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In zehn Sekunden um die Welt

Die Informations- und Kommunikationstechnik stellt die Funktion ganzer Wirtschaftszweige auf eine neue Grundlage. Banken und Börsen sind dafür ein markantes Beispiel. Die technische Revolution sorgt für eine neue Rollenverteilung in der Finanzwirtschaft.


Noch zu Beginn der siebziger Jahre haben Banken internationale Finanzmeldungen per Telex ausgetauscht: Täglich tausende von Fernschreiben in verschiedenen Sprachen, bei denen es oft um erhebliche Geldbeträge ging. Heute sind Finanzinstitute in aller Welt durch unterschiedlichste Informationsnetze verknüpft – von Verbindungen einzelner Banken und Bankengruppen bis zu umfassenden, grenzüberschreitenden Systemen, etwa dem Zahlungssystem "Target", das die Zentralbanken der Europäischen Union (EU) und die Europäische Zentralbank miteinander verzahnt. Selbst die Sendung größerer Summen dauert kaum länger als zehn Sekunden, wie die Dienstleistungsgesellschaft "Society für Worldwide Interbank Financial Telecommunication" (Swift) in La Hulpe (Brüssel) versichert.

Für viele dürfte das überraschend sein. Schließlich vergeht bis zur Buchung auf den Konten nicht selten eine weitaus längere Zeit: Tage, manchmal gar Wochen. Dafür werden von den Banken alle möglichen Einflüsse verantwortlich gemacht: Bearbeitungszeiten oder "menschliche" Faktoren sowie fehlende internationale Harmonisierungen etwa bei den Bankleitzahlen. Mit "Target", versichert die Deutsche Bundesbank, könnten grenzüberschreitende Großzahlungen inzwischen "taggleich" abgewickelt werden. Doch immer noch müssen Empfänger auf ihr Geld oft tagelang warten.

Die von 2500 Banken getragene Organisation Swift, die eines der größ-ten Finanznetzwerke der Welt betreibt und von mehr als 6000 Finanzinstituten in 164 Ländern genutzt wird, übermittelt jährlich mehr als 900 Millionen Finanznachrichten rund um die Uhr. An jedem Tag wickelt sie durchschnittlich 2,5 Millionen Meldungen mit einem Gesamtwert von rund 2000 Milliarden Dollar ab.

Die technische Revolution führt derzeit in der Finanzwirtschaft zu einer neuen Rollenverteilung. Die Karten würden "komplett neu gemischt", sagt Reiner Zorbach, Leiter des Zweigs Zahlungsservices und Electronic Banking bei der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG in München. Während traditionell die Geschäftsabwicklung zwischen Lieferant und Abnehmer, der Zahlungsprozeß aber parallel dazu über eingeschaltete Banken verläuft, werden die Finanzströme über die elektronische Vernetzung zunehmend in den Gesamtprozeß verwoben. Große Warenkonzerne und Industrieunternehmen holen sich die Finanzgeschäfte ins Haus, nicht selten mit eigenen Tochtergesellschaften. Gleichzeitig nutzen zahlreiche Unternehmen die neue Technik, um den Einkauf auf eine neue Grundlage zu stellen und internationale Zulieferernetze aufzubauen.

Die finanzielle Vernetzung fördert die Entwicklung hin zum "Global Village". An den Börsen werden Informationen über kursbestimmende Ereignisse rasant weitergereicht – im Tagesverlauf rund um die Welt, von Zeitzone zu Zeitzone. Die durch die Elektronik ermöglichte Schnelligkeit beflügelt die Transparenz und den Wettbewerb zwischen den Börsenplätzen. Trotzdem herrscht dort, wo früher die Kauf- oder Verkaufwünsche lauthals bekannt gegeben wurden, heute Ruhe in den Sälen. Alles läuft elektronisch ab – vom Computerhandel "Xetra" bis zum sogenannten Präsenzhandel. Rechner sortieren die Order nach der Höhe, während spezialisierte Informationssysteme wie Reuters, Bloomberg oder Dow Jones rund um die Uhr die Neuigkeiten des Kapitalmarktes verbreiten. Allein die Reuters Group zum Beispiel verbindet mehr als 200 Börsen und 4000 Banken. Was die internationale Vernetzung für Banken und Börsen künftig bedeuten kann, ist erst in Umrissen zu erkennen. Ansätze eines Aktienhandels über Internet deuten an, was zu erwarten ist. Während Fachleute derartigen Versuchen noch mit Vorbehalt gegenüberstehen, weil die Abrechnungs- und Zahlungsmodalitäten nicht gelöst seien, machen Visionen einer "Internet-Börse" die Runde – vor allem bei jungen Unternehmen wie der Webstock GmbH in München, aber auch bei Direktbanken, die ihre Kunden per Telefon oder "online" bedienen.

Über Erfolg oder Mißerfolg werden besonders die Sicherheitsaspekte entscheiden. Wenn "Hacker" in Computernetze eindringen, Viren eingeschleust und Daten ausgespäht werden können, droht immenser Schaden. Nirgends ist dieses Thema so sensibel wie bei Finanzgeschäften. Eine der wesentlichen Herausforderungen bestehe darin, die Systeme effektiv vor unberechtigten externen Zugriffen zu schützen, sagt Karl-Heinz Förster, Fachmann für "Information Security" bei der zur Kreditbank S. A. Luxembourgeoise gehörenden Privatbank Merck Finck & Co in München. Die Verschlüsselungsprogramme, die Daten nur für befugte Personen lesbar machen und mit einer "digitalen Signatur" sicherstellen, daß sie vom richtigen Absender stammen, werden allerdings immer aufwendiger.

In der Finanzwirtschaft führt darüber hinaus noch eine andere Überlegung zu Befürchtungen: Die internationale Vernetzung mit ihrer rasanten Informationsübermittlung vergrößere die Gefahr von "Börsencrashs". Andere halten dagegen, daß die aufsehenerregenden Vorfälle der vergangenen Jahre ganz bestimmte Gründe gehabt hätten. So sind bei Unter- oder Überschreitung bestimmter Kursindizes automatisch Aktionen ausgelöst worden, die sich schnell als nicht mehr beherrschbar erwiesen haben. Daraus glauben Bankiers und Börsianer gelernt zu haben. In die Systeme, beteuern sie, seien inzwischen zusätzliche Sicherungen "eingebaut". So seien etwa für bestimmte Schwellenwerte "Zwischenstops" integriert worden.

Bei aller Elektronik ist aber der Einfluß fachkundiger Personen nicht ganz unwichtig. Herbert Schuster, der Vorsitzende der Münchner Kursmaklerkammer, mißt seinem Berufsstand eine "Steuerungsfunktion" bei. An der Börse könne man die Unterschiede täglich beobachten: Bei einigen Verfahren setzen die Makler die Kurse noch selbst fest, bei anderen übernimmt diese Aufgabe längst der Rechner. Und nicht immer kommen die Anleger besser weg, wenn sie allein dem Computer überlassen werden.

Literaturhinweise

Möglichkeiten und Grenzen von Bloomberg. Von J. Eichler et al. Seminararbeit am Institut für Finanzierung und Finanzmärkte der Wirtschaftsuniversität Wien im Sommersemester 1998.

Reuters stellt sich vor. Ein ‚informativer‘ Konzern. Reuters AG (Hg.). Frankfurt am Main 1998.

Eine neue Ära für S.W.I.F.T. Ein Vortrag von J.-M. Weydert. S.W.I.F.T. Regionalkonferenz, München, 21. April 1997.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1999, Seite 109
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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