Kommentar: Regime-Wechsel
Die Irak-Krise zeigt, wie sich Strukturen zur Konfliktbewältigung auflösen.
Pervers, aber simpel – so erscheint uns im Rückblick die Logik der nuklearen Abschreckung während des Kalten Krieges. Nicht weniger bedenklich, aber weitaus komplexer stellt sich die aktuelle sicherheitspolitische Lage dar. Denn mehrere zusätzliche Dimensionen haben das Regime der Rüstungskontrolle und der Krisenbewältigung verändert. Sie bedrohen die internationale Gemeinschaft nicht minder wie einst der Ost-West-Konflikt.
Art und Anzahl der Akteure:
Konfliktparteien sind nicht mehr nur Staaten, sondern auch nichtstaatliche Akteure wie Freischärler, Rebellen, Terroristen. Damit ist Rüstungskontrolle als stabilisierendes Instrument in ihren Grundzügen in Frage gestellt. Mit wem soll man verhandeln, mit wem Verträge schließen, wenn es keine ausreichend definierten Parteien gibt und sich ein Teil der Akteure außerhalb jeder völkerrechtlichen Konvention bewegt?
Terrorismus:
Fanatische Selbstmordattentäter bedrohen alle Nationen, alle Kulturen. Ihnen ist mit herkömmlichen Streitkräften nicht beizukommen – weder die Ausrüstung noch die veralteten Denkstrukturen eignen sich dazu. Versuche, durch Konfliktlösung dem Terrorismus die Basis zu entziehen, sind höchstens in Ansätzen zu erkennen.
Massenvernichtungswaffen:
Pakistan, Indien und Israel haben inzwischen Kernwaffen entwickelt. Weitere Länder streben dies an, wie der Irak, der Iran und Nordkorea. Selbst Japan behält sich – trotz leidvoller Erfahrungen mit Hiroshima und Nagasaki – eine nukleare Option vor. In Russland lagern zehntausende Tonnen von chemischen Waffen in zum Teil unzureichend gesicherten Arsenalen; ihre Vernichtung geht nur schleppend voran.
USA:
Die Regierung unter George W. Bush hat einen dramatischen Wechsel der US-Sicherheitsdoktrin beschlossen – und das bereits vor den Ereignissen des 11. September 2001. Demnach soll die militärische Überlegenheit der USA weiter ausgebaut werden. Internationale Verträge, die eigene Rüstungsprojekte behindern könnten, wurden gekündigt, neue Abkommen blockiert.
Was gegenwärtig in der Golfregion passiert, ist ein kompliziertes Geflecht aus diesen Faktoren – wobei noch weitere hinzukommen wie die Ausdehnung geopolitischer Interessensphären, die Bewahrung der israelischen Überlegenheit in der Region und der Zugriff auf die Ölfelder des Iraks. Mit Terrorismusbekämpfung hat der Aufmarsch der US-Truppen absolut nichts zu tun. Für die anfängliche Argumentation, Saddam Hussein unterstütze El Kaida, gibt es keinerlei Belege.
Vordergründig geht es nun darum, die Produktion von Massenvernichtungswaffen zu verhindern. Doch auch die Dossiers, mit denen verbotene Aktivitäten des Iraks bewiesen werden sollten, enthielten außer längst Bekanntem nur Spekulationen. Allein die Inspektoren der Vereinten Nationen und der Internationalen Atomenergiebehörde können hier Klarheit schaffen. Und dem UN-Sicherheitsrat muss es vorbehalten bleiben, die Befunde nach sachlichen Kriterien zu bewerten.
Wenn die internationale Gemeinschaft einen Rest an verbindenden und verbindlichen Strukturen zur Konfliktbewältigung erhalten will, dann dürfen militärische Aktionen nur als letztes Mittel zur Durchsetzung stabilisierender Maßnahmen und nur unter UN-Mandat durchgeführt werden.
Zwar ist ein Regimewechsel im Irak aus vielerlei Gründen wünschenswert. Doch ihn militärisch von außen erzwingen zu wollen unter falscher Legitimation, wäre nur schwer in Einklang zu bringen mit den mühsam erarbeiteten Prinzipien des Völkerrechts. Wenn die demokratisch-freiheitliche Welt glaubwürdig bleiben will, darf sie keine Bomben werfen, sondern muss mit Vernunft und Diplomatie zu einem gemeinsamen System der Rüstungskontrolle zurückkehren.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 2003, Seite 82
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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