Kaisergräber der Tang-Dynastie
In einem chinesisch-deutschen Gemeinschaftsprojekt werden unter anderem die gewaltigen Mausoleen der Herrscher der wohl größten Epoche des kaiserlichen China erforscht. Dank der im Lande zunehmenden Bedeutung der Archäologie und der Vermittlung westlicher Standards ist es nun möglich diese bislang kaum bekannten Monumente zu dokumentieren - eine erste Ma§nahme zu ihrer Erhaltung.
Der letzte Weg des Machthabers ist noch nach mehr als 1000 Jahren zu verfolgen: Die Seelenstraße führte von der Ebene, von Süden her, geradewegs auf den schon von weitem aufragenden Berg zu. Rechts und links säumten sie auf mehreren hundert Metern steinerne Fabelwesen, überlebensgroße Pferde- und Menschenskulpturen, außerdem mächtige Ehrentürme, Säulen und Inschriftentafeln. Passierte der Besucher schließlich das trutzige Tor in der hohen Mauer, die das Bergmassiv weithin sichtbar kilometerlang umfriedete, fand er sich im eigentlichen, inneren Grabareal, einem weitläufigen Gelände, dessen Bebauung, landschaftliche Gestaltung und Wegenetz auf die Gruft im Berg ausgerichtet waren (Bild 1).
Wie der Zugang in eine Stadt mag dem zeitgenössischen Reisenden des achten oder neunten Jahrhunderts, wenn er den zentralchinesischen Anfang der Seidenstraße erreicht hatte, das Mausoleum eines Tang-Kaisers erschienen sein – und dies entsprach der Absicht, denn der Herrscher sollte im Tode nichts an gewohntem Prunk und Komfort missen und Ehrungen erfahren wie zu Lebzeiten.
Seit 1993 erfassen, vermessen und dokumentieren wir – Mitarbeiter des Römisch-Germanischen Zentralmuseums und Forschungsinstituts für Vor- und Frühgeschichte in Mainz – gemeinsam mit Kollegen vom Archäologischen Institut der Provinz Shaanxi in Xi'an diese monumentalen Grabanlagen aus einer Blütezeit einer der großen Hochkulturen der Menschheit.
Von den Bau- und Kunstwerken der wohl bedeutendsten und glanzvollsten Phase in Chinas Geschichte ist heute nur mehr relativ wenig zu sehen. Während der Dynastie der Tang, die von 618 bis 907 herrschten, dürfte China das flächengrößte und bevölkerungsreichste Land der Welt gewesen sein.
Man beschreibt diese Epoche, als das Reich sich zeitweilig bis weit nach Mittelasien erstreckte, gern mit Superlativen wie "Goldenes Zeitalter". China erlebte damals wirtschaftlich wie kulturell einen nie wieder gewesenen Aufschwung. Besonders das erste Jahrhundert der Tang-Herrschaft profitierte von den Ergebnissen einer erfolgreichen Militärpolitik, einer geschickten Diplomatie und wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Reformen. Die innen- wie außenpolitische Stärke, Macht und Stabilität des riesigen Staatsgebildes zeigte sich nicht nur in dem Frieden im Innern, sondern zugleich darin, wie das Land sich politisch und kulturell öffnete. China war damals Ausländischem, fremden Religionen, andersartiger Kunst und Lebensweise gegenüber in hohem Maße aufgeschlossen. Das Land tolerierte Fremdreligionen wie Buddhismus, nestorianisches Christentum, Judentum, Islam, Mazdaismus (Zoroastrismus) und Manichäismus. Einflüsse aus ganz Asien trafen in diesem Schmelztiegel zusammen. Die Auseinandersetzung mit dem Fremden befruchtete außerordentlich die eigene Entwicklung – wie dies auch, in einem fortwährenden Geben und Nehmen, andere Kulturen beeinflußte.
Die Weltoffenheit prägte die – westliche – Hauptstadt Chang'an, das heutige Xi'an. Mit bis zu fast zwei Millionen Einwohnern war sie vermutlich die größte und pulsierendste Metropole ihrer Zeit. Dort – inmitten der weiten, fruchtbaren Hochebene, genannt Guanzhong, "Landschaft zwischen den Pässen", die wegen der Gebirgszüge rundum gut zu verteidigen war – begannen die berühmten Karawanenwege nach Westen. Als Zentrum einer kosmopolitischen Zivilisation beherbergte die Stadt ausländische Händler, Handwerker, Künstler, Diplomaten, Missionare und Asylanten, die hier vielfach in regelrechten Kolonien wohnten.
Welches Kulturgut sich in diesem kernchinesischen Gebiet über einige tausend Jahre angehäuft hatte, ist bislang kaum erschlossen, teilweise nicht einmal bekannt. So war es eine Weltsensation, als 1974 bei Lintong, etwa 35 Kilometer östlich von Xi'an, unweit des riesigen Grabhügels die vergrabene vieltausendköpfige Terrakotta-Armee mitsamt Pferden und Wagen des sogenannten ersten Kaisers von China entdeckt wurde, des von 221 bis 210 vor unserer Zeitrechnung regierenden Qin Shihuangdi, den die vielen Tausende etwa lebensgroßen Kriegerstatuen nach dem Ableben schützen sollten.
Mit diesem Fund brach für die chinesische Archäologie ein neues Kapitel an. Besonders in Shaanxi wurden seitdem zahllose Entdeckungen von höchster Bedeutung gemacht, welche die einstige Größe des Gebietes spiegeln, zumal zur Tang-Zeit, die dem frühen Mittelalter in Europa entspricht. In dieser Region liegen Relikte von Kaiserpalästen, Tempelbauten und Grabanlagen von oft immensen Dimensionen und kaum vorstellbaren Reichtümern.
Es fehlte allerdings an hinreichend geschulten Fachkräften wie auch an Gerät und Geld, um die Monumente und anderen Funde nach westlichen Methoden zu erfassen, zu konservieren und zu erforschen. Einen wichtigen Anstoß gab jedoch das chinesisch-deutsche Kulturabkommen über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit; auf dieser Grundlage schlossen das Mainzer Museum und das Archäologische Institut in Xi'an einen Vertrag, unter dem seit 1990 Kollegen beider Seiten gemeinsam Restaurierungs- und Konservierungsverfahren entwickeln und seit mehr als drei Jahren auch archäologische Feldforschung betreiben. Das Projekt wird vom Bundesforschungsministerium und vom chinesischen Ministerium für Kulturgüterschutz finanziert.
Restaurierungwerkstätten in Xi'an
Die für westliche Vorstellungen zuweilen nicht einfachen Bedingungen vor Ort erfordern viel Flexibilität, Improvisation und Engagement; doch gestaltet sich die Kooperation mittlerweile vertrauensvoll und produktiv. Meist arbeiten mehrere Archäologen und Restauratoren beider Seiten Hand in Hand, denn nur so lassen sich die verflochtenen Teilprojekte zügig vorantreiben – die Voraussetzung auch für weitergehende Forschung. Von Anfang an sind in Xi'an stets zwei bis drei deutsche Restauratoren tätig, die dort Werkstätten einrichteten. Sie restaurieren Fundmaterial und schulen chinesische Kollegen, teils in speziellen Seminaren und Übungen – den entsprechenden Ausbildungsgang in der Fachrichtung Altertumskunde gibt es in der Volksrepublik noch nicht. Im Gegenzug kommen chinesische Restauratoren zur Weiterbildung für mehrere Monate nach Mainz.
Die Ausstattung der Ateliers im Archäologischen Institut von Xi'an mit acht bis zehn Arbeitsplätzen entspricht westlichen Standards. Die Einrichtungsgegenstände ließen sich meist relativ problemlos im Lande besorgen; das übrige umfangreiche Sortiment an Werkzeugen und Gerätschaften allerdings mußte eigens aus Deutschland beschafft werden, so eine komplette Röntgenanlage, Sandstrahlgeräte, Ultraschallmeißel, ein Kompressor für den Luftabzug und viele spezielle, direkt der Zahnmedizin entlehnte Präzisionswerkzeuge wie Bohrer und andere Utensilien.
Außer zur Ausbildung dienen die Werkstätten dazu, geeignete Konservierungs- und Restaurierungsverfahren für archäologische Bodenfunde zu entwickeln. An kulturgeschichtlich und kunsthandwerklich bedeutsamen Gegenständen aus Metall, Glas, Stein, Keramik und Lack mangelt es in der Provinz Shaanxi wahrlich nicht. Häufig deckt erst die Bearbeitung den Verwendungszweck auf oder liefert Einsichten in Herstellung und Material, Verzierungstechniken oder spätere Reparaturen (Bild 2). Aus alldem lassen sich vielfach Rückschlüsse auf Werkstätten und Schulen ziehen. Mitunter müssen Funde sogar neu bewertet werden, etwa wenn unter Korrosionsschichten Inschriften oder Einlagen aus anderen Materialien zutage treten.
Mausoleen in der Landschaft zwischen den Pässen
Einen anderen Schwerpunkt der chinesisch-deutschen Zusammenarbeit bildet die Erforschung von Kaisermausoleen aus der Tang-Zeit. Diese Anlagen hatten imposante Ausmaße: Allein der innere, ummauerte Bezirk umfaßte häufig mehr als zehn Quadratkilometer. Der – hierin allerdings nicht unbedingt vertrauenswürdigen – Überlieferung nach glichen sie zeitgenössischen Palastkomplexen, deren Kern man erst über mehrere Tore und Höfe erreichte. Von entsprechenden äußeren Bezirken ist bei den Grabstätten indes so gut wie nichts mehr nachweisbar.
Eine 150 Kilometer lange Kette von 18 solchen Totenstätten zieht sich die Berge im Norden der fruchtbaren Lößebene entlang (Bild 3). Die meisten sind nach einheitlichen strengen Regeln angelegt: Das Haupttor, auf das der Seelen- oder Geisterweg zuführte, zeigte nach Süden – wie auch der Grabeingang in den Berg; die Mauereinfassung umrandete das Massiv mit dem Grabberg möglichst im Rechteck, und auch in die drei anderen Himmelsrichtungen wies je ein Tor – zum nördlichen leitete eine weitere, bescheidener ausgestattete Prozessionsstraße (Bild 1). Ansicht und Aufbau mußten die Gesetze der Geomantik, einer überkommenen Weissagungslehre, erfüllen und die letzte Stätte des Kaisers günstig beeinflussen. Darin Kundige wählten den Ort aus und ließen ihn wohl teilweise noch durch künstliche Hügel, Abtragen natürlicher Kuppen sowie durch Gewässer und Anpflanzungen gestalten. Die Berge im Norden sollten das Grab vor schädlichen Einflüssen abschirmen, die aus dieser Richtung erwartet wurden, und nach Süden hin mußte sich eine weite Landschaft mit einer ausgewogenen Komposition von Erhebungen, Tälern, Ebenen, Felsen, Quellen, Bach- und Flußläufen und verschiedenen Pflanzengruppen öffnen. Der Einbettung der Anlage in eine naturgemäße offene Landschaft sprach man eine günstige Wirkung zu.
Das hügelige, von teilweise mehr als 1000 Meter hohen Bergen umgebene Gelände ist typisch für Zentralchina. Etwas mehr als 500 Meter hoch gelegen, wird es vom Wei-Ho und seinen Zuflüssen wie auch von heute trockenen Canyons durchzogen; sie haben tiefe Erosionsschluchten in die rund 100 Meter mächtige Schicht aus gelb-ocker-grauem Löß geschnitten, der aus den Wüsten im Nordwesten angeweht worden war. Seit der Vorzeit haben Menschen hier Spuren hinterlassen, darunter früheste Hinweise auf die Gattung Homo in China. Aus der Jungsteinzeit, die dort vor mehr als 8000 Jahren einsetzte und bis ins dritte vorchristliche Jahrtausend währte, finden sich in dem fruchtbaren Gelände Siedlungen einer der ersten bäuerlichen Kulturen überhaupt.
In den folgenden Jahrtausenden war die Ebene kulturelles und geistiges Zentrum des gesamten Raumes. Seit dem 11. vorchristlichen Jahrhundert errichteten hier 13 Dynastien ihre Hauptstädte. Chang'an war schon einmal während der Han-Zeit (206 vor bis 220 nach Christi) Metropole gewesen und offenbar eine der größten Städte der Antike. Zur Zeit der Tang, besonders im frühen 8. Jahrhundert, war sie als eine der weltweit bedeutendsten Städte Kreuzungspunkt etlicher wichtiger Verkehrswege, nicht nur der Verbindung nach Mittel- und Vorderasien über das System der Seidenstraßen.
Höhepunkte des Herrscherkultes
Vom heutigen Xi'an liegen die tang-zeitlichen Kaisergräber bis zu 130 Kilometer entfernt (Bild 3). Schon mit ihren Ausmaßen, aber auch in ihrer Gestaltung geben sie Zeugnis vom Prunk, von der kulturellen Blüte und der Machtfülle der Herrscher jener Epoche.
Von den Mausoleen übertreffen 14 in dieser Hinsicht fast alles, was vorher und nachher geschaffen wurde. Die Mauer um den inneren Grabbezirk mit den vier Toren hatte eine Gesamtlänge von bis zu 14 Kilometern. Sie bestand aus Paketen festgestampften Lehms und war – soweit an den wenigen Resten erkennbar – wohl ungefähr fünf bis acht Meter hoch, drei bis fünf Meter dick und zum Schutz gegen Verwitterung mit Kalkputz bestrichen sowie mit gebrannten Ziegeln gedeckt. In der Regel standen an den vier Ecken der Umfriedung mächtige Türme aus Lehm mit Grundrissen von 12 auf 20 Meter, die an die 15 Meter hoch gewesen sein mögen und wohl noch einen Holzaufbau trugen.
Die vier Tore waren gleichartig gestaltet; nur das südliche scheint etwas größer und prunkvoller gewesen zu sein. Von dem eigentlichen Durchlaß selbst ist, bis auf Reste des rechteckigen Lehmfundaments und einige Ziegelbruchstücke, praktisch nichts erhalten; doch läßt sich zumindest bei einigen Toren erkennen, daß sie nebeneinander drei Durchgänge hatten, einen größeren mittleren und seitlich zwei kleinere. Auch in späteren Epochen wurden die Eingänge in den inneren Bezirk in dieser Weise mehrbogig angelegt. Man erkennt oft gut an Schutthügeln, wo einst die beiden vorgelagerten Tortürme errichtet waren, die offenbar den mächtigen Ecktürmen ähnelten. Und häufig stehen auch noch die beiden Löwenskulpturen, die rechts und links vom Tor, zwischen den Tortürmen und der Mauer, plaziert waren.
Das Imposanteste aber waren wohl – und sind auch heute noch – die beiden von Norden beziehungsweise Süden kommenden Prozessionsstraßen. Auch deren Gestaltung richtete sich nach strengen Regeln. Kam der Besucher von Süden über den größeren Hauptzugang, den Seelen- oder Geisterweg, passierte er zunächst zwei sogenannte Ehrentürme, die einander rechts und links des Weges gegenüberstanden und ähnlich wie die großen Tortürme ausgesehen haben dürften; heute sind davon allenfalls Schutthügel übrig. Danach ging er zwischen zwei Ehrensäulen hindurch und hatte nun die lange Reihe von Steinfiguren in Lebens- oder Überlebensgröße, wiederum jeweils paarweise beidseits der breiten Straße, vor sich.
Viele dieser Skulpturen sind heute noch erhalten (Bilder 4 bis 6; siehe auch Titelbild). Den Anfang auf der bis zu 600 Meter langen Strecke machte ein Paar Misch- oder Fabelwesen. Darauf folgten zwei zusammengehörende Steintafeln mit dem Relief je eines straußenartigen Vogels, dann fünf Paare gesattelter Pferde und schließlich zehn Paare von Beamten. Am Weg standen zudem teilweise mehrere Meter hohe steinerne Inschriftenstelen, die – einer Biographie gleich – von den Taten und dem Ruhm des Verstorbenen berichteten.
Außerhalb der Mauern, in gebührendem Abstand zum Herrschergrab, lagen Nebengräber von wesentlich geringeren, dennoch imposanten Ausmaßen für besonders verdiente Beamte des Hofes und Angehörige des Kaisers. Häufig waren die Totenhügel aus gestampftem Lehm zu einer Pyramide aufgeschüttet und oben abgeflacht; davor waren Epitaphe – Inschriftenstelen – und seltener auch steinerne Wächter aufgestellt.
Selbst die Nebengräber wirken noch monumental und waren in höchster Qualität gebaut und ausgestattet. Eine stets abschüssige Zugangsrampe mit Seitennischen und mehreren senkrechten Luftschächten ging über in den ebenen Grabgang, der zu den Vor- und Grabkammern von verschiedener Anzahl führte (Bild 8). Diese Räume enthielten Wandmalereien mit Szenen höfischen Lebens.
Allein anhand der auffallend gleichförmigen Begleitgräber kann man sich bislang eine Vorstellung vom Inneren eines tang-zeitlichen Kaisergrabes machen, denn noch wurde keines zur wissenschaftlichen Untersuchung geöffnet. Von außen erkennt man von dem früheren Eingang in den Berg günstigenfalls noch eine leichte Eintiefung und entsprechende behauene Kanten im anstehenden Fels sowie bearbeitete Steinblöcke. Zwar gibt es Berichte über Grabschändungen im zehnten Jahrhundert, doch über das Ausmaß der Zerstörungen ist nichts bekannt. Vermutlich waren die inneren, durch viele Lagen von Steinquadern geschützten Kammern schwer zugänglich.
In nächster Umgebung der umfriedeten kaiserlichen Totenstätte und teilweise sogar innerhalb des ummauerten Areals gab es zudem Tempel für verschiedene Kulthandlungen, zum Beispiel für Opferrituale, wie auch mehrere Paläste für Gäste und Personal. Außer Ziegelbruchstücken, behauenen Steinblöcken und Fundamentresten ist von diesen Bauten jedoch nicht viel übriggeblieben; auch Stelen mit Inschriften findet man nur noch gelegentlich.
Die Errichtung einer solchen Grabanlage begann bereits zu Lebzeiten des Kaisers. Der erhebliche organisatorische, personelle und finanzielle Aufwand dafür dürfte die Staatsfinanzen ziemlich belastet haben. Weil solch ein Mausoleum für die Ewigkeit konzipiert war, mußten spezielle Bedienstete es auch späterhin pflegen und den Ahnenkult lebendig halten. Die traditionelle chinesische Vorstellung an ein Weiterleben nach dem Tode und anhaltende Wechselbeziehungen zwischen der Seele des Toten und den Hinterbliebenen und Nachfahren im Verein mit der seit vielen Jahrhunderten praktizierten Glorifizierung der verstorbenen Kaiser hatte in China früh die Verpflichtung entstehen lassen, dem Herrscher als Mausoleum eine Residenz zu errichten, die ober- wie unterirdische Bereiche für die Lebenden und Verstorbenen hatte. Während der Herrschaft der Tang kulminierte dieser Totenkult.
Pionierstudien
Manche Aspekte der historischen Entwicklung stellen sich durch unsere Arbeit an den Kaisermausoleen in neuem Licht dar. Besonders aufschlußreich ist der Vergleich der archäologischen Befunde und der Inschriften mit der offiziellen Geschichtsschreibung, in diesem Falle mit den Tang-Annalen und den Lokalchroniken.
Bislang haben wir den oberirdischen Bestand von vier der Kaisermausoleen einschließlich ihrer Nebengräber in jeweils mehrmonatigen Kampagnen näher erforscht; die anderen sollen nach und nach untersucht werden. Dabei haben wir auch von den Inschriften der Grab- und Ehrenstelen Abreibungen – Abklatsche – auf Reispapier genommen. So lassen sie sich mit Abschriften späterer Dynastien vergleichen, und man vermag die verschiedenen Überlieferungsstränge aufzuschlüsseln.
Unser Ziel ist, die Anlagen, vorerst soweit Baureste und Skulpturen frei zugänglich sind, möglichst vollständig zu dokumentieren. Die Areale werden vermessen und mit allen Artefakten kartiert, sämtliche Denkmäler und anderen Funde und Befunde photographisch, photogrammetrisch und zeichnerisch aufgenommen. Dabei arbeiten wir von Projektbeginn an eng mit Wissenschaftlern vom Fachbereich Geoinformatik und Vermessung der Fachhochschule Mainz zusammen. Die chinesischen Kollegen machen zudem Sondierungsbohrungen, um zum Beispiel die Ausmaße von Fundamenten zu bestimmen. Der Katalog der Objekte enthält unter anderem Angaben über den Auffindungsort, den Erhaltungszustand, Gestalt und Maße.
Manche Skulpturen sind mutwillig beschädigt, umgestürzt, verschleppt oder zerstört, andere verbaut, einige auch später wieder aufgerichtet worden. In jüngster Zeit hat besonders der saure Regen dem Kalkstein zugesetzt.
Von den plastischen Strukturen nehmen wir unter anderem zur Nahbereichsphotogrammetrie Stereobildpaare auf. Anhand von Paßpunkten am Objekt lassen sie sich genau auswerten (siehe Titelbild). Aus dem digitalen dreidimensionalen Modell im Computer kann man dann Maße, Profilschnitte, Fischnetzansichten, Höhenlinienpläne oder auch schattierte Projektionen gewinnen (Bilder 5 und 6). Ob sich Aufnahme und Analyse der Daten noch durch Scanning der Stereobildpaare und digitale Bildkorrelation vereinfachen lassen, prüfen wir gerade.
Die meiste Zeit erfordert die Kartierung eines Gesamtareals, das mit der äußeren Zone an die 15 Quadratkilometer umfassen kann. Die Pläne haben Maßstäbe zwischen 1:100 und 1:5000. Weil die Landschaftsform über die Wahl des Bestattungsortes entschied, erfassen wir zugleich mit den Bauten auch die abwechslungsreichen, teils schwer zugänglichen Strukturen des zergliederten Geländes. Ein wichtiges Instrument ist dabei ein Tachymeter, ein selbstregistrierendes elektronisches Gerät, das mittels eines Prismenreflektors Horizontalrichtung, Zenitwinkel und Schrägentfernung der Vermessungspunkte bestimmt. Daraus errechnet ein Computer Höhenlinienpläne. Stereotaktische Luftbilder wären zwar noch sehr viel genauer und überdies schneller zu gewinnen, doch wegen der militärischen Geheimhaltung dürfen wir sie bislang nicht anfertigen.
Vermessungen mit Empfängern des Global Positioning System (siehe "GPS: Navigation mit Satelliten", Spektrum der Wissenschaft, Januar 1996, Seite 102) gehören ebenfalls zum Programm, doch dauern sie recht lange, und die für zivile Zwecke verfügbare Datengenauigkeit ist mäßig. Immerhin lassen sich damit weit voneinander entfernte Objekte relativ rasch koordinieren.
Für gröbere Übersichtspläne in Maßstäben von 1:25000 bis 1:1000000 und dreidimensionale Geländemodelle schließlich werten wir Satellitenbilder aus (Bild 7). Die derzeit frei erhältlichen Aufnahmen von "Spot" und "Landsat" sind für genaue Karten mit präzisen Höhenangaben aller Standpunkte zu unscharf, doch können wir sie mit den anderen Verfahren kombinieren.
Neuerdings arbeiten wir mit der Deutschen Agentur für Raumfahrtangelegenheiten (DARA) zusammen. Wir erhoffen uns von der elektronischen Kamera MOMS-02P auf der Raumstation "Mir" höherauflösendes Datenmaterial.
Denkmäler des alten China wie diese Kaisergräber der Tang-Dynastie endlich archäologisch und historisch aufzuarbeiten ist um so dringlicher, als sie stetem natürlichem Verfall ausgesetzt sind. Hinzu kommen Ackerbau, andere landschaftsverändernde Eingriffe und industrielle Emissionen in der dichtbesiedelten Region.
Die Ergebnisse unserer Dokumentation sollen der Öffentlichkeit möglichst umfassend zugänglich sein. Die Meßdaten wollen wir in einem Geo-Informationssystem niederlegen, und die verfallenen Monumente lassen sich dank des Bildmaterials und der elektronischen Datei für Forschungs- und Ausstellungszwecke optisch rekonstruieren.
Unser Anliegen ist vor allem aber auch, diese einzigartigen Mausoleen erstmals auf breitester Ebene wissenschaftlich zu erkunden. Es handelt sich um kulturgeschichtliche Zeugnisse von Weltrang; und es ist zu wünschen, daß sie nun, nachdem die Volksrepublik die innerstaatlichen Bedingungen lockert und ihre internationalen Kontakte intensiviert, dementsprechend von der UNESCO offiziell zum Weltkulturerbe erklärt werden, so daß die Mittel zu ihrem Erhalt verfügbar werden. Die chinesisch-deutsche Kooperation ist der Anfang dazu.
Literaturhinweise
- Untersuchungen zu tang-zeitlichen Kaisermausoleen in der Provinz Shaanxi (VR China). Von Alexander Koch in: Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz, Band 41, Seiten 575 bis 602, 1994.
– Chinesisch-deutsches Restaurieren in Xi'an. Von Dietrich Ankner, Gong Qiming und Uwe Herz in: Arbeitsblätter für Restauratoren, Band 28, Heft 1, 1995.
– Kaisergrabanlagen der Tang-Dynastie (618-907 n. Chr.) in der Provinz Shaanxi, VR China. Ein chinesisch-deutsches Forschungsvorhaben. Von Alexander Koch in: Archäologisches Nachrichtenblatt, Band 1, Heft 2, Seiten 205 bis 210, 1996.
– Die chinesische Welt. Von Jacques Gernet. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1987.
– Das alte China. Geschichte und Kultur des Reiches der Mitte. Von Roger Goepper. Bertelsmann Verlag, München 1988.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1996, Seite 100
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