'Keine Angst vor Internet und Service-Robotern'
Das tägliche Leben wird immer stärker von High-Tech-Produkten bestimmt. Können Senioren damit Schritt halten, oder drohen sie den Anschluss zu verlieren?
Spektrum der Wissenschaft: Herr Professor Reents, gibt es High-Tech-Lösungen, von denen ältere Menschen bereits heute profitieren?
Prof. Heinrich Reents: Bevor wir uns über "High Tech" Gedanken machen, sollten wir erst einmal für sinnvolle "Low-Tech"-Lösungen sorgen. Denken Sie etwa an das Problem der Inkontinenz, das viele ältere Menschen betrifft. Warum gibt es nicht genügend öffentliche Toiletten? Oder Ruheplätze: Warum haben wir keine Sitzgelegenheiten auf den Wegen in die City, die Senioren nutzen können? Und Stadtbusse fahren hierzulande nur fixe Haltestellen an. In Maastricht, Niederlande, hingegen werden Senioren von öffentlichen Verkehrsmitteln zu Hause abgeholt und zum gewünschten Ziel gebracht – dieses bürgerfreundliche Nahverkehrskonzept wird sogar wirtschaftlich betrieben.
Spektrum: Wie steht es mit den modernen Kommunikationsmitteln?
Reents: Senioren profitieren beispielsweise vom Handy, mit dem sie bei Bedarf schnell Hilfe holen können, und auch vom Internet. Chatrooms erlauben die Konversation außerhalb des Bekanntenkreises, neue Freunde können so gewonnen werden. Doch dies alles funktioniert nur, wenn der ältere Mensch es will. Er muss aktiv an diesen Kommunikationsbeziehungen arbeiten. Das bedeutet, er darf den Trend der Vereinsamung nicht akzeptieren. Bewegung, geistige wie körperliche, ist sicherlich der Schlüssel für ein langes, gesundes Leben.
Spektrum: Welche technischen Innovationen könnten in Zukunft älteren Menschen zur Seite stehen?
Reents:Wir sollten die Angst vor Service-Robotern im Haushalt verlieren. Dank der Künstlichen Intelligenz sind diese Geräte mehr und mehr anpassungsfähig. Künstliche Intelligenz gestattet es, die Defizite der Benutzer zu erkennen und diskret auszugleichen. Ist es nicht beschämend zu sehen, wie ältere Menschen über die Straße hasten? Dabei könnten intelligente Ampelanlagen das Gehtempo ermitteln und die Grünphasen entsprechend variieren. Fahrkartenautomaten könnten im Dialog mit den Benutzern die für sie ideale Kombination von Bussen und Bahnen erstellen. Allerdings entstehen nach wie vor viele Innovationen, ohne dass auf die spezifischen Belange älterer Menschen Rücksicht genommen wird. Ein aktuelles Beispiel ist die Miniaturisierung der Produkte, etwa beim Handy. Wer kann diese winzigen Tasten noch bedienen und die Beschriftung lesen? Die Trends zu Miniaturisierung und höherer Komplexität der Geräte sind nur dann sinnvoll, wenn sie die Bedienfreundlichkeit erhöhen.
Spektrum: Droht also eine informationstechnische Zweiklassengesellschaft, eine Trennung zwischen Jung und Alt?
Reents: Eine solche Zweiklassengesellschaft darf es nicht geben. Wenn wir uns alle der Forderung bewusst sind, dass Technik dem Menschen dienen muss, werden wir auch alle Geräte und Systeme so gestalten können, dass sie für Jung und Alt gleichermaßen von Nutzen sind.
Spektrum: Sie haben selbst die Initiative ergriffen, als Sie 1992 die Gründung der Gesellschaft für Gerontotechnik (GGT) anregten. Die GGT betreibt in Iserlohn ein Technologiezentrum und ein Forum mit einer Dauerausstellung seniorenrelevanter Produkte fürs Alltagsleben. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Reents: Allein im letzten Jahr haben 10000 Senioren die dort ausgestellten Produkte ausprobiert, beispielsweise Treppenlifte, Pflegebetten oder seniorengerechte Fahrräder. Die Besucher erproben und begutachten die Produkte nicht nur, sondern geben auch Bewertungen und Verbesserungsvorschläge ab. Jedes beteiligte Unternehmen erhält eine detaillierte Liste der Änderungswünsche und der positiven Merkmale der Produkte. Damit konnten bislang beispielsweise Geräte zur Bodenpflege, Telefone oder das Bedienfeld einer Mikrowelle seniorengerecht umgestaltet werden. Die GGT bietet zudem auch Internet-Kurse an. Mit großer Freude sehe ich, wie zahlreiche ältere Menschen die virtuelle Welt für sich entdecken.
Spektrum: Im Internet gibt es seit kurzem den Onlinedienst "Senioren OnLine", kurz SOL, an dem die GGT beteiligt ist. Mit welchen Zielen?
Reents: Das Netzwerk SOL will die Benutzer nicht nur mit den Möglichkeiten seniorengerechter Produkte vertraut machen, sondern vor allem älteren Menschen bei der Internet-Nutzung behilflich sein. Es will ihre kreativen Potenziale und Fähigkeiten für eigene Internet-Angebote wecken, kurz: die Techniken des Internets und die Lebenswelt älterer Menschen verbinden
Literaturhinweis
Handbuch der Gerontotechnik: Interdisziplinäre Forschung, Praxisbeispiele. Von Heinrich Reents. Ecomed Verlagsgesellschaft, Landsberg 2000.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 2000, Seite 102
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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