Klimapolitik. Naturwissenschaftliche Grundlagen, internationale Regimebildung und Konflikte, ökonomische Analysen sowie nationale Problemerkennung und Politikumsetzung.
Springer, Berlin 1996.
476 Seiten, DM 78,-.
476 Seiten, DM 78,-.
Ebenso komplex wie das Klima selbst scheint die Diskussion darüber zu sein. Ein Sammelwerk kann mithin wohl am ehesten einem so vielschichtigen Thema gerecht werden.
Der vorliegende Band basiert auf Gastvorlesungen im Wintersemester 1994/95 und im Sommersemester 1995 an der Universität Frankfurt am Main. Deren Ziel war ein interdisziplinärer Dialog mit Praxisbezug in Anbetracht des drohenden Klimawandels. So sind das vorliegende Buch und ein weiteres zur Energiepolitik entstanden.
Der Herausgeber Hans Günter Brauch hatte während des Projektes eine Lehrstuhlvertretung in Frankfurt am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften mit dem Schwerpunkt internationale Beziehungen inne; er ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Friedensforschung und Europäische Sicherheitspolitik und betreut mehrere Reihen einschlägiger wissenschaftlicher Publikationen. Den Anspruch der Interdisziplinarität hat er bei diesem Buch hervorragend eingelöst: Natur- und Geisteswissenschaftler, vom Studenten bis zum Professor, Ökonomen und Politiker liefern gleichermaßen Beiträge. Neueinsteiger bringen frischen Wind in die Debatte, ohne daß dabei die Argumente der Erfahrenen vergessen würden.
Klimapolitik ist schwierig, weil Kommunen, Länder und Staaten sich darüber jeweils gesondert wie auch untereinander einigen und dann innerhalb ihrer eigenen Strukturen Umsetzungsmöglichkeiten finden müssen. Immer wieder stellt sich heraus, daß es an Ideen und Handlungsvorschlägen nicht fehlt, aber das Beschlossene nur teilweise, zu langsam oder gar nicht realisiert wird. Auf kommunaler Ebene ist dabei dem Verkehr, der in der Bundesrepublik bis zu 40 Prozent des Kohlendioxid-Ausstoßes verursacht, besonders schwierig beizukommen.
Jeder weiß sich durch den Klimawandel bedroht und würde gern sehen, daß der jeweils andere anfängt zu handeln. Das scheinbar Einigende dieses globalen Problems, der Zwang zu gemeinschaftlicher Vorsorge, trägt den Nachteil schon in sich: Es ist möglich, Verantwortung abzuwälzen. Ein weiteres Hemmnis ist, daß in den Klimaschutz jetzt investiert werden muß, während der Nutzen sich erst viel später einstellt – und nicht mehr sein dürfte als die Vermeidung des Schlimmsten, bestenfalls die Erhaltung des Status quo.
Der schwarze Peter ist quer durch die Reihen verteilt und nicht bei einzelnen zu suchen. Die USA etwa erwiesen sich einst unter Präsident Jimmy Carter als richtungsweisend bei Bemühungen, die stratosphärische Ozonschicht zu retten. Aber nun hemmen sie globale Ansätze zur Verminderung der Kohlendioxid-Emissionen, weil sie sich weigern, auf Szenarien einer möglicherweise bevorstehenden Klimakatastrophe einzugehen – wegen deren wissenschaftlicher Unsicherheiten. Die Japaner gelten allgemein als Trittbrettfahrer; und die Europäische Union hat die Chance, eine CO2-Energiesteuer einzuführen, verpaßt. Dabei hätten gerade die Europäer, deren Beschlüsse ohnehin nur durch Kompromiß verschiedener Staaten zustande kommen, vorbildhaft demonstrieren können, wie man das macht. Die Entwicklungsländer schließlich bestehen nach wie vor darauf, ihren strukturellen und wirtschaftlichen Rückstand aufholen zu dürfen; das hat wesentlich dazu beigetragen, daß auf der Konferenz für Klima und Entwicklung der Vereinten Nationen 1992 in Rio de Janeiro keine internationale Waldkonvention verabschiedet wurde.
Ein Abschnitt des Buches ist naturwissenschaftlichen Simulationsmodellen sowie politischen Szenarien und deren Aussagekraft gewidmet. Obwohl diese Modelle aufgrund ihrer Komplexität und der Unsicherheit der Eingabedaten lediglich eine Bandbreite möglicher Ereignisse vorhersagen können, wäre ein Verzicht auf sie völlig unveranwortlich, denn bei aller Unsicherheit ist ihre Aussage alarmierend: Nur mit äußerst optimistischen Annahmen ergeben sie gerade noch tragbare Klimaentwicklungen. In Anbetracht dessen schockiert es, von Analysen zu lesen, welche die Kosten des Klimaschutzes dem zu erwartenden Nutzen gegenüberstellen und schlichtweg vorschlagen, die Menschen sollten sich lieber Klimaveränderungen anpassen, statt die Änderung abzuwenden zu suchen. Mehrere Autoren setzen sich kritisch mit diesem Konzept auseinander, das die technisch möglichen Fortschritte bei der Entwicklung alternativer Energien unterschätzt sowie die Gefahr sprunghafter Klimaänderungen und vor allem deren Irreversibilität nicht berücksichtigt. So wären unter Umständen bei einem Anstieg des Meeresspiegels tiefliegende Küstenregionen und kleinere Inselstaaten in ihrer Existenz bedroht (Spektrum der Wissenschaft, Juni 1997, Seite 80).
Eine gute Übersicht gibt das Buch über Klima-Konferenzen und -Organisationen. Der genannten Konferenz von Rio folgte die Vertragsstaatenkonferenz im Frühjahr 1995 in Berlin. Wissenschaftlich und beratend ist auf internationaler Ebene das von den Vereinten Nationen einberufene Intergovernmental Panel on Climate Change tätig. Dem entsprechen auf deutscher Ebene wohl am ehesten die beiden Enquete-Kommissionen des Bundestages, die von 1987 bis 1990 und von 1991 bis 1994 tagten.
In seinem abschließenden Beitrag vergleicht der Herausgeber das Klimadilemma der neunziger mit dem Sicherheitsdilemma der siebziger und achtziger Jahre. Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes ist nicht nur Gewaltminderung, sondern Überlebenssicherung geboten. Eine Klimakatastrophe läßt sich nicht national abwenden, sondern nur mit einem neuen Muster internationaler Ordnung. Nullsummenspiele wie im Zeitalter des kalten Krieges, bei denen alle Beteiligten versuchten, ihren eigenen nationalen Nutzen zu Lasten der anderen zu erhöhen, sind im Falle der Klimapolitik obsolet. Nun geht es um kooperative Maßnahmen, mit denen alle Betroffenen versuchen, gemeinsamen Nutzen zu ziehen.
Der Präsident der Republik Malediven, Maumoon Abdul Gayoom, sprach in seiner Eingangsrede zum Erdgipfel in Rio de Janeiro treffend von "schlimmsten Prophezeiungen" für das nächste Jahrhundert. Hoffen wir, daß Ninive auch dieses Mal gerettet werden kann.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1997, Seite 112
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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