Kommunikationstraining gegen menschliches Versagen im Cockpit
Fehler der Flugzeug-Besatzung sind für mehr als zwei Drittel der Unfälle in der zivilen Luftfahrt mitverantwortlich. Unterstützung der Piloten durch automatische Systeme allein schafft noch keine Abhilfe. Psychologen setzen deshalb auf Verbesserung der Teamarbeit.
Runter kommen sie immer – der Branchenspruch drückt nur zynisch aus, welch hohe Verantwortung das Führen eines Passagierflugzeugs bedeutet. Zu jedem Zeitpunkt müssen Kapitän und Copilot imstande sein, eine Vielzahl von Informationen über den Zustand der Maschine und die Flugsituation aufzunehmen und rechtzeitig die angemessenen Entscheidungen zu treffen. Zu oft sind die Folgen tödlich, wenn der Überblick verloren geht.
So kamen zehn Menschen ums Leben, als 1978 eine DC-8 der amerikanischen Gesellschaft United Airlines mit 189 Menschen an Bord beim Anflug auf Portland (Oregon) abstürzte. Nach Ausfahren des Fahrwerks hatte eine Kontrollanzeige nicht aufgeleuchtet. Die Crew beschloß, in einer Warteschleife die Störung zu überprüfen. Dabei ging der Treibstoff zur Neige. Der Flugkapitän war aber so mit der Fehlersuche beschäftigt, daß er die mehrfachen Warnungen des Bordingenieurs nicht wahrnahm. Als er schließlich reagierte, war es zu spät: Kurz vor der Landebahn fielen alle vier Triebwerke aus, und das Flugzeug ging in einem bewaldeten Gebiet nieder. Die anschließende Untersuchung ergab, daß lediglich die Kontrollanzeige defekt gewesen war.
Dieser noch relativ glimpflich verlaufene Absturz bestätigte nur einmal mehr, was eine damals gerade laufende Untersuchung der amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde (NASA) ergab: Seit Einführung der technisch sehr zuverlässigen Düsenflugzeuge gegen Ende der fünfziger Jahre hatte in mehr als 70 Prozent der Unfälle menschliches Versagen mitgespielt, meist begründet in mangelhafter Kommunikation, Zusammenarbeit, Führung und Entscheidung.
Die Luftfahrtindustrie war aufgeschreckt. Gut ausgebildete und technisch erfahrene Besatzungen konnten demnach allein wegen ungenügender sozialer Fähigkeiten versagen – bei Abstimmungen untereinander, die so selbstverständlich erscheinen, daß sie damals weder in der Ausbildung noch in der Beurteilung von Piloten von einer Luftfahrtbehörde berücksichtigt wurden.
In der Folge entstanden Programme, die bei der Flugausbildung vor allem Teamarbeit und Führung trainieren und als Crew Resource Management (CRM) bezeichnet werden. Zum Großteil konzentrieren sie sich auf die Cockpit-Besatzungen, also auf Kapitän, Copilot und – bei nicht mit intelligenter Technik teilautomatisierten Maschinen – Bordingenieur. Weil deren Ausbildung in den USA recht unterschiedlich verlau-fen kann, während beispielsweise in Deutschland 90 Prozent der Lufthansa-Piloten direkt nach dem Abitur die unternehmenseigene Verkehrsfliegerschule besucht, bestand dort besonders hoher Bedarf an psychologischer Schulung; amerikanische Luftfahrtgesellschaften hatten deshalb bei der Entwicklung von CRM eine Vorreiterrolle.
Einige Programme beziehen auch Stewardessen und Stewards, Fluglotsen und anderes Dienstpersonal mit ein, denn auch diese Berufsgruppen tragen Mitverantwortung für die Flugsicherheit. Dies kommt in aktuellen Ausschreibungen von CRM zum Ausdruck, das zunächst als Kürzel für Cockpit Resource Management stand.
Aus Fehlern lernen
Teamarbeit ist so wichtig, weil sie Redundanz schafft – eine Person kann etwas bemerken, was der oder den anderen entgeht. Freilich muß dieses Wissen auch ausgetauscht werden. Spezielle Kurse vermitteln, wie Zusammenarbeit helfen kann, die Grenzen der individuellen Belastbarkeit zu überwinden, insbesondere unter Stress alle wesentlichen Informationen aufzunehmen und die richtigen Entscheidungen zu fällen.
CRM basiert auf der Sozial-, Kognitions- und Organisationspsychologie sowie auf Untersuchungen zur Interaktion von Mensch und Maschine. Das Training ist jeweils auf die Eigenheiten einer Fluggesellschaft zugeschnitten. Diese analysiert – gewöhnlich mit Hilfe von externen Fachleuten – zunächst ihre betrieblichen Strukturen, um Problemfelder aufzuspüren. So enthüllt das Befragen der Piloten nach ihrer Einstellung zur Unternehmenskultur häufig schon Usancen, welche die Flugsicherheit gefährden können. Beobachtungen des Verhaltens der Crew auf Routineflügen ergänzen das Bild.
Fehlerberichte geben meist tiefergehenden Aufschluß über spezifische Probleme. Eine Fluggesellschaft, die freimütigen Erfahrungsaustausch ohne persönliche Konsequenzen angeboten hatte, erhielt im Laufe von 21 Monaten mehr als 5000 Berichte. Die Analyse ergab, daß diese hohe Zahl nicht besondere Sicherheitsmängel anzeigte, sondern lediglich verdeutlichte, wie viele Fehler während eines normalen Flugs auftreten, aber erkannt und ohne weitere Folgen korrigiert werden.
Ein typisches CRM-Training beginnt mit einem Seminar, in dem Hintergrundwissen zur Gruppendynamik, zur Natur von menschlichen Fehlern und zur Problematik der Mensch-Maschine-Interaktion vermittelt wird. Die Cockpit-Besatzungen arbeiten dann Unfallberichte durch, aus denen die Bedeutung der kooperativen Kommunikation klar hervorgeht (siehe dazu auch den Kasten auf Seite 70). Ein dabei häufig zitiertes Beispiel ist der Absturz einer Boeing 737 der Air Florida nahe des Washington National Airport im Jahre 1982: Beim Start waren sowohl die Tragflügel als auch ein Sensor vereist, so daß der Geschwindigkeitsmesser zu hohe Werte anzeigte; demzufolge gaben die Piloten zu wenig Schub. Wie die Aufzeichnungen der Gespräche an Bord dokumentierten, vermutete der Erste Offizier zwar Probleme mit Instrumentenanzeige und Schubkraftregulierung, teilte seine Bedenken aber nicht deutlich und nachdrücklich mit. Kurz nach dem Start überzog das Flugzeug und stürzte auf eine Brücke über den Potomac (Bild 1).
Unfälle sind auch die Grundlage vieler Szenarien, mit denen Piloten in Flugsimulatoren konfrontiert werden. Solche Übungen sind Teil des jährlichen Trainings, das die Grundideen des CRM praktisch untermauern soll.
Moderne Simulatoren bestehen aus einem kompletten Cockpit mit funktionierenden Instrumenten und Bedienelementen, vermitteln das Gefühl von Bewegung und stellen die Sicht durch die Fenster dar. Weil es aber nicht um Training oder Beurteilung des fliegerischen Könnens geht (solche Simulatorsitzungen müssen Piloten im Halbjahresabstand absolvieren, um die Fluglizenz zu behalten), werden nicht nur Gefahrensituationen, sondern alle Prozeduren eines gewöhnlichen kompletten Linienflugs nachgestellt, angefangen beim Ausfüllen der üblichen Formulare. An einem solchen Line Oriented Flight Training (LOFT) nimmt deshalb zumindest die Cockpit-Besatzung vollzählig teil. Die Übung leitet ein Ausbilder, der speziell für die Analyse von Gruppenverhalten geschult ist; er übernimmt zudem die Rolle von Fluglotsen und Flugbegleitern (Bild 2).
In einer Sitzung kann der Simulator beispielsweise auf einen Triebwerksschaden programmiert sein, damit zu erkennen ist, ob die Crew etwa auf dieses Problem fixiert bleibt und andere kritische Faktoren wie Treibstoffmenge oder Wetterverhältnisse außer acht läßt. Weniger dramatisch wäre der Ausfall der Toiletten kurz nach dem Start, erfordert aber Umsicht: Weil die Tanks noch fast voll sind, ist sofortige Umkehr nur möglich, wenn Treibstoff abgelassen wird; Fortsetzen des Fluges wie geplant setzt die Passagiere ziemlichem Ungemach aus, und Zwischenlanden ist vielleicht nicht ohne weiteres möglich.
Alle Besatzungsmitglieder sollen den Ablauf eines Fluges vollständig erfassen und eventuell aufkommende Bedenken mitteilen können. Weil das Abschneiden im Trainingsseminar nicht in die Leistungsbeurteilung der Mitarbeiter eingeht, sind die Teilnehmer ermutigt, sich probeweise anders zu verhalten als stets zuvor; so kann sich etwa ein eher autoritärer Flugkapitän daran gewöhnen, den Copiloten öfter um Rat zu fragen. Wichtig ist die abschließende Besprechung samt Durchsicht der mitgeschnittenen Videoaufnahmen sowohl auf Schwachpunkte als auch auf situationsgerechtes Reagieren.
Der Computer als Besatzungsmitglied
Als die NASA vor einigen Jahren den Informationsaustausch der Piloten in einer weitgehend mit Computern ausgestatteten Boeing 737 und den in einer weniger automatisierten Version verglich, stellten die Experten verwundert fest, daß das Eintippen von Daten und ähnliche Verrichtungen die Zeit zur Flugvorbereitung verdreifachte und die zahlreichen zusätzlich verfügbaren Informationen die Kommunikation verdoppelten. Deshalb ist auch die Interaktion der Piloten mit der Geräteausstattung eines modernen Cockpits (Spektrum der Wissenschaft, März 1984, Seite 38, und September 1991, Seite 68) ein Thema der CRM-Schulung.
Tatsächlich hat die Automatisierung der Flugsysteme – von der Navigation bis zur Landung – keineswegs wie erhofft gegen Fehler gewappnet. Selbst modernste Linienflugzeuge verunglückten, weil die komplexe Technik nicht richtig genutzt oder verstanden wurde, und Bordcomputer können mitunter verwirrende Daten liefern. In unseren Untersuchungen haben wir oft Bemerkungen gehört wie "Was macht der denn jetzt?" oder "Und was kommt als nächstes?" Zudem darf nicht vergessen werden, daß auch als "intelligent" oder "smart" gepriesene Systeme noch manche unangemessenen Befehle der Besatzung getreulich ausführen – mit zuweilen tragischen Folgen.
Des weiteren ist es schwer, während eines langen Fluges gespannt aufmerksam zu bleiben, wenn der Autopilot die Maschine steuert. Ich empfehle, gegen die aufkommende Langeweile anzugehen, indem man miteinander redet oder die Systeme prüft.
Die sich beiläufig ergebende gegenseitige Kontrolle ist in modernen Flugzeugen besonders wichtig. In älteren, scherzhaft "Jurassic Jets" genannten Maschinen sind Steuereingaben zur Höhen- oder Geschwindigkeitskorrektur für den anderen unmittelbar ersichtlich. Im vollautomatisierten Cockpit tippt man solche Befehle einfach auf einer Tastatur ein (Bild 3). Das kann der zweite Mann kaum verfolgen. Idealerweise sollte deshalb jede Computereingabe auch angesagt werden.
Die Automatisierung kann das Arbeitspensum der Piloten gerade dann erhöhen, wenn sie im überfüllten Luftraum eines Flughafens auf den übrigen Verkehr achten und sich auf die Navigation konzentrieren. So erfordert ein vom Fluglotsen vorgeschriebener Wechsel der Landebahn unter Umständen langwierige Eingaben in den Bordcomputer zur Neuberechnung von Geschwindigkeit, Richtung und Höhe. Als mitfliegender Beobachter sah ich, wie beide Piloten in einer solchen Situation nach unten auf die Konsolen schauten, obwohl der Flughafen durch das Fenster deutlich zu sehen war. Sie hätten besser manuell landen und derweil die anderen Maschinen im Auge behalten sollen.
Das CRM-Training lehrt, das automatisierte System gleichsam als zusätzliches Besatzungsmitglied zu betrachten, das seine speziellen Stärken und Schwächen hat. Im Flugsimulator kann man die Piloten überdies mit Situationen konfrontieren, die sich kaum richtig einschätzen und in den Griff bekommen lassen, ohne den Computer abzuschalten.
Kulturelle Unterschiede
Der psychologische Ansatz des Crew Resource Management reicht aber noch weiter. Eine Crew trägt sozusagen Verhaltensmuster dreier Kulturen in sich – die der Berufsgruppe, der Fluglinie und ihres Heimatlandes. Ashleigh C. Merritt aus unserem Team hat mit einer Untersuchung derartiger Einflüsse an der Universität von Texas in Austin promoviert.
Demnach ist vor allem das Berufsbild prägend – beispielhaft durch den krassen Individualismus illustriert, wie der amerikanische Autor Tom Wolfe ihn in seinem Buch "The Right Stuff" schildert (der unter dem Titel "Die Helden der Nation" deutsch bei Droemer Knaur erschienene Roman beschreibt das Leben der Testpiloten, die als erste die Schallmauer durchbrachen, und das der ersten Astronauten). Piloten sind meist nicht nur auf ihre besondere Stellung stolz, sondern neigen häufig auch dazu, Schwäche unter Stress vor sich selber zu leugnen; sie wollen nicht eingestehen, daß Übermüdung und plötzliche Gefahrensituationen ihr Denkvermögen einschränken und die Reaktionsfähigkeit herabsetzen. So wird das Rollenbild des einsamen, unfehlbaren Fliegers verinnerlicht, der heldenhaft gegen die Unbilden der Natur kämpft. Das CRM-Training geht dagegen an, indem es die Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit und die Unvermeidbarkeit von Fehlern aufzeigt, um so tiefverwurzelte Verhaltensmuster aufzubrechen. Die Piloten sollen erkennen, daß ein Team hohe Belastung und ein umfangreiches Arbeitspensum besser bewältigt als ein Einzelkämpfer.
Die Unternehmenskultur fördert oder beeinträchtigt ebenfalls die Sicherheit. Das Training wird individuelle Einstellungen nur dauerhaft ändern, wenn sich die jeweilige Fluggesellschaft den Leitgedanken des CRM verpflichtet fühlt. Deshalb konzentrieren sich die Berater zunächst auf die Analyse der Unternehmenspolitik und der Managementgrundsätze.
Beispielsweise war es bei der kanadischen Air Ontario lange üblich gewesen, daß die Piloten beim Abflug mit einem Blick aus dem Fenster die Tragflügel auf auftriebreduzierenden Eis- oder Schneebelag prüften, sobald 80 Knoten erreicht waren (ein Knoten entspricht einer Seemeile, also 1,852 Kilometer, pro Stunde). Weil die Turboprop-Flugzeuge bei 90 bis 100 Knoten abhoben, blieb genug Zeit, den Start gegebenenfalls abzubrechen. Diese keinem Standard entsprechende Kontrolle bewährte sich, da sich die geraden Tragflügel dieser Maschinen vom Cockpit aus gänzlich überblicken ließen. Anders die heckwärts angewinkelten von Jets; zudem fördert starke Kühlung des Treibstoffs in deren Flügeltanks die Eisbildung. Bereits das erste Düsenflugzeug der Gesellschaft, eine Fokker F-28, verunglückte 1989 nach dem Start mit Eis an den Tragflügeln in einem heftigen Schneesturm.
Ashleigh Merritts Auswertung der Berichte von mehr als 13000 Piloten aus 16 Ländern zeigte schließlich, daß die Crews – entgegen einer verbreiteten Meinung – sich auf technisch identische Systeme nicht mit gleichen Handlungsmustern einstellen. Vielmehr gibt es nationaltypische Unterschiede in den Vorstellungen, welche Dominanz einem Flugkapitän und welche Rolle den übrigen Besatzungsmitgliedern angemessen sei, sowie in der Art und Weise, wie sie generelle Regeln und spezielle Vorschriften befolgen. Piloten aus Ländern mit ausgeprägten hierarchischen Traditionen tun sich oft schwer mit dem Teamgeist; von denen aus einem asiatischen Land wäre nur etwa jeder dritte damit einverstanden, daß sich rangniedere Crewmitglieder kritisch zu Sicherheitsmaßnahmen äußern, hingegen sind es von jenen aus einem westlichen Land fast alle. Piloten aus sehr autoritätshörigen Gesellschaften empfinden gegenüber ihrem Arbeitgeber auch deutlich stärker eine Verpflichtung, die teure Technik zu nutzen, schalten also den Autopiloten seltener ab.
Das Flugpersonal einiger Länder wie Taiwan und Brasilien bevorzugt streng geregelte Abläufe und läuft deshalb mitunter Gefahr, den Bordrechnern und Automatiken allzu zu stark zu vertrauen. Demgegenüber setzen Angelsachsen mehr auf ihre eigenen Fähigkeiten und sind bereit, mitunter sinnvolle Direktiven zu umgehen oder zumindest ihre Freiräume auszuschöpfen. Gleichwohl war der Großteil der befragten Piloten – welcher Herkunft auch immer – überzeugt, die Technik effektiv einzusetzen und zu wissen, wie der Copilot einzubeziehen sei.
Es dürfte wohl in keiner Landeskultur die optimale Crew geben, die strikt auf Teamarbeit und einen beratenden Führungsstil ausgerichtet ist, so daß untergeordnete Offiziere Informationen ungezwungen weitergeben und Handlungsalternativen vorschlagen können. Eine ideale Besatzung würde so lange wie möglich an den vorgeschriebenen Verhaltensweisen festhalten, aber ihrem Urteilsvermögen entsprechend im Interesse der Sicherheit gegebenenfalls von diesen Regeln abweichen. Die Herausforderung für die Entwickler von CRM-Programmen besteht darin, das Training auf die regionalen Bedingungen und Kulturen abzustimmen.
Perspektiven
Das Jahr 1996 war eine Mahnung für die Luftfahrtindustrie: Bei Unfällen kamen weit mehr als tausend Passagiere ums Leben; häufig war menschliches Versagen eine der Ursachen. Solche Zahlen müssen alarmieren, denn innerhalb der nächsten 15 bis 20 Jahre wird sich das Transportaufkommen im Luftverkehr vermutlich verdoppeln. Dementsprechend dichter werden Abflüge und Landungen auf den Flughäfen gestaffelt und die Luftkorridore besetzt sein. Das läßt sich nur durch noch mehr Informationsverarbeitung leisten.
Um so wichtiger wird die Interaktion innerhalb der gesamten Crew und mit dem Bodenpersonal. Das Durchlaufen eines vollständigen CRM-Trainings ist für die Fluggesellschaften freilich mit beträchtlichem Zeit- und Geldaufwand verbunden; und die Frage, ob sich damit die Fehlerquote senken läßt, ist nicht einfach zu beantworten. Da die Zivilluftfahrt ausgesprochen sicher ist – man rechnet mit 1,8 Unfällen mit Todesfolge je eine Million Abflüge –, wird es Jahre dauern, bis eine aussagekräftige statistische Basis vorliegt. Immerhin zeigen Analysen von Unfällen und deren Ursachen einen Rückgang in der Kategorie menschliches Versagen seit dem Einführen von CRM Anfang der achtziger Jahre. Auch die Daten einer Fluglinie, die wir seit mehr als fünf Jahren erheben, erweisen eine stetige Verbesserung von Parametern wie der Arbeitsteilung.
Mittlerweile hat die US-Luftfahrtbehörde (FAA) CRM-Schulungen für die Cockpit-Besatzungen aller großen und regionalen Fluggesellschaften verbindlich vorgeschrieben, ebenso die Organisation für Zivilluftfahrt der Vereinten Nationen für internationale Luftlinien. Einige Gesellschaften trainieren Piloten und Flugbegleiter gemeinsam, und die FAA hat ein CRM-Trainingsprogramm für Fluglotsen entwickelt.
(CRM ist auch für die Lufthansa ein wichtiges Thema. Basierend auf einem Konzept der psychologischen Abteilung des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt entwickelt die Tochtergesellschaft Lufthansa Flight Training für das deutsche Unternehmen spezifische Programme. Crew-Mitglieder sollen beispielsweise lernen, eigene Standpunkte und Bedenken präzise mitzuteilen, Kommunikationsbarrieren zu erkennen und durch Setzen von Prioritäten Belastungsspitzen abzubauen. Seit 1995 absolvieren die etwa 4000 lizensierten Piloten der Gesellschaften Lufthansa, Lufthansa Cargo und Condor dieses dreitägige Basistraining. Bereits seit 1989 ist auch in der Pilotenausbildung der Lufthansa-Verkehrsfliegerschule ein vergleichbares Training enthalten. LOFTs ergänzen diese Schulung. Die auf den innereuropäischen Verkehr spezialisierte Tochtergesellschaft Cityline hat CRM schon früher eingeführt und schult auch Stewardessen und Stewards. Die Redaktion)
Es gibt sogar Versuche, die Erkenntnisse über das Verhalten von Flugzeugbesatzungen unter Stress auf andere Berufsgruppen zu übertragen, darunter Notaufnahme-, Intensivmedizin- und Operationspersonal, Schiffsbesatzungen sowie Personal in den Kontrollräumen von kerntechnischen und petrochemischen Anlagen. Obwohl die Vorteile klar zu sein scheinen, lehnen etwa fünf Prozent der Piloten CRM ab; einige haben nach dem Training sogar eine kritischere Haltung als zuvor. Diejenigen, welche die CRM-Richtlinien nicht befolgen, stellen ein ernsthaftes Sicherheitsrisiko dar.
Die Luftlinien sehen deshalb bei der Auswahl künftiger Piloten nicht nur auf technische Kompetenz, sondern auch auf Teamfähigkeit. Zudem haben sich die meisten größeren und auch einige regionale Fluggesellschaften einem freiwilligen weiterführenden Qualifizierungsprogramm der FAA angeschlossen, das regelmäßige CRM-Trainings und eine Beurteilung der Besatzungen im Simulator umfaßt. Diesen Bemühungen steht die Tendenz entgegen, wegen des scharfen Wettbewerbs hohe Personalkosten durch noch mehr Automation zu verringern. Nachdem bereits der Bordingenieur ersetzt, die Cockpit-Crew also auf Kapitän und Copilot reduziert worden ist, denken manche Konstrukteure schon über vollautomatische Flugzeuge nach.
Literaturhinweise
- Why Crew Resource Management? Empirical and Theoretical Bases of Human Factors Training in Aviation. Von R. L. Helmreich und H. C. Foushee in: Cockpit Resource Management. Herausgegeben von E. L. Wiener, B. Kanki und R. L. Helmreich. Academic Press, 1993.
– Team Performance in the Operating Room. Von R. L. Helmreich und H.-G. Schaefer in: Human Error in Medicine. Herausgegeben von M. S. Bogner. Lawrence Erlbaum Associates, 1994.
– Human Factors on the Flightdeck: The Influence of National Culture. Von Ashleigh C. Merritt und Robert L. Helmreich in: Journal of Cross-Cultural Psychology, Band 27, Heft 1, Seiten 5 bis 24, 1. Januar 1996.
– Homepage des Aerospace Crew Research Project an der Universität von Texas in Austin: http://www.psy.utexas.edu /psy/helmreich/nasaut.htm
Kasten: Teamarbeit rettet Leben
Flug 232 einer DC-10 der United Airlines von Denver nach Chicago im Jahre 1989 dient oft als Musterbeispiel für die Fähigkeit einer Crew, viele Aufgaben trotz einer drohenden Katastrophe gleichzeitig zu bewältigen. Hoch über dem Mittleren Westen der USA barst das mittlere Triebwerk, wobei hydraulische Leitungen beschädigt wurden und der Druck darin abfiel. Seiten- und Querruder sowie weitere Steuerflächen ließen sich nun nicht mehr bewegen, das Flugzeug war mithin nicht mehr normal zu lenken. In dieser Situation arbeitete die aus drei Mitgliedern bestehende Crew mustergültig zusammen und zog sogar einen zufällig in der Ersten Klasse mitreisenden Piloten zur Unterstützung heran. Gemeinsam entwickelten sie eine Methode, durch Erhöhen und Verringern des Schubs der beiden verbliebenen Triebwerke die Maschine zu steuern. Obwohl sie knapp vor der Landebahn aufschlug, überlebten 185 der 296 Passagiere und Besatzungsmitglieder, so auch die Piloten. Die amerikanische Behörde für Verkehrssicherheit lobte die Leistung der Crew und betonte dabei die Bedeutung des CRM-Trainings.
Für seine Doktorarbeit analysierte mein ehemaliger Mitarbeiter Steven C. Predmore, der jetzt bei Delta Airlines tätig ist, die Aufzeichnungen der Gespräche im Cockpit. Er teilte sie in Gedankeneinheiten ein, die einzelne Ideen, Absichten oder Handlungen umschreiben (Bild). Die Crew mußte mehrere Notmaßnahmen gleichzeitig bewältigen: Steuern des Flugzeugs, Ermitteln des Schadens, Auswahl eines Landeplatzes und Vorbereiten von Besatzung und Passagieren auf eine Notlandung; offensichtlich war sie dabei zu keinem Zeitpunkt nur auf eine einzige Aufgabe fixiert, sondern beschäftigte sich während der verbleibenden 34 Minuten fast stets mit bis zu vier Problemen gleichzeitig. Dabei setzte jeder Beteiligte gezielt Prioritäten und blendete Ablenkungen aus. So verlagerte sich die Konzentration etwa zwölf Minuten vor dem Absturz von der Ursachenermittlung und korrektiven Maßnahmen auf die Vorbereitung der Landung.
Predmores Untersuchung verdeutlicht die Intensität der Kommunikation, die bis zu 59 Gedankeneinheiten während einer einzigen Minute erreichte, davon einige so kurz wie ein hastig hervorgebrachtes "okay". Der Durchschnitt lag bei 31 Gedankeneinheiten pro Minute, das sind etwa doppelt so viele wie in schwierigen Phasen eines Routineflugs. Durch fortwährendes Bemühen, die aktuelle Situation zu beschreiben, gelang es den Piloten, sich gegenseitig auf dem laufenden zu halten und angemessene Entscheidungen zu treffen. Dabei konnten auch untergeordnete Mitglieder der Crew Ideen vortragen. Unvermittelte persönliche Äußerungen – zur emotionalen Unterstützung der anderen oder um sich nach dem Ausmaß ihrer Angst zu erkundigen – halfen, die enorme Anspannung zu bewältigen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1997, Seite 66
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