Geometrie: Mathematik mit Fliesen und Bauklötzen
Vor 90 Jahren stellte Ott-Heinrich Keller (1906–1990) während seiner Dissertation eine inzwischen nach ihm benannte Vermutung auf, die mit der Kachelung von Räumen zu tun hat. Keller war kein Fliesenleger, sondern Mathematiker. Die Räume, denen er sich widmete, gingen deshalb über gewöhnliche dreidimensionale Quader hinaus. Er fing aber mit einem einfachen Beispiel an: Angenommen, man wolle die unendlich große zweidimensionale Ebene mit quadratischen Fliesen bedecken, ohne dass diese sich überlappen oder Freiräume entstehen. Dann müssen die Kanten von mindestens zwei Fliesen vollständig aufeinandertreffen. Die Vorhersage weitete er auf jede beliebige Dimension aus: Füllt man etwa einen zwölfdimensionalen Raum mit zwölfdimensionalen »quadratischen« Kacheln, werden am Ende stets zumindest zwei genau aneinanderstoßen.
Beweisen konnte Keller seinen Verdacht allerdings nicht. Und auch andere Mathematikerinnen und Mathematiker scheiterten: Im Lauf der Jahrzehnte griffen sie die Vermutung immer wieder auf und konnten sie für gewisse Dimensionen sogar belegen. In anderen Fällen zeigten sie hingegen, dass Keller falschlag. 2002 waren schließlich alle Dimensionen abgearbeitet – nur der siebendimensionale Raum blieb übrig. Erst im Oktober 2019 konnte endlich auch diese letzte offene Frage geklärt werden. Geknackt hatten das Rätsel aber nicht allein Wissenschaftler, sondern Computer. Das Ergebnis ist ein weiteres Beispiel dafür, wie menschlicher Einfallsreichtum in Verbindung mit hoher Rechenleistung einige der schwierigsten Probleme der Mathematik lösen kann.
Die Autoren der Arbeit, Joshua Brakensiek von der Stanford University, Marijn Heule und John Mackey von der Carnegie Mellon University und David Narváez vom Rochester Institute of Technology, brauchten 40 Rechner, um die Aufgabe zu bewältigen. Nach nur 30 Minuten lieferten diese eine kurze Antwort: Ja, die Vermutung trifft in sieben Dimensionen zu. Glücklicherweise muss man das Ergebnis nicht einfach nur so hinnehmen. Der elektronische Output wird von einem langen Beweis begleitet, der erklärt, warum die Hypothese in siebendimensionalen Räumen richtig ist. Zwar ist die Argumentation zu umfangreich, dass Menschen sie verstehen. Aber andere Computerprogramme können sie gesondert überprüfen. Auch wenn man also nicht weiß, wie die Rechner die Kellersche Vermutung im Detail gelöst haben, kann man sicherstellen, dass ihr Resultat richtig ist …
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