Biowaffen: Inspektionen: die Schlüsselfrage
Wie suchen Inspektoren der Vereinten Nationen nach Massenvernichtungswaffen? Welchen Problemen begegnen sie im Irak? Die Tierärztin und Mikrobiologin Gabriele Kraatz-Wadsack berichtet über ihre Erfahrungen als UN-Inspektorin.
Spektrum der Wissenschaft: Frau Dr. Gabriele Kraatz-Wadsack, Sie haben umfangreiche Erfahrungen mit Inspektionen im Irak. Wie lange haben sie dort nach Biowaffen gesucht?
Dr. Gabriele Kraatz-Wadsack: Von Januar 1995 bis Dezember 1998, als die Inspektoren den Irak verlassen mussten, habe ich an 26 UN-Inspektionsmissionen teilgenommen, davon achtmal als Chefinspektorin. Insgesamt war ich über anderthalb Jahre im Irak.
Spektrum: Das Dossier über irakische Massenvernichtungswaffen, das der britische Premierminister Tony Blair im September vorgelegt hat, versucht die Bedrohung durch die verbotenen Aktivitäten des Irak deutlich zu machen. Steht für Sie da überhaupt etwas Neues drin?
Kraatz-Wadsack: Soweit das Blair-Dossier den Stand bis Ende 1998 beschreibt, deckt sich das völlig mit dem Abschlussbericht, den unser damaliger Leiter Richard Butler im Januar 1999 vorgelegt hat. Darin wird die Brisanz der Biowaffen-Problematik besonders hervorgehoben. Das Dossier liefert da nichts Neues. Für die Zeit nach 1998 gibt es allerdings auch Informationen von Überläufern wieder. Und da heißt es: Der Irak könnte …, der Irak hat wahrscheinlich … Das Dossier spricht nicht von gesicherten Informationen – kann es auch nicht. Nur Vor-Ort-Inspektionen durch geschulte Experten können hier Aufklärung bringen.
Spektrum: Wenn sich an der Erkenntnislage so wenig geändert hat, wie erklären Sie sich den Meinungsumschwung, den das Blair-Dossier im britischen Parlament, aber auch allgemein in der Politik bewirkt hat – vorher eher Ablehnung, danach eher Zustimmung zu einer harten Politik gegenüber dem Irak?
Kraatz-Wadsack: Es hat ja vorher niemanden interessiert, was im Irak los ist, es sei denn, es kam eine Krise. Unseren Abschlussbericht hat kaum jemand gelesen, obwohl er sogar im Internet zugänglich ist. Jetzt, durch die enorme Präsenz in den Medien, ist jeder alarmiert. Die Fachleute sind es schon seit langem. Auch die Politiker hätten die Brisanz zur Kenntnis nehmen können.
Spektrum: Manche Kritiker sagen, Inspektionen seien sinnlos.
Kraatz-Wadsack: Ohne Inspektionen hätten wir gar nicht gewusst, dass der Irak ein Biowaffen-Programm hatte. Das hat er erst zugegeben, nachdem wir 1995 Beweise dafür gefunden hatten. Dann behauptete der Irak, er habe das Programm schon 1991 aufgegeben und alle Bestände in eigener Regie vernichtet. Auch das konnten wir widerlegen. Fakt ist allerdings, dass der Irak vieles tut, um den Inspektoren die Erfüllung ihres Mandats zu erschweren.
Spektrum: Bräuchten Sie nicht weit mehr Inspektoren, um Ihre anspruchsvolle Aufgabe zu erfüllen?
Kraatz-Wadsack: Es ist doch so: Der Irak muss beweisen, dass er nichts hat – nicht wir müssen beweisen, dass er etwas hat. Wir suchen ja nicht die Nadel im Heuhaufen. Die UN-Resolution bezieht sich auf Massenvernichtungswaffen – also auf militärische Dimensionen, nicht auf kleine Röhrchen, die irgendwo versteckt sind. Der Irak ist verpflichtet, alle Entwicklungs- und Produktionswege militärischer Massenvernichtungswaffen offen zu legen und dann unter UN-Aufsicht zu zerstören – also alle Waffen, Materialien, Gerätschaften, Produktionsanlagen, Forschungs- und Entwicklungslabors, Unterstützungseinrichtungen. Und wir müssen feststellen: Erfüllt der Irak seine Auflagen, nichts zurückzubehalten, nichts Neues zu produzieren, nichts einzusetzen und sich nichts zu beschaffen?
Spektrum: Wie sind Sie bei Ihren Einsätzen konkret vorgegangen?
Kraatz-Wadsack: Unsere Inspektionsteams waren immer gemäß der gestellten Aufgabe zusammengesetzt. Die Anzahl der Teammitglieder variierte zwischen vier und 44. Es waren nicht nur Mikrobiologen dabei, sondern auch Übersetzer, Berichterstatter usw. Gelegentlich haben wir auch Experten von der Atomenergiebehörde mitgenommen, wenn wir annehmen mussten, dass in den zu überprüfenden Einrichtungen entsprechende Aktivitäten vorhanden sein können. Wir haben sowohl deklarierte als auch designierte Einrichtungen untersucht – also solche, die der Irak zuvor offen gelegt hat, und solche, die wir gerne überprüfen wollten. Der Irak war und ist verpflichtet, den Inspektoren jederzeit ungehinderten Zugang zu ermöglichen – zu Einrichtungen, zu Informationen, zu Materialien, zu Personen. Im Anhang der Sicherheitsrat-Resolution ist aufgelistet, welche Rohstoffe, Krankheitserreger, Gifte und welche Geräte der Irak zur Besichtigung offen legen muss. Wir haben dann überprüft, ob die Angaben korrekt sind, ob die Zusammenhänge stimmen und haben nach Diskrepanzen gesucht. Als Inspektoren gehen wir dabei eigentlich immer einer Aktivität nach. Also müssen wir in die Einrichtungen, dorthin, wo Personen mit den Geräten und Materialien arbeiten.
Spektrum: Sie sind oft fündig geworden?
Kraatz-Wadsack: Wir sind häufig auf nicht deklarierte Geräte und Diskrepanzen gestoßen. Viele Fragen sind offen geblieben, und auch die Behinderungen, die wir erlebt haben, zeigen, dass der Irak seine Auflagen nicht erfüllt hat.
Spektrum: Ein Beispiel?
Kraatz-Wadsack: Einmal wurde uns eine Einrichtung offen gelegt, in der angeblich Hühnerfutter produziert wurde. Wir stellten dann vor Ort fest: Es gab einen Doppelzaun um die Anlage, mit Luftabwehrgeschützen; die Geräte passten nicht zum deklarierten Zweck, die Leute passten nicht, die Expertise passte nicht. Hier wurden Biowaffen hergestellt.
Spektrum: Aber nicht immer ist die Situation so eindeutig.
Kraatz-Wadsack: Speziell in der Biologie haben Sie das Problem der zivil-militärischen Ambivalenz, des so genannten dual use. Viele Einrichtungen, Geräte, Verfahren können schnell von ziviler auf militärische Produktion umgestellt werden, indem Sie einfach die Experten austauschen. Und das war auch passiert: Irak hatte eine Produktionsanlage für einen Maul- und Klauenseuche-Impfstoff. Die gesamte Belegschaft wurde 1990 beurlaubt und durch Biowaffenexperten ersetzt.
Spektrum: Sie müssen also die Gerätetechnik genau unter die Lupe nehmen und die Expertise der Leute ermitteln?
Kraatz-Wadsack: Richtig. Wir analysieren, welche Modifikationen man benötigen würde, wenn man die Einrichtung konvertieren wollte, und wie lange das dauern würde. Manchmal ist es auch nur der Erregerstamm, der den Unterschied macht. Eine Anlage, die einen Anthrax-Impfstoff für die Veterinärmedizin produziert, nutzt einen anderen Ausgangsstamm, als er für Biowaffen erforderlich wäre. Und es wird noch komplizierter: Botulinus-Toxin wird mittlerweile auch in der Augenheilkunde eingesetzt gegen Augennervosität und -zuckungen oder in der Kosmetikindustrie gegen Faltenbildung – das ist zwar hochverdünnt oder inaktiviert, aber dasselbe Botulinus-Toxin, das als Kampfstoff eingesetzt werden kann. Letztlich können Sie also erst am Ende des Verfahrens feststellen, was in der Flasche ist. Ein ziviles Endprodukt muss sich aber irgendwo auffinden lassen – in Krankenhäusern oder in der Veterinärmedizin. Und es muss dokumentiert sein. Und natürlich fragen wir die Expertise der Leute ab: Wie macht ihr denn eure Substanz XY? An den Antworten merkt man leicht, woran man ist. Ein ziviler Forscher gibt Ihnen gern und sachgerecht Auskunft. Sind die Leute sehr vage oder wenig auskunftsfreudig, dann ist etwas faul.
Spektrum: Können Sie denn mit den Leuten ungehindert reden?
Kraatz-Wadsack: Jeder von uns Inspektoren hat einen irakischen Aufpasser dabei. Jede Handlung, jede Konversation wird beobachtet und gelegentlich auch unterbunden.
Spektrum: Welche Behinderungen haben Sie erlebt?
Kraatz-Wadsack: Einmal, in einem Luftwaffenhauptquartier, wollte ich den Inhalt eines Safes überprüfen. Der irakische Aufpasser meinte, der Inhalt würde nicht in das Mandat der Inspektoren fallen. Gut, entgegnete ich, aber ich muss überprüfen, ob das stimmt. Im Safe lagen viele luftwaffenspezifische Dokumente, das sagte mir mein Dolmetscher. Dann aber sehe ich eine Mappe, auf der steht: Irak – Iran. Das Dokument war arabisch, aber ich konnte erkennen, dass es sich um Spezialmunition handelte. Und dann lese ich etwas über Chemiewaffen, die im Krieg gegen den Iran eingesetzt wurden. Während mir mein Dolmetscher übersetzte und ich Notizen machte, holte sich der irakische Aufpasser, der selbst die Signifikanz des Dokuments nicht erkannt hatte, per Telefon Anweisungen aus Bagdad. Dann nahm er uns das Dokument weg. In solchen Situationen nützt es wenig, wenn Sie die Resolution des Sicherheitsrates rezitieren.
Spektrum: Bleibt Ihnen dann nur der Anruf in New York?
Kraatz-Wadsack: Nicht bei allen Behinderungen geht gleich die ganze Kommandokette durch. Es kommt auf das Problem an. Wir als Inspektoren machen zunächst einen Faktenbericht. Beispiel: Ankunft vor Ort um 8.10 Uhr. Eintritt durch den Irak ermöglicht um 8.40 Uhr. Grund: Der zuständige Mann mit dem Schlüssel war nicht auffindbar. Der Chairman unserer Kommission macht die politische Bewertung. War es eine Behinderung oder nicht? Unmittelbarer Eintritt heißt ja nicht unbedingt sofort. Es gibt schon vernünftige Gründe für eine Verzögerung. Wenn es eine militärische Einrichtung ist, dann brauchen wir den Kommandanten – auch unsere irakischen Begleiter sind nicht autorisiert, da einfach reinzustürmen. Man muss seinen gesunden Menschenverstand walten lassen. Bei schwerwiegenden Behinderungen gibt der Chairman die Informationen an den Sicherheitsrat weiter. Etwa, wenn wir zehn Minuten lang keinen Zutritt haben, und derweil rennen die Leute hinten aus dem Gebäude raus.
Spektrum: Ist denn der Schlüssel ein generelles Problem?
Kraatz-Wadsack: Ja, absolut. Es gibt immer einen, der die Schlüsselgewalt hat, und der ist meistens nicht da oder nicht auffindbar. Deshalb haben wir immer unser Brecheisen dabei. Das bieten wir den Irakern an. Schließlich sind sie es, die uns jederzeit ungehindert den Zutritt verschaffen müssen. Und siehe da: Meistens taucht dann der Schlüssel irgendwoher auf. Das ist alles Verzögerungstaktik.
Spektrum: Müssen Sie denn nicht befürchten, bei ihren Handlungen in Misskredit gebracht zu werden?
Kraatz-Wadsack: Das wurde mehrfach versucht. Die Iraker haben immer einen Kameramann dabei. Der ist sehr trickreich und versucht, uns in schlechter Situation zu filmen. Manche Szenen werden dann aus dem Zusammenhang gerissen und an Fernsehsender verkauft. Einmal wollten wir in ein Universitätsgebäude, und der Schlüssel war partout nicht aufzufinden. Aber ein Fenster war offen. Da sagten sie: Bitte nicht das Schloss aufbrechen, könnt ihr nicht durchs Fenster? Da hab ich gesagt: Können wir schon, aber nur, wenn du die Kamera zur Seite legst. Als Inspektor muss man darauf achten, nicht vorgeführt werden zu können. Aber auch wir haben eine Kamera, um den Vorgang zu filmen. Einen solchen Gegenfilm haben wir schon gedreht, wenn wir durchs Fenster mussten.
Spektrum: Und wie gehen Sie bei besonders sensitiven Einrichtungen vor wie etwa bei religiösen Gebäuden oder den so genannten Präsidentenpalästen?
Kraatz-Wadsack: Was kulturelle oder religiöse Empfindlichkeiten betrifft, da können unsere arabischen Übersetzer weiterhelfen. Die könnten auch allein in eine Moschee hineingehen; die wüssten schon, auf was sie achten müssen. Für die Präsidentenpaläste gab es bisher ein memorandum of understanding: Inspektionen wurden nur als Rundgang durchgeführt, und es waren Diplomaten dabei. Der Inspektionswert war gering. Dann gibt es tatsächlich noch so genannte sensitive Einrichtungen, für die zusätzliche Modalitäten gelten. Der Irak entscheidet, welche Einrichtung sensitiv ist.
Spektrum: Was bedeutet das für Ihre Praxis?
Kraatz-Wadsack: Es gibt zwei wesentliche Unterschiede zu den normalen Inspektionen. Erstens: Reduktion des ursprünglichen Inspektionsteams auf ganz wenige Experten. Wir kommen mit 44 Leuten, die Iraker sagen: Ihr kommt nur mit zehn Leuten rein. Dann verhandeln wir. Das ist wie auf dem Basar – und wir verschwenden Zeit. Zweitens: Es muss noch ein hoher Repräsentant des Irak anreisen, der uns auf den Inspektionen begleitet. Der kann natürlich seine Anreise verzögern. Wir müssen warten. Immerhin muss während dieser Zeit die sensitive Einrichtung "einfrieren": keinerlei Aktivität mehr, kein Autoverkehr, nichts darf raus. Unsere Hubschrauber kontrollieren das von oben. Wir haben schon mal beobachtet, wie Lastwagen rausfuhren, beladen mit riesigen Geräten. Unser Kameramann im Hubschrauber wollte das filmen. Der irakische Aufpasser an Bord war damit nicht einverstanden und wandte sogar physische Gewalt an. Das war einer der Fälle, wo der Sicherheitsrat umgehend mit einer neuen Resolution reagierte.
Spektrum: In Kürze wird es wohl zu neuen Inspektionen kommen. Müssen Sie befürchten, dass das Katz- und Mausspiel genauso weitergeht?
Kraatz-Wadsack: Als UNSCOM im Dezember 1999 aufgelöst und UNMOVIC als Kontrollkommission etabliert wurde, hat der Irak diese Resolution gar nicht anerkannt – wir hatten zwar eine neue Kommission, aber keinen Zutritt. Jetzt, nach fast vier Jahren, sagt der Irak, die Inspektoren können ungehindert zurückkehren. Wichtig ist aber: Können wir auch ungehindert inspizieren? Das wird sich erst herausstellen, wenn wir dort sind. Vor Ort wird sich relativ schnell zeigen, wie Husseins Angebot wirklich einzuschätzen ist.
Spektrum: Ihrer Auffassung nach könnte sich der Versuch neuer Inspektionen lohnen?
Kraatz-Wadsack: Oh ja. Wir haben jetzt weit mehr Informationen als früher, insbesondere durch Satellitenaufnahmen. Die zeigen, dass viele der im Dezember 1998 zerstörten Einrichtungen wieder aufgebaut worden sind. Da müssen wir hin, um reinzuschauen. Auch bei den Gebäuden, die wir inspiziert hatten, wissen wir nicht, ob sie noch die gleiche Funktion haben wie früher. Aus unseren früheren Erkenntnissen können wir zwar abschätzen, welches Potenzial der Irak hat. Aber was hat er in den vergangenen vier Jahren tatsächlich gemacht? Hat er Massenvernichtungswaffen produziert und nun die Spuren verwischt? Das sehen wir erst, wenn wir in die Gebäude hineingehen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 2002, Seite 98
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