Kommentar: Abgestürzt
Bemannte wie unbemannte Raumfahrt stecken in der Krise.
Die Katastrophe weckte schmerzliche Erinnerungen. Als am 1. Februar die US-Raumfähre Columbia vom Himmel stürzte und sieben Astronauten in den Tod riss, mischten sich unter Schock und Trauer die ins Gedächtnis eingebrannten Bilder vom letzten Unglück der bemannten Raumfahrt: der Explosion des Spaceshuttles Challenger. Damals – fast auf den Tag genau 17 Jahre zuvor, am 28. Januar 1986 – kamen ebenfalls sieben Menschen ums Leben. Weitere 19 Jahre zuvor, am 27. Januar 1967, waren die ersten Opfer des US-Raumfahrtprogramms zu beklagen, als drei Astronauten in einer Apollo-Kapsel verbrannten.
Ist etwa die Zeit vier Wochen nach dem Jahreswechsel besonders risikoreich für bemannte Missionen? Spiegelt sich in der Spanne zwischen den Unglücken die mittlere Wirkungsdauer einer Managergeneration, die typische Halbwertszeit, mit der notwendiges Sicherheitsbewusstsein über vermeintliche Alltagsroutine zur verantwortungslosen Schlamperei zerfällt?
Solche Zahlenmystik ist gewiss abwegig. Jeder der genannten Unglücksfälle ist singulär, hat seine eigene Ursache. Rationale Erklärungen müssen her. Sie zu finden ist Sache der unabhängigen Untersuchungskommission. Hat wirklich beim Start ein vom Tank abgefallenes vereistes Stück der Isolation die linke Tragfläche der Raumfähre beschädigt? Führten Einsparungen bei der Qualitätskontrolle zu Sicherheitsmängeln? Spielte das verstärkte Auslagern von Managementaufgaben an externe Firmen eine Rolle? Sind die Raumfähren hoffnungslos überaltert? Der Abschlussbericht der Kommission wird es wohl zeigen. Danach muss die Nasa Konsequenzen ziehen: technische Modifikationen, Änderungen der Sicherheitsphilosophie, Veränderungen im Management, Wechsel der Auftragnehmer.
Es wird ebenfalls zu klären sein, ob die Katastrophe hätte vermieden werden können. Warum hat man die Besatzung nicht angewiesen, während ihrer Mission den Flügel der Raumfähre zu inspizieren? Gewiss, es hätte die wissenschaftlichen Arbeiten beeinträchtigt, weil ein oder zwei der Astronauten aus dem Shuttle hätten aussteigen müssen – aber es wäre technisch möglich gewesen, und es hätte Klarheit über das Ausmaß des Schadens verschaffen können.
Doch welche Optionen hätte es gegeben? Zuflucht in der Internationalen Raumstation ISS suchen? Das war unmöglich, weil sich Shuttle und Raumstation auf unterschiedlichen Umlaufbahnen bewegten. In der Raumfähre ausharren? Immerhin war die Columbia für eine Langzeitmission ausgerüstet, und die Raumfähre Atlantis hätte am 1. März zu einer regulären Mission starten sollen. Wäre also mit Atlantis ein Rettungsflug machbar gewesen? Die Nasa muss das beantworten.
Jedenfalls bedeutet das Columbia-Unglück einen herben Rückschlag für die bemannte Raumfahrt. Solange die Ursache nicht geklärt und beseitigt ist, bleibt es wohl beim Startverbot für die verbliebenen drei US-Raumfähren. Damit gerät aber auch der Zeitplan für den Ausbau und den Betrieb der ISS – ohnehin schon unter Geldmangel leidend – in weitere Bedrängnis. Die gegenwärtige Langzeitbesatzung der ISS ist indes nicht gefährdet: Sie kann jederzeit mit einer russischen Sojus-Kapsel zur Erde zurückkehren.
Das tragische Unglück lässt fast vergessen, dass auch die unbemannte Raumfahrt derzeit in einer Krise steckt, zumindest die europäische. Seit am 12. Dezember eine modifizierte Ariane 5 bei ihrem Start versagte, darf keine dieser Trägerraketen abheben. Daran scheiterte bereits die Rosetta-Mission, die eine Raumsonde zum Kometen Wirtanen bringen sollte.
Es sind schlechte Zeiten für neue Raumfahrt-Pläne.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2003, Seite 96
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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