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Kometen und Planetoiden - Risiko für die Erde?

Manche der kleineren Himmelskörper im Sonnensystem kommen unserem Heimatplaneten mitunter recht nahe. Die Wahrscheinlichkeit, daß einer dieser hundert oder tausend Meter dicken Brocken eines Tages mit der Erde kollidiert, ist zwar äußerst gering, doch die Folgen wären katastrophal.

Muß die Menschheit darauf gefaßt sein, auf einen Schlag auszusterben ähnlich wie die letzten Dinosaurier? Die Wissenschaftler sind sich über den Grad dieser Gefährdung nicht einig. Einige halten es schlicht für undenkbar, daß in absehbarer Zeit ein Planetoid oder Komet auf die Erde stürzen könnte. Andere wiederum halten das Risiko, durch den Einschlag eines solchen Himmelskörpers ums Leben zu kommen, für größer als das, mit einem Flugzeug abzustürzen.

Dieses Problem untersuche ich seit Jahren und bin davon überzeugt, daß durchaus eine Gefahr besteht. Zwar ist ein großes Impakt-Ereignis unwahrscheinlich; doch sollte es wirklich geschehen, könnten die Zerstörungen die Vernichtung zumindest der Zivilisation, wie wir sie kennen, zur Folge haben.

Als das Planetensystem sich vor etwa 4,5 Milliarden Jahren aus einem riesigen Materiewirbel bildete, verklumpten das Gas und der Staub darin zunächst zu größeren Brocken. In der Folgezeit stießen diese sogenannten Planetesimale immer wieder zusammen und lagerten sich so nach und nach zu noch größeren Objekten zusammen, aus denen sich schließlich die Planeten entwickelten. Weil bei diesem Prozeß Gravitationsenergie in Wärme umgewandelt wurde, war die Erde zu Beginn eine glutflüssige Kugel, aus der leichtflüchtige Bestandteile wie Wasser, Kohlendioxid, Ammoniak und Methan verdampften. Erst nachdem das innere Sonnensystem weitgehend leergefegt war, ließ das Bombardement der Erde nach, so daß sie abkühlen und eine feste Kruste bilden konnte.

Doch im Sonnensystem waren noch genügend Planetesimale unterschiedlicher Zusammensetzung übrig, von denen viele im Laufe der Zeit mit der Urerde kollidierten. Mit ihnen gelangten auch wieder leichte chemische Verbindungen auf unseren Heimatplaneten, insbesondere Wasser, das bald drei Viertel seiner Oberfläche bedeckte. Fossilienfunde belegen, daß einfache Lebensformen unmittelbar nach Bildung der Meere entstanden.

Zwei Gruppen von Körpern aus solarer Urmaterie umkreisen noch heute die Sonne. Überwiegend zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter befinden sich die Planetoiden oder Asteroiden, die wie die erdähnlichen inneren Planeten einst glutflüssig waren und deshalb keine flüchtigen Substanzen wie zum Beispiel Wasser enthalten, sondern überwiegend aus Silicium, Kohlenstoff und Metallen bestehen. (Erst kürzlich haben Astronomen einige seltene Planetoiden entdeckt, in deren Gestein Kristallwasser eingeschlossen ist.)

In den Außenbereichen des Sonnensystems hingegen ziehen Kometen ihre Bahn, die dort bei Temperaturen um -260 Grad Celsius entstanden sind. Die meist locker zusammengeballten Klumpen enthalten überwiegend Verbindungen aus Wasserstoff, Kohlenstoff, Sauerstoff und anderen leichten Elementen. In ihnen ist gewissermaßen die solare Urmaterie aus Gasen und Staub eingefroren, weshalb man sie bisweilen als schmutzige Schneebälle bezeichnet.

Wie zahlreiche große Einschlagskrater belegen, sind auch in jüngster geologischer Zeit Himmelskörper von mehreren Dutzend bis zu einigen hundert Metern Durchmesser auf die Erde niedergegangen (Bild 1; siehe auch "Irdische Meteoritenkrater" von Richard A. Grieve, Spektrum der Wissenschaft, Juni 1990, Seite 108). Mindestens einmal wurde dabei eine fortgeschrittene Lebensform ausgelöscht und die Evolution des Lebens nachhaltig beeinflußt: Am Übergang von der Kreidezeit zum Tertiär vor etwa 65 Millionen Jahren löste ein gewaltiger Meteorit ein Massensterben aus, dem unter anderem alle damals existierenden Dinosaurier zum Opfer fielen; in der Folgezeit entwickelten sich die Säuger zur dominierenden Tiergruppe, aus der auch wir Menschen hervorgingen – als erste Spezies, die potentielle Gefahren aus dem All zu erkennen und womöglich Gegenmaßnahmen zu ergreifen vermag.


Kometen: Vagabunden im Sonnensystem

An der Universität Leiden (Niederlande) betreute der Astronom Jan H. Oort (1900 bis 1992) im Jahre 1950 eine Studentengruppe, der auch ich angehörte. Bei der Auswahl von Übungsaufgaben fiel ihm auf, daß einige der bekannten Kometen den sonnenfernsten Punkt ihrer elliptischen Bahn, das Aphel, erst in sehr großer Entfernung von unserem Zentralgestirn erreichen.

Dies brachte ihn auf die Idee, daß es zwischen etwa 20000 und 70000 Astronomischen Einheiten von der Sonne entfernt ein kugelschalenförmiges Reservoir um unser Planetensystem gebe, das möglicherweise zehn Billionen Kometenkörper enthalte. (Eine Astronomische Einheit ist die Entfernung von der Erde zur Sonne.) Weil diese Wolke damit etwa ein Viertel der Strecke zu Alpha Centauri, dem nächsten Stern, umfassen würde, wären diese Eis- und Staubbrocken nur schwach an das solare Schwerefeld gebunden, so daß sie leicht durch gravitative Störungen – verursacht etwa durch einen vorbeiziehenden Stern oder eine massereiche Molekülwolke – aus ihrer bisherigen Bahn geworfen werden könnten. Manche würden dadurch in das innere Planetensystem gelangen und auf eine elliptische Bahn um die Sonne einschwenken.

Jedesmal, wenn ein solcher Körper wieder in Sonnennähe kommt, verdampft ein Teil der leichtflüchtigen Substanzen, wodurch der Kern von einer diffusen Gas- und Staubwolke – der Koma – umgeben wird. Der Sonnenwind, ein unablässig von unserem Zentralgestirn ausgehender Partikelstrom, reißt diese Stoffe fort: Ein Schweif bildet sich, der das Sonnenlicht stark reflektiert und dem Kometen (von griechisch kome für Haar) sein typisches Aussehen gibt. Die Menschen vergangener Kulturen haben solche "Haarsterne" oft als Vorzeichen von Unheil gedeutet.

Ein zweites Kometen-Reservoir postulierte 1951 der niederländisch-amerikanische Astronom Gerard P. Kuiper (1905 bis 1973), damals am Yerkes-Observatorium der Universität Chicago (Illinois). Es sollte sich ihm zufolge sehr viel näher befinden als die Oortsche Wolke, gerade außerhalb der Umlaufbahn des Neptun, und eher gürtelförmig sein. David C. Jewitt und Jane X. Luu von der Universität von Hawaii entdeckten 1992 nach hartnäckiger Suche die ersten Objekte, die diesem Kuiper-Gürtel zuzurechnen sind (siehe ihren Artikel in Spektrum der Wissenschaft, Juli 1996, Seite 56). Bis jetzt sind schon 39 derartige Körper mit Durchmessern zwischen 100 und 400 Kilometern bekannt. Auch Pluto mit seiner stark elliptischen Umlaufbahn und einem Durchmesser von 2280 Kilometern gehört nach neuerer Sichtweise als größtes dieser Objekte dazu, ebenso wie sein etwa halb so großer Trabant Charon. Der Astronom Clyde Tombaugh, der Pluto 1930 als neunten Planeten entdeckte und der als nun Neunzigjähriger die Erkenntnisse der technisch weit fortgeschrittenen Astronomie verfolgt, nennt ihn neuerdings den "König des Kuiper-Gürtels".

Die Kometen aus diesem Reservoir werden hauptsächlich durch die Schwerkraft des Neptun beeinflußt. Diese kann ihre Bahnen entweder stabilisieren oder ebenfalls derart stören, daß sie in das Innere des Sonnensystems führen. Solche Kometen haben dann relativ kurze Umlaufzeiten. Aber auch jene, die aus der Oortschen Wolke stammen, können durch die Gravitationswirkung der großen Planeten auf enge Umlaufbahnen gelenkt werden; so ist beispielsweise nicht zu rekonstruieren, aus welchem der beiden Reservoirs der Komet Temple-Tuttle stammt, der alle 33 Jahre mit einer Geschwindigkeit von 72 Kilometern pro Sekunde die Sonne passiert.

Die meisten Körper aus der Oortschen Wolke, die in Sichtweite gelangen, haben berechnete Perioden von hunderttausend bis einer Million Jahren. Solche langperiodischen Kometen können deshalb nur ein einziges Mal beobachtet werden. Bei Umlaufzeiten von weniger als zweihundert Jahren spricht man von kurzperiodischen Objekten. Viele kehren in sehr regelmäßigen Abständen wieder wie zum Beispiel der Halleysche Komet mit einer Umlaufzeit von 75 Jahren; bei anderen wiederum verkürzt sich die Periode von Mal zu Mal.

Zwar ist die Wahrscheinlichkeit, daß ein Komet direkt auf die Erde trifft, sehr gering, doch werden immerhin die vorausberechneten Bahnen der Kometen Halley und Swift-Tuttle (dessen Periode beträgt 130 Jahre) im nächsten Jahrtausend recht nahe an ihr vorbeiführen. Je kürzer die Umlaufzeit eines Kometen, desto eher stellt er ein Risiko dar: Im statistischen Mittel könnte die Erde etwa alle drei Millionen Jahre mit einem kurzperiodischen Kometen kollidieren.

Die Folgen eines solchen Einschlags wären katastrophal. Die Bahnen von Kometen sind oft stark gegen die Erdbahn geneigt; manche bewegen sich sogar gegenläufig zu ihr. Darum passieren sie die Erde mit relativ hohen Geschwindigkeiten – Swift-Tuttle beispielsweise, der einen Durchmesser von etwa 25 Kilometern aufweist, mit 60 Kilometern pro Sekunde.

Sofern er nicht zuvor gegen ein Hindernis prallt, vermag ein Komet ungefähr 500 Sonnenumläufe lang aktiv zu bleiben, also Gas und Staub zu emittieren. Wenn die flüchtigen Bestandteile irgendwann aufgebraucht sind, verblaßt er zu einem unscheinbaren Objekt, das nicht von einem Planetoiden zu unterscheiden ist. Etwa die Hälfte der erdnächsten Planetoiden könnten solche ausgezehrten kurzperiodischen Kometen sein.


Planetoiden: Geschosse aus Stein und Eisen

Von Planetoiden scheint das größere Risiko auszugehen. Wie die ursprünglichen Kometenkörper in der Oort-Wolke und im Kuiper-Gürtel befinden sich die meisten gewöhnlich auf stabilen, annähernd kreisförmigen Bahnen um die Sonne. Weil es aber im Planetoidengürtel relativ viele von ihnen gibt, stoßen gelegentlich welche zusammen. Dabei können Trümmerstücke in instabile Umlaufbahnen gelangen, in denen sie in besonderem Maße der Schwerkraft des Jupiter ausgesetzt sind.

Dabei kommt es zur Resonanz, wenn die Umlaufzeiten des Fragments und des Riesenplaneten in einem ganzzahligen Verhältnis zueinander stehen. Wenn beispielsweise das Bruchstück in derselben Zeit, in der Jupiter gerade einen Umlauf vollendet, die Sonne dreimal umrundet, dann verstärkt sich sukzessive der gravitative Einfluß des Planeten. Etwa so, wie ein Kind auf einer Schaukel immer höher schwingt, wenn es von jemandem genau am Umkehrpunkt der Schaukelbewegung angestoßen wird, gerät ein Planetoid durch Jupiters rhythmisch wirkende Schwerkraft in eine immer exzentrischere Bahn.

Der Planetoid kann schließlich das Sonnensystem verlassen oder sich in Richtung der erdähnlichen Planeten bewegen. Im Mittel etwa alle zehn Millionen Jahre gerät ein großes Bruchstück auf diese Weise in das innere Sonnensystem und zieht dort etwa genauso lange ungestört seine Bahn, bevor es mit Mars, der Erde oder ihrem Mond, der Venus, Merkur oder auch der Sonne kollidiert.

Um die Wahrscheinlichkeit abzuschätzen, mit der ein solcher Irrläufer die Erde trifft, muß man die Größenverteilung der Planetoiden berücksichtigen. Die kleinsten astronomisch gerade noch beobachtbaren Körper sind nur wenig größer als zehn Meter; beim Eindringen in die Erdatmosphäre heizen sie sich durch die Reibung so stark auf, daß sie zerbrechen und weitgehend verdampfen. Nur relativ kleine Reststücke dringen bis zur Erdoberfläche durch und können lediglich dort Schaden anrichten, wo sie direkt auftreffen.

Planetoiden mit mehr als hundert Metern Durchmesser sind schon weit gefährlicher. Ungefähr 100000 Objekte dieses Kalibers gelangen auf ihren Bahnen tiefer in das innere Sonnensystem als bis zum Mars; man nennt sie deshalb erdnahe Planetoiden.

Am Morgen des 30. Juni 1908 drang ein derartiges Objekt – vermutlich eine lose Ansammlung von Silicaten von etwa 60 Metern Durchmesser – in die Erdatmosphäre ein und explodierte über der Steinigen Tunguska, einem Nebenfluß des Jenissej in Sibirien. Der Knall war noch in London wahrzunehmen. Ein Krater entstand nicht, doch die Druckwelle knickte im Umkreis von etwa 25 Kilometern sämtliche Bäume. Über die Ursache wurde jahrzehntelang wild spekuliert; ein winziges Schwarzes Loch mußte ebenso dafür herhalten wie ein abgestürztes außerirdisches Raumfahrzeug. Die Mehrzahl der Wissenschaftler schloß jedoch von Anfang an auf einen Kometen oder Planetoiden.

Ereignisse wie die Tunguska-Explosion könnten etwa einmal pro Jahrhundert auftreten – der Wahrscheinlichkeit nach meistens über einem Ozean oder einem unbesiedelten Gebiet. Doch falls sie sich über einem Ballungsraum ereigneten, wären sie verheerend: London beispielsweise würde mitsamt den Vororten völlig verwüstet.

Von den kleineren Planetoiden sind die metallhaltigen fest genug, um die Atmosphäre zu durchstoßen. Sie explodieren nicht in der Luft, sondern schlagen in den Erdboden ein. Der 1,2 Kilometer weite und 167 Meter tiefe Barringer-Krater im nördlichen Arizona ist ein Beispiel dafür (Bild 1). Er wurde von einem Eisenmeteoriten verursacht, der etwa 30 Meter Durchmesser hatte und vor etwa 50000 Jahren niederging.

Eine noch größere Gefahr bilden die 1000 oder 2000 mittelgroßen erdnahen Planetoiden mit etwa einem Kilometer Durchmesser. Alle 300000 Jahre könnte ein solcher Planetoid die Erde treffen. Aber dies ist nur ein statistischer Mittelwert. Ein solcher Einschlag kann jederzeit geschehen – im kommenden Jahr, in zwanzig oder vielleicht erst in einer Million Jahren.


Monatelange Finsternis

Die dadurch angerichteten Schäden lassen sich zwar abschätzen, doch ihr Ausmaß ist kaum vorstellbar. Die Bewegungsenergie E des auftreffenden Körpers ist proportional seiner Masse m und dem Quadrat seiner Einschlagsgeschwindigkeit v: E = 1/2 mv2. Nimmt man eine für Meteoriten typische Dichte von 3 Gramm pro Kubikzentimeter an und eine mittlere Geschwindigkeit von 20 Kilometern pro Sekunde, dann würde ein Objekt von einem Kilometer Durchmesser eine Bewegungsenergie von 3,14 × 1020 Joule freisetzen – entsprechend dem Äquivalent von 75 Milliarden Tonnen des Sprengstoffs TNT oder von vier Millionen Hiroshima-Bomben. Zwar würde in diesem Inferno keine radioaktive Strahlung frei werden, die bei den Opfern von Hiroshima und Nagasaki qualvolle Leiden verursachte; doch der Einschlag selbst und die Druckwelle würden mehr als einige wenige Städte oder Länder verwüsten. Die gesamte Biosphäre wäre tiefgreifend gestört, vergleichbar etwa dem Szenario eines nuklearen Winters: Riesige Staubwolken würden in die Atmosphäre geschleudert und die Sonne für lange Zeit verdunkeln – tiefe Finsternis, Temperaturen unter dem Gefrierpunkt und heftige Orkane wären die Folge. Urgewaltig wäre die globale Verheerung durch ein Objekt von etwa zehn Kilometern Durchmesser. Von dieser Kategorie gibt es immerhin etwa zehn Planetoiden, die in den erdnahen Bereich gelangen. Statistisch ist ungefähr einmal in 100 Millionen Jahren mit dem Einschlag eines derart großen kosmischen Geschosses zu rechnen. Offensichtlich hatte ein solcher Kataklysmus das Massensterben am Übergang von der Kreidezeit zum Tertiär vor etwa 65 Millionen Jahren ausgelöst. Der zugehörige Krater – eine inzwischen durch Sedimente aufgefüllte Vertiefung von 170 Kilometern Durchmesser am Rande der mexikanischen Halbinsel Yukatan – wurde nach jahrelanger Suche bei Ölbohrungen und mittels photographischer Aufnahmen vom amerikanischen Space Shuttle aus identifiziert. Um einen solch gewaltigen Krater zu schlagen, muß der Meteorit zwischen zehn und zwanzig Kilometer Durchmesser gehabt haben. Die damaligen Geschehnisse kamen einem Weltuntergang gleich: Ein gigantischer Feuerball fuhr nieder und ein brachialer Schlag erschütterte die Erdkruste, löste weltweit Erdbeben und verheerende Flutwellen – sogenannte Tsunamis – aus und schleuderte Unmengen von verdampftem Gestein sowie Staub und Felsbrocken bis in die obere Atmosphäre. Eine monatelange Dunkelheit senkte sich über die Erde, saurer Regen fiel hernieder, und der langsam absinkende Staub bedeckte den Boden mehrere Zentimeter dick. Fossilien von Dinosauriern und von drei Vierteln aller damals sonst existierenden Spezies lassen sich nur unter dieser Sedimentschicht finden; darüber fehlen sie. Vermutlich ist der Großteil der damaligen Fauna in einer verheerenden Kältewelle, die der Explosion anfänglich folgte, zugrunde gegangen. Bald erwärmte sich die Atmosphäre wieder – allerdings um bis zu 15 Grad, und dieser über Jahrhunderte anhaltende Treibhauseffekt muß ebenso lebensvernichtend gewesen sein. Der Planetoid hatte nämlich die Erde an einer empfindlichen Stelle getroffen, weil das Einschlagsgebiet eine mächtige Kalksteinschicht aufwies (weniger als zwei Prozent der Erdkruste enthalten vergleichbare Mengen Carbonat). Die Explosion verdampfte einen Großteil dieser Sedimente und setzte damit enorme Mengen Kohlendioxid frei, das gemeinsam mit anderen Treibhausgasen die Wärmestrahlung der Erde absorbierte. Wie Jan Smit von der Freien Universität in Amsterdam vermutete, ließ die starke Aufheizung der Atmosphäre und nicht die anfängliche Kälte die Dinosaurier aussterben – dies wäre mit dem paläontologischen Befund im Einklang, nach dem die spätkreidezeitlichen Arten dieser Riesenechsen nicht abrupt, sondern langsam eingingen.

Projekt Spacewatch

Noch einmal also – wie hoch ist das Risiko, daß die Erde erneut von einem solchen Inferno heimgesucht wird? Das läßt sich nur herausfinden, wenn man diejenigen Kometen und Planetoiden ausfindig macht, die sich auf Kollisionskurs befinden. Astronomen müssen dazu alle potentiellen Kandidaten entdecken und ihre Bewegungen über Wochen, Monate und Jahre verfolgen, damit sich ihre Umlaufbahnen mit hoher Genauigkeit in die Zukunft extrapolieren lassen.

Anfang der siebziger Jahre wurde ein 46-Zentimeter-Teleskop am Mount-Palomar-Observatorium in Südkalifornien zur photographischen Suche nach erdnahen Objekten eingesetzt. Eleanor Helin vom Jet Propulsion Laboratory in Pasadena (Kalifornien) sowie das Ehepaar Eugene und Carol Shoemaker vom Geologischen Dienst der USA leiteten jeweils eine Beobachtungsgruppe. Die Wissenschaftler photographierten jede Himmelsregion in halbstündigem Abstand. Erdnahe Planetoiden verraten sich auf diesen Aufnahmen durch ihre relativ rasche Bewegung vor dem Hintergrund der Sterne.

Später beteiligten sich auch andere Forscher an der Suche. Bei Siding Spring in den Bergen Ostaustraliens etwa wird eine Astrokamera mit 1,20-Meter-Spiegel eingesetzt. Die kalifornischen und die australischen Gruppen entdeckten allein 1994 auf ihren Himmelsaufnahmen 16 erdnahe Planetoiden. Am Ende jenes Jahres wurde das Palomar-Projekt eingestellt, weil mittlerweile anderwärts modernere Techniken zur Verfügung standen.

Bereits Anfang der achtziger Jahre hatten Robert S. McMillan von der Universität von Arizona in Tucson und ich abgeschätzt, daß es mit den herkömmlichen Beobachtungsverfahren mehr als hundert Jahre dauern würde, die mindestens 1000 Planetoiden mit mehr als einem Kilometer Durchmesser zu katalogisieren. Um mit leistungsstarken elektronischen Geräten schneller voranzukommen, wurde das Projekt Spacewatch begründet: Robert Jedicke, James V. Scotti, einige Studenten und ich nutzen nun regelmäßig ein 0,90-Meter-Teleskop am Steward-Observatorium der Universität auf dem Kitt Peak, 70 Kilometer westlich von Tucson, um neue Kometen und Planetoiden aufzuspüren; McMillans Team sucht damit nach Planeten, die andere Sterne umkreisen.

Als Detektoren verwenden wir nicht photographische Platten, sondern Charge-Coupled Devices (CCDs), bei denen die einzelnen lichtempfindlichen Elemente aus Halbleitermaterial bestehen. Fällt Licht darauf, werden je nach Intensität mehr oder weniger Elektronen freigesetzt. Dadurch entsteht ein der Helligkeitsverteilung entsprechendes Ladungsmuster, das von einer Elektronik Element für Element und zeilenweise in Spannungen umgewandelt wird. Die Signale der insgesamt mehrere hunderttausend schachbrettartig angeordneten Mini-Photodioden können so in digitaler Form auf Magnetband gespeichert oder als Videobild auf einem Monitor sichtbar gemacht werden. Ein Computer vergleicht anschließend mehrere Bilder derselben Himmelsregion, die zu unterschiedlichen Zeiten aufgenommen worden sind und markiert die Objekte, deren Position sich leicht verändert hat.

Auf diese Weise lassen sich in einer Nacht bis zu 600 Planetoiden registrieren. Die meisten befinden sich im Planetoidengürtel; nur gelegentlich bewegt sich ein Körper vor dem Sternenhintergrund so schnell, daß er sich in Erdnähe befinden muß. Im Jahre 1994 fand Scotti einen Planetoiden, der die Erde in nur 105000 Kilometern Abstand passierte. Insgesamt vermochte Spacewatch in jenem Jahr 77000 präzise Messungen der Positionen von Kometen und Planetoiden aufzuzeichnen. Außer militärischen und zivilen Organisationen der USA unterstützen derzeit 235 Privatpersonen und Wirtschaftsunternehmen das Projekt finanziell.

Diese gezielten Beobachtungen zeigten, daß es vierzigmal so viele kleine Planetoiden von etwa zehn Metern Größe gibt, als die Astronomen zuvor angenommen hatten; doch woher sie stammen, ist noch immer nicht bekannt. Diese Gruppe von Himmelskörpern haben wir Arjunas genannt – nach einem Prinz im Sanskrit-Epos "Mahabharata", dem der Gott Krishna vor einer entscheidenden Schlacht einschärft, nicht von seinem vorgezeichneten Weg abzuweichen.

Militärsatelliten liefern ebenfalls reiche Informationen über die Arjunas. Früher wurden diese Daten routinemäßig gelöscht; aber seit sie für wissenschaftliche Analysen gespeichert und freigegeben wurden, hat sich gezeigt, daß die Erde unablässig von kleinen Planetoiden bombardiert wird. Die irdische Lufthülle läßt diese Felsbrocken jedoch verglühen, ohne daß sie Schaden anrichten könnten. Der atmosphärelose Mond wird allerdings von gleichartigen Objekten förmlich zernarbt.

Demnächst soll für Spacewatch auch ein 1,80-Meter-Teleskop zur Verfügung stehen, mit dem sich noch lichtschwächere und fernere Objekte entdecken lassen. An der Cote-d'Azur-Sternwarte in Südfrankreich nimmt Alain Maury in Kürze ein Teleskop in Betrieb, das ebenfalls mit einem elektronischen Auswertungssystem bestückt ist. Auch Duncan Steel und seine Kollegen in Australien wechseln zu elektronischen Detektoren, wenngleich sie noch größere Finanzierungsprobleme haben als wir. Als nächstes wird dann wahrscheinlich das Lowell-Observatorium in der Nähe von Flagstaff (Arizona) unter Leitung von Edward Bowell mit CCDs ausgerüstet. Die US-Luftwaffe plant gleichfalls, eines ihrer Ein-Meter-Teleskope dafür einzusetzen; Eleanor Helin und ihre Mitarbeiter nutzen bereits eines auf der Insel Maui (Hawaii). Selbst Amateur-Astronomen, die ihre Teleskope mit elektronischen Detektoren versehen, können sich an dem Projekt beteiligen.


Abwehr einer kosmischen Bombe

Bis zum Jahre 2008 etwa sollten alle erdnahen Planetoiden katalogisiert und ihre Umlaufbahnen bekannt sein. Dann werden wir auch wissen, ob einer von ihnen sich auf Kollisionskurs mit der Erde befindet.

Was ließe sich in einem solchen Falle tun? Bei einer Vorwarnzeit von weniger als fünf Jahren gar nichts – außer auf einen glimpflichen Ausgang zu hoffen. Selbst wenn etwa zehn Jahre Zeit blieben, stünden die Chancen der Menschheit schlecht. Bei einer Frist von mindestens fünfzig Jahren könnte man eine Raumsonde starten und direkt neben dem Planetoiden detonieren lassen. Die in der Zeit des Kalten Krieges gebauten Interkontinentalraketen mit den stärksten Sprengköpfen könnten auf diese Weise ein kleines Objekt in ausreichendem Maße von seiner Bahn ablenken.

Vermutlich wird die Vorwarnzeit jedoch mehr als hundert Jahre betragen. Dann reichte selbst eine moderate chemische Explosion für eine Kursänderung aus, weil sie sich lange genug verstärkte, daß der bedrohliche Materiebrocken unseren Heimatplaneten verfehlen würde.

Die heutige Ziel- und Lenktechnik für Raketen ist weitgehend ausgereift. Einmal hörte ich sogar zwei Techniker darüber diskutieren, warum die Raumsonde "Pioneer 11" den Saturn erst mit 20 Sekunden Verspätung erreichte – nach einer Reise von immerhin sechs Jahren.

Mehr Überlegung würde das Vorbereiten der Explosion erfordern. Falls nämlich der Planetoid aus lockerem Material bestünde, würde ihn eine Detonation auf seiner Oberfläche zerstören. Dann könnte ein Schauer von Bruchstücken auf die Erde stürzen und größere Zerstörungen hervorrufen als die intakte Masse. Am wirkungsvollsten wäre in diesem Falle wohl, den Sprengsatz in einiger Entfernung zu zünden, damit die Druckwelle dem Planetoiden nur einen auslenkenden Impuls in der gewünschten Richtung gäbe. Radaranlagen und Teleskope sowie vermutlich einige Raumsonden würden benötigt, um zu ermitteln, wie sich der Planetoid zusammensetzt und wie er auseinanderbrechen könnte.

In ferner Zukunft wird sich die Menschheit vielleicht mit Laser- oder Mikrowellenkanonen wappnen. Weniger martialische Alternativen wie Sonnensegel und Reflektoren, die auf der Oberfläche des Planetoiden ausgesetzt werden und den Druck der Sonnenstrahlung nutzen, um ihn von seinem Kollisionskurs abzubringen, wurden ebenfalls vorgeschlagen. Einige wenige Forscher untersuchen sogar, ob sich Kernsprengkörper dazu eigneten, sehr massereiche Himmelskörper abzulenken, die unvermittelt aus den Tiefen des Raums auftauchen.

Kometen und Planetoiden ähneln in ihren Eigenschaften Shiva, dem sowohl furchterregenden als auch freundlichen Hindu-Gott, der vernichtet und wieder erzeugt: Sie trugen in der Frühzeit des Sonnensystems dazu bei, daß auf der Erde Leben entstehen konnte; aber sie löschten auch eine hochentwickelte Lebensform, die Dinosaurier, aus. Erstmals nun erlangen Erdbewohner die Fähigkeit, ein Ende in einem kosmischen Desaster vorherzusehen – und die Macht, diesen Zyklus von Vergehen und Entstehen zu durchbrechen.

Literaturhinweise

- Ursprung und Entwicklung der Asteroiden. Von Richard P. Binzel, M. Antonietta Barucci und Marcello Fulchignoni in: Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1991, Seiten 110 bis 117.

– Die Bedeutung der Asteroiden und Kometen für das frühe Sonnensystem. Von Hugo Fechtig in: Sterne und Weltraum, Band 31, Heft 12, Seiten 770 bis 774, Dezember 1992.

– Hazards Due to Comets and Asteroids. Herausgegeben von Tom Gehrels. University of Arizona Press, 1994.

– Rogue Asteroids and Doomsday Comets. Von Duncan Steel. John Wiley & Sons, 1995.

– Auf der Suche nach den kosmischen Bomben. Von Gunnar Radons in: Physik in unserer Zeit, Band 25, Heft 4, Seiten 181 bis 187, Juli 1994.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1996, Seite 92
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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