Kamen die Zutaten der Ursuppe aus dem All?
In kalten interstellaren Wolken bilden sich komplexe organische Moleküle. Von Kometen auf die Erde gebracht, könnten sie als biologisches Rohmaterial dem irdischen Leben zu seinem Schnellstart verholfen haben.
Jahrtausendelang galten Kometen als Unglücksboten. Um 400 vor Christi Geburt unterschieden chinesische Astronomen 29 Arten von ihnen – die meisten kündigten angeblich Unheil an. Aristoteles sah in den Schweifsternen Drohzeichen der Götter und prägte damit für über zwei Jahrtausende das Bild dieser Himmelserscheinungen in der abendländischen Kultur. Selbst am Ende unseres Jahrhunderts bedrohen Kometen und Asteroiden in Katastrophenfilmen noch immer die Existenz von Menschheit und Erde.
Die Kometenfurcht ist allerdings nicht völlig unberechtigt. Neuere Untersuchungen legen nahe, daß der Aufprall eines kosmischen Geschosses auf die Erde das Aussterben der Dinosaurier verursachte. Entsprechend gespannt verfolgten Wissenschaftler und Öffentlichkeit, wie 1994 der Komet Shoemaker-Levy 9 in den Planeten Jupiter einschlug.
Angesichts des schlechten Rufs der Schweifsterne als Todbringer mutet es ironisch an, daß nach jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgerechnet sie es waren, die dem irdischen Leben auf die Sprünge geholfen haben. Bildlich gesprochen, sind Kometen überdimensionale schmutzige Schneebälle, die hauptsächlich aus Wassereis und gefrorenen Gasen bestehen. Wie Weltraumforscher seit Anfang der sechziger Jahre vermuten, könnten diese kosmischen Eisklumpen einige hundert Millionen Jahre nach der Entstehung unseres Planeten in großen Mengen auf die gerade erkaltete Erdoberfläche gestürzt sein und dort die lebensfreundlichen Ozeane und eine kohlendioxidreiche Atmosphäre geschaffen haben.
Unser Team am Astrochemischen Labor des Ames-Forschungszentrums der NASA in Moffett Field (Kalifornien) und eine wachsende Zahl anderer Forscher gehen aber noch weiter. Wir sind inzwischen überzeugt davon, daß die Himmelsboten auch biochemische Grundstoffe mitführten. Einige dieser extraterrestrischen organischen Moleküle bilden halbdurchlässige Hohlkörper, in denen womöglich die ersten zellulären Prozesse abliefen. Andere haben wahrscheinlich die ultraviolette Strahlung der Sonne abgeschwächt, so daß empfindlichere biologische Moleküle davor geschützt waren. Zugleich könnten sie mitgeholfen haben, mittels Sonnenenergie Nährstoffe für die ersten Organismen zu erzeugen.
Kometen und die gesteins- und metallreichen Asteroiden sind Überreste aus der Bildungsphase des Sonnensystems. Vor über viereinhalb Milliarden Jahren kollabierte eine kalte, mit dunklem Staub gefüllte Gaswolke zu einem scheibenförmigen Materiewirbel, in dessen Zentrum die Sonne entstand. Diese war zunächst noch von einer undurchsichtigen protoplanetaren Scheibe umgeben, deren Materie erst im Laufe von Millionen Jahren zu kilometergroßen Brocken zusammenklumpte. Einige davon umrunden als Kometen oder Asteroiden noch heute die Sonne. Die meisten jedoch vereinigten sich zu größeren Körpern – den Planeten.
Früher dachte man, daß Wasser und organische Substanzen zur Mitgift der Erde aus ihrer Entstehungszeit gehörten. Als der Planet sich unter dem Druck seiner eigenen Schwerkraft verdichtete, muß er sich jedoch vorübergehend bis zur Rotglut erhitzt haben. Dabei wurde alles Wasser ausgetrieben und verdampft. Außerdem stand die junge Erde unter einem heftigen Bombardement durch die damals noch viel häufigeren Kometen und Asteroiden, die mit der Gewalt von Atombomben einschlugen. Einige Kollisionen waren so heftig, daß sie den Erdkörper zu zerreißen drohten. So wurde der Mond vermutlich beim Aufprall eines Objekts von der Größe des Mars aus dem Globus herausgeschleudert. Ein derartiges Inferno über Hunderte von Jahrmillionen hinweg hätten organische Moleküle wohl kaum überstanden.
Während Planetologen somit den Zeitpunkt, an dem die Erde bewohnbar wurde, immer weiter Richtung Gegenwart rückten – auf mittlerweile etwa vier Milliarden Jahre vor heute –, datierten Paläontologen den Beginn des Lebens immer weiter zurück. Funde von Mikrofossilien in Sedimentgestein aus Australien und Südafrika belegen klar, daß die Erde schon vor dreieinhalb Milliarden Jahren von Mikroben bewohnt war. Es gibt sogar 3,9 Milliarden Jahre alte Proben aus Grönland, die Kohlenstoff-Isotope in einem Verhältnis aufweisen, das sich nur durch das Vorhandensein lebender Organismen erklären läßt. Demnach hatte sich das Leben 100 Millionen Jahre, nachdem es überhaupt Fuß fassen konnte, bereits weit genug auf der Erde verbreitet, um eindeutige Spuren zu hinterlassen. Dieses relativ schmale Zeitfenster spricht dafür, daß die Urzeugung der Unterstützung durch organische Moleküle aus dem Weltall bedurfte.
Die ersten einzelligen Mikroben verdankten ihre Existenz vermutlich einer Serie chemischer Umsetzungen, aus denen kohlenstoffreiche Moleküle wie die Aminosäuren und die Nucleobasen hervorgingen. Unter geeigneten Bedingungen verbanden sich die Aminosäuren zu den kettenartigen Eiweißmolekülen, die zu den Grundbausteinen des Lebens gehören. Auf ähnliche Weise entstanden aus den Nucleobasen in Verbindung mit Zucker und Phosphat die Nucleinsäuren, die das Erbgut aller Lebewesen bilden.
Anfang der fünfziger Jahre simulierte Stanley L. Miller, der heute an der Universität von Kalifornien in San Diego forscht, im Rahmen seiner Doktorarbeit bei Harold C. Urey an der Universität Chicago die Entstehung von Aminosäuren unter präbiotischen Bedingungen. Dazu schickte er künstliche Blitze durch ein mit Ammoniak und Methan gefülltes Glasgefäß, das die Uratmosphäre der Erde darstellen sollte. Daran angeschlossen war ein zweites Gefäß, das – sozusagen als Urozean – Wasser enthielt. Nach ein paar Wochen konnte Miller im Wasser eine Reihe organischer Substanzen nachweisen – darunter auch Aminosäuren.
Umstände der Urzeugung
Zwar zieht die neuere Forschung die Zusammensetzung von Millers Uratmosphäre in Zweifel und schreibt den Nucleobasen die primäre Rolle zu; doch hat das Konzept einer irdischen Ursuppe, in der sich aufgrund günstiger physikalischer und chemischer Bedingungen allmählich die Grundstoffe des Lebens anreicherten, nach wie vor viele Anhänger. Seit kurzem gibt es allerdings Wissenschaftler wie den Münchner Chemiker und Patentanwalt Günter Wächtershäuser, die den Suppentopf nicht mehr in Seen oder im küstennahen ozeanischen Flachwasser vermuten, sondern auf dem Meeresboden. Dort speien heiße Quellen mineralstoffreiche dunkle Wässer aus, in denen sich gleichfalls Vorläufermoleküle des Lebens bilden können. Immer mehr Forscher blicken bei der Suche nach der Herkunft präbiotischer Moleküle allerdings nicht mehr auf die Erde, sondern in den Weltraum.
Eine extraterrestrische Stoffzufuhr hatte 1961 bereits Juan Oró von der Universität Houston (Texas) vermutet; Sherwood Chang vom Ames-Forschungszentrum griff diese Theorie 1979 wieder auf. Seit 1990 ist Christopher R. Chyba vom SETI-Institut (Suche nach Extraterrestrischer Intelligenz) im kalifornischen Mountain View der energischste Verfechter der Idee, daß kleine Kometen, Meteoriten und interplanetare Staubpartikel die Erde nachträglich mit Wasser und Gasen für ihre Atmosphäre versorgten.
Der Ursprung der Ozeane ist zwar noch umstritten, aber die meisten Wissenschaftler räumen inzwischen ein, daß zumindest ein Teil des Wassers aus dem Weltraum stammt. Das innere Sonnensystem ist übersät mit winzigen interplanetaren Staubpartikeln, die höchstens die Größe eines Sandkorns erreichen und manchmal als Sternschnuppen am Nachthimmel verglühen (Bild links). Schätzungen zufolge rieseln noch heute tagtäglich mehrere hundert Tonnen davon auf die Erdoberfläche herab. Und es mehren sich die Hinweise, daß diese Staubkörner und ihre größeren Verwandten, die Kometen, nicht nur Wassereis und gefrorene Gase mitbrachten, sondern die Ursuppe auch mit gebrauchsfertigen organischen Molekülen würzten, wie man sie in heutigen Lebewesen findet.
So ergaben jüngste Beobachtungen der Kometen Halley, Hyakutake und Hale-Bopp, daß diese eisigen Besucher aus dem äußeren Sonnensystem eine Vielzahl organischer Moleküle enthalten. Die Kameras der ESA-Sonde Giotto und ihres russischen Pendants Vega zeigten auf der Oberfläche von Halley ein schwärzliches Material, das an die kerogenartigen Bestandteile einiger Meteoriten erinnert. Mit den Massenspektrometern an Bord fanden Jochen Kissel, inzwischen am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching, und Franz Krueger aus Darmstadt außerdem Spuren kohlenstoffreicher Verbindungen in der Koma. Auch in Schweif und Koma der beiden anderen Kometen konnte insbesondere Hans Balsiger und seine Mitarbeiter an der Universität Bern von der Erde aus organische Moleküle nachweisbar – darunter Methan und Ethan. Während der kommenden zwei Jahrzehnte werden mehrere Raumsonden zu weiteren Kometen fliegen, um deren stofflichen Aufbau zu untersuchen (siehe Kasten auf S. 34).
Wenn ein Komet im inneren Sonnensystem intensiver Strahlung ausgesetzt ist, verdampft ein Teil des Wassereises und der gefrorenen Gase. Dabei werden auch Teilchen fortgerissen, die dann zum interplanetaren Staub beitragen – und irgendwann vielleicht auf der Erde landen. Kleine Mengen dieses Staubes sammeln NASA-Wissenschaftler mit dem Flugzeug ER2 ein. Die Maschine kann bis in 20 Kilometer Höhe aufsteigen und damit fast doppelt so hoch wie ein Passagierjet fliegen. An der Flügelunterseite trägt sie eine ölbeschichtete Plastikplatte in einem Kollektor; ähnlich wie Insekten an einem Fliegenfänger bleiben die Staubkörnchen daran kleben.
Organische Moleküle in Kometen und interstellarem Staub
Mehrere Forscher – darunter einer von uns (Sandford) – haben diese mikroskopisch feinen Teilchen analysiert. Einige bestehen bis zur Hälfte aus organischen Kohlenstoffverbindungen – mehr als bei irgendeiner anderen Art extraterrestrischer Objekte. Auch wenn das organische Material im Durchschnitt nur einen Anteil von zehn Prozent erreicht, gelangen täglich 30 Tonnen davon mit den kosmischen Krümeln auf die Erde.
Besser untersucht als die fernen Kometen und der feine Staub sind die Brocken von Asteroidenmaterial, die immer wieder als Meteoriten auf die Erde fallen. Obwohl sie hauptsächlich aus Stein und Metallen bestehen, enthalten einige von ihnen, wie unter anderen die Arbeitsgruppe um Michel Maurette an der Universität Paris feststellte, auch chemische Verbindungen wie Nucleobasen, Ketone, Chinone, Carbonsäuren, Amine und Amide. Unter der Vielzahl komplexer organischer Moleküle, die bisher in Meteoriten gefunden wurden, erregten die 70 unterschiedlichen Aminosäuren besondere Aufmerksamkeit. Nur acht davon gehören zu den 20 essentiellen Aminosäuren, aus denen lebende Zellen ihre Proteine aufbauen. Aber diese acht zeigen eine Besonderheit, die dem irdischen Leben eigen ist.
Von jeder Aminosäure gibt es nämlich zwei spiegelbildliche Formen, die sich zueinander verhalten wie die linke und die rechte Hand – eine als optische Asymmetrie oder Chiralität (Händigkeit) bezeichnete Eigenschaft. Aus bisher nicht sicher bekannten Gründen kommen in Lebewesen fast nur linkshändige Aminosäuren vor. Entsprechend war ein Kritikpunkt an der Aussagekraft von Millers Experiment, daß es ebenso viele rechts- wie linkshändige Formen produzierte. Extraterrestrische Aminosäuren schneiden in dieser Hinsicht besser ab: Seit seiner ersten Veröffentlichung zu diesem Thema im Jahre 1993 hat John R. Cronin von der Arizona State University in Tempe bei mehreren Aminosäuren, die er aus zwei verschiedenen Meteoriten isolierte, stets ein leichtes Übergewicht der linkshändigen Variante gefunden. Einige Forscher halten die Bevorzugung der einen Händigkeit in der belebten Natur für puren Zufall; kosmische Rohstoffe könnten die einseitige Verteilung aber auch vorherbestimmt haben.
Nun sind Aminosäuren – zusammen mit den Nucleobasen – vielleicht die biologisch bedeutendsten organischen Substanzen in Meteoriten, aber keineswegs die häufigsten. Der meiste Kohlenstoff liegt als kerogenartige Masse vor – mit polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen als wesentlichen Bestandteilen. Diese Verbindungen sind als krebserregende Umwelt- und Nahrungsgifte bekannt, die bei starker Erhitzung organischer Substanzen entstehen und in Autoabgasen, Ruß und gegrillten Würstchen vorkommen. Sie sorgten für Aufsehen, als NASA-Wissenschaftler sie in dem vom Mars stammenden Meteoriten ALH84001 nachwiesen und als fossiles Relikt einstiger Bakterien auf unserem Nachbarplaneten interpretierten.
Daß Kometen, Meteoriten und interplanetare Staubkörner interessante chemische Verbindungen auf die Erde bringen, ist jedenfalls unbestreitbar. Aber wie und wo sind diese Moleküle entstanden? Nach Ansicht einiger Wissenschaftler dienten die Kometen und Asteroiden selbst als Brutstätten: Wenn das Eis und die gefrorenen Gase bei einer vorübergehenden Erwärmung in Sonnennähe auftauten, konnten in der resultierenden wäßrigen Lösung – eventuell unter Einwirkung des Sonnenlichts – vielerlei chemische Reaktionen ablaufen.
Eine wachsende Zahl von Wissenschaftlern glaubt hingegen, daß die Kometen samt Inhaltsstoffen originalgetreue Überreste jenes Urnebels sind, aus dem das Sonnensystem hervorging. Ihrer Ansicht nach blieben die Eisklumpen unverändert erhalten, weil sie sich geschützt in der extrem kalten Zone am Rand des kollabierenden Nebels befanden.
Wieder andere Wissenschaftler bekennen sich zu einer älteren Theorie, die im Innern des solaren Urnebels die Wiege der außerirdischen organischen Moleküle sieht. Danach verdampfte das Eis im sich erhitzenden protoplanetaren Gaswirbel, und die enthaltenen Moleküle wurden in den Strudel der Planetenbildung hineingerissen, dabei aufgespalten und neu zusammengesetzt.
Wenn Moleküle im solaren Urnebel "geröstet" und danach in Kometen eingefroren wurden, sollten sie allerdings dieselbe Isotopenverteilung wie die Planeten und andere Objekte im inneren Sonnensystem aufweisen. Das ist jedoch nicht der Fall: Die meisten Staubkörner aus Kometen zeichnen sich durch einen besonders hohen Anteil an schweren Isotopen wie Deuterium aus (Wasserstoff, dessen Atomkerne außer einem Proton noch ein Neutron enthalten). Die Anreicherung von Deuterium ist ein Merkmal von Substanzen, die aus den frostigen Weiten des interstellaren Raums stammen. Dort draußen, wo die Temperaturen nur knapp über dem absoluten Nullpunkt (-273,15 Grad Celsius) liegen, reicht die Wärmeenergie gewöhnlich höchstens aus, den reaktionsfreudigeren leichten Wasserstoff von einem Molekül abzuspalten, während das schwerere und trägere Deuterium deutlich seltener herausgelöst wird. Dadurch reichern sich über lange Zeiträume hinweg allmählich deuteriumhaltige Verbindungen gegenüber solchen mit dem leichten Wasserstoff an.
Höchstwahrscheinlich entstammen die organischen Moleküle der meisten Kometen einer Kombination aus der interstellaren Gefriertruhe und dem protoplanetaren Brennofen. Diese Dualität zeigt sich zumindest beim kosmischen Staub, dessen Körnchen teilweise großer Hitze ausgesetzt waren und teilweise tiefgekühlt die Jahrmilliarden überdauerten.
Seit den Beobachtungen der Kometen Hyakutake und Hale-Bopp vor zwei- beziehungsweise eineinhalb Jahren mehren sich allerdings die Indizien für das Gefriertruhenszenario. So haben Dutzende von Forschern auffällige Ähnlichkeiten in der Häufigkeit bestimmter Moleküle sowie in der Anreicherung von Deuterium zwischen diesen beiden Kometen und typischen interstellaren Eiskörnern festgestellt. Außerdem ist es bei Hale-Bopp gelungen, den Spin-Zustand seiner Wasserstoffatome zu messen, der Aussagen über die Bedingungen zuläßt, denen das Eis während seiner Existenz ausgesetzt war. Das Ergebnis bestätigt, daß sich die Wassermoleküle bei der Bildung des Kometen und während der gesamten Zeit danach niemals auf mehr als 35 Kelvin (-238 Grad Celsius) erwärmt haben.
Wenn das Wasser der Kometen aus interstellaren Wolken stammt, sollte dies auch für die komplexen organischen Moleküle gelten. Spektroskopische Hinweise auf solche Verbindungen finden sich an vielen Stellen im Universum, vor allem aber in den Dunkelwolken. Zehn Jahre Forschung durch einen von uns (Allamandola) und andere Wissenschaftler wie Giovanni Strazzulla von der Universität Catania (Italien) haben zum Beispiel deutlich gemacht, daß polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe die häufigsten kohlenstoffhaltigen Verbindungen im All sind: In ihrem bienenwabenförmigen Gerüst stecken bis zu 20 Prozent des gesamten interstellaren Kohlenstoffs unseres Milchstraßensystems.
Dunkelwolken im Labor
Selbst in Hunderten von Lichtjahren entfernten Dunkelwolken läßt sich noch die chemische Zusammensetzung von mikroskopisch kleinen Staub- und Eiskörnchen bestimmen. Die Moleküle in solchen Wolken verschlucken nämlich bei bestimmten Wellenlängen im Infrarotbereich das Licht von Sternen hinter ihnen. Wenn die verbliebene Strahlung einen Detektor auf der Erde erreicht und dort spektral zerlegt wird, geben die fehlenden Anteile (Absorptionsbanden) bei gewissen Wellenlängen Hinweise darauf, welche Verbindungen in der davorgelegenen Dunkelwolke vorkommen.
Man kann nun diese Absorptionsspektren mit denen von Imitationen interstellarer Teilchen vergleichen, die im Labor erzeugt wurden. Auf diese Weise fanden die Arbeitsgruppe von Mayo Greenberg an der Universität Leiden (Niederlande) und wir weltweit heraus, daß die Körnchen in den Dunkelwolken Kerne aus Silicat oder Kohlenstoff haben, die von einer dicken Eisschicht umgeben sind (Bild auf S. 30). Diese enthält bis zu zehn Prozent Beimengungen an Kohlendioxid, Kohlenmonoxid, Methan, Methanol und Ammoniak.
Können sich diese weitverbreiteten einfachen interstellaren Moleküle durch Reaktionen im Eis in die komplexen Verbindungen umwandeln, die man in Meteoriten findet? Um das zu testen, entschloß sich der Kryochemie-Spezialist unter uns (Allamandola) zur Simulation einer interstellaren Dunkelwolke im Labor. Die von ihm entwickelte Apparatur besteht aus einer Metallkammer mit 20 Zentimetern Durchmesser, in der Kühlaggregate und Pumpen ein ultrakaltes Höchstvakuum wie in den Weiten des Alls erzeugen (Bild auf S. 29). Durch eine Kupferröhre läßt sich ein Nebel aus einfachen Gasmolekülen einspritzen. Er schlägt sich sofort als Reif auf einer wenige Zentimeter messenden Scheibe aus Aluminium oder Cäsiumiodid nieder, welche die Rolle der Kondensationskeime des interstellaren Staubes spielt. Um die Simulation perfekt zu machen, wirft eine kleine UV-Lampe sternähnliche Strahlung in die Kammer.
Unsere Experimente zeigen, daß ultraviolettes Licht auch bei den extrem niedrigen Temperaturen und Drücken im All die Moleküle aufspalten und zu neuen Verbindungen zusammenfügen kann. Auf analoge Weise werden zum Beispiel in den oberen Schichten der Erdatmosphäre die berüchtigten Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) aufgebrochen; deren Fragmente zerstören dann das Ozon, das die darunterliegende Erde vor dem schädlichen ultravioletten Strahlungsanteil der Sonne schützt.
Weil die interstellaren Moleküle in den Eiskörnern eingeschlossen bleiben, können sich durch wiederholtes Aufbrechen und Neuknüpfen von Bindungen immer komplexere Strukturen bilden – sie entstünden nicht, wenn die Molekülbruchstücke frei beweglich wären. Überall im Weltraum, wo es Eiskörnchen gibt, finden sich auch die komplexeren Verbindungen – besonders in der Nähe junger Sterne, die sehr intensive ultraviolette Strahlung aussenden. In unserer Laborkammer setzen wir das Eis einer Strahlungsdosis aus, die es im interstellaren Raum im Laufe von einigen Jahrtausenden erhalten würde.
Als einer von uns (Bernstein) ein einfaches Gemisch aus Wasser, Methanol und Ammoniak im selben Mengenverhältnis wie in den kosmischen Körnchen in die Apparatur sprühte, erhielt er bereits komplexe Verbindungen wie Ketone, Nitrile, Äther und Alkohole, die auch aus kohlenstoffreichen Meteoriten bekannt sind. Ferner konnten wir Hexamethylentetramin erzeugen – ein käfigförmiges Molekül, aus dem in warmer, saurer wäßriger Lösung unter anderem Aminosäuren entstehen können. Im Reaktionsgemisch fanden sich Moleküle mit bis zu 15 Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen.
Einige davon zeigen eine Besonderheit, die für die Entstehung des Lebens von Bedeutung gewesen sein kann: Wie David W. Deamer von der Universität von Kalifornien in Santa Cruz herausfand, bilden sie in Wasser spontan winzige Hohlkugeln (Micellen), deren Wände Zellmembranen ähneln (Bild auf S. 32). Ähnliche Kapseln hatte Deamer vor zehn Jahren erhalten, als er organische Verbindungen aus dem in Murchison (Australien) gefundenen Meteoriten mit Wasser versetzte. Unser Kollege Jason Dworkin zeigte, daß sich die Hohlkugeln aus einer Vielzahl komplexer organischer Verbindungen bilden können.
Für die Selbstorganisation in Form von Membranbläschen müssen die Moleküle jeweils mindestens zwölf Kohlenstoffatome enthalten und amphiphil sein, das heißt zwei unterschiedliche Enden aufweisen: ein hydrophiles ("wasserliebendes") und ein hydrophobes ("wasserscheues"). Die Molekülketten legen sich dann annähernd parallel zu einer Doppelschicht aneinander, wobei die hydrophilen Köpfe jeweils nach innen oder außen zum Wasser gerichtet sind, während die hydrophoben Schwänze in der Mitte der Membran aufeinanderstoßen (Bild auf S. 32 links unten). Die Micellen in den wäßrigen Extrakten von Meteoriten und von Produkten aus unserer Wolkenkammer müssen aber noch weitere organische Verbindungen enthalten; denn in beiden Fällen ist eine Fluoreszenz zu beobachten, wie sie nur noch kompliziertere Moleküle zeigen.
Die biologisch vielleicht bedeutsamsten Verbindungen entstehen, wenn wir Wasser zusammen mit polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, wie sie in den interstellaren Wolken verbreitet sind, in unsere Apparater einspritzen. Unter den simulierten Weltraumbedingungen entstehen dann viele der aus Meteoriten bekannten Moleküle wie kompliziertere Alkohole, Äther und – wohl am interessantesten – Chinone. Diese Moleküle sind in Lebewesen allgegenwärtig und können ungepaarte Elektronen aufnehmen und stabilisieren – eine Eigenschaft, die für verschiedene Energietransportvorgänge in Zellen wichtig ist. Auch die wirksamen Bestandteile von Aloe und Henna zum Beispiel sind Chinone.
Die Fähigkeit dieser vielseitigen Substanzen, Elektronen weiterzuleiten, spielt eine grundlegende Rolle bei der Photosynthese, durch die Pflanzen und einige Bakterien Licht in chemische Energie umwandeln. Sie erscheint für die Entstehung des Lebens noch bedeutsamer, wenn man weiß, daß Chinone zudem ultraviolette Strahlung absorbieren. Da es damals noch keine Ozonschicht gab, gelangte das UV-Licht der Sonne ungehindert auf die Erdoberfläche und drohte dort empfindliche Biomoleküle wie die Aminosäuren und Nucleobasen zu zersetzen. Die extraterrestrischen Chinone könnten den frühen Lebewesen somit einerseits als UV-Schild gedient und ihnen andererseits zugleich geholfen haben, Sonnenlicht für eine primitive Vorform der Photosynthese einzufangen.
Von Molekülen zum Leben
Laborexperimente und astronomische Beobachtungen machen deutlich, daß die an sich lebensfeindlichen Bedingungen des Weltraums komplexe organische Moleküle hervorbringen, die sogar heute noch durch Meteoriten und interplanetaren Staub auf die Erde gelangen. Demnach könnte die einst noch viel stärkere Zufuhr von Aminosäuren, Nucleobasen, Chinonen, amphiphilen Kettenmolekülen und anderen organischen Substanzen aus dem All der Entwicklung des Lebens auf unserem Planeten durchaus den entscheidenden Impuls gegeben haben. Vielleicht bildeten außerirdische Aminosäuren und Nucleobasen die ersten Proteine und Nucleinsäuren, und vielleicht liefen die ersten biochemischen Reaktionen in schützenden Hohlkugeln aus amphiphilen Kettenmolekülen ab, in denen Chinone das UV-Licht der Sonne absorbierten und seine Energie für den Aufbau von Nährstoffen zur Verfügung stellten.
Andererseits könnten die Substanzen aus dem Weltraum aber auch lediglich simple Rohstoffe für komplexere Biomoleküle gewesen sein. Sie regneten jedenfalls in ausreichenden Mengen herab, um an der Erdoberfläche miteinander verkettet werden zu können – sei es in der berühmten Ursuppe oder an heißen Quellen am Grund der Meere.
Denkbar wäre aber auch, daß ein buchstäblich vom Himmel gefallenes Molekül eine einfache Schlüsselreaktion für das frühe Leben angestoßen oder beschleunigt hat. Primitive Organismen, die diese Umsetzung nutzten und sie nun schneller ausführen konnten, hätten dann einen Evolutionsvorteil gehabt. So wäre der betreffende Prozeß zum festen Bestandteil eines grundlegenden Stoffwechselvorgangs geworden, den alle heutigen Lebewesen nutzen.
Selbstverständlich klafft immer noch eine gewaltige Lücke zwischen den größten kosmischen Molekülen und denen, die für entscheidende Lebensvorgänge wie Vererbung, Stoffwechsel und Selbstreplikation verantwortlich sind. Andererseits aber bedeutet die Allgegenwart komplizierter organischer Substanzen im Universum, daß sie auch anderswo zur Verfügung standen und stehen, um dem Leben Starthilfe zu leisten. Immerhin gibt es Anzeichen dafür, daß flüssiges Wasser, eine der Grundvoraussetzungen für die Existenz von Leben, nicht auf die Erde beschränkt ist: Früher existierte es auch auf dem Mars, und bis heute könnte es unter der dicken Eisschicht des Jupitermondes Europa vorhanden sein. Außerdem wurde in jüngster Zeit über die Entdeckung mehrerer extrasolarer Planeten berichtet. All dies macht es sehr wahrscheinlich, daß sich Bedingungen, welche die Entstehung von Leben fördern, – und sogar das Leben selbst – auch in anderen Sonnensystemen entwickelt haben.
Literaturhinweise
The Astrochemical Evolution of the Interstellar Medium. Von Emma L. O. Bakes. Twin Press Astronomy Publishers, 1997.
Comets and the Origin and Evolution of Life. Herausgegeben von Paul J. Thomas, Christopher F. Chyba und Christopher P. McKay. Springer 1997.
Pasteur, Light and Life. John Cronin in: Physics World, Bd. 11, Nr. 10, S. 23-24; Oktober 1998.
UV Irradiation of Polycyclic Aromatic Hydrocarbons in Ices: Production of Alcohols, Quinones, and Ethers. Von Max P. Bernstein et al. in: Science, Bd. 283, S. 1135-1138; 19. Februar 1999
Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1999, Seite 26
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