nicht auszuschließen, daß künftig nukleares Material auftaucht, dessen Zusammensetzung oder auch Herkunft nicht bekannt ist. Zu denken ist dabei an betriebs- oder unfallbedingte Freisetzungen aus Kernenergieanlagen ebenso wie an illegalen Handel mit radioaktiven Substanzen.

In der Europäischen Union unterliegen Kernbrennstoffe der Kontrolle durch die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom). Radioaktive Materialien unbekannter Herkunft lassen sich nach ihrer Analyse leicht den in zivilen Anlagen bereits bekannten Spaltstoffen zuordnen.

Anders ist hingegen die Situation für Radionuklide, die bei der Waffenproduktion anfallen oder bei Versuchsexplosionen in der Atmosphäre oder unterirdisch freigesetzt wurden oder werden; auch die Reaktoren zur Produktion von Waffenmaterial sowie der Brennstoff zum Antrieb von U-Booten unterliegen keinen internationalen Kontrollen. Infolgedessen ist Material aus diesen Quellen viel schwieriger auf seine Herkunft zu untersuchen als solches, das aus dem international überwachten und in seinen Einzelheiten bekannten Kernbrennstoffkreislauf der zivilen Kernenergienutzung stammt.

Schließlich kommen als weitere Quelle radioaktiver Materialien verborgene nukleare Aktivitäten von Staaten in Frage, die Kernsprengkörper entwickeln wollen. Auch wenn die Herstellung von Spaltmaterial vor der internationalen Staatengemeinschaft geheimgehalten werden soll, werden doch stets kleine Mengen künstlicher Radionuklide in die Umgebung freigesetzt, deren Analyse Art und Umfang der Produktion aufdecken kann. Daraus lassen sich neuartige internationale Kontrollmöglichkeiten entwickeln, die im Falle von Nordkorea und Irak bereits angewandt wurden.


Nuklearer Fingerabdruck

Jede Probe eines Kernbrennstoffes weist gewisse Eigenheiten auf, aus denen sich Art, Zeitpunkt und Ort der Herstellung und die vorgesehene Verwendung ableiten lassen. So wie die Fingerabdrücke verschiedener Menschen unterscheidet sich auch die Zusammensetzung der in verschiedenen Anlagen hergestellten Materialien. Dies ist im wesentlichen im Verwendungszweck, in der Art der angewandten Verfahren und den Betriebsbedingungen begründet. Aber auch innerhalb einer bestimmten Anlage entstehen eindeutige Unterscheidungsmerkmale, weil Kernbrennstoffe stets in kleinen Chargen hergestellt werden, die so dimensioniert sind, daß sie stets unterhalb der kritischen Masse bleiben. Durch unterschiedliche Prozeßbedingungen – zum Beispiel Verweildauer im Reaktor – variiert die Nuklidzusammensetzung zwischen zwei Chargen geringfügig, allerdings in eindeutiger Weise.

Damit ähnelt die Arbeit eines Wissenschaftlers, der ein unbekanntes radioaktives Material identifiziert, derjenigen eines Kriminologen, der Verdächtige anhand ihrer Fingerabdrücke überführt, oder auch derjenigen eines Archäologen, der keramische oder metallische Fundgegenstände einer bestimmten Epoche und Kultur zuordnet. Unerläßlich ist dabei eine ausführliche Datenbank: Spezifikation der Produkte, Fertigungsprozesse und anlagentypische Eigenheiten müssen bekannt sein. Für Kernbrennstoffe aus dem zivilen Bereich liegen im allgemeinen ausreichende Informationen vor; nur über manche Details militärisch genutzter Nuklearmaterialien sind die Angaben recht spärlich.

Die Zusammensetzung von Kernbrennstoffen ist zunächst durch die vorgesehene Verwendung bestimmt. Die Konzentrationen der Spaltmaterialien müssen dafür in einem vorgegebenen Bereich liegen. Uran für Leichtwasserreaktor-Brennelemente zum Beispiel ist je nach Reaktortyp auf zwei bis fünf Prozent des Isotops 235 angereichert; für Materialtest- und Forschungsreaktoren beträgt der Anreicherungsgrad zwischen 20 und 90 Prozent.

Aus Art und Menge der natürlichen Elemente, die dem Spaltmaterial beigemischt sind, lassen sich Hinweise auf seine Herkunft sowie auf die Verfahrenstechnik, der es unterworfen war, gewinnen. So ist Brennelementen für Leichtwasserreaktoren Gadolinium als Neutronenabsorber zugesetzt; solche für die graphitmoderierten russischen RBMK-Reaktoren des Tschernobyl-Typs hingegen sind sehr rein, damit in den Brennstäben selbst möglichst viele Neutronen für Spaltprozesse verfügbar sind. Des weiteren kommen durch die Herstellungsverfahren – etwa bei der Behandlung mit Werkzeugen – Verunreinigungen hinzu, die für die jeweilige Anlage typisch sind.

Wann ein Kernbrennstoff hergestellt wurde oder ein Abfallprodukt der Kernenergieerzeugung angefallen ist, läßt sich mit den aus der Archäometrie bekannten Verfahren bestimmen. Wegen der großen Anzahl der in den Proben enthaltenen Radionuklide und der großen Bandbreite ihrer Halbwertszeiten vermag man dabei Zeitspannen von wenigen Wochen bis zu vielen Jahren abzudecken. Weil bei den einzelnen Phasen der Verarbeitung von Kernbrennstoffen das radioaktive Gleichgewicht zwischen den charakteristischen Mutter- und Tochtersubstanzen gestört wird, läßt sich anhand bestimmter Leitnuklide sogar der zeitliche Ablauf einzelner Prozeßschritte ermitteln.

Von den nuklearen Prozessen, denen das Spaltmaterial ausgesetzt war, hängt die vorgefundene Konzentration der einzelnen Nuklide ab. Die Ausbeuten der verschiedenen Spaltprodukte beispielsweise unterscheiden sich je nachdem, ob die Spaltung mit thermischen (in gewöhnlichen Leistungsreaktoren) oder mit schnellen Neutronen (im Schnellen Brüter) erfolgte; zudem ist ihre Masse proportional zur Dauer der Kernreaktionen. Auch die An- oder Abreicherung der Spaltprodukte durch sekundäre Neutroneneinfangprozesse ist charakteristisch für einen Kernenergiegewinnungsprozeß. Falls die Probe nach einer erforderlichen Abkühlzeit von einigen Jahren in einer Wiederaufbereitungsanlage behandelt wurde, ist dies ebenfalls eindeutig an der Isotopenhäufigkeit der einzelnen Elemente zu erkennen.


Analyseverfahren

Zur Klärung von Herkunft, Art und Verwendungszweck einer Probe gibt es kein allgemeingültiges Rezept. Vielmehr muß man sich wie bei einer medizinischen Diagnose an den bereits vorliegenden Informationen orientieren, um die weiteren Analyseschritte auszuwählen. Schon allein die äußere Form des unbekannten Materials – Feststoff, wäßrige Lösung, Aerosol – und die Probenmenge legen den Untersuchungsgang fest.

Abgesehen von der allgemeinen chemischen Zusammensetzung der Substanz ist ihr Gehalt an verschiedenen Radionukliden zu bestimmen. Dafür gibt es standardisierte Verfahren, wie sie bei der Überwachung im Rahmen der internationalen Spaltstoff-Flußkontrolle angewandt werden. Damit ist eine Klassifizierung des aufgefundenen Materials als Kernbrennstoff, waffentaugliches Material oder Waffenmaterial möglich.

Die einfachste und zumeist zerstörungsfrei einzusetzende nuklidspezifische Methode ist die Radiometrie (Spektralanalyse der von der Substanz emittierten Alpha- und Gammastrahlung). Ihre Anwendung ist jedoch im wesentlichen auf Nuklide geringer Halbwertszeit beschränkt. Für längerlebige und auch stabile gibt es inzwischen hochentwickelte Verfahren der Massenspektrometrie, die eine sehr hohe Empfindlichkeit und Genauigkeit erreichen. Nur wenn die Radionuklide homogen im Material verteilt sind, folgt man der klassischen, destruktiven chemischen Analyse, bei der ein repräsentativer Teil der Probe aufgelöst, von störenden Begleitelementen befreit und zur Bestimmung der Einzelnuklide eingesetzt wird.

Für feste Proben eignet sich die Glimmentladungsmassenspektrometrie, bei der durch eine Glimmentladung in einer Argonatmosphäre Ionen aus der Substanz herausgelöst werden, die anschließend zur Analyse in das Massenspektrometer gelangen. Mit diesem Verfahren lassen sich noch äußerst niedrige Konzentrationen im Bereich weniger ppt (parts per trillion, Teile pro Billion) eindeutig feststellen.

Lösungen werden mit der plasma-induzierten Massenspektrometrie untersucht; dazu wird die Substanz als Aerosol in Argon in einem Plasma in seine ionisierten Bestandteile zerlegt und dann im Massenspektrometer analysiert. Kombiniert man dieses Verfahren mit der Ionenchromatographie, lassen sich auch isobare Nuklide (solche mit gleicher Massen-, aber unterschiedlicher Protonen- und Neutronenzahl) trennen und identifizieren.

Die Elementzusammensetzung von Partikeln (zum Beispiel in Filterstaub, den man zur Aufdeckung geheimer nuklearer Aktivitäten gewonnen hat) kann man mit einer Elektronenmikrosonde bestimmen. Bei diesem Verfahren wird ein Elektronenstrahl auf die Probe gerichtet, wobei Röntgenstrahlung entsteht; aus Frequenz und Intensität der in ihrem Spektrum enthaltenen Linien lassen sich Art und Menge der vorhandenen Elemente ermitteln. Aufgrund des hohen örtlichen Auflösungsvermögens eignet sich diese Untersuchungsmethode besonders für Proben mit inhomogener Nuklidverteilung. Ergänzend kann man die Isotopenzusammensetzung der Probe mit massenspektrometrischen Verfahren bestimmen (Sekundärionen- beziehungsweise Thermionenmassenspektrometrie).

Auch die Morphologie einer Probe liefert wichtige Hinweise auf ihre Herkunft und Verwendung. Die Form von Brennstofftabletten zum Beispiel ist für den jeweiligen Reaktortyp charakteristisch, manchmal sogar für die einzelne Reaktorbaureihe. Des weiteren vermögen Strukturuntersuchungen des Ausgangsmaterials, aus dem die Kernbrennstoffe hergestellt werden, Informationen über Produktionsart und -ort zu geben, denn die Zahl der fraglichen Anlagen ist begrenzt.


Fallbeispiel

An unserem Institut haben wir mit den beschriebenen Verfahren zahlreiche Proben analysiert, darunter auch solche, die bei Schmuggelversuchen beschlagnahmt worden waren. In einem Fall handelte es sich um insgesamt 72 Brennstofftabletten, die nach Deutschland eingeführt wurden und am 5. März 1992 bei Augsburg sichergestellt werden konnten.

Deren Abmessungen und Form (Bild) wiesen nach den angaben unserer Datenbank auf eine Verwendung in RBMK-Reaktoren hin. Der Anreicherungsgrad von Brennelementen für diesen Reaktortyp beträgt üblicherweise zwei Prozent – wir fanden jedoch knapp 2,5 Prozent Uran-235. Der Grund dafür lag offensichtlich in dem mit 0,39 Prozent relativ hohen Anteil an Uran-236; denn um den Reaktivitätsverlust des Kernbrennstoffes durch Neutroneneinfang dieses Isotops zu kompensieren, mußte der Anreicherungsgrad entsprechend erhöht werden. Mithin handelte es sich um sogenanntes rückgeführtes Uran.

Nun ist bekannt, daß eine Wiederanreicherung von abgebrannten Uran-Brennelementen den Anteil des leichteren Isotops Uran232 erhöhen würde. Dies ist aber unerwünscht, weil es sich über eine Reihe von Alpha- und Betazerfällen mit zum Teil sehr kurzen Halbwertszeiten in das stabile Blei-208 umwandelt; die dabei ausgesandte hochenergetische Gammastrahlung würde den Umgang mit diesem Material sehr erschweren. Einen erhöhten Anteil an Uran-232 konnten wir jedoch nicht feststellen. Demnach war das Problem offensichtlich umgangen worden, indem die Wiederanreicherung des Uran-235 für diesen Brennstoff durch Zumischen höher angereicherten, wiedergewonnenen Uranbrennstoffes (wie er aus der Aufarbeitung von U-Boot-Reaktorbrennelementen anfällt) erfolgte.

Aus dem Aufbau der Zerfallsprodukte des vorhandenen Uran-232 ließ sich überdies die Zeitspanne zwischen Herstellung und Analyse der Brennstofftabletten bestimmen; sie betrug weniger als ein Jahr. Dieser Befund entsprach den Angaben der Angeklagten und wurde durch Hinweise auswärtiger Fachleute bestätigt.

Dieses Beispiel sowie die erfolgreichen Analysen anderer Funde in jüngster Zeit (die entsprechenden Gerichtsverfahren sind aber noch nicht abgeschlossen), zeigen, daß sich mit der hier beschriebenen Methodik unbekanntes radioaktives Material so weit charakterisieren läßt, daß seine Vorgeschichte, sein Verwendungszweck und auch sein Ursprung bestimmt werden können. Wo die zur genauen Bewertung erforderlichen Angaben über Herstellung und Verwendung nur eingeschränkt zugänglich sind, können anhand der Analysen immerhin die betroffenen Behörden, die über diese bislang noch vertraulichen Informationen verfügen, eine genaue Identifizierung vornehmen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1995, Seite 118
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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