Intelligente Lichtversorgung in Zweckbauten
Im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert wurde Fensterglas nicht nur in Massen hergestellt, Fortschritte in der Produktionstechnik erlaubten auch größere und kostengünstigere Scheiben. Große Fenster erhellten von da an lange die Innenräume, Grundrisse und Geschoßhöhen wurden darauf abgestimmt. Parallel dazu entwickelte sich das Bauen mit eisernen Skelettkonstruktionen, und es entstanden monumentale verglaste Ausstellungs-, Bahnhofs-, Fabrik- und Markthallen. Der Architekt L. Mies van der Rohe erhob gar die Trennung tragender und nichttragender Elemente zum Prinzip im Wohn- und Hochhausbau und schuf so die Grundlage für Gebäude mit großen Fensterflächen.
Allerdings vermag Tageslicht ohne weitere Hilfsmittel keine gleichbleibende Ausleuchtung zu gewährleisten, denn es ändert sich je nach Sonnenstand und Bewölkung. Zudem heizten sich die Räume hinter den Glasfassaden im Sommer stark auf, während im Winter zuviel Wärme dadurch verlorenging. Um die Jahrhundertwende begann jedoch auch die massenhafte Installation elektrischer Beleuchtung, die gerade am Arbeitsplatz von Vorteil schien. Rationelleres Bauen mit geringeren Geschoßhöhen und größeren Raumtiefen verstärkte fortan den Bedarf an Kunstlicht und umging dabei auch die klimatischen Probleme. Die ersten Leuchtstoffröhren, die auch Großraumbüros gleichmäßig auszuleuchten vermögen, kamen etwa 1936 auf und waren Mitte dieses Jahrhunderts verbreitet. Die bis in die siebziger Jahre gebauten Büros mit derartiger monotoner Ausleuchtung und ohne Sichtkontakt zur Außenwelt markieren einen traurigen Höhepunkt dieser Entwicklung.
Der Wunsch nach einer natürlicheren Arbeitsumgebung und die Notwendigkeit, Energie zu sparen, haben aber mittlerweile die Integration von Tageslicht in die Lichtplanung und in die Gebäu- degesamtkonzeption wieder attraktiv gemacht. Heutige Beleuchtungssysteme kombinieren Kunst- und Tageslicht und berücksichtigen den Wärme- und Energiebedarf. Computergestützte Planungswerkzeuge erlauben, bereits in der Entwurfsphase das komplexe Zusammenwirken aller dieser Bereiche zu analysieren und zu optimieren.
Bauspezifische Lichtplanung
Bevor die Frage "Wie beleuchten?" beantwortet werden kann, sind die besonderen Anforderungen eines Gebäudes zu definieren. So werden im Wohnbereich und für repräsentative Zwecke atmosphärische Lichtstimmungen bevorzugt, während beispielsweise die Ausleuchtung von Verkaufsräumen den Blick auf die Produkte lenken soll. Für Museen ist außer guter Ausleuchtung der Exponate auf konservatorische Aspekte sowie auf eine gute Farbwiedergabe zu achten (wofür sich Tageslicht aufgrund seiner spektralen Zusammensetzung besonders eignet). In Zweckbauten wie Büros gilt es, die Konzentration auf die Sehaufgabe zu fördern und Bildschirmarbeitsplätze ergonomisch zu gestalten.
Lassen sich die Arbeitsplätze standardisieren, kann man auch meist die Anforderungen an die Beleuchtung leichter umsetzen. Weil Zweckbauten fast ausschließlich am Tage genutzt werden, läßt sich bei entsprechender Planung weitgehend auf permanente künstliche Beleuchtung verzichten.
Integrierte Beleuchtungssysteme
Bereits der Gebäudeentwurf entscheidet über eine ausreichende natürliche und energetisch sinnvolle Beleuchtung. Ausschlaggebend sind die Tiefe, Höhe und Orientierung der Räume. Des weiteren haben Verbauungen durch angrenzende Gebäudeteile sowie Größen und Positionen der Tageslichtöffnungen – Fenster oder Oberlichter beziehungsweise beides – maßgeblichen Einfluß. Lichthöfe spenden angrenzenden Räumen natürliches Licht von einer zweiten Seite.
In Räumen hinter konventionell verglasten Fassaden nimmt die Tageslicht- intensität mit zunehmender Tiefe exponentiell ab, während in Fensternähe oft ein Überangebot zur Verfügung steht und bei direkter Sonneneinstrahlung extreme Helligkeitskontraste auftreten. Um einen Raum gleichmäßig und zur Gänze auszuleuchten sowie Blendung und übermäßige Wärmeeinträge zu vermeiden, sind verschiedene Systeme entwickelt worden, die auf unterschiedlichen optischen Prinzipien aufbauen (Bild 1).
Bei seitlich belichteten Räumen lenkt man das Tageslicht auf oft hochreflektierende Decken, die es auf die Arbeitsbereiche verteilen. Sogenannte heliostatische Anlagen bringen es mit Spiegeln vom Dach in daruntergelegene Geschoßebenen. Viele dieser Systeme muß man dem Gang der Sonne nachführen – sei es, daß dazu ihr Stand aus astronomischen Gleichungen zu jeder Tages- und Jahreszeit vorab berechnet wird, sei es, daß Photosensoren die Stelle höchster Leuchtdichte am Himmel bestimmen. Einige Fassadensysteme wie Blenden und Licht nur leitende, nichtabbildende Optiken heben auch bei bedecktem Himmel die natürliche Beleuchtung selbst in tieferen Raumbereichen.
Photosensoren aktivieren aber auch als Sonnenwächter Jalousien, wenn die Einstrahlung einen Schwellenwert überschreitet, beziehungsweise veranlassen das Wiederhochfahren der Blenden.
Über die Fassaden erhalten Innenräume bei intelligenter Planung ihre Grundbeleuchtung. Zusätzliches Kunstlicht ist tagsüber nur bei stark bedecktem Himmel beziehungsweise in den dunkleren Jahreszeiten erforderlich. Gebäudeelektronik steuert eine Beleuchtungsanlage mittlerweile effizienter und wirtschaftlicher, als es das übliche manuelle Betätigen des Lichtschalters vermag. Photosensoren messen dazu die Beleuchtung an einem oder mehreren Punkten im Raum (oder, ausgerichtet auf die Fenster, direkt die eintretende Lichtmenge), und eine Regelung schaltet stufenweise oder bei dimmbaren Leuchten kontinuierlich Kunstlicht hinzu. Über Sensoren im Außenbereich können die Sonnenschutz- und Lichtlenksysteme der Fassade miteinbezogen werden.
Sicherlich die einfachste und preisgünstigste Realisierung sind Kunstlichtregelungen, die unabhängig arbeiten. Bei nicht privat genutzten Bauten – und künftig wohl auch im Eigenheim – wird die Beleuchtungsanlage aber mehr und mehr auch in die Gebäudesystemtechnik integriert. Sogenannte Elektroinstallationsbussysteme – Netze von informationsverarbeitenden Einheiten, Sensoren und Aktoren – übernehmen dabei dezentral Steuer- und Regelfunktionen. Die Daten aller daran angeschlossenen Geräte stehen den Busteilnehmern zur Verfügung und können verknüpft werden, so daß man eine Beleuchtungssteuerung leicht etwa um Anwesenheitssensoren und Zeitschaltuhren erweitern sowie mit Sonnen- und Blendschutz, Heizung und Kühlung kombinieren kann. Bei einer von unserem Institut mitbetreuten Schulsanierung sorgt ein solches System beispielsweise dafür, daß das Kunstlicht in den Klassenzimmern bei ausreichendem Tageslicht ausgeschaltet bleibt und erst bei mangelnder Beleuchtung kontinuierlich bis zum Sollwert hochgeregelt wird. Sonnenwächter steuern die Jalou-sien der Fassadenseiten separat.
Einsparungen
Anlagen wie die im obigen Beispiel genannte sind freilich noch nicht die Regel. Dazu tragen die noch hohen Investitionskosten ebenso bei wie unterschiedliche Bussysteme verschiedener Hersteller und die noch nicht vollständig beherrschte Störanfälligkeit. Doch ob im Systemverbund oder mit autonomer Elektronik, der Stromverbrauch für Beleuchtung kann in einem normalen Büroraum durch geregelten Betrieb um mehr als die Hälfte gegenüber dem bei manuellem Schalten gesenkt werden; berücksichtigt man auch den Energieverbrauch für Heizung beziehungsweise Kühlung, verringert sich der Gesamtaufwand um 20 bis 30 Prozent. Weil etwa dreimal mehr Kohlendioxid zur Stromerzeugung freigesetzt wird als bei der Verbrennung von Gas und Öl zu Heizungszwecken, leisten Einsparungen für künstliche Beleuchtung einen wichtigen Beitrag zur Senkung der CO2-Emission.
Auf keinen Fall sollte man die von Kunstlichtquellen erzeugte Wärme – konventionelle Büroleuchten bringen drei- bis zehnmal mehr Energie in die Räume ein als die Sonne – als Zusatzheizung verstehen. Lichttechnik im intelligent geplanten Gebäude muß vielmehr Licht auch als Wärmequelle und Energieverbraucher auffassen und danach trachten, Einschaltzeiten künstlicher Quellen so kurz wie möglich zu halten. Im Winter sollte so viel Solarstrahlung wie möglich blendfrei in einen Raum gelangen, im Sommer jedoch nur so viel, wie die Sehaufgaben erfordern.
Mehrkosten gegenüber konventionellen Anlagen müssen sich freilich nicht nur unter Umweltschutzaspekten, sondern auch durch geringere Energiekosten rechnen. Nach heutigem Kenntnisstand lassen sich mit den beschriebenen Verfahren bei einem normalen Büroraum etwa 50 Mark pro Jahr sparen.
Techniken der Lichtplanung
Die Computersimulation der Lichtverhältnisse in Räumen ist heutzutage sicherlich das wichtigste Werkzeug des Planers. Dazu erstellt man dreidimensionale Modelle von Räumen und Gebäuden mit Konstruktionssystemen (computer aided design, CAD) und modelliert die verschiedenen Lichtquellen – Leuchten oder Himmel mit unterschiedlicher Bedeckung – entweder mathematisch oder mit gemessenen Werten (Bild 2). Anhand der Gesetze der Lichtausbreitung werden dann Leuchtdichten und Beleuchtungsstärken errechnet. Ein häufig verwendetes Bewertungskriterium ist der Tageslichtquotient: das Verhältnis der im Innenraum allein durch Einfall natürlichen Lichts herrschenden Beleuchtungsstärke zu der im Außenbereich; indem man bedeckten Himmel voraussetzt, ist das Ergebnis eine Worst-case-Abschätzung. Mit solchen Simulationen kann man den Bedarf an künstlicher Beleuchtung ermitteln. Auch Blendung und Kontrast lassen sich berechnen. Ein an unserem Institut entwickeltes Programm ermöglicht, die Simulation des Wärmehaushaltes einzubeziehen.
Freilich werden solche Berechnungen immer wieder auch durch Experimente überprüft und ergänzt (Bild 3). Dazu müssen physikalische Modelle der Gebäude oder Räume angefertigt werden, die man dann entweder im Freien oder unter Kunsthimmeln und -sonnen vermißt. Zwar ist das wesentlich aufwendiger, und Computermodelle lassen sich auch einfacher ändern, doch erhält man einen dreidimensionalen Gesamteindruck, während die Simulationen im Rechner immer nur ausgewählte Ansichten vermitteln. Schließlich gibt es für einfache Planungsaufgaben und erste Abschätzungen auch einfache Berechnungsmethoden anhand von Tabellen und Graphiken.
So verfügen Architekten und Bauphysiker über ein umfangreiches Instrumentarium zur Lichtplanung. Je intelligenter damit umgegangen, je mehr die Ressource Tageslicht genutzt wird, desto effek-tiver und wirtschaftlicher kann man im Gebäude entsprechende technische Hilfsmittel einsetzen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1997, Seite 113
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben