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Unfrohe Weihnachtsbotschaft: Kommentar: Die Klonbabys der Raelianer



Wird eine neue Errungenschaft per Pressekonferenz mitgeteilt statt per Fachpublikation, ist immer Skepsis angebracht. Die Zweifel wachsen beträchtlich, wenn ein Labor die Erfolgsmeldung herausbringt, das an keiner der vorangegangenen Stufen der Entwicklung beteiligt war und obendrein die Einzelheiten der Forschung geheim hält.

Nach diesen Kriterien gibt es allen Grund, die Verkündung der von der Raelianer-Sekte gegründeten Firma Clonaid zu bezweifeln, dass am zweiten Weihnachtstag 2002 das erste geklonte Menschenkind per Kaiserschnitt entbunden worden sei. Freilich lässt sich die Behauptung der Clonaid-Chefin Brigitte Boisselier leicht überprüfen. Dazu genügt ein simpler Gentest. Er ist einfacher als ein Vaterschaftstest, da bei einem echten Klonbaby keine Vermischung von Erbgut stattgefunden hat: Die Kern-DNA von Mutter und Tochter stimmt entweder völlig überein oder nicht. Eine Grauzone wird es nicht geben. Allerdings hat die Sekte entgegen der ursprünglichen Ankündigung erst einmal den Test verweigert – auch bei einem weiteren angeblichen Klonbaby in den Niederlanden.

Im Moment tendiere ich zu der Auffassung, dass die Raelianer entweder Recht haben oder zumindest in gutem Glauben irrten. Sie hängen zwar abstrusen Wahnideen an, sind aber sicher nicht so dumm, sich vor der Weltöffentlichkeit unsterblich blamieren zu wollen. Und selbst wenn sich die beiden Klonbabys als Weihnachtsenten entpuppen, bleiben die Aussagen des italienischen Mediziners Severino Antinori, der behauptet, mit geklonten Embryonen mehrere Schwangerschaften etabliert zu haben.

Nehmen wir einmal an, dass zumindest einem der beiden Labors die behauptete Revolution gelungen ist, was folgt daraus für die Wissenschaft und die Wissenschaftsethik? Für die Biologie würde es bedeuten, dass das Klonen von Menschen erheblich einfacher ist als das von Schafen – schließlich brauchte es fast 300 Versuche, bis mit Dolly ein lebensfähiges Klonschaf geboren wurde. Das wäre überraschend, aber nicht undenkbar. Es stünde zudem im Einklang mit einem frappierenden Befund von Forschern an einer Fruchtbarkeitsklinik in São Paulo (Brasilien), die laut Presseberichten den halbierten (haploidisierten) Gensatz einer Körperzelle in eine entkernte menschliche Eizelle einschleusten und diese dann erfolgreich befruchteten. Die erschrockenen Forscher, die nicht damit gerechnet hatten, dass die auf derart unnatürliche Weise manipulierte Eizelle sich normal entwickeln würde, legten den Embryo erst einmal auf Eis, um die Angelegenheit zu überdenken.

Die ethische Debatte über das Klonen zu Fortpflanzungszwecken (von dem etwas anders gelagerten Problem des therapeutischen Klonens soll hier nicht die Rede sein) ähnelt der vor 25 Jahren ausgetragenen Diskussion zur In-vitro-Fertilisation (IVF). Heute wie damals gibt es eine Seite, die ein Recht auf Nachwuchs mit eigenen Genen einfordert, das mit allen zur Verfügung stehenden technischen Mitteln verwirklicht werden soll. Dagegen behaupten die Anhänger oft auf religiöse Überzeugungen gestützter strikter Moralvorstellungen, dass die menschliche Fortpflanzung ein Tabubereich sei, in den die Wissenschaft nicht eingreifen dürfe. In der Mitte stehen Forscher wie Rudolf Jaenisch vom Whitehead-Institut für biomedizinische Forschung in Cambridge (Massachusetts). Die gehen auf Grund der Erfahrungen mit Tierversuchen davon aus, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse noch nicht ausreichen, um reproduktives Klonen auch nur zu versuchen – die Risiken für das Kind seien viel zu groß (siehe Spektrum der Wissenschaft 1/2003, S. 94). Sollte Clonaid wirklich gesunde Klonbabys erzeugt haben, würde diesen Kritikern natürlich der Wind aus den Segeln genommen.

Ohne für die eine oder andere Seite Partei zu ergreifen, kann man feststellen, dass die schleichende Anpassung der Moralvorstellungen an das technisch Mögliche bisher immer denen Recht gegeben hat, die der Fortpflanzung so gut wie möglich nachhelfen wollen. Inzwischen kommen jedes Jahr tausende IVF-Babys zur Welt, und niemand regt sich mehr darüber auf.

Nun hat das Klonen gegenüber der normalen Reagenzglas-Befruchtung freilich die Besonderheit, dass Kind und Erbgutspender genetisch identisch sind. Das wirft zusätzliche ethische Probleme auf. Sie wurden in den Medien allerdings maßlos übertrieben. Zwei Menschen, die mit denselben Kern-Genen, aber zu verschiedenen Zeiten von verschiedenen Müttern geboren werden, sind beileibe nicht identisch. So unterscheiden sie sich in den – zugegebenermaßen wenigen – mitochondriellen Genen. Vor allem aber beeinflussen die Hormone, denen das Kind im Mutterleib ausgesetzt ist, spätere körperliche Eigenschaften und Persönlichkeitsmerkmale wie die relative Länge von Gliedmaßen oder die sexuelle Präferenz. Insofern werden Klone zwar ihrem einzigen Elternteil ähnlicher sein als normale Kinder oder Geschwister, aber nicht so ähnlich wie eineiige Zwillinge.

Ohnehin könnte sich dieses ethische Dilemma bald verflüchtigen. Sollte die in São Paulo gelungene Haploidisierung tatsächlich einen gangbaren Weg zu gesunden Embryonen eröffnen, dürfte es schon bald keinen Grund mehr geben, identisches Klonen als Fruchtbarkeitsbehandlung einzusetzen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Klonbabys in zehn Jahren schon wieder der Vergangenheit angehören. Mittels der Haploidisierung von Körperzellen wäre es möglich, unfruchtbaren oder auch homosexuellen Paaren zu Kindern mit dem gemischten Erbgut beider Eltern zu verhelfen. Damit werden die Raelianer (denen das Klonen als Grundlage ihrer Religion dient) und auch Anhänger der einen oder anderen etablierten Glaubensrichtung gewisse Probleme haben, aber rational denkende Menschen wohl nicht.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 2003, Seite 14
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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