Kognition: »Wir brauchen mehr Sinn für Rationalität«
Herr Professor Stanovich, kann man Vernunft von Menschen messen?
Sicher. Eine Möglichkeit bietet der von meiner Arbeitsgruppe entwickelte CART-Test (»Comprehensive Assessment of Rational Thinking«, Anm. d. Red.). Wir wollten damit allerdings nicht das herkömmliche Konzept der Intelligenz in Frage stellen oder einen alternativen IQ entwickeln. Unseren Ausgangspunkt bildeten vielmehr die Arbeiten von Daniel Kahneman and Amos Tversky, die viele originelle Szenarien entwickelten, um die Urteils- und Entscheidungsfindung von Menschen zu studieren. Dabei treten immer wieder fundamentale Fehler auf, Kurzschlüsse, die den Prinzipien der Wahrscheinlichkeit und Logik zuwiderlaufen. Solche Missgeschicke werden von Intelligenztests zwar kaum erfasst; sie zu überwinden, ist für rationales Denken und Handeln jedoch essenziell.
Was für Missgeschicke sind das?
Systematische Fehlurteile, zu denen uns Heuristiken, also einfache Faustregeln verleiten. Sie sind weder dem Zufall noch bloßer Unaufmerksamkeit geschuldet, sondern verraten etwas über unsere Art zu denken. Ein einfaches Beispiel: Welche Stadt ist größer, Rom oder Chongqing? Weil die meisten die italienische Hauptstadt kennen, tippen sie auf diese. Das chinesische Chongqing hat aber gut doppelt so viele Einwohner. Was uns geläufig ist, halten wir meist für bedeutsamer. Es gibt darüber hinaus noch viele andere Fallen, in die wir tappen, etwa den Bestätigungsfehler oder die Vernachlässigung der Basisrate: Ein medizinischer Test, der in 99 Prozent der Fälle richtig diagnostiziert, kann dennoch weit mehr Fehlalarme als Treffer produzieren, wenn die Störung insgesamt selten ist. Manche Menschen machen deutlich mehr solcher Fehler, und das hat erstaunlich wenig mit ihrer Intelligenz zu tun. Offenbar ist rationales Denken wenigstens zum Teil unabhängig vom IQ.
Warum ist der Intelligenzquotient kein guter Indikator für Rationalität?
IQ-Werte liefern recht gute Vorhersagen über den Bildungserfolg oder die Berufseignung von Menschen. Doch es gibt auch ...
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