Kosmische Antimaterie
Obwohl alle sichtbaren Sterne und Galaxien aus gewöhnlicher Materie bestehen, könnten irgendwo im Universum große Mengen Antiteilchen verborgen sein. Ihre Entdeckung würde einige offene Fragen der Astrophysik klären helfen.
Der englische Physiker Paul A. M. Dirac (1902 bis 1984; Nobelpreis 1933) wagte 1931 aus formalen Überlegungen heraus eine kühne Vorhersage: Zu den damals bekannten beiden Elementarteilchen, dem positiven Proton und dem negativen Elektron, sollte es jeweils ein Antiteilchen mit derselben Masse, aber entgegengesetzter Ladung geben (Spektrum der Wissenschaft, Juli 1993, Seite 84). Während gewöhnliche Materie aus Atomen mit Protonen und – wie man heute weiß – Neutronen im Kern sowie Elektronen in der umgebenden Hülle besteht, könnte somit auch Antimaterie existieren, deren Antiatome aus negativen Kernen und positiven Hüllen aufgebaut wären. Nichts sollte diese Antimaterie hindern, chemische Verbindungen nach bekanntem Muster einzugehen und makroskopische Objekte zu bilden – bis hin zu Antisternen, Antigalaxien und Antilebewesen.
Äußerlich wäre keinem Gebilde anzumerken, ob es aus Materie oder Antimaterie besteht. Doch falls ein Teilchen mit seinem Antiteilchen zusammenträfe, würden sich beide sofort vernichten und in Gammastrahlung umwandeln. Gäben sich ein Mensch und ein Antimensch die Hand, lösten sie eine Explosion aus, die 50||000mal so viel Energie freisetzen würde wie die Hiroshima-Bombe. Solange aber beide Materiearten räumlich getrennt wären, blieben sie unbehelligt voneinander.
Diracs Vorhersage löste Spekulationen über die Existenz einer parallelen Antimaterie-Welt aus. Neue Nahrung erhielten sie, als bereits 1932 Carl D. Anderson (1905 bis 1991; Nobelpreis 1936), ein Experimentalphysiker am California Institute of Technology in Pasadena, das erste Antiteilchen entdeckte. Anderson untersuchte die kosmische Strahlung – hochenergetische Partikel, die unablässig vom Weltraum aus auf die Erde einfallen – mit einer Nebelkammer, in der geladene Teilchen eine sichtbare Spur aus feinen Wassertröpfchen erzeugen. Eine der photographierten Nebelspuren stammte offensichtlich von einem Teilchen mit derselben Masse wie das Elektron, aber mit entgegengesetzter (also positiver) Ladung: Das Positron, das Antiteilchen des Elektrons, war gefunden.
Der Nachweis von Antiprotonen erwies sich als schwieriger; er gelang erst 1955 mit einem Teilchenbeschleuniger des Lawrence-Berkeley-Laboratoriums in Berkeley (Kalifornien). Im Jahre 1995 schließlich erzeugten Wissenschaftler am CERN, dem europäischen Laboratorium für Teilchenphysik in der Nähe von Genf, erstmals Antiwasserstoffatome, indem sie kurzzeitig einen gebundenen Zustand von Antiproton und Positron herstellten (Spektrum der Wissenschaft, März 1996, Seite 24).
In den letzten Jahren haben Wissenschaftler spezielle Detektoren gebaut, mit denen sie genauer nach Antimaterie in der kosmischen Strahlung suchen können. Weil die Partikel durch Kollisionen mit den Luftmolekülen zerstört werden, müssen die Messungen möglichst in der oberen Atmosphäre stattfinden, wo die Luftdichte gering ist. Wir arbeiten an solch einem Experiment mit, dem „Teleskop für hochenergetische Antimaterie“ (High Energy Antimatter Telescope, HEAT), das mit Ballons in große Höhen gebracht wird und dort Positronen in der kosmischen Strahlung mißt. Andere Ballonexperimente registrieren Antiprotonen. Künftig sollen Detektoren auch in Langzeit-Ballonflügen und in der Erdumlaufbahn eingesetzt werden. Man erhofft sich davon neue Erkenntnisse über den Ursprung der Antiteilchen und Hinweise darauf, ob es tatsächlich Antisterne und Antigalaxien gibt.
Astrophysiker glauben, daß die meisten der in Erdnähe beobachteten Antiteilchen von energiereichen Kollisionen zwischen subatomaren Partikeln im interstellaren Raum herrühren. Zunächst werden wohl Protonen (die Kerne von Wasserstoffatomen) und schwerere Atomkerne von Magnetfeldern in der Stoßwelle einer Supernova-Explosion auf enorme Geschwindigkeiten beschleunigt. Durch Stöße mit anderen interstellaren Partikeln können dann Teilchen-Antiteilchen-Paare entstehen, die einen Teil der ursprünglichen Bewegungsenergie aufnehmen (Bild 1).
Suche nach Antiteilchen
Einige Zusammenstöße erzeugen Paare von Pionen – instabilen Partikeln, die binnen kurzem in Positronen, Elektronen, Neutrinos und Antineutrinos zerfallen. Bewegen sich die kollidierenden Teilchen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit, reicht die Stoßenergie aus, um auch die viel schwereren Proton-Antiproton-Paare entstehen zu lassen. Dieser Prozeß ist die Umkehrung der Materie-Antimaterie-Zerstrahlung, denn hierbei wird Energie in Materie umgewandelt und nicht Materie in Energie. Nach demselben Prinzip erzeugen Physiker in großen Ringbeschleunigern Antiteilchen.
Im interstellaren Medium ist die Ausbeute an Antiteilchen allerdings relativ gering. Infolgedessen überwiegen in der kosmischen Strahlung, die das HEAT-Experiment mißt, die gewöhnlichen Teilchen bei weitem. Um zu verstehen, wie schwierig es ist, in diesem Partikelstrom Antimaterie zu detektieren, stellen Sie sich eine große Kiste voller Stahlschrauben vor. Hundert Schrauben haben ein normales rechtshändiges Gewinde (sie stellen die Elektronen der kosmischen Strahlung mit negativer Ladung dar) und zehn Schrauben ein linkshändiges (sie symbolisieren die positiv geladenen Positronen). Ferner befinden sich in der Kiste 10000 schwerere linkshändige Schrauben, welche die Protonen der kosmischen Strahlung repräsentieren, die ebenfalls positiv geladen, aber wesentlich massereicher sind als die Positronen. Um eine Proton- von einer Positron-Schraube zu unterscheiden, müßte man jede linkshändige Schraube in der Kiste wiegen – und dies mit hoher Genauigkeit, denn hielte man nur jede tausendste Proton-Schraube versehentlich für eine Positron-Schraube, würde sich die vermeintliche Anzahl der Positronen verdoppeln.
Das HEAT-Experiment erreicht indessen eine Fehlerrate von kleiner als eins zu 100000. Die Teilchen der kosmischen Strahlung gelangen durch eine Blende in das Gerät, in dem sie von einem supraleitenden Magneten ihrer Ladung gemäß in unterschiedliche Richtungen abgelenkt werden. Mehrere Detektoren messen sodann ihre Geschwindigkeit, Ladung, Energie und Flugrichtung sowie das Ausmaß ihrer Ablenkung im Magnetfeld (Kasten Seite 42/43). Ein Proton wird in dieselbe Richtung abgelenkt wie ein Positron, doch ist seine Bahn wegen der größeren Masse weniger gekrümmt.
Die amerikanische Luft- und Raumfahrtbehörde NASA startete HEAT erstmals 1994 in New Mexico. Ein riesiger heliumgefüllter Ballon brachte das mehr als 2300 Kilogramm schwere Gerät in eine Höhe von 37000 Metern, wo mehr als 99,5 Prozent der Erdatmosphäre unter ihm lagen. Nach einer Meßzeit von 32 Stunden landete HEAT an einem Fallschirm sanft im Nordwesten von Texas. Ein zweiter Flug fand 1995 in der kanadischen Provinz Manitoba statt, um auch Positronen relativ niedriger Energie zu registrieren, die das irdische Magnetfeld nur nahe dem magnetischen Nord- und Südpol durchdringen können.
Im niederenergetischen Bereich entspricht die Anzahl der gemessenen Positronen den Werten, die man aufgrund der beschriebenen Stoßprozesse im interstellaren Medium erwartet hatte; bei höheren Energien fanden sich indes mehr Positronen als angenommen (Bild 2). Der beobachtete Überschuß ist zwar nicht besonders groß, und noch sind systematische Meßfehler nicht gänzlich auszuschließen; sollte der Effekt jedoch real sein, wäre dies ein deutlicher Hinweis auf eine bislang unbekannte Quelle für hochenergetische Positronen im Kosmos. Die gemessene Häufigkeit würde man erwarten, wenn es im Kosmos massereiche Teilchen gäbe, die nur schwach mit anderen subatomaren Partikeln wechselwirken würden.
Diese WIMPs (Weakly Interacting Massive Particles) genannten hypothetischen Teilchen könnten einen beträchtlichen Anteil an der Gesamtmasse im Universum haben. Astrophysiker folgern aus der beobachteten Rotationsgeschwindigkeit von Galaxien, daß es weit mehr Materie in ihnen geben muß, als in Form von leuchtenden Sternen und Nebeln zu sehen ist. Möglicherweise ist jede Galaxie in einen riesigen Halo aus Materie eingebettet, die mit gewöhnlichen Mitteln nicht erkennbar ist. Für diese unbekannte dunkle Materie wurden unter anderem WIMPs vorgeschlagen, weil sie infolge ihrer schwachen Wechselwirkung weder Licht noch irgendeine andere Form elektromagnetischer Strahlung aussenden würden. Falls es diese hypothetischen Partikel tatsächlich gäbe und sie so häufig wären wie für die Erklärung der dunklen Materie gefordert, würden durch Kollisionen zwischen ihnen hochenergetische Positronen erzeugt, deren Anzahl gerade den von HEAT beobachteten Überschuß erklären würde. Doch bevor man wirklich aus den HEAT-
Befunden auf die Existenz von WIMPs schließen kann, müssen erst weitere Messungen mit einer höheren Genauigkeit vorliegen.
Experimente, mit denen man Antiprotonen registriert, sind noch diffiziler. Im Vergleich zu Positronen werden diese Partikel wegen der etwa 2000fach größeren Masse weitaus seltener durch Stöße interstellarer Atomkerne produziert. Detektoren wie IMAX (Isotopen-Materie-Antimaterie-Experiment) und BESS (Ballongebundenes Experiment mit supraleitendem Spulenspektrometer) registrieren maximal ein Antiproton auf jeweils 10000 Protonen. Um aussagefähige Resultate zu erhalten, muß die Fehlerrate deshalb kleiner sein als eins zu einer Million.
Schwieriger Nachweis von Antiwelten
Der amerikanische Physiker Luis W. Alvarez (1911 bis 1988; Nobelpreis 1968) begann in den sechziger Jahren als erster, nach noch schwereren Antiteilchen in der kosmischen Strahlung zu fahnden wie etwa nach den Atomkernen von Antihelium, Antikohlenstoff und Antisauerstoff. Die Kollisionen von Partikeln im interstellaren Medium sind nicht energiereich genug, um solche schweren Atomkerne zu erzeugen. Ihr Nachweis wäre demnach ein Beleg für andere Entstehungsmechanismen. Die Entdeckung von Antihelium zum Beispiel würde beweisen, daß es Antimaterie im Universum gibt, die während des Urknalls entstanden und in der Folgezeit nicht durch Stöße mit gewöhnlicher Materie zerstrahlt ist; und die Messung eines Antikohlenstoff- oder Antisauerstoffkerns würde die Existenz von Antisternen belegen, weil diese und alle schwereren Elemente nur in Sternen entstehen.
Die meisten Astrophysiker glauben indes nicht so recht daran, daß es Antisterne gibt. Das von solchen Objekten ausgesandte Licht wäre zwar nicht von dem gewöhnlicher Sterne zu unterscheiden; doch müßte von ihrer Oberfläche zusätzlich eine intensive Gammastrahlung ausgehen, weil dort die Antiteilchen mit gewöhnlichen Partikeln aus dem interstellaren Raum in Kontakt kämen und zerstrahlen würden. Detektoren auf erdumkreisenden Satelliten haben immerhin niederenergetische Gammastrahlung registriert, die auf die Zerstrahlung eines riesigen Positronenbündels hinweist, das offenbar vom Zentrum unserer Galaxis ausgeht. Doch scheint nicht ein Antistern die Ursache zu sein, denn ein solcher müßte als intensive, lokalisierte Quelle viel energiereicherer Gammastrahlung sichtbar sein. Weil aber niemals eine solche Quelle beobachtet wurde, gibt es offenbar keinen Antistern in unserer Galaxis und – aus demselben Grund – keine Antigalaxie im lokalen Galaxienhaufen.
Wie sieht es in ferneren Bereichen des Universums aus? Es könnte durchaus irgendwo Antigalaxien geben, die sich weitab von den anderen Welteninseln aus gewöhnlicher Materie befinden. In den letzten Jahren haben Astronomen in umfassenden Beobachtungsreihen die Verteilung von Galaxien im Raum bis zu Entfernungen von einer Milliarde Lichtjahren ermittelt. Es zeigte sich, daß die Galaxien und Galaxienhaufen in einer netzartigen Struktur angeordnet sind, so als befänden sie sich auf der Oberfläche von Seifenblasen in einem überdimensionalen Schaumbad; isolierte Gebiete, die nach unserer Vorstellung aus Antimaterie bestehen könnten, fanden sich nicht. Wenn große Bereiche des Universums aus Antimaterie bestünden, müßten an den Berührungsflächen zu den Zonen aus gewöhnlicher Materie in der Frühzeit des Universums riesige Mengen Gammastrahlung erzeugt worden sein, die heute als energiereiches Hintergrundleuchten nachweisbar wären. Doch weil davon nichts zu finden ist, müssen Antigalaxien – sofern sie überhaupt existieren – jenseits der Reichweite unserer besten Teleskope liegen, also mindestens mehrere Milliarden Lichtjahre entfernt.
Die moderne Kosmologie liefert allerdings ein Argument, weshalb das heute beobachtbare Universum fast vollständig aus gewöhnlicher Materie bestehen kann. Nach den gängigen Theorien produzierte der Urknall einen geringen Überschuß von Materie gegenüber Antimaterie. Die Ursache dafür ist eine schwache Asymmetrie der physikalischen Gesetze, die als CP-Verletzung bekannt ist und in Laborexperimenten nachgewiesen wurde. Demnach wären im Urknall auf jeweils 30000000000 Antimaterieteilchen 30000000001 Materieteilchen entstanden. Ungefähr eine Millionstel Sekunde nach dem Urknall begannen sich Teilchen und Antiteilchen zu vernichten, bis nur noch der Überschuß an gewöhnlicher Materie übrig war. Dieser Rest – immer noch eine riesige Anzahl von Teilchen – bildete das Universum, wie wir es kennen.
Obwohl diese Theorie überzeugend erscheint, suchen einige Wissenschaftler weiter nach schweren Antiteilchen, die mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aus fernen Antimaterie-Bereichen im All zu uns gelangen könnten. Doch trotz intensiver Bemühungen wurde in den vielen Millionen registrierten Partikeln der kosmischen Strahlung nie ein schwereres Antiteilchen als das Antiproton beobachtet.
Hindern vielleicht die Magnetfelder im intergalaktischen Raum die gesuchten Antipartikel daran, die Erde zu erreichen? Aus Messungen kosmischer Synchrotronstrahlung, die auf ihrem Weg zu uns Galaxienhaufen durchquert, vermochte man kürzlich zu ermitteln, daß das Magnetfeld in solchen Haufen die Stärke von einem Millionstel des Erdmagnetfeldes haben kann; und im Raum zwischen den Galaxienhaufen ist das Feld vermutlich nur ein Tausendstel so stark wie in ihnen.
Ein solches Feld von etwa einem Milliardstel der Stärke des Erdmagnetfeldes wäre zwar zu schwach, um eine Kompaßnadel zu bewegen, aber es würde ein Antiteilchen, das die enormen Weiten des intergalaktischen Raums durchmißt, doch merklich beeinflussen. Dessen Bahn würde in eine Spirale um eine der Magnetfeldlinien mit einem Durchmesser von nur einigen Lichtjahren gebogen. Doch bislang weiß man über den Verlauf der Feldlinien im intergalaktischen Raum noch zu wenig: Wären sie ungestört und gestreckt wie etwa bei einem Stabmagneten, könnten die Antiteilchen weite Strecken im Kosmos zurücklegen; wären sie hingegen durch Turbulenzen verknäult, würden sie die Ausbreitung der Partikel erheblich behindern. In dem einen Fall gliche die Bewegung der eines nüchternen Mannes, der zielstrebig von der Bar zu seinem zehn Kilometer entfernten Haus geht und es nach etwa zwei Stunden erreicht; der andere Fall ähnelte dem Torkelgang eines Betrunkenen, der orientierungslos in der Gegend herumstolpert und deshalb sein Ziel vermutlich selbst nach einem Jahr noch nicht erreicht haben wird.
Verliefen die Feldlinien nahezu ungestört von einer Galaxie zur nächsten, könnten die Antiteilchen problemlos diesen Weg von einigen Millionen Lichtjahren Länge zurücklegen. Doch von diesem Zwischenziel aus würden sie eine zufällige Richtung zum nächsten Sternsystem einschlagen (Bild 3). Es ist so, als ob unser betrunkener Wanderer auf seinem langen Weg zahlreiche Kreuzungen passieren müßte und sich zwar von einer Straßenecke zur nächsten leiten ließe, an der Kreuzung selbst aber seine Richtung willkürlich änderte. Für die Antiteilchen würde das bedeuten, daß sie sich nur ein paar hundert Millionen Lichtjahre von ihrem Ausgangspunkt wegbewegen könnten, selbst wenn sie das gesamte Alter des Universums für ihre Reise zur Verfügung hätten. Diese Distanz ist viel kleiner als die Milliarden Lichtjahre zur nächstmöglichen Antigalaxie.
Selbst wenn es einem Antiteilchen gelingen sollte, in unsere Galaxis zu gelangen, könnte es die Erde vielleicht trotzdem nicht erreichen. Denn da das Magnetfeld auch innerhalb unseres Milchstraßensystems viel stärker ist als außerhalb, würde es die große Mehrzahl der ankommenden Antiteilchen ablenken. Der Betrunkene hat es schließlich bis zu seinem Haus geschafft – aber nun kann er den Türschlüssel nicht finden.
Künftige Flüge
Es scheint somit höchst unwahrscheinlich, daß in unserer Galaxis je schwere Antiteilchen gefunden werden. Trotzdem geht die Suche weiter. Das Energieministerium der Vereinigten Staaten beispielsweise finanziert das „Alpha-Magnetspektrometer“ (AMS), das noch Ende 1998 während eines Space-Shuttle-Fluges getestet und ab 2002 drei Jahre lang in der internationalen Raumstation eingesetzt werden soll. Mit einer solch langen Meßdauer hätte AMS im Prinzip eine 100fach höhere Empfindlichkeit als die bisherigen Antimaterie-Detektoren. Die eigentliche Herausforderung wird jedoch sein, mit ausreichender Genauigkeit zwischen Teilchen und Antiteilchen zu unterscheiden.
Ein ähnlicher Detektor soll planmäßig im Jahre 2000 vom russischen Raumfahrtzentrum in Baikonur (Kasachstan) aus starten. Das PAMELA genannte Gerät wird nach Positronen und Antiprotonen sowie nach schwereren Antiatomkernen suchen. Das verwendete Nachweissystem ist zwar moderner als das von AMS, doch wird PAMELA wegen seiner geringeren Größe weniger Partikel der kosmischen Strahlung auffangen, so daß ein statistisch signifikanter Nachweis schwerer Antiteilchen vielleicht nicht möglich sein wird.
Auch weitere Ballonexperimente sind in der Planung. Zum Beispiel bauen wir gerade eine neue Version des HEAT-Detektors, der für die Suche nach hochenergetischen Antiprotonen ausgelegt ist. Von einer Verlängerung der Flugdauer versprechen wir uns bessere Messungen. Die NASA hat bereits in der Antarktis Höhenforschungsballons gestartet, die 10 bis 20 Tage in der Luft bleiben können und dabei einen Kreis um den Südpol fliegen. Eine Arbeitsgruppe der NASA, das Wallops Island Suborbital Team, entwickelt neue leichtgewichtige Stoffe für Ballons, die Flüge bis zu 100 Tagen erlauben könnten; noch in diesem Jahr sollen die ersten getestet werden.
Die Suche nach Antimaterie im Kosmos mag vielen als nutzloses Unterfangen erscheinen. Doch weil Forschung nicht immer geradlinig verläuft und oftmals unerwartete Ergebnisse erbringt, muß man sich vor voreiligen Bewertungen hüten. Die Suche nach Positronen und Antiprotonen kann helfen, das Wesen der dunklen Materie aufzuhellen, die eines der großen Rätsel der Astrophysik ist; und bereits wenige eindeutig nachgewiesene schwerere Antiteilchen könnten unsere Vorstellung vom Aufbau des Universums modifizieren.
Literaturhinweise
The Early Universe. Von Edward W. Kolb und Michael S. Turner. Addison-Wesley, 1990.
Constraints on the Intergalactic Transport of Cosmic Rays. Von Fred C. Adams und anderen in: Astrophysical Journal, Band 491, Seiten 6 bis 12, 10. Dezember 1997.
Kasten: Ein Detektor für große Höhen
Ein heliumgefüllter Ballon hebt das „Teleskop für hochenergetische Antimaterie“ (HEAT) in die obere Atmosphäre (unten). Nachdem die kosmische Strahlung durch eine Eintrittsblende in das Instrument gelangt ist, stellt eine Reihe von Detektoren den Anteil von Positronen darin fest. Einer der Autoren (Tarlé) ist auf dem Photo (ganz rechts) zusammen mit HEAT nach dessen erstem Flug zu sehen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1998, Seite 40
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben