Kommunale Abfallbilanzen
Das deutsche Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz ist nach dem Leitbild entstanden, Stoffströme weitgehend zu schließen; bis zum Jahr 2000 sollen 15 Prozent mehr Siedlungsabfälle vermieden und 20 Prozent mehr verwertet werden. Wie sich das Gesetz jedoch auf die tatsächliche Entwicklung der Abfallmengen und -ströme auswirken wird, ist noch nicht sicher absehbar. Kritik entzündet sich vor allem an der Absicht, die Abfallströme zu deregulieren; denn dies bedeutet letztlich, daß nicht mehr kontrolliert werden kann, was daraus wird.
Um zu analysieren, wie sich die geänderten Bedingungen auf Stoffwege und Verbleib von Siedlungsabfall auswirken, haben sich Wissenschaftler des Geographischen Instituts der Ruhr-Universität Bochum und der Firma UC Umwelt Consulting, die im Zentrum für Entsorgungstechnik und Kreislaufwirtschaft, Hattingen, angesiedelt ist, zu einem Forschungsverbund zusammengeschlossen; gemeinsames Ziel war es, anhand der kommunalen Abfallbilanzen die Mengen und Entsorgungsstrukturen im Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) darzustellen und auszuwerten. Inzwischen liegen Daten von 1994 bis 1996 vor.
Das Umweltministerium in Nordrhein-Westfalen fordert von den Kommunen jährliche Bilanzen über Art, Menge und Verbleib der entsorgten Abfälle und Wertstoffe. Es will überprüfen, ob die abfallwirtschaftlichen Ziele des Landes erfüllt werden. Nach unseren Erhebungen traf das für den Beobachtungszeitraum im Durchschnitt aller Kommunen im KVR zu: 35 Prozent aller Siedlungsabfälle und Wertstoffe wurden recycliert, 30 thermisch verwertet und 35 deponiert.
Die Bilanzen der Kommunen waren allerdings oft lückenhaft und ungenau, so daß sich keine Aussage darüber machen ließ, ob und wieviel Abfall tatsächlich vermieden worden ist. Bei den Angaben zur Verwertung wurde zum Beispiel häufig nicht der tatsächlich verwertete Anteil des Abfalls angegeben, sondern die Gesamtmenge, die etwa einer Verwertungsanlage zugeführt wurde. Die darin noch enthaltenen Störstoffe, die wieder anderweitig entsorgt werden müssen, wurden somit als stofflich verwertet bilanziert.
Oft fehlten Angaben zu Entsorgungswegen oder -anlagen. Abfälle, um die sich private Entsorger kümmern, tauchten in der kommunalen Statistik überhaupt nicht auf. In einigen Fällen wurden zu geringe Deponie- oder Verbrennungskapazitäten angegeben. Ferner traten Rechenfehler und widersprüchliche Mengenangaben auf. Weil nicht alle Entsorgungsanlagen mit Wiegevorrichtungen versehen sind, wurde die Abfallmenge oft nach Volumen oder nach der Anzahl der Lieferfahrzeuge ermittelt. Schließlich ist nicht auszuschließen, daß das Personal an Entsorgungsanlagen angelieferte Abfälle subjektiv unterschiedlich kategorisierte und Abfallarten fehlerhaft zuordnete.
Auf der Grundlage der verfügbaren statistischen Daten zum Abfall- und Wertstoffaufkommen und zur Entsorgungssituation im KVR haben wir im Forschungsverbund mit dem Programm "Audit", entwickelt von der Audit Software GmbH, ein digitales Stoffstrommodell entwickelt. Die benötigten Daten und Zeitreihen liegen bei den jeweiligen Abfallbehörden tabellarisch vor. Anhand einer – jährlich einfach fortschreibbaren – Darstellung in Form von Stoffstromdiagrammen läßt sich ein schneller Überblick über die Abfallmengen und die Entsorgungsstruktur eines Raumes gewinnen; qualitative und quantitative Veränderungen sind schnell zu erkennen. Einen Eindruck von den Möglichkeiten vermittelt die Abbildung, in der beispielhaft die Abfälle der alten Montanstadt Bochum und des ländlich geprägten Kreises Unna dargestellt sind.
Aus ökologischen wie ökonomischen Gesichtspunkten ist es sinnvoll, regionale Kooperationen anzuregen und zu fördern, um Stoffströme zu reduzieren und Entsorgungsanlagen noch besser zu nutzen. Auch hierbei kann die von uns entwickelte digitale Erfassung und Aufarbeitung der Abfallbilanzen eine wertvolle Hilfestellung leisten, da sich die Resultate von Lenkungsmaßnahmen vorab simulieren lassen. Ferner kann man die Bestandsaufnahme als Grundlage für vertiefende Stoffstromanalysen nutzen, die beispielsweise einzelne Abfallarten oder -gruppen unter regionalen Aspekten erfassen. Mit dem Werkzeug ist es auch möglich, die Entsorgung mit einer Kostenbetrachtung der Transportwege oder der dadurch entstehenden Emissionen zu verknüpfen.
Durchschnittlich liegen die Gesamtabfall- und Wertstoffmengen aller Kommunen im KVR bei 1040 Kilogramm pro Einwohner und Jahr. Es bestehen jedoch erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Gemeinden. So kommt Dortmund auf 610, Hamm hingegen auf 1660 Kilogramm pro Einwohner und Jahr. Den größten Anteil hat der von den Kommunen erfaßte Bauschutt. Die Mengen anderer Abfallarten hängen von der Anzahl der Gewerbebetriebe, der Infrastruktur und der Ausgestaltung der kommunalen Satzungen ab – aber natürlich auch davon, wie sehr man sich um Müllvermeidung bemüht. Zwischen der Bevölkerungsdichte und den Abfallmengen war hingegen keine eindeutige Kausalität festzustellen.
Am Beispiel der Müllverbrennung wird deutlich, daß der Kostenfaktor Transport in der Abfallentsorgungswirtschaft nur eine untergeordnete Rolle spielt. So lohnt es sich für Bochum, den Abfall bis nach Leverkusen zu transportieren, wo er – trotz freier Kapazitäten im nahegelegenen Rohstoffrückgewinnungszentrum in Herten – kostengünstiger verbrannt wird.
Die von uns ermittelten Fehlerquellen und die Defizite bei der Erfassung der Abfallmengen geben Anlaß zu der Forderung, die Erhebung der Primärdaten und die Darstellung der kommunalen Abfallbilanzen methodisch zu standardisieren. Qualitative Verbesserungen können vermutlich recht schnell durch Weiterbildungsmaßnahmen und den Einsatz einer geeigneten EDV erreicht werden.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1998, Seite 84
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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