Angemerkt!: Im Fadenkreuz
Die Erfindung des Symbols hat den Menschen zum Kulturwesen gemacht. Dabei vermitteln solche Bedeutungsträger oft auch eine emotionale Note und wirken – ohne dass wir es merken – an unserer Meinungsbildung mit. Das machen sich auch viele Institutionen zu Nutze.
Was sich in der Religion Missionierung und in der Wirtschaft Werbung nennt, wird in der Politik als Propaganda bezeichnet: der systematische Versuch, Sichtweisen zu formen und Verhalten in Richtung einer erwünschten Reaktion zu steuern. In der Psychologie spricht man bei einem ganz ähnlichen Vorgang von "Priming" (zu Deutsch: Bahnung). Hier wecken offenbar auch symbolhafte Reize unbewusst bestimmte Assoziationen und rufen damit automatische Handlungstendenzen hervor.
Muss man also mit potenziell bedenklichen Emblemen vorsichtig sein? Diese Frage wurde Anfang 2011 in den USA hitzig diskutiert, nachdem die demokratische Abgeordnete Gabrielle Giffords in Tucson (Arizona) durch ein Attentat schwer verletzt worden war. Insbesondere Sarah Palin, die Tea-Party-Politikerin, geriet heftig in die Kritik, weil sie zuvor auf Facebook eine US-Karte veröffentlicht hatte, auf der mit Fadenkreuzen Wahlbezirke markiert waren, welche die Republikaner von den Demokraten zurückerobern wollten. Einer der Bezirke war der von Giffords.
Der Psychologe Claus-Christian Carbon von der Universität Bamberg wollte daraufhin herausfinden, ob solche Symbole tatsächlich die Gewaltbereitschaft steigern. Zusammen mit seinen Kollegen Jan Schoormans und Valentin Gattol von der Universität Delft (Niederlande) befragte Carbon 170 zufällig ausgewählte Probanden zu einem fiktiven Szenario. Angeblich streunten zu viele Füchse in der Nähe von Utrecht umher. Die Tiere ernährten sich vom Wohlstandsmüll und seien für die Bevölkerung zur Plage geworden. Die Wissenschaftler zeigten der Hälfte der Teilnehmer eine Karte, auf der die betroffenen Orte mit fadenkreuzähnlichen Emblemen markiert waren (siehe Karten). Die Kontrollgruppe sah an denselben Stellen lediglich leere Kreise. Anschließend sollten sich die Probanden entscheiden, ob man die Füchse erschießen oder lieber einfangen, sterilisieren und wieder frei lassen sollte.
Tatsächlich entschieden sich vor allem diejenigen für eine gewaltsame Lösung, die zuvor durch Fadenkreuze auf die Problemzonen hingewiesen worden waren. Wer dagegen nur Kreise gesehen hatte, sprach sich deutlich häufiger für die tierfreundliche Variante aus. Fazit der Autoren: Durch subtile Symbole lässt sich Gewaltbereitschaft provozieren – unabhängig von Alter und Geschlecht der Teilnehmer.
Dass es sich bei den Emblemen um "bloße Markierungen" handelt, wie Sarah Palin entschuldigend meinte, ist ein fataler Irrtum. Fadenkreuze sind eindeutig mit dem Akt des Schießens assoziiert und werden in der Öffentlichkeit aus gutem Grund kaum verwendet. Allein am Sonntagabend im "Tatort"-Vorspann entdeckt man ein solches Symbol, und jedem Kind ist klar, dass es hier um Gewalt geht.
Die Folgerung aus Carbons Experiment ist damit offensichtlich: nie Sinnbilder der Gewalt mit Menschen verbinden! Denn derartige Anspielungen können schlimme Konsequenzen haben. Selbst bei friedfertigen Menschen weckt der Anblick solcher Zeichen unter Umständen Aggressionen. Wir können uns der Macht der Symbole nicht entziehen. Gehen wir also verantwortungsbewusst und behutsam mit ihnen um!
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