Interview: »Telomere sind keine Kristallkugeln«
Frau Professor Blackburn, 1996 schrieben Sie in einem Artikel in Spektrum der Wissenschaft, unsere somatischen Zellen könnten sich nur begrenzt oft teilen, weil mit jeder Zellteilung ihre Telomere kürzer werden. Hat sich heute, 22 Jahre später, die Sicht darauf verändert?
Die damalige Aussage hat sich bestätigt. Und der Telomerschwund hat Konsequenzen für uns Menschen, wie sich in diesen Jahren gezeigt hat. Er wirkt über die gesamte Dauer eines menschlichen Lebens, also über Jahrzehnte hinweg. Es gibt zwar einen Mechanismus in Zellen, der die Telomere verlängert, aber er gleicht ihre fortschreitende Verkürzung nicht aus – selbst in vielen Typen von Stammzellen nicht. Im gesamten Organismus sammeln sich also immer mehr Zellen mit verkürzten Telomeren an, die ihre Funktionen einstellen, aufhören sich zu teilen und, wie Biologen sagen, in die Seneszenz gehen. Das betrifft freilich nicht alle Körperzellen, sondern nur einen Teil von ihnen.
Was bedeutet das für uns?
Zahlreiche genetische und epidemiologische Untersuchungen sowie Interventionsstudien haben gezeigt, dass diese Prozesse das Risiko beeinflussen, eine der verbreiteten Volks- und Alterskrankheiten zu bekommen – etwa Herz-Kreislauf-Komplikationen, Demenz oder Krebsleiden. Die Telomerlänge ist allerdings nur einer von vielen Faktoren, die über die Wahrscheinlichkeit einer solchen Erkrankung bestimmen. Was ich besonders interessant finde: Welche Prozesse beschleunigen oder verlangsamen die Telomerverkürzung? Inzwischen ist ziemlich klar, dass chronischer Zellstress hier eine große Rolle spielt – er kann lang anhaltende, physiologisch komplexe Effekte haben ...
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