Interview zur Lungenerkrankung SARS: Interview: "Jetzt können wir anfangen antivirale Substanzen zu testen"
Christian Drosten, Virologe am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, äußert sich zur Entdeckung des mutmaßlichen SARS-Erregers, an der er maßgeblich beteiligt war.
Seit Februar mehren sich die Fälle des »schweren akuten respiratorischen Syndroms« (SARS). Die gefährliche Lungeninfektion, die bis Anfang April schon fast hundert Todesopfer gefordert hat, breitet sich, begünstigt durch den Luftverkehr, von ihrem Ursprungsort in Südchina rasch weltweit aus.
Spektrum: Herr Drosten, am 25. März gab das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg bekannt, den mutmaßlichen SARS-Erreger identifiziert zu haben.
Christian Drosten: Ja, nach unseren Ergebnissen handelt es sich um ein neues Coronavirus.
Spektrum: Was heißt das genau?
Drosten: Man kennt bisher schon verschiedene Vertreter aus dieser Virusfamilie, die den Menschen infizieren. Sie verursachen aber eher harmlose Erkältungskrankheiten und seltener auch Durchfall. Außerdem gibt es einige Coronaviren, die nur Tiere befallen. In einer genetischen Verwandtschaftsanalyse haben wir am Bernhard-Nocht-Institut gesehen, dass unser Virus näher bei einigen der tierpathogenen Erreger einzuordnen ist als bei den bekannten menschlichen. Insgesamt unterscheidet es sich allerdings so deutlich von den bekannten Coronaviren, dass es einer neuen Art angehören muss.
Spektrum: Wie hat man sich die Entstehung eines neuen Virus vorzustellen?
Drosten: Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Einige Experten vermuten, dass das neue Coronavirus aus dem Tierreich auf den Menschen übergesprungen ist. Coronaviren sind RNA-Viren. Ihr Genom besteht also nicht aus DNA wie beim Menschen und allen höheren Lebewesen. Das bedeutet, dass die Vervielfältigung ihres Erbguts viel einfacher abläuft. Insbesondere gibt es weniger Korrekturmechanismen für eventuelle Kopierfehler. Die Wahrscheinlichkeit, dass in einem solchen Virus dann eine Mutation stattfindet, ist also relativ hoch. Wenn nun eine solche Mutation beispielsweise ein Protein betrifft, das für das Andocken auf der Tierzelle zuständig ist, kann es passieren, dass das Virus plötzlich auch menschliche Zellen infiziert. Und je nachdem, wie es dann mit der Zelle oder mit dem Immunsystem interagiert, kommt es möglicherweise zu völlig neuen Krankheitsbildern.
Spektrum: Wie haben Sie festgestellt, dass es sich bei dem SARS-Erreger um ein Coronavirus handeln muss?
Drosten: Zuerst einmal ist zu sagen, dass wir nicht als einzige, sondern zeitgleich mit den Centers for Disease Control in Atlanta zu diesem Ergebnis gekommen sind. Bei unserer Untersuchung sind wir von einer Zellkultur ausgegangen, die in der Virologie der Universität Frankfurt mit einer Probe von einem SARS-Patienten infiziert worden war. Das Nährmedium dieser Zellen, in das ja die Viren freigesetzt werden, wurde uns dann nach Hamburg geschickt – natürlich in inaktivierter Form. Daraus haben wir mit einem gängigen Verfahren – allerdings in einer Variante, die speziell zum Aufspüren von Viren geeignet ist – Abschnitte viraler Erbsubstanz vervielfältigt. Dabei arbeiteten wir zunächst mit einer Zufallsmethode, die auf verschiedenste Viren abzielt. Wir hatten ja noch keinen speziellen Verdacht.
Spektrum: Und an diesen Genabschnitten konnten Sie erkennen, welches der Erreger von SARS ist?
Drosten: Ja, wir erhielten ein Stück Virusgenom, das wir in das entsprechende Proteinstück übersetzten. Die Abfolge der Proteinbausteine verglichen wir dann mit Sequenzen aus Datenbanken. So sahen wir, dass der Erreger verschiedensten Tier-Coronaviren stark ähnelt. Parallel zu unseren molekularbiologischen Untersuchungen lieferten unsere Frankfurter Kollegen den nötigen ergänzenden Beweis für unsere Ergebnisse: Sie stellten fest, dass der Patient Antikörper gegen das Virus in unserer Probe entwickelt hatte.
Spektrum: Wie sicher kann man denn nun sein, dass das von Ihnen identifizierte Virus tatsächlich der gesuchte SARS-Erreger ist?
Drosten: Die epidemiologischen Untersuchungen fangen ja gerade erst an. Man kann auf Grund der aktuellen Daten, die wir Stückchen für Stückchen bekommen, nur sagen, dass sich unser Verdacht immer mehr erhärtet. Wir haben mittlerweile unsere Methode verfeinert und konnten außerdem unser Material – in Kooperation mit einer Biotechnologiefirma – für Untersuchungen weltweit verschicken. Dadurch wurde bereits in vielen Labors auf der Welt das neue Coronavirus in den Proben von SARS-Patienten nachgewiesen. Zudem zeigen ganz neue Daten aus Südostasien, dass im Blut vieler Patienten ganz klar Antikörper gegen das Coronavirus zu finden sind.
Spektrum: Standen ursprünglich nicht ganz andere Viren unter Verdacht, so genannte Paramyxoviren?
Drosten: Wir in Hamburg haben niemals Paramyxoviren gesehen. Die Kollegen in Frankfurt und Marburg entdeckten im Elektronenmikroskop Viren, bei denen es sich dem äußeren Erscheinungsbild nach unter anderem um Paramyxoviren handeln konnte. Durch molekularbiologische Tests in Frankfurt, Marburg und Rotterdam ließ sich die Anwesenheit solcher Viren allerdings nicht bestätigen. Andererseits hat eine Gruppe in Kanada in einem großen Teil ihrer Proben diese Erreger nachgewiesen. Was das zu bedeuten hat, lässt sich im Moment schwer beurteilen. Das Expertennetzwerk der WHO hat die Paramyxoviren noch auf der Verdachtsliste. Außerdem steht eine eventuelle Mehrfachinfektion im Raum, und auch die Möglichkeit einer bakteriellen Infektion mit Clamydien wird weiter verfolgt. Die Leithypothese ist aber zur Zeit die, dass ein Coronavirus SARS verursacht. Dafür gibt es immer mehr Beweise. Hundertprozentig sicher können wir aber noch nicht sein.
Spektrum: Ermöglichen die bisherigen Untersuchungen schon Ansätze für eine gezielte Behandlung?
Drosten: Nein, momentan leider noch nicht. Das muss man ganz klar so sagen. Aber wir haben jetzt ein Virus, und damit kann man anfangen Versuche zu machen, also etwa bereits zugelassene antivirale Substanzen auf ihre Wirksamkeit testen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 2003, Seite 12
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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