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Finanzkrise: Instinktiv in die Katastrophe
Die größte Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten erschüttert auch die Grundfesten der Wirtschaftswissenschaften. Verhaltens- und Neuroökonomen zeigen, wie instinktgetriebenes Anlegerverhalten das Entstehen von Spekulationsblasen – und den nachfolgenden Crash – erklären kann.
Der Eisenbahnarbeiter Phineas Gage überlebte, als eine Sprengung am 13. September 1848 eine 1,10 Meter lange und drei Zentimeter dicke Eisenstange durch seinen Schädel, genauer: seinen präfrontalen Kortex trieb. Seitdem zitieren Neurologen den Arbeitsunfall des Vorarbeiters, denn obwohl seine Verletzungen – bis auf die des linken Auges – anscheinend heilten, veränderte sich Gages Persönlichkeit.
Zu den auffälligen Defiziten gehörte, dass er von nun an keine schwer wiegenden Entscheidungen mehr zu treffen vermochte. Rauschgifte wie Kokain richten in diesem Bereich der Großhirnrinde Schäden mit vergleichbaren Folgen an. So können selbst abstinente Süchtige ein unstillbares Verlangen nach der Droge verspüren, wenn sie etwa durch Musik an den Rausch erinnert werden.
Aber auch ohne Verletzung oder Drogenkonsum veranlasst der präfrontale Kortex, nach allgemeiner Überzeugung die Kontrollinstanz situationsangepasster Handlungssteuerung, mitunter völlig falsche Entscheidungen und Einschätzungen. Ein als ventromedialer präfrontaler Kortex (VMPFC) bezeichneter Bereich entpuppte sich im Experiment als einer der zentralen Orte für ein Phänomen, das Ökonomen als "Geldwertillusion" bezeichnen. Ihr unterliegen beispielsweise Menschen, die bei einem Kauf einer Immobilie oder einer Aktie Inflationseffekte ignorieren und im "irrationalen Überschwang" – so nannte es der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Alan Greenspan 1996 – ihrem Objekt der Begierde einen weit höheren Wert beimessen, als es tatsächlich besitzt.
Robert J. Shiller, Wirtschaftsprofessor an der Yale University, vertritt die These, dass diese unstimmige Logik der Geldwertillusion zum jüngsten amerikanischen Immobilien-Crash beigetragen hat: "Da sich die Menschen eher daran erinnern, was sie vor vielen Jahren für ihr Haus bezahlt haben, als an andere Preise dieser Zeit, glauben sie heute, die Immobilienpreise seien stärker gestiegen als andere, und leiten daraus übertriebene Vorstellungen zukünftiger Wertsteigerungen ab."
Ökonomen streiten seit Jahrzehnten darüber, welchen Einfluss Irrationalität auf geschäftliche Transaktionen ausübt. In ihren Standardmodellen postulierten sie, Konsumenten wie Arbeitgeber seien rationale Wesen. Geldtheoretiker wie der Nobelpreisträger Milton Friedman unterstellten, dass wirtschaftliche Akteure beispielsweise Inflationseffekte berücksichtigen, wenn sie Waren kaufen oder Löhne zahlen. Der Homo oeconomicus könne also den wahren Wert der Güter durchaus abschätzen.
In letzter Zeit jedoch werden solche Modelle zunehmend in Frage gestellt. Die Forschungsrichtung der Verhaltensökonomik, die psychologische Bedingungen ökonomischer Entscheidungen untersucht, gewinnt immer mehr Anhänger. Die Theorien der Psychologen werden auch durch Befunde von Hirnforschern und mit diesen zusammenarbeitenden Neuroökonomen gestützt, die mit bildgebenden ...
Zu den auffälligen Defiziten gehörte, dass er von nun an keine schwer wiegenden Entscheidungen mehr zu treffen vermochte. Rauschgifte wie Kokain richten in diesem Bereich der Großhirnrinde Schäden mit vergleichbaren Folgen an. So können selbst abstinente Süchtige ein unstillbares Verlangen nach der Droge verspüren, wenn sie etwa durch Musik an den Rausch erinnert werden.
Aber auch ohne Verletzung oder Drogenkonsum veranlasst der präfrontale Kortex, nach allgemeiner Überzeugung die Kontrollinstanz situationsangepasster Handlungssteuerung, mitunter völlig falsche Entscheidungen und Einschätzungen. Ein als ventromedialer präfrontaler Kortex (VMPFC) bezeichneter Bereich entpuppte sich im Experiment als einer der zentralen Orte für ein Phänomen, das Ökonomen als "Geldwertillusion" bezeichnen. Ihr unterliegen beispielsweise Menschen, die bei einem Kauf einer Immobilie oder einer Aktie Inflationseffekte ignorieren und im "irrationalen Überschwang" – so nannte es der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Alan Greenspan 1996 – ihrem Objekt der Begierde einen weit höheren Wert beimessen, als es tatsächlich besitzt.
Robert J. Shiller, Wirtschaftsprofessor an der Yale University, vertritt die These, dass diese unstimmige Logik der Geldwertillusion zum jüngsten amerikanischen Immobilien-Crash beigetragen hat: "Da sich die Menschen eher daran erinnern, was sie vor vielen Jahren für ihr Haus bezahlt haben, als an andere Preise dieser Zeit, glauben sie heute, die Immobilienpreise seien stärker gestiegen als andere, und leiten daraus übertriebene Vorstellungen zukünftiger Wertsteigerungen ab."
Ökonomen streiten seit Jahrzehnten darüber, welchen Einfluss Irrationalität auf geschäftliche Transaktionen ausübt. In ihren Standardmodellen postulierten sie, Konsumenten wie Arbeitgeber seien rationale Wesen. Geldtheoretiker wie der Nobelpreisträger Milton Friedman unterstellten, dass wirtschaftliche Akteure beispielsweise Inflationseffekte berücksichtigen, wenn sie Waren kaufen oder Löhne zahlen. Der Homo oeconomicus könne also den wahren Wert der Güter durchaus abschätzen.
In letzter Zeit jedoch werden solche Modelle zunehmend in Frage gestellt. Die Forschungsrichtung der Verhaltensökonomik, die psychologische Bedingungen ökonomischer Entscheidungen untersucht, gewinnt immer mehr Anhänger. Die Theorien der Psychologen werden auch durch Befunde von Hirnforschern und mit diesen zusammenarbeitenden Neuroökonomen gestützt, die mit bildgebenden ...
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