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1924 Istanbul: Kein Kalif an Stelle des Kalifen
Am 3. März 1924 beschloss die Nationalversammlung der türkischen Republik die Auflösung des Kalifats. Die Herrschaft des »Nachfolgers des Propheten« über alle Gläubigen des Islam fand so nach fast 1300 Jahren ein abruptes Ende. Bis heute ist der Thron verwaist – und viele Muslime sehnen sich noch immer nach den Machtstrukturen der Vergangenheit.
Lang hat’s gebraucht. Vor zwei Jahren erst erreichte die Schreckensnachricht den mächtigsten Mann der Welt. »Sie wollen eine gewalttätige politische Utopie durchsetzen, die sie Kalifat nennen«, verkündete George W. Bush bei einer Gedenkfeier am fünften Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 und legte nach: »Dieses Kalifat wäre ein totalitäres islamisches Reich, das alle heutigen und früheren muslimischen Länder umfassen würde – von Europa bis nach Nordafrika, den Mittleren Osten und Südostasien.« Er wisse das, so der Präsident, weil »El Kaida uns das gesagt hat«.
Tatsächlich hatte Osama bin Laden die verheerenden Angriffe auf New York und Washington »einen großen Schritt hin zur Einheit und der Errichtung eines rechtschaffenen Kalifats« genannt. Und nur zwei Monate vor Bushs Rede erklärte Aiman az-Zawahiri, Nummer zwei der El Kaida, die Organisation werde ihre Herrschaft über alle islamischen Länder ausdehnen – von Spanien bis in den Irak. Nur: Welche Herrschaft? Welcher Islam? Welches Spanien? Es gehört zu den Eigentümlichkeiten des Diskurses über den islamischen Extremismus, dass längst erledigt geglaubte Begriffe eine Renaissance erleben. Hüben wie drüben sprechen manche vom Kreuzzug, von Rittern – und eben vom Kalifen. So unrealistisch das Vorhaben der Terroristen ist, so ernst nehmen es die selbst ernannten Gotteskrieger. Es mutet fast so an, als würden sich bewaffnete Katholiken aufmachen, den Kirchenstaat in den Grenzen von 1513 wiederzuerrichten. Dabei sind es längst nicht die bluttriefenden Fanatiker von der El Kaida allein, die dem Traum vom wiedervereinten islamischen Reich unter der Herrschaft eines Kalifen entgegenfiebern – seit mittlerweile 84 Jahren.
Tatsächlich hatte Osama bin Laden die verheerenden Angriffe auf New York und Washington »einen großen Schritt hin zur Einheit und der Errichtung eines rechtschaffenen Kalifats« genannt. Und nur zwei Monate vor Bushs Rede erklärte Aiman az-Zawahiri, Nummer zwei der El Kaida, die Organisation werde ihre Herrschaft über alle islamischen Länder ausdehnen – von Spanien bis in den Irak. Nur: Welche Herrschaft? Welcher Islam? Welches Spanien? Es gehört zu den Eigentümlichkeiten des Diskurses über den islamischen Extremismus, dass längst erledigt geglaubte Begriffe eine Renaissance erleben. Hüben wie drüben sprechen manche vom Kreuzzug, von Rittern – und eben vom Kalifen. So unrealistisch das Vorhaben der Terroristen ist, so ernst nehmen es die selbst ernannten Gotteskrieger. Es mutet fast so an, als würden sich bewaffnete Katholiken aufmachen, den Kirchenstaat in den Grenzen von 1513 wiederzuerrichten. Dabei sind es längst nicht die bluttriefenden Fanatiker von der El Kaida allein, die dem Traum vom wiedervereinten islamischen Reich unter der Herrschaft eines Kalifen entgegenfiebern – seit mittlerweile 84 Jahren.
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