Energieversorgung: Kleinkraftwerke mit Internet-Anschluss
Die Energieversorgung der Megacitys erfordert effizientere und umweltfreundlichere Kraftwerke, dezentrale Anlagen und ausgeklügeltes Energiemanagement.
Die Zukunft der Menschheit entscheidet sich in den Städten. Nicht nur, dass in zwanzig Jahren dort fünf Milliarden Menschen leben werden – zwei Milliarden mehr als heute –, die Städter werden dann auch drei Viertel aller Energieressourcen benötigen. Das entspricht 15 Milliarden Tonnen Steinkohleeinheiten – so viel wie heute die gesamte Menschheit verbraucht. Noch stärker wird nach den Berechnungen von Weltbank und Internationaler Energieagentur der Strombedarf wachsen, von heute 15,5 Terawattstunden auf 25 im Jahr 2020.
Wie aber kann eine derartig hohe Nachfrage nach kostengünstiger und zuverlässiger Energie befriedigt werden, ohne die Umwelt über alle Maßen zu schädigen? Man muss den durchschnittlichen Energieverbrauch pro Kopf senken, zum Beispiel durch bessere Wärmedämmung der Häuser, Energiesparlampen oder Energiesparmotoren. So klagte der Präsident des Naturschutzbundes, Jochen Flasbarth, anlässlich der Weltstädtekonferenz Urban 21 im Juli 2000 in Berlin, dass achtzig Prozent des heutigen Gebäudebestandes in Deutschland noch nicht einmal der Wärmeschutzverordnung von 1983 entsprächen: "Die Gebäudeheizungen blasen jährlich über 200 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre". Auch neue Antriebsmotoren können eine Menge zum Ener-giesparen beitragen: Beispielsweise ist kaum bekannt, dass Antriebe etwa zwei Drittel der in der Industrie benötigten Strommenge verbrauchen (Spektrum der Wissenschaft 2/2000, S.84).
Bei der Energieerzeugung ist es entscheidend, Strom und Wärme mit höchster Effizienz aus den Primärenergieträgern zu gewinnen, also den Wirkungsgrad zu steigern und, wo sinnvoll, Kraft-Wärme-Kopplung einzusetzen. Die modernen kombinierten Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerke (GUD) erreichen bereits Wirkungsgrade von nahezu sechzig Prozent. Der weltweite Durchschnitt der Kohlekraftwerke liegt dagegen bei nur 32 Prozent. Könnte man sie gegen die besten erdgasbetriebenen GUD-Kraftwerke austauschen, ergäbe sich ein Einsparpotenzial von jährlich 3,6 Milliarden Tonnen Kohlendioxid, das ist eine Verringerung um zwei Drittel. Doch auch eine Nachrüstung der Kohlekraftwerke durch Neuanlagen nach bester heutiger Technik – Wirkungsgrad 44 Prozent – würde die Atmosphäre schon um jährlich 1,5 Milliarden Tonnen CO2 weniger belasten.
Im Betrieb CO2-neutral sind alle regenerativen Energien, also Sonne, Wind, Wasser und Biomasse (Spektrum der Wissenschaft 5/2000, S. 90), aber auch die Kernenergie. Auf vielen Gebieten gab es hier in den letzten Monaten Neuentwicklungen: So plant etwa ABB mit neuen Anlagen Windfarmen mit bis zu 300 Megawatt Leistung, und Siemens realisierte Europas größtes Biomasse-Kraftwerk in den Niederlanden, das 50000 Haushalte mit Strom versorgt.
Seit 1998 produziert Siemens zudem neuartige Dünnschicht-Solarmodule aus Kupfer-Indium-Diselenid. Ihr Vorteil: Bei vergleichbarem Wirkungsgrad ist ihre aktive Schicht hundertmal dünner als bei konventionellen Siliziummodulen. Für die weitgehend automatisierte und daher kostengünstige Fertigung wird also weniger Material benötigt. In netzfernen Märkten, beispielsweise in Entwicklungsländern, sind Solaranlagen dank ihrer langen Lebensdauer und des geringen Wartungsaufwands bereits heute die wettbewerbsfähigste Lösung.
Auch bei der Optimierung von Energieübertragung und -verteilung gelangen große Fortschritte. Mit der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung können nun große Ballungszentren mit ihrem Energiebedarf im Gigawatt-Bereich noch aus 1000 Kilometer Entfernung mit Strom versorgt werden, ohne durch den Transport zu viel Energie zu verlieren. Auch die Supraleitung ist nicht mehr weit von ihrem praktischen Einsatz entfernt: In den Städten können supraleitende Kabel in vorhandenen Kabelschächten weit mehr Strom transportieren als konventionelle Kupferkabel, und supraleitende Strombegrenzer schützen Energieversorgungsnetze wesentlich besser vor Kurzschlüssen als bisherige Anlagen.
Große Hoffnungen setzen Energie-experten auf das Prinzip der kurzen Wege zwischen Erzeuger und Verbraucher. In kleinen und mittelgroßen Anlagen, die nahe beim Verbraucher platziert werden und damit die teure und verlustreiche Übertragung über Leitungen vermeiden, sieht beispielsweise Göran Lindahl, der Vorstandschef von ABB, einen milliardenschweren Markt. "In vielen Teilen der Welt wird diese dezentrale Energieversorgung wirtschaftlich vernünftiger und ökologisch sinnvoller sein als Großkraftwerke", sagte Lindahl auf einer Pressekonferenz im Juni 2000. Die zunehmende Liberalisierung der Energiemärkte treibe die Entwicklung zusätzlich an: Kleine Anlagen im Kilowatt- bis Megawatt-Bereich erforderten weniger Kapitaleinsatz. Für die neuen "Player" auf den Energiemärkten seien diese Anlagen daher ideal.
Lindahl denkt dabei vor allem an so genannte Mikroturbinen oder an Brennstoffzellen-Systeme. So entwickeln derzeit Firmen wie Vaillant oder Hamburg Gas Consult Brennstoffzellen-Heizgeräte, die gleichzeitig Strom und Wärme für Ein- oder Mehrfamilienhäuser produzieren und 2001 in einem Feldversuch getestet werden sollen. ABB hat unlängst eine nur wenige Meter große, sehr schnell drehende Gasturbine für 100 Kilowatt Leistung vorgestellt, die nur einmal im Jahr gewartet werden muss und wesentlich weniger Schadstoffe ausstößt als vergleichbare Dieselgeneratoren. Die Entwickler von Siemens-Westinghouse in Pittsburgh stellten im Frühjahr 2000 ein noch ausgeklügelteres System vor: eine Hochtemperatur-Brennstoffzelle, ge-koppelt an eine Mikroturbine. Dabei erzeugt die Brennstoffzelle aus dem eingesetzten Erdgas auf direktem Weg – also ohne Verbrennung – Strom. Darüber hinaus wird ihr rund 850 Grad heißes Abgas in der nachgeschalteten Gasturbine nochmals in Strom umgewandelt. Mit dieser Kombination lassen sich elektrische Wirkungsgrade von 60 bis 70 Prozent erreichen – fast doppelt so viel wie bei Dieselgeneratoren oder Gasturbinen gleicher Leistung.
Software-Agenten handeln mit Strom und Wärme
Ende 2001 wird unter Federführung der RWE Energie AG eine derartige 320-kW-Hybridanlage in Nordrhein-Westfalen ans Netz gehen, gefolgt von einer Ein-Megawatt-Anlage, die die Partner Energie Baden-Württemberg AG, Electricité de France, Gaz de France und Tiwag betreiben werden. Ab 2002 soll dann die Technik so weit sein, dass eine Fabrik für kommerzielle Brennstoffzellen-Kraftwerke gebaut werden kann. Diese Hybrid-Kraftwerke sind ideal für die dezentrale Energieversorgung von Hochhauskomplexen, Einkaufszentren, Industrieanlagen, Kliniken oder ganzen Stadtvierteln – zumal sie neben Strom auch noch Wärme zur Verfügung stellen können und kaum Wartung benötigen: Sie werden von Spezialisten über Datenleitungen in Betrieb genommen und zum größten Teil auch aus der Ferne betreut.
Doch die zukünftige Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnik zeigt sich nicht nur an der Fernwartung. "Wegen der hohen Systemvielfalt dezentraler Energieanlagen – von der Photovoltaik bis zur Brennstoffzelle – stellt das nötige Energiemanagementsystem eine enorme Herausforderung dar", erklärt Rainer Bitsch, Fachgebietsleiter für dezentrale Energieversorgungssysteme bei Siemens. Die Lösung könnte im Prinzip der Selbstorganisation liegen. Danach sind die einzelnen Energieerzeugungsanlagen weitgehend autonom in ihren Entscheidungen. Sie verhandeln mit Hilfe selbstständiger Computerprogramme (so genannter Software-Agenten) auf Energiebörsen im Internet um Wärme, Gas und Strom. Basierend auf diesen Preisen und Prognosen, etwa über das Wetter und den zu erwartenden Verbrauch, entscheiden sie, wie viel Gas sie in der nächsten Stunde von wem beziehen wollen und wie viel Wärme und Strom sie erzeugen und anbieten werden. "Hier müssen die besten Software-Tools zum Einsatz kommen, die es gibt", sagt Bitsch. "Neuronale Netze für die Prognosen, genetische Algorithmen für die Einsatzplanung und Fuzzy Logik für die Online-Optimierung."
Aber auch bei den Kunden in den Städten wird sich einiges ändern: In Zukunft werden sie ihren Strom vom jeweils günstigsten Anbieter kaufen, etwa per Chipkarte an der Tankstelle oder auch per Internet. Derartige Pilotprojekte laufen bereits. Und schließlich werden sich auch viele Energieversorger zu Multi-Service-Unternehmen wandeln und Strom, Gas und Wasser ebenso anbieten wie die Abfall- und Abwasserentsorgung – ja, vielleicht werden sie sogar darüber hinausgehen, denn einmal im Gebäude angeschlossen, können sie leicht auch alle anderen Dienste anbieten: Gebäudemanagement und Sicherheit genauso wie Internetanschluss, Bankdienstleistungen oder Kabelfernsehen.
Literaturhinweise
ETZ Sonderheft, "Dezentrale Energieversorgung", Frühjahr 1999.
Brennstoff-Wärme-Kraft, Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure für Energietechnik und Energiewirtschaft, Bd. 51, 11/12 1999.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2000, Seite 84
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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