Archäologie: Klischees mit Tradition
Gallien, das Land der dichten Eichenwälder voller Wildschweine, der Misteln schneidenden Druiden, der putzigen Dörfer mit ihren tapferen, geistig allerdings eher schlichten Bewohnern. Dieses gängige – und nach heutigem Wissen grundfalsche – Klischee Galliens verdankt sich nicht allein den Comics über die sympathischen Figuren Asterix und Obelix, vielmehr basiert die von ihren Schöpfern René Goscinny und Albert Uderzo kreierte Antike auf den Geschichtswerken ihrer Zeit. Allen voran der "Petite Lavisse", der 1885 in die Schulen kam und bis Ende der 1950er Jahre in Gebrauch war – eine um die Jahre 1934 bis heute erweiterte Neuauflage kam im September 2009 auf den Markt.
Sein Schöpfer Ernest Lavisse gehörte zu den einflussreichsten Intellektuellen der Dritten Republik (1871 – 1940). Als Professor an der Université Paris-Sorbonne und Mitglied der Académie française bestimmte der Historiker über akademische Laufbahnen und beeinflusste maßgeblich die Lehre in seinem Fachbereich. Um 1900 hatten bereits Millionen Schüler durch den "Petite Lavisse" gelernt, welches Glück Gallien im Grunde gehabt hatte!
Denn bis zur Niederlage des Vercingetorix in der Schlacht von Alesia 52 v. Chr. war es ein barbarisches Land gewesen. "Unsere gallischen Vorfahren wurden dann gezwungen, sich in das Römische Reich zu integrieren. Für die verlorene Freiheit gewannen sie Frieden und technischen Fortschritt, mit anderen Worten: Sie wurden zivilisiert." Diese offizielle Version der französischen Antike reflektiert den Kenntnisstand um das Jahr 1890, aber auch die Ideologie jener Epoche. Die Kolonialmacht Frankreich identifizierte sich eher mit dem römischen Imperium, das den Wilden mit Hilfe militärischer Stärke die Segnungen der Zivilisation brachte. Allenfalls bedauerte man, dass die Republik "kleiner als Gallien" war, da sie Elsass und Lothringen im Krieg von 1870 verloren hatte (war das gallisch?) – was nicht von Dauer sein sollte. ...
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