Interview: "Glücklich mit der zweiten Pumpe ..."
Roland Hetzer ist Direktor des Deutschen Herzzentrums in Berlin, einer der weltweit größten Kliniken für die Herztransplantation. Um die Wartezeit bis zur Transplantation zu überbrücken, implantierte er 1987 als Erster in Deutschland einem Patienten ein künstliches Herz-Unterstützungssystem. Jüngstes Produkt der ständigen technischen Verbesserungen: die gerade noch 200 Gramm schwere Berliner Axialflusspumpe "Incor I", die Hetzer im Juni 2002 erstmals zwei Patienten implantierte. Heute sieht er für solche Systeme bereits ein neues Einsatzfeld: als Dauerlösung ähnlich einem Herzschrittmacher. Manchem Patienten verhelfen sie sogar wieder zur Genesung
Spektrum der Wissenschaft: Im vergangenen Jahr haben in Deutschland 407 Menschen ein Spenderherz erhalten. Wie viele Patienten benötigen nach Ihrer Einschätzung ein Ersatzherz?
Prof. Dr. Hetzer: Offiziell wurden 614 Patienten 2001 neu für eine Transplantation angemeldet. Diese Zahl spiegelt aller dings nur ein Teil der Wirklichkeit. Wenn man die heutigen Auswahlkriterien zu Grunde legt, schätze ich, dass allein in Deutschland jährlich etwa zwei- bis dreitausend Patienten für eine Transplantation in Frage kommen. Nach wie vor wird aber an diese Möglichkeit von vielen Ärzten und Patienten zu selten gedacht. Verständlich, denn wir haben ohnehin schon einen eklatanten Mangel an Spenderorganen. Rund ein Viertel der Patienten stirbt auf der Warteliste. Eine Wartezeit von durchschnittlich zehn bis zwölf Monaten ist einfach zu lang.
Spektrum: Bieten technische Kunstherzen einen Ausweg?
Hetzer: Etwa jeder zweite Patient auf der Warteliste kommt in der Tat für ein technisches System in Frage. Allerdings wurde dadurch insgesamt die Zahl der benötigten Spenderherzen bislang nicht geringer.
Spektrum: Warum das?
Hetzer: Wir setzen heute fast ausnahmslos Herz-Unterstützungspumpen ein, in Deutschland pro Jahr etwa 150 Stück, Tendenz steigend. Diese Systeme werden zwar landläufig auch als Kunstherzen bezeichnet, sind aber keine. Ihre Aufgabe ist ja nur, einem geschwächten Herzen bei der Arbeit zu helfen. Diese Systeme werden derzeit noch fast ausschließlich als Überbrückungshilfe bis zu einer Transplantation eingesetzt. Das lässt die Zahl der benötigten Spenderherzen insgesamt nicht sinken. Denn ein Patient wird früher oder später dann eben doch eines erhalten.
Spektrum: Welche Zeiträume lassen sich maximal mit derartigen Geräten überbrücken?
Hetzer: Die längste Spanne bis zur Transplantation liegt in unserer Klinik bei 794 Tagen. Weltweit sind bereits Tausende dieser Systeme eingesetzt worden, einige Patienten haben damit sogar mehr als fünf Jahre überbrückt.
Spektrum: Gäbe es genügend Spenderherzen, hätte vermutlich bis heute niemand solche technischen Lösungen entwickelt?
Hetzer: Oh doch! Als die Entwicklung von Kunstherzen um 1950 begann, war es das optimistische Ziel, eine technische Dauerlösung zu bauen. Allerdings gab es bei der klinischen Erprobung so schreckliche Misserfolge, dass die Geräte in den USA bald verboten wurden. Wenige Jahre später wurden dann die Möglichkeiten der Transplantation so gut, dass sie die Kunstherzentwicklung überholten. Erst das etwas bescheidenere Konzept, Unterstützungssysteme nur vorübergehend als Überbrückungshilfe bis zu einer Transplantation zu nutzen, hat es dann möglich gemacht, sie klinisch einzusetzen und zu verbessern. Heute nähern wir uns dem ursprünglichen Ziel: Die Systeme sind inzwischen so ausgereift, dass wir sie erstmals versuchsweise sogar als Dauerlösung einsetzen.
Spektrum: Für wen kommt das in Betracht?
Hetzer: Wer älter als 65 Jahre ist oder zum Beispiel an Diabetes oder Krebs leidet, bekommt grundsätzlich kein Spenderherz. Solchen Patienten kann jetzt unter Umständen eine technische Lösung helfen. Ein Beispiel: Vor anderthalb Jahren bin ich aus einem Krankenhaus in Mittelhessen angerufen worden. Da lag ein 72-jähriger Infarktpatient, den die Ärzte bereits aufgegeben hatten. Die Angehörigen haben sich aber dahinter geklemmt, und so haben wir ihn hier nach Berlin genommen und ihm eine Unterstützungspumpe eingebaut. Der Patient lebt heute noch und ist ganz glücklich damit. Klar ist jedoch, dass er immer auf das Gerät angewiesen sein wird. Wir wissen seit wenigen Jahren aber auch, dass wir bei manchen jüngeren Patienten solche Systeme nach einiger Zeit sogar wieder ausbauen können, ohne dass sie zurück auf die Warteliste müssen.
Spektrum: Wie ist das möglich?
Hetzer: Manch krankes Herz kann sich dank der Unterstützung wieder erholen. Wir waren die Ersten weltweit, die das entdeckt haben. Im September 1994 hatten wir einem damals 37-jährigen Patienten ein Unterstützungssystem implantiert. Fünf Monate später hatte sich sein eigenes Herz völlig erholt, und wir haben das Gerät ausgebaut. Der Patient lebt bis heute ohne Unterstützungssystem weiter. Mittlerweile haben wir das Verfahren bei 31 Patienten wiederholt. Allerdings gibt es keine Erfolgsgarantie. Ein Drittel hat später erneut eine Herzinsuffizienz bekommen, einige mussten doch ein Spenderherz erhalten.
Spektrum: Können Sie denn vorab jene Patienten erkennen, denen ein Unterstützungssystem zur Gesundung verhelfen würde?
Hetzer: Das wäre natürlich ideal, geht aber leider noch nicht. Wir haben bislang keine Parameter dafür. Daran wird aber weltweit fieberhaft geforscht.
Spektrum: Sehen Sie angesichts solcher Erfolge mit den Unterstützungspumpen überhaupt einen medizinischen Sinn für den Einsatz echter Kunstherzen?
Hetzer: Ein Kunstherz im eigentlichen Sinne ist derzeit nur das AbioCor, das jetzt bei sieben Patienten weltweit erprobt worden ist. Die Ergebnisse sind auch auf Grund des ohnehin schon schwierigen Gesamtzustands der Patienten schlecht, sechs sind bereits gestorben. Es ist dennoch ein faszinierendes Konzept. Zum ersten Mal gibt es tatsächlich ein voll implantierbares künstliches Herz. Ein grundsätzlicher Nachteil wird aber immer sein, dass bei einem technischen Versagen keine Zeit mehr für eine andere Therapie bleibt. Bei einem Unterstützungssystem würde den Patienten immer noch sein eigenes Herz zumindest so lange am Leben halten, dass wir eine Chance auf eine weitere Behandlung hätten.
Spektrum: Für welche Menschen kommt es dann überhaupt in Frage?
Hetzer: Ein Totalersatz wie AbioCor kommt prinzipiell nur für eine ganz kleine Patientengruppe in Betracht. Etwa für junge Menschen, die auf Grund ihrer Vorerkrankung auch ein Spenderherz rasch immunologisch zerstören würden und deren Herz so stark geschädigt ist, dass selbst ein Unterstützungssystem nicht mehr helfen kann. In so einem Fall wollen auch wir hier in Berlin das AbioCor vermutlich noch in diesem Jahr einsetzen.
Spektrum: Werden Herz-Unterstützungspumpen einmal so selbstverständlich werden wie heute schon Herzschrittmacher?
Hetzer: Ich denke ja. Allerdings wird ihr Einsatz noch lange auf schwer kranke Patienten beschränkt bleiben. Denn ein prinzipielles Problem wird immer sein, dass sich an allen künstlichen Oberflächen, die man in den Blutstrom einbringt, eher als sonst Blutgerinnsel bilden können. Und der hohe Energiebedarf macht es leider auf absehbare Zeit weiterhin erforderlich, dass der Patient externe Akkus mit sich tragen muss. Es gab deshalb vor etwa einem viertel Jahrhundert schon mal die Idee, ein atomgetriebenes Kunstherz zu bauen. Das wäre die einzig denkbare Möglichkeit, um von den schweren Batterien weg zu kommen, ist aber aus nahe liegenden Gründen illusorisch.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2002, Seite 53
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben