Die Grabungen am Glauberg und ihre Bedeutung: Interview: 'Auswirkungen keltenweltweit'
Interview mit dem Archäologen Fritz-Rudolf Herrmann, der die Ausgrabungen des Landesamts für Denkmalpflege Hessen am Glauberg in der Wetterau leitete.
Spektrum der Wissenschaft: Herr Dr. Herrmann, welche Funktion hatten die vier lebensgroßen Steinskulpturen?
Herrmann: Das ist unbekannt. Aber zweifellos stellen sie Heroen dar, also vergöttlichte Ahnen. Aus der Antike kennen wir die Anlage eines solchen heiligen Bezirks, eines so genannten Heroons, wo mystische oder reale Ahnen verehrt wurden, auch in ihren Standbildern. Genau das trifft am Glauberg zu.
Spektrum: Was ist das Besondere an dieser Anlage?
Herrmann: Die enge räumliche Verbindung: das Grabmahl der Ahnen unterhalb der Burg der Keltenfürsten, daneben der heilige Bezirk mit den Heroenstandbildern. Und das Ganze ist eingebettet in ausgedehnte Grabenwerke, von denen eine Prozessionstraße zu dem Grabhügel führt. In diesem riesigen Bezirk befindet sich auch ein großes Wasserreservoir, das wohl kultischen Zwecken diente.
Spektrum: Wo standen die vier Statuen?
Herrmann: Mit Sicherheit nicht auf dem Hügel. Wir nehmen an, dass sie sich ursprünglich in dem Bereich des heiligen Bezirks befanden, vor allem auch deswegen, weil wir anhand der Bruchstücke wissen, dass dort mindestens vier Statuen standen.
Spektrum: Gleichen sich die Statuen?
Herrmann: Es sind vier identische Figuren. Zwar gibt es Abweichungen im Detail. Aber auf jeden Fall sind es Krieger mit Panzer, mit Halsring und mit mistelförmiger Blattkrone. Unter den Funden aus diesen Gräbern, von denen jeder einzelne eine Besonderheit darstellt, weil es alles Gegenstände sind, die speziell für die Fürsten angefertigt wurden, ragen diese vier Statuen nochmals heraus.
Spektrum: Gibt es Vorbilder für die Glauberger Anlage?
Herrmann: Anregungen für die Statuen könnten aus dem Raum rings um die Adria gekommen sein. Doch haben wir keine direkte oder indirekte schriftliche Überlieferung dafür. Aber wir haben in den Hochkulturen im Mittelmeerraum Heiligtümer, die sich aus einem Ahnengrab entwickelt haben ? etwa das Grab des Pelops auf der Peloponnes. Wir haben hier am Glauberg eigentlich dasselbe: Ein Grab der Ahnen, die in ihren Statuen verehrt wurden. Über die paar Fundstücke hinaus müssen wir die Anlage vor diesem antiken geistigen Hintergrund sehen.
Spektrum: Gibt es vergleichbare Anlagen der frühen Kelten?
Herrmann: Die Schwierigkeit ist: Es gibt nichts wirklich Vergleichbares. Wir können nur vermuten. Doch spricht alles dafür, dass es sich am Glauberg um eine sakrale Anlage handelt.
Spektrum: Und die Prozessionsstraße?
Herrmann: Eine solche gibt es nicht nur in den altorientalischen Kulturen, sondern überall, sogar in China. Es scheint, dass Menschen, wenn sie einen besonders ausgezeichneten Punkt hatten, auch den Zugang zu diesem besonders gestalteten. Hier sind es zwei parallele Gräben, die in den Kreisgraben des Grabhügels einmünden und die zwischen sich einen Raum von zehn Meter Breite frei lassen.
Spektrum: In welche Richtung werden die Forschungen am Glauberg in den kommenden Jahren gehen?
Herrmann: Wir haben uns bemüht, einen gewissen Abschluss zu finden ? jedoch im vollen Bewusstsein, dass das meiste noch unbekannt ist. Nur durch die Geomagnetik haben wir beispielsweise 1999 den kleineren, zweiten Grabhügel entdeckt. Was durch Geophysik, Geomagnetik und Geoelektrik möglich ist, das haben wir rausgeholt. Doch wissen wir über die Annexwälle im Bereich des Wasserreservoirs noch kaum Bescheid. Die Analyse des in der Schnabelkanne aus Grab 1 nachgewiesenen Honigs, der Pollen verschiedener Blütenpflanzen enthält, könnte Hinweise auf die Größe des Herrschaftsgebietes der Keltenfürsten vom Glauberg erbringen.
Spektrum: Haben die Entdeckungen am Glauberg zu verstärkten Forschungen an anderen keltischen Stätten geführt?
Herrmann: Ja. Sie waren schon sehr anregend für weitere Stätten. Etwa für die Heuneburg an der oberen Donau. Dort gibt es ebenfalls Grabenanlagen, deren Datierung bislang unklar war und die jetzt in die Zeit der Glauberger Anlage gestellt werden. Und in Hochdorf wurden extra um den Grabhügel herum nochmals Untersuchungen durchgeführt, die jedoch keine derartigen Grabenanlagen wie am Glauberg erbrachten. Doch bin ich ganz sicher, dass es Vorstufen zu der Glauberger Anlage gegeben hat. Nur gefunden wurde noch nichts.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 2002, Seite 98
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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