Kultur- und Naturgüter der Welt: Bedrohung und Schutz
Mit der Welterbe-Konvention der UNESCO wurde 1972 das erste Abkommen geschlossen, das sowohl global bedeutende Kulturdenkmäler als auch einzigartige Naturregionen unter internationaen Schutz stellt. Bisher haben sich bereits 143 Staaten verpflichteet, gemeinsam die mittlerweile 440 ausgewählten Stätten für künftige Generationen zu bewahren. Jedoch sind viele gefährdet; immerhin 17 müssen derzeit auf einer Roten Liste geführt werden.
Von den sieben Weltwundern der Antike ist nur mehr das älteste zu bestaunen: Die bei Giseh am Westufer des Nils errichteten Pyramiden der Pharaonen Cheops, Chephren und Mykerinos (Menkaure) haben rund viereinhalb Jahrtausende überdauert.
Verschollen sind die zwölf Meter hohe, gold- und elfenbeingeschmückte Statue des thronenden Zeus in Olympia, die Phidias, der berühmteste Bildhauer des alten Griechenland, um 430 vor Christus geschaffen hatte, und der Koloß von Rhodos – dieses gar mehr als 32 Meter hohe bronzene Standbild des Sonnengottes Helios, 290 vor Christus von Chares von Lindos vollendet, war schon 66 Jahre später umgestürzt. Bis auf die Grundmauern abgetragen sind die sogenannten Hängenden Gärten der Semiramis, einer legendären assyrischen Königin (tatsächlich ließ Nebukadnezar II., der wiederum Jerusalem zerstörte und die Juden ins Exil führte, die bepflanzten Terrassen im 6. vorchristlichen Jahrhundert in Babylon anlegen), desgleichen das Grabmal des Mausolos in Halikarnassos, der diese Stadt im Südwesten Kleinasiens Mitte des 4. vorchristlichen Jahrhunderts befestigt und prunkvoll ausgestattet hatte. Und gänzlich verschwunden ist der Leuchtturm auf der ehemaligen Insel Pharos, der erstmals 279 vor Christus Schiffer nach Alexandria leitete. Den Tempel der Artemis in Ephesos schließlich, für den der lykische König Krösus im 6. vorchristlichen Jahrhundert die meisten Säulen gestiftet hatte, äscherte der nach Ruhm gleich welcher Art süchtige Herostratos 356 vor Christus ein.
Um die heute vorhandenen herausragenden Schätze der Menschheit so lange wie möglich zu erhalten, hat die Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur der Vereinten Nationen (United Nations Educational, Scientific und Cultural Organization, UNESCO) 1972 die "Konvention zum Schutz des natürlichen und kulturellen Erbes der Welt" verabschiedet.
Diese Aufgabe war bereits in der UNESCO-Verfassung vom 16. November 1945 (wirksam seit dem 4. November 1946) fixiert worden. Ein Programm von Nothilfe-Kampagnen leitete die Organisation am 8. März 1960 mit einem Aufruf zur Rettung der nubischen Kulturdenkmäler ein, die in dem 550 Kilometer langen Stausee hinter dem 1959 begonnenen und 1970 fertiggestellten Damm von Assuan versunken wären: Zum einen wurden archäologische Zeugnisse dokumentiert, zum anderen Bauten und Kunstwerke teils in sudanesische und ägyptische Museen überführt, teils zur Wiedererrichtung in anderen Ländern verschenkt, teils am Ort höher verlegt. Allein an Abbau und Wiedererrichtung der Felsentempel von Abu Simbel 60 Meter über der ursprünglichen Uferterrasse, die von 1964 bis 1968 dauerte und nahezu 42 Millionen Dollar kostete, beteiligten sich 48 Nationen.
Das Konzept der nun 23 Jahre bestehenden Welterbe-Konvention ist, daß die Unterzeichnerstaaten gemeinsam für die von der Vertragsgemeinschaft als von "außerordentlichem und universellem Wert" bezeichneten Stätten verantwortlich sind. Es wäre zwar sicherlich wünschenswert, alle wichtigen Kulturdenkmäler und Naturregionen unter internationalen Schutz zu stellen, aber damit wäre die Gemeinschaft überfordert. Die Konvention fordert deshalb von den Mitgliedsstaaten nationale Fürsorge für all solche Stätten, denen nicht – oder noch nicht – globale Bedeutung attestiert worden ist: Jedes Land verpflichtet sich mit der Unterzeichnung des Abkommens auch, die in seinem Gebiet befindlichen Güter dieser Art zu bewahren.
Kriterien der Auswahl
Zur Zeit stehen 440 Stätten auf der Welterbe-Liste der UNESCO, davon 326 Kultur- und 97 Naturgüter sowie 17, die beiden Kategorien zugeordnet sind. Zu dieser übergreifenden Gruppe gehören die erst 1911 wiederentdeckten Ruinen der um 1450 von den Inkas erbauten festungsartigen Stadtanlage Machu Picchu in Peru, die auch künstlich bewässerte Felder umfaßte, der Ngorongoro-Krater in Tansania (auf den wir noch gesondert eingehen) sowie die Berge Taishan in China mit zahlreichen taoistischen Tempeln und Athos in Griechenland, Sitz der gleichnamigen autonomen Mönchsrepublik mit 20 Großklöstern.
Zur Aufnahme in die Liste werden Stätten von den Staaten, in denen sie sich befinden, vorgeschlagen und von den Vertretern der Vertragsmitglieder im Welterbe-Komitee gemeinsam nach bestimmten Kriterien ausgewählt. Diese sind für Kulturgüter: Das Objekt
- ist ein Meisterwerk des künstlerisch schöpferischen Geistes;
- hat während einer Zeitspanne oder in einem Kulturgebiet beträchtlichen Einfluß auf die Entwicklung von Architektur, Großplastik oder Städtebau und Landschaftsgestaltung ausgeübt;
- stellt ein einzigartiges oder zumindest außergewöhnliches Zeugnis einer untergegangenen Zivilisation oder Kulturtradition dar;
- bietet ein herausragendes Beispiel eines in der menschlichen Geschichte bedeutsamen Typus von Gebäuden oder eines architektonischen Ensembles oder einer Landschaft;
- stellt ein hervorragendes Beispiel einer überlieferten menschlichen Siedlungsform oder Landnutzung dar, die für eine bestimmte Kultur (oder für bestimmte Kulturen) typisch ist, insbesondere wenn sie unter dem Druck unaufhaltsamen Wandels vom Untergang bedroht wird;
- ist in unmittelbarer oder erkennbarer Weise mit Ereignissen, lebendigen Traditionen, mit Ideen oder Glaubensbekenntnissen, mit künstlerischen oder literarischen Werken von universeller Bedeutung verknüpft (das Komitee ist allerdings der Ansicht, daß dieses Kriterium die Aufnahme in die Liste nur unter außergewöhnlichen Umständen oder in Verbindung mit anderen Kriterien rechtfertigen kann).
Für Naturgüter gilt: Das Objekt
- stellt ein außergewöhnliches Beispiel bedeutender Abschnitte der Erdgeschichte dar, eingeschlossen die biologische Evolution, oder noch in Gang befindlicher geologischer Prozesse in der Entwicklung von Landformen;
- liefert ein außergewöhnliches Beispiel von in Gang befindlichen ökologischen und biologischen Prozessen in der Entwicklung von Ökosystemen an Land, im Süßwasser, in Küstenzonen oder im Meer oder eines von Pflanzen- und Tiergemeinschaften;
- stellt eine überragende Naturerscheinung oder ein Gebiet von außergewöhnlicher natürlicher Schönheit und ästhetischer Bedeutung dar;
- enthält die bedeutendsten und typischsten natürlichen Lebensräume für den Schutz von biologischer Diversität vor Ort, einschließlich solcher bedrohter Arten, die aus wissenschaftlichen Gründen von außergewöhnlichem universellem Wert sind.
Voraussetzung für die Aufnahme in die Welterbe-Liste ist außer der so definierten Bedeutung einer Stätte der Nachweis, daß dafür ein nationales Schutzkonzept besteht und die erforderlichen Mittel bereitgestellt werden.
Für Stätten, die akut bedroht sind, sieht die Konvention die Eintragung in die Liste der gefährdeten Welterbe-Güter vor. Damit ist der betroffene Vertragsstaat verpflichtet, einen Maßnahmenkatalog zur Wiederherstellung des Normalzustandes vorzulegen.
Gegenwärtig (nach dem Stand vom 1. Januar 1995) befinden sich acht Kultur und neun Naturstätten aus 16 Staaten auf dieser Roten Liste: der Nationalpark Everglades in Florida (USA), der Nationalpark Sangay in Ecuador, die Ruinen der Chimú-Hauptstadt Chanchan in Peru, das Salzbergwerk von Wieliczka in Polen, der Nationalpark der Seen von Plitvice sowie die Altstadt von Dubrovnik in Kroatien, das Biosphärenreservat Srebarna in Bulgarien, die Moscheen, Mausoleen und Friedhöfe von Timbuktu in Mali, das Naturschutzgebiet Nimba-Berge in den beiden Ländern Elfenbeinküste und Guinea, die Königspaläste von Abomey in Benin, der Nationalpark Virunga in Zaire, die Altstadt von Jerusalem mit ihren Stadtmauern, die Festung Bahla in Oman, das Wildschutzgebiet Manas in Indien, die Naturparks Aïr und Ténéré in Niger sowie die Ruinenstätte Angkor in Kambodscha.
Ihrem Schutz und Erhalt gilt die besondere Aufmerksamkeit des WelterbeKomitees und seines ständigen Sekretariats, des WelterbeZentrums, das Büros im UNESCO-Gebäude in Paris hat. Auf Beispiele kommen wir noch zurück.
Die Organisation und ihre Funktionen
Die Entscheidung über die Aufnahme der vorgeschlagenen Stätten in die Welterbe-Liste und in die Liste der gefährdeten Güter trifft, wie gesagt, das Welterbe-Komitee. Es setzt sich aus 21 Vertretern der Vertragsstaaten zusammen; im Turnus von zwei Jahren werden jeweils sieben Mitglieder nach Auslaufen ihres sechsjährigen Mandats auf der Generalversammlung aller Unterzeichnerstaaten neu gewählt.
Bei der Aufnahme neuer Objekte in die Welterbe-Liste dienen die unabhängigen Gutachten nichtstaatlicher Organisationen als wesentliche Orientierung. Das Komitee läßt sich bei Kulturgütern von dem Internationalen Rat für Denkmalpflege (International Council on Monuments and Sites, ICOMOS) beraten und bei Naturgütern von der Internationalen Union für die Erhaltung der Natur (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources, IUCN). Bei Fragen der Restaurierung von Kulturgütern und bei Ausbildungsprojekten wirkt das Zentrum für Restaurierung in Rom beratend mit.
Das Komitee, das für die wesentlichen Entscheidungen einmal jährlich zusammentritt (erstmals in Deutschland tagt es im Dezember 1995 in Berlin), wird in seiner Arbeit durch das permanent tätige internationale Sekretariat gestützt; dieses wird vom WelterbeZentrum gestellt, das der Generaldirektor der UNESCO, Federico Mayor, vor drei Jahren eingerichtet hat und ihm wegen seiner wichtigen Koordinierungsrolle innerhalb der Organisation direkt unterstellt ist (Spektrum der Wissenschaft, November 1992, Seite 162).
Die Finanzierung
Im Rahmen der Welterbe-Konvention sind die Vertragsstaaten verpflichtet, die Kosten des Schutzes anerkannter Stätten selbst zu tragen. Weil Entwicklungsländer dafür aber zusätzliche Hilfe benötigen, hat die Konvention einen Welterbe-Fonds vorgesehen. Er speist sich aus den Mitgliedsbeiträgen, die sich auf ein Prozent der von den Staaten an die UNESCO entrichteten Beiträge belaufen, sowie aus freiwilligen Beiträgen und Spenden. Die Bundesrepublik leistet derzeit einen Beitrag von gut 280000 Dollar pro Jahr. Zusätzlich werden Einnahmen aus Kooperationsverträgen mit Buchverlagen, mit der Fernseh- und Filmindustrie sowie mit anderen Unternehmen erzielt.
Pro Jahr stehen in diesem Fonds rund drei Millionen Dollar zur Verfügung – ein äußerst geringer Betrag in Anbetracht der Hilfsmaßnahmen, die in unbemittelten Ländern erforderlich sind. Die Funktion des Fonds besteht deshalb vor allem darin, die Finanzierung von Projekten durch die Ausarbeitung von Maßnahmekatalogen anzustoßen. Für die Projekte selbst werden dann in der Ausführungsphase hauptsächlich Mittel aus anderen Quellen, insbesondere in bilateraler Zusammenarbeit oder von der Weltbank, dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen oder aus anderen multilateralen Quellen bereitgestellt.
Für eine begrenzte Anzahl von Projekten führt die UNESCO eigene Hilfskampagnen durch. So folgten auf die Rettungsaktionen in Oberägypten während des Baus des Assuan-Staudamms die Wiederherstellung der Tempelanlagen von Borobudur in Indonesien und Aktionen zugunsten von Venedig. Derzeit haben die umfangreichen Restaurierungsarbeiten in Angkor, in der alten Kaiserstadt Hué in Vietnam, in Dubrovnik und in der alten Stadt Vilnius (Wilna) in Litauen Vorrang.
Auch in Deutschland sind Hilfsaktionen dringend geboten, vor allem für die Erhaltung der weitgehend verfallenden Altstadt von Quedlinburg mit ihren historischen Fachwerkbauten. Der Finanzbedarf allein dafür wird auf eine Milliarde Mark geschätzt; bleibt es bei einer solchen Mittelknappheit wie derzeit, dürfte es allerdings mindestens 70 Jahre dauern, bis alle notwendigen Arbeiten durchgeführt sind.
Weitere Welterbe-Stätten in der Bundesrepublik sind unter anderen das Aachener Münster mit der karolingischen Pfalzkapelle, die Schlösser Augustusburg und Falkenlust in Brühl, die Altstadt von Goslar samt Kaiserpfalz und Silberbergwerk Rammelsberg, Dom und Michaelskirche von Hildesheim, die ehemalige Abtei in Lorsch, die Lübecker Altstadt, Schlösser und Parks von Potsdam und Berlin, der Dom zu Speyer, in Trier die römischen Baudenkmäler sowie Dom und Liebfrauenkirche, die Rokoko-Wallfahrtskirche Die Wies in Oberbayern, die Würzburger Residenz, Kloster Maulbronn und die Altstadt von Bamberg. International geschützte Güter der Schweiz sind die Altstadt von Bern, das Kloster Sankt Gallen und das Benediktinerkloster in Müstair; für Stätten in Österreich, erst neuerdings Vertragsmitglied, läuft das Verfahren.
Ein Schwerpunkt bei der Verwendung des Welterbe-Fonds ist die Unterstützung von Ausbildungsprogrammen. Vor allem in Afrika fehlt es an Fachpersonal und einschlägigen Lehrstätten.
Erfolge und Grenzen der Konvention
Die Welterbe-Liste verzeichnet inzwischen Kultur- und Naturgüter in 100 Ländern, und 143 Staaten sind der Konvention beigetreten. Damit ist sie zu einem internationalen Rechtsinstrument geworden, das in vielen Fällen eingesetzt wurde, um Schäden zu beheben und Fehlentwicklungen zu verhindern.
Insgesamt ist die Erfolgsbilanz der UNESCO-Konvention beachtlich. Bereits bei der Aufnahme in die Welterbe-Liste werden die nationalen Schutzmaßnahmen bei vielen Objekten erheblich verstärkt, um den strengen Anforderungen zu genügen. Dank der Konvention gelang es auch beispielsweise in diesem Jahr, den Plan, eine achtspurige Ringstraße um Kairo in unmittelbarer Nähe an den Pyramiden von Giseh vorbeizuführen, endgültig zu Fall zu bringen. Eine historische Entscheidung, die eine ganze Nation bewegte, war vor Jahren die Erhaltung der Regenwälder im australischen Bundesstaat Queensland; immerhin wurden damit zahlreiche Arbeitsplätze in der dort ansässigen Forst- und Holzindustrie aufgegeben, und die australische Bundesregierung mußte erhebliche Kompensationszahlungen leisten. Desgleichen wurde der Bau eines Aluminiumwerkes in der Nähe von Delphi in Griechenland durch energischen Protest der UNESCO verhindert. Und die Expo-2000 mußte auf Drängen des Welterbe-Komitees von Venedig an einen besser geeigneten Ort verlegt werden – die Wahl fiel dann auf Hannover.
In anderen Teilen der Welt, von inneren Wirren erschüttert, ist die Erhaltung des Welterbes in höchstem Maße problematisch. So steht der Virunga-Nationalpark in Zaire neuerdings auf der Liste der gefährdeten Güter, weil sich Zehntausende von Flüchtlingen aus Ruanda und Burundi seit Ausbruch der ethnischen Kriege in dieses Gebiet in völligem Chaos zurückgezogen haben. Eine der Folgen ist die rapide Zerstörung der wenigen noch intakten Lebensräume der Berggorillas.
Das 1979 zum Welterbe erklärte Gebiet der Plitvicer Seen in Kroatien war seit Ausbruch des Krieges im ehemaligen Jugoslawien von bosnischen Serben besetzt, so daß Inspektionen lange nicht möglich waren. Es bestand die Gefahr, daß durch eine Verminung und durch Kampfhandlungen die Tuffdämme und Kalksinterterrassen der treppenförmigen Seenkette mit zahlreichen Wasserfällen vernichtet worden wären.
Freilich gilt es auch in Friedenszeiten, höchst wachsam zu sein: Bei den Galapagos beispielsweise droht das illegale Fischen von Millionen von Seegurken die natürlichen Nahrungsketten in den Gewässern um die Inseln zu zerstören: Das gekochte, getrocknete und geräucherte Fleisch der Stachelhäuter dient als Trepang oder bêche-de-mer als Nahrungsmittel und ist in Südostasien traditionell auch als Aphrodisiakum begehrt.
Der Potala-Palast in Tibet, früher Residenz der als geistliches und politisches Oberhaupt des lamaistischen Landes fungierenden Dalai-Lamas, ist zwar gerade auf Antrag Chinas in die Welterbe-Liste aufgenommen worden. Aber das nicht minder erhaltungswürdige alte Lhasa unter dem Palasthügel, im 9. Jahrhundert und dann wieder seit 1642 Hauptstadt Tibets, wird seit der chinesischen Okkupation 1951 und insbesondere seit der Einsetzung einer chinesischen Administration 1959 zerstört.
Paradigmatische Kulturgüter und ihre Gefährdung
Eine Stätte gilt als von universellem Wert im Sinne der Welterbe-Konvention, wenn sie einem oder mehreren der genannten Kriterien entspricht und dem Anspruch auf Echtheit und Unversehrtheit genügt. Eine strikte Abgrenzung und Zuordnung würde dem komplexen Charakter solcher Objekte und Ensembles allerdings nur unvollständig Rechnung tragen; die meisten haben eine so überragende multifunktionelle Bedeutung, daß sie den engen Rahmen einer einzelnen Kategorie sprengen. So wurden die Ruinen von Angkor ähnlich wie Venedig mit seiner Lagune unter Heranziehung aller sechs Kriterien für Kulturgüter in die Welterbe-Liste aufgenommen.
Im folgenden gehen wir näher auf Beispiele ein, die zumindest näherungsweise die reiche Vielfalt der 326 Weltkulturgüter widerspiegeln und eine bestimmte Kategorie repräsentieren. Ihnen allen gemeinsam ist, daß ihr Schutz und ihre Erhaltung sich infolge der raschen und tiefgreifenden Veränderungen weltweit zunehmend schwieriger gestalten.
Einzigartige künstlerische Leistungen: Angkor. Die Ruinenstätte im nordwestlichen Kambodscha, einst religiöse, politische und administrative Metropole eines der größten Reiche Südostasiens sowie als Sitz vergöttlichter Könige ein mythisches Symbol des gesamten Universums, gehört zu den großartigsten Welterbe-Denkmälern. Das 889 unter dem Namen Yashodharapura gegründete Angkor (dieses Wort bedeutet Zentrum oder Hauptstadt) ist eine von sieben Städten, die KhmerHerrscher auf einem Gebiet von mehr als 200 Quadratkilometern zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert erbauen ließen. Nach mehrfacher Eroberung und Zerstörung durch die Thai wurde die Stätte 1444 von den letzten Bewohnern verlassen und bald von wilder Buschvegetation überwuchert; erst 1858 fand der französische Naturkundler und Forschungsreisende Alexandre-Henri Mouhot sie wieder.
Die Spuren des Imperiums lassen sich heute nur noch an den Tempeln und Palästen ablesen, denn allein diese waren aus Ziegeln und Naturstein errichtet; sie sind von grandioser Architektur, überragt von spitzkonischen Türmen und verziert mit Ornamenten, szenischen Reliefs und Statuen. Alle anderen Gebäude bestanden vornehmlich aus Holz und sind verschwunden.
Der größte und berühmteste Tempelkomplex ist Angkor Wat (wörtlich: Hauptstadt-Kloster; Bild 1), errichtet unter König Suryavarman II., der von 1113 bis 1150 regierte. Allein diese Anlage bedeckt mit knapp einer Million Kubikmetern behauenem Stein eine Fläche von 1,75 Quadratkilometern. Dieser heilige Bezirk, umgeben von einem 200 Meter breiten Wassergraben, war ein Sinnbild kosmischer Ordnung von Kontinenten und Ozeanen; auch nach der Okkupation durch die Thai hielten ihn buddhistische Mönche einigermaßen instand, und er blieb noch für lange Zeit eine bedeutende Pilgerstätte.
Das von den Khmer angelegte Bewässerungssystem mit riesigen Stauseen, das die ganze Region durchzog, ermöglichte jährlich drei Reisernten. Dieser intensive Feldbau begründete den Wohlstand der KhmerStädte.
Wegen des Bürgerkriegs und der politisch schwierigen Situation in Kambodscha ist Angkor erst 1992 in die Welterbe-Liste und gleichzeitig in die Liste der gefährdeten Güter aufgenommen worden. Die UNESCO hatte sich jedoch schon früher um den Schutz der Bauwerke bemüht; bereits 1970 wurde damit begonnen, die Skulpturen der Tempel, die durch Diebe und Vandalen höchst gefährdet sind, im Nationalmuseum von Kambodscha in Phnom Penh in Sicherheit zu bringen. Dennoch ist der illegale Export und Verkauf dieser Kunstschätze immer noch eines der dringlichsten Probleme; viele Figuren und Reliefs sind verstümmelt, weil einzelne Elemente herausgebrochen wurden, die Schmuggler auf den internationalen Antiquitäten-Schwarzmarkt bringen.
Eine weitere Gefahr für Angkor ist naturbedingt: Viele Bauten sind noch von üppig wuchernder tropischer Vegetation überdeckt. Vor Beginn des Bürgerkriegs, den die Anlagen ohne größeren Schaden überstanden hatten (auch die Roten Khmer respektieren die Tempel), arbeiteten etwa 1000 Menschen daran, die Ruinen freizulegen – nach dem Krieg waren lediglich noch zwei von ihnen dort; überleben konnte sonst nur, wer ins Ausland zu flüchten vermochte. Weil das meisterliche Kanalsystem der Khmer nicht mehr existiert, staut sich jeweils nach den Monsunregen Wasser unter den Fundamenten und zerstört allmählich das Mauerwerk.
Die Ausbildung von Fachkräften zur Restaurierung Angkors bildet einen Schwerpunkt der internationalen Kampagne, zu der die UNESCO aufgerufen hat. Experten der Organisation haben einen Entwicklungsplan ausgearbeitet, der Wiederinstandsetzungsarbeiten, Sicherheitsvorkehrungen gegen Plünderung, Schulung von Personal, Information der Bevölkerung sowie vorbereitende und begleitende Forschungsarbeiten beinhaltet. Ziel ist außerdem der Aufbau einer Infrastruktur für gut geplanten Tourismus, der dem archäologisch bedeutenden Gebiet und den noch vorhandenen Monumenten so wenig wie möglich schadet, aber dafür eine spezielle Instruktion der Fremdenführer erfordert.
Es ist zu hoffen, daß die ehrgeizigen Pläne zur Rettung Angkors schnell in die Tat umgesetzt werden können. Zum Glück besteht daran großes Interesse in aller Welt; es gibt schon etliche bi- und multilaterale Projekte.
Die Ecole Française de l'Extrème Orient hatte bereits 1909 ein Studienzentrum am Ort gegründet (Kambodscha war seit 1863 französisches Protektorat). Französische Wissenschaftler und Techniker arbeiten seit Jahrzehnten an der Erforschung und Restaurierung der Ruinen. Gemeinsam mit japanischen Kollegen haben sie nun den Vorsitz eines internationalen Komitees zur Koordinierung der Rettungsarbeiten, dessen Sekretariat die UNESCO stellt.
Beträchtlicher Einfluß auf die Architektur und Landschaftsgestaltung: Schlösser und Parks von Potsdam und Berlin. Sanssouci (Bild 2 rechts), Neuer Garten, Schloß Glienicke, die Pfaueninsel und der Park Sacrow kamen 1990 auf die Welterbe-Liste. Friedrich der Große hatte Potsdam an der hier seenartig erweiterten Havel, vordem schon Garnison, zu einer zweiten, ausgesprochenen Residenzstadt neben Berlin ausgebaut. Schloß und Park Sanssouci ließ er zum Teil nach eigenen Entwürfen von Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff 1745 bis 1747 an und auf dem Höhenzug westlich der Stadt anlegen. Diese Sommerresidenz mit ihrer reichen Innenausstattung (insbesondere der Bibliothek von Johann August Nahl dem Älteren) und ihren Erweiterungen (vor allem dem 1769 unter der Leitung von Karl von Gontard vollendeten Neuen Palais) wurde ein Hauptwerk des deutschen Rokoko, ein Gesamtkunstwerk aus Bauten, Weinberg und Gärten.
Die zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung eingegangene Verpflichtung Deutschlands zu Schutz und Erhaltung setzt eine langfristige, umfassende planerische Absicherung dieser historischen Kulturlandschaft voraus. Das Instrumentarium dafür mußten die zuständigen Behörden und Verwaltungen, anders als die in den westlichen Bundesländern für entsprechende Aufgaben, hier an der früheren Nahtstelle zwischen Ost und West erst einmal erarbeiten.
In dieser Übergangsphase ist es örtlich zu Fehlentwicklungen gekommen. Die Einzigartigkeit des Ensembles gründet insbesondere auf den Arrangements seiner Elemente und den Perspektiven; manche Bauwerke können von bestimmten Standpunkten aus noch über 20 bis 25 Kilometer Entfernung gesehen werden und markieren gleichzeitig die Fluchtpunkte derartiger Beziehungen. In eine solche Sichtachse wurden zum Beispiel in den vergangenen Jahren auf dem Glienicker Horn Wohnhäuser errichtet, zudem in einem Abstand von nur 30 Metern zur Uferzone.
Ein besonderes Problem ist die planerische Abstimmung zwischen Berlin, der brandenburgischen Hauptstadt Potsdam und dem Landkreis Potsdam-Mittelmark. Indes drängen Investoren und erwarten schnelle Entschlüsse. So bleibt es nicht aus, daß auch Fehlentscheidungen gefällt werden, die jeweils für sich gesehen zwar als vernachlässigbar erscheinen mögen, aber insgesamt langfristig die Potsdamer Kulturlandschaft verschandeln würden.
Aus diesem Grunde hat das Welterbe-Zentrum den Deutschen Rat für Landespflege um eine Stellungnahme gebeten und eine öffentliche Diskussion in Gang gebracht, die bereits die ersten Ergebnisse zeitigt. So soll nicht mehr wie ursprünglich geplant ein über 100 Meter hoher Turm als Zentrum des Medienstandortes Babelsberg errichtet werden, der in unästhetischem Kontrast zu den Sichtachsen gestanden hätte, die Peter Joseph Lenné, seit 1856 Generaldirektor der königlichen Gärten in Preußen, entworfen hatte.
Dennoch bleiben Reiz und Schönheit des Ensembles weiterhin durch die Art neuer Bau- und Verkehrserschließung gefährdet. In seiner vorläufigen Stellungnahme mahnte der Deutsche Rat für Landespflege: "Es ist zu befürchten, daß die Zerstörung der Potsdamer Kulturlandschaft bei flächenintensiver Bebauung entscheidender Sichten und Blickbeziehungen, zu hoher Bebauung, allgemein unangepaßten Bauweisen sowie zu naher Uferbebauung langfristig unaufhaltbar sein wird." Die Probleme, heißt es darin weiter, würden sich mit der Gründung eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg noch verschärfen. Denn mit der Zunahme der Bevölkerung im Weichbild der deutschen Hauptstadt, die den Hauptansturm von Zuzüglern erst noch mit dem Umzug der Regierung erwartet, drohe verstärkte Zersiedelung und die Versiegelung weiterer Flächen; der Zustrom von Erholungsuchenden und Touristen könne an sich und durch dichteren Verkehr auch nachteilige Auswirkungen haben.
Außergewöhnliches Zeugnis einer untergegangenen Zivilisation: die Nazca-Geoglyphen (Bild 3 links). Diese einzigartige, für die Vorgeschichte Lateinamerikas wie auch für sich archäologisch höchst bedeutsame Ansammlung von Bodenzeichnungen wurde 1994 in die Welterbe-Liste aufgenommen. Auf mehr als 1000 Quadratkilometern finden sich hier teils riesige abstrakte Figuren – etwa Winkel, Dreiecke, Spiralen und Wellenzüge – sowie Darstellungen von Pflanzen, Tieren, Menschen und Geräten in der Wüstenebene an der südperuanischen Küste. Die nach wie vor rätselhafte Stätte wurde 1926 entdeckt und ist seit Mitte des Jahrhunderts Gegenstand intensiver Forschung (Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1978, Seite 62).
Die Muster und Umrisse entstanden, indem der vom Wind freigeblasene Erosionsschutt beiseite gelegt und die oberste, von Eisenoxid dunkel rotbraune Erdschicht abgekratzt wurde, so daß der gelbe Sand darunter zum Vorschein kam. Die einzelnen Linien sind zwischen 16 und 66 Zentimeter breit und bis zu 40 Zentimeter tief.
Diese Scharrbilder werden drei Kulturepochen im Zeitraum von 500 vor bis 600 nach Christus zugeordnet, am plausibelsten der spätesten, nach dem Nazca-Tal benannten. Sie ist für Goldschmuck und künstlerisch hervorragende Gefäße berühmt. Manche Motive auf der Keramik kehren mit verblüffender Ähnlichkeit in den Bodenzeichnungen wieder – nur daß diese vielfach solche Ausmaße haben, daß sie nur aus der Vogelperspektive zu überblicken und zu identifizieren sind: Eine Spinne zum Beispiel hat 46 und ein Affe 55 Meter Durchmesser, eine Eidechse ist 180 und das größte der rund 70 bekannten Tiermotive, ein Pelikan, gar 285 Meter lang.
Man vermutet, daß die Zeichnungen für die vorkolumbianischen Bewohner der Region magischreligiöse Bedeutung hatten und daß sie wahrscheinlich auch die Bestimmung markanter Daten ermöglichten – man unterscheidet Mond und SternenLinien, die zur astronomischen Beobachtung gedient haben könnten. Auch der Schnabel eines Vogels zeigt jeweils am 21. Dezember direkt auf die aufgehende Sonne.
Viele Linien in der Pampa del Ingenio oder – nach der Färbung – Pampa Colorado genannten Hochebene verlaufen in unterschiedliche Richtungen und durchkreuzen einander oft. Manche sind schnurgerade Strecken von lediglich vier Metern bis zu zehn Kilometern Länge. Deshalb hat man auch überlegt, ob einige Muster quasi als Landkarten geographische Bedeutung gehabt hätten. Jedenfalls ist nicht anzunehmen, daß die Anwohner der Wüstenregion, deren Siedlungen in den Flußtälern lagen, wo sie mit künstlicher Bewässerung intensiven Feldbau trieben, nur das größte Freilichtmuseum der Welt schaffen wollten; außer ästhetischem Sinn muß ein besonderer ritueller Beweggrund sie zu dieser Leistung veranlaßt haben, die ein hohes Maß sozialer Organisation erforderte.
Erhalten sind die Geoglyphen, weil es an der Südküste Perus sehr selten regnet. Ihre Konservierung ist aber wegen ihrer Ausdehnung äußerst problematisch. Die aus Dresden stammende Mathematikerin Maria Reiche, die sich seit 1946 gänzlich der Erforschung der Scharrbilder widmete, und das nationale Kulturinstitut in Lima trugen zur Erhaltung einiger Figuren bei; doch bisher fehlt ein umfassender Schutz vor Ort. Erhebliche Schäden sind bereits durch Straßenbau und durch Geländefahrzeuge unachtsamer oder gar böswilliger Besucher entstanden.
Das Welterbe-Komitee hat Peru aufgefordert, unverzüglich Maßnahmen für verstärkten Schutz zu ergreifen. Die meisten Touristen besichtigen freilich schon jetzt vernünftigerweise die wohl anderthalb Jahrtausende alten gigantischen Zeichnungen aus der Luft.
Herausragendes Beispiel eines Ensembles, das einen bedeutsamen Abschnitt in der menschlichen Geschichte darstellt: die Völklinger Hütte (Bild 2 links). Diese stillgelegte Hochofengruppe in einem bis zur Gründung des Eisenwerks unbedeutenden Ort, der nun mit Saarbrücken einen Stadtverband bildet, wurde als erstes Zeugnis des modernen Industrieerbes in die UNESCO-Liste aufgenommen. Sie ist ein hervorragendes Beispiel einer kompletten Roheisenproduktionsanlage, wie sie für das 19. und bis weit in das 20. Jahrhundert typisch war. Eine Anzahl wichtiger technischer Neuerungen bei der Gewinnung von Roheisen, die inzwischen überall in der Welt angewandt werden, sind von Völklinger Metallurgen und Ingenieuren entwickelt worden.
Mit seiner HochofenSkyline prägt das Eisenhüttenwerk das Ortsbild, weswegen Völklingen vor Jahren die Bezeichnung "häßlichste Stadt Deutschlands" zuteil wurde. Aber mittlerweile werden Industriedenkmäler mit anderen Augen gesehen, und die 1873 von dem Kölner Ingenieur Julius Buch gegründete Anlage veranschaulicht vorbildhaft alle Arbeitsschritte der historischen Roheisenerzeugung. Ende des vergangenen Jahrhunderts war Völklingen Deutschlands größte Produktionsstätte für Eisenträger; zeitweise waren 20000 Arbeiter in dem zu den modernsten in Europa gehörenden Röchlingschen Eisen- und Stahlwerk beschäftigt. Da die Anlage im Zweiten Weltkrieg unzerstört blieb, sind ihre technischen Einrichtungen noch authentisch.
Die Völklinger Hütte wurde Mitte 1986 geschlossen – zwei Jahre früher als das Bergwerk Rammelsberg, das als einziges 1000 Jahre lang ununterbrochen in Betrieb war und ebenfalls als Erbe der Menschheit anerkannt wurde. Anders als bei diesem Gelände im Harz, das durch den Bund und das Land Niedersachsen finanziell gesichert und nun in ein Museum umgewandelt ist, sucht man in Völklingen noch nach Sponsoren. Bei einer Arbeitslosenquote von 15 Prozent ist kaum mit Zuschüssen der Stadt zu rechnen; man hofft auf Bundesmittel.
Dennoch ist das Hüttengelände nicht verlassen: Seit 1990 finden Kulturveranstaltungen aller Art statt, und inzwischen haben sich auch kleinere Betriebe und das 1994 eröffnete Gewerbe und Technologiezentrum dort niedergelassen.
Die Einschreibung in die Welterbe-Liste ist für den Weiterbestand der Hütte ein wesentlicher Schritt. Sie wird als Industriedenkmal erhalten bleiben und nicht einem Parkplatz oder modernen Hochbauten weichen müssen, da sich die Bundesrepublik gegenüber der Staatengemeinschaft und gegenüber der Öffentlichkeit zu ihrem Schutz verpflichtet hat.
Hervorragendes Beispiel einer überlieferten Siedlungsform: Taos Pueblo (Bild 3 rechts). Die Pueblo-Indianer, so von den Spaniern nach ihren kompakten Wohnanlagen benannt (pueblo heißt Dorf), sind die Nachkommen der Anasazi, deren prähistorische Kultur seit etwa 200 vor Christus bis zur Ankunft der Europäer im 16. Jahrhundert auf dem Colorado-Plateau im Südwesten der heutigen USA verbreitet war. Heute bilden die rund 50000 Angehörigen verschiedener Stämme, obwohl sie kulturell recht homogen sind, zwei Gruppen: eine westliche die zur uto-aztekischen Sprachfamilie gehörenden Hopi in Arizona und die sprachlich eigenständigen Zuni in New Mexico sowie eine östliche die vor allem in den Tälern des Rio Grande und seiner Nebenflüsse siedelnden Pueblo, die Keresan und Tewa (mit den Untergruppen Tiwa und Towa) sprechen. Früher war organisierte Jagd üblich; nun ist Feldbau – ursprünglich von Mais, Bohnen, Kürbissen, Baumwolle und Tabak – die Existenzgrundlage.
Zu der östlichen Gruppe gehören auch die rund 1700 Bewohner von Taos Pueblo. Ihr Dorf an einem schmalen Seitenarm des Rio Grande bildet mit zwei anderen die Stadt Taos, die ein frühes Zentrum des Santa-Fe-Trails (eines bei Independence in Missouri beginnenden und von 1821 bis 1880 unterhaltenen Planwagen-Handelsweges) war. Allerdings besteht die indianische Siedlung schon seit mehr als 800 Jahren. Sie ist einer der besterhaltenen Gemeinschaftskomplexe, obwohl nur aus Adobe – einer Mischung aus Lehm und Stroh – gefertigt.
Zwei weitere nordamerikanische Welterbe-Stätten sind ebenfalls Pueblos: Mesa Verde in Colorado und die Großhäuser im Chaco-Canyon von New Mexico. Sie wurden jedoch im späten 13. Jahrhundert verlassen, vielleicht aufgrund einschneidender Klimaveränderungen (Spektrum der Wissenschaft, September 1988, Seite 94).
Die Indianer von Taos Pueblo haben ihre Kultur und Lebensweise immer verteidigt und widerstanden in vielen Auseinandersetzungen den Kolonialherren. Der Versuch ihrer gewaltsamen Christianisierung scheiterte – die erste Kirche wurde in einem großen Aufstand 1680 niedergebrannt, als alle Pueblo gemeinsam die Spanier für zwölf Jahre vertrieben; aber heute werden auch einige katholische Feste gefeiert. In dem komplexen traditionellen Zeremonialwesen dienen kultische Tänze und Rituale der Verbindung mit den Ahnengeistern, der Fruchtbarkeit und der Harmonie.
Die bis zu fünf Stockwerke hohen Bauten des Dorfes sind bis auf Details unverändert geblieben; einer der wenigen Kompromisse mit neuzeitlichen Bequemlichkeiten war beispielsweise, nicht nur die Backöfen vor den Häusern zu benutzen, sondern zusätzlich Feuerstellen im Inneren anzulegen.
Taos Pueblo wird in Selbstverwaltung regiert. Ein Mitglied des Stammes leitet auch das Projekt "Erhaltung des architektonischen Erbes", und die Restaurierungsarbeiten verrichtet ein einheimisches Team. Risiken für diese traditionelle Siedlungs- und Lebensform sind die Verlockungen der Technik und der modernen Medien sowie in zunehmendem Maße der Tourismus, der das Pueblo zu einem bewohnten ethnologischen Museum zu degradieren droht. Solchen Anfechtungen scheint die indianische Gemeinschaft vorerst aber zu widerstehen. Eine weitere Gefahr der Korrumpierung birgt die geplante Erweiterung des nahegelegenen Flughafens von Taos.
Assoziative Welterbe-Güter: die Kulturlandschaften der Ureinwohner Australiens und Neuseelands. Seit zwei Jahren besteht die Möglichkeit, auch außergewöhnliche, in der Entwicklung der regionalen Kultur bedeutsame Landschaften in die Welterbe-Liste aufzunehmen. Anerkannt wurden bisher der von den Maoris gestiftete Tongariro-Nationalpark auf der Nordinsel Neuseelands (Bild 4 rechts oben) und UluruKata Tjuta in Australien, der rund 1400 Quadratkilometer große Nationalpark um Ayers Rock; dieser größte Inselberg der Erde – ein Sandstein-Monolith, der 348 Meter aus der umgebenden Ebene herausragt – ist eine der heiligsten Stätten der Ureinwohner dieses Kontinents.
Viele Völker sahen oder sehen noch in auffälligen Naturgebilden, vor allem in Bergen, mythische Stätten – sei es der Olymp als Sitz der altgriechischen Götter, der Ararat in der Türkei, von dem es in der Bibel heißt, daß Noahs Arche auf ihm gelandet sei, oder der Kilimandscharo. Schon der Name des mit 5895 Metern höchsten Berges Afrikas an der Nordgrenze Tansanias zeigt die spirituelle Bedeutung an, die ihm beigemessen wird: "Ndscharo" ist der Name eines Dämons, der die Kälte bringt.
Auch die Polynesier Neuseelands verehren Berge, was etwa in den Worten ihrer Sprache "Te ha o taku na unga, ko taka manawa" (der Atem meines Berges ist mein Herz) zum Ausdruck kommt. Deren Schutz war den Maoris so wichtig, daß einer ihrer Häuptlinge 1887, nach Jahrzehnten kriegsähnlicher Konflikte mit den europäischen Kolonisten um Landbesitz und wegen erzwungener Christianisierung, ein 692 Quadratkilometer großes Gebiet mit heiligen Gipfeln – darunter der 1968 Meter hohe Vulkan Tongariro – der britischen Krone übereignete, um seine Unantastbarkeit sicherzustellen.
Es war das erste Mal, daß ein eingeborenes Volk einem Staat ein solches Geschenk machte, und Tongariro wurde so 1894 zum Nationalpark – dem weltweit vierten in der Geschichte des Naturschutzes. Seine Instandhaltung und Verwaltung leiten nun die neuseeländische Schutzbehörde und die Maoris gemeinsam, wobei sie besonders auf die Berge Rücksicht nehmen.
"Uluru" bedeutet schattenspendender Platz und ist der Name der Aborigines für Ayers Rock, in dessen Gebiet sie seit mehr als 40000 Jahren als Jäger und Sammler leben (englisch benannt wurde der Felsbuckel zu Ehren des südaustralischen Premiers Sir Henry Ayers). Nach dem Bau eines Touristendorfs und der Umsiedlung der Ureinwohner, die den Schmerz über den Verlust ihrer Heiligtümer und ihrer Freiheit in Alkohol zu ertränken suchten, entschloß sich die australische Regierung 1985, das mit eingeritzten und gemalten mythischen Bildern versehene Natur- und Kulturmonument samt dem 1959 eingerichteten Nationalpark dem Pitjantjatjara-Stamm rückzuübereignen. Inzwischen verwaltet ein Komitee, das in der Mehrzahl aus Aborigines besteht, in Zusammenarbeit mit der Nationalparkverwaltung das riesige Gebiet. An bestimmten Festtagen ist der Uluru-Park teilweise für die Öffentlichkeit geschlossen, damit die traditionellen Zeremonien nicht gestört werden.
Auch Stätten, die an die dunkelsten Phasen und schlimmsten Ereignisse der Geschichte erinnern, sind zum Welterbe erklärt worden, so das Konzentrationslager von Auschwitz. Diese Eintragung am 50. Jahrestag des Bestehens der Vereinten Nationen mahnt daran, die Menschenrechte zu achten. Dazu gehören auch das Recht auf eine eigene kulturelle Identität und der Schutz der Kulturgüter von Minderheiten.
Die UNESCO hat keine andere Macht als die, an Vernunft, moralische Grundwerte und kosmopolitischen Geist zu appellieren. Sie kann Aggression nicht mit Gegengewalt aufhalten, wenn Kulturdenkmäler vorsätzlich geschädigt oder gar vernichtet werden – der Beschuß der Altstadt von Dubrovnik während der Kriegswirren im früheren Jugoslawien ist ein schlimmes Beispiel.
Dennoch – auch Symbole sind mächtig, zumal wenn die Staaten der Erde sich in ihrer Anerkennung und Achtung vereinen. Als Mahnmal gegen Ausbeutung und Mißachtung der Menschenwürde steht etwa die kleine Felseninsel Gorée am Kap Verde, die seit 1960 zum Senegal gehört: Sie war einer der geschäftigsten Sklaven-Umschlagplätze Westafrikas. Als Monument, das für Millionen Exilanten und Emigranten aus vielen Ländern zum Zeichen neuer Hoffnung geworden ist, kam die Freiheitsstatue in New York auf die Welterbe-Liste, desgleichen die Unabhängigkeitshalle in Philadelphia, wo am 4. Juli 1776 die Unabhängigkeitserklärung der amerikanischen Kolonien Englands verkündet wurde, die unter Berufung auf das Naturrecht die Freiheit und Gleichheit aller Menschen sowie die Volkssouveränität postulierte – ein politisches Dokument von erheblicher historischer Wirkung nicht nur für die Vereinigten Staaten, sondern insbesondere auch in der Französischen Revolution von 1789 und in den Unabhängigkeitsbestrebungen Lateinamerikas.
Paradigmatische Naturgüter und ihr Schutz
Auch für die meisten der 97 als Welterbe ausgezeichneten Naturgüter gilt, daß sie verschiedenen Kategorien angehören. So wurde die Eintragung der Galapagos-Inseln damit begründet, daß sie alle vier Kriterien erfüllen.
Eine Stätte von eminenter geologischer oder paläontologischer Bedeutung: der Dinosaurier-Park in der kanadischen Provinz Alberta. Diese bizarre Erosionslandschaft (Bild 6) ist eines der reichsten Fossilienlager der jüngeren Kreidezeit. Die Relikte der Riesenechsen werden auf ein Alter von etwa 75 Millionen Jahren geschätzt; bisher hat man 60 Arten aus sieben Familien identifiziert.
Teile von Skeletten hatte 1910 zufällig ein Privatmann entdeckt und gesammelt. Erst später begannen die wissenschaftlich bedeutsamen Zeugnisse der im Erdmittelalter dominierenden Reptilien Paläontologen und naturkundliche Museen weltweit zu interessieren. Außerdem sind dort auch Fossilien von Fischen, Amphibien, Wasserschildkröten und altertümlichen Säugetieren erhalten. Im Jahre 1955 wurde schließlich das mehr als 6000 Hektar große Gebiet zum Provinzpark erklärt.
Problematisch ist, daß Gasvorkommen in der Region nachgewiesen wurden. Das WelterbeKomitee und die kanadische Regierung verständigten sich aber auf einen Kompromiß: Die Grenzen des geschützten Gebiets wurden möglichst eng gezogen, und dafür dürfen die Gasquellen nur außerhalb davon angezapft werden. In dem gut geführten Park wurden inzwischen eine Forschungsstation und ein Museum eingerichtet; die rekonstruierten Dinosaurierskelette ziehen insbesondere Schulklassen an. Im Gelände kommen durch die Witterungseinflüsse in dem relativ lockeren Sediment immer weitere Fossilfragmente zutage, die Wissenschaftler und ihre meist freiwilligen Helfer dann sofort bergen.
Eine Stätte von außergewöhnlicher evolutionsgeschichtlicher Bedeutung: die GalapagosInseln (Bild 4 links oben). Diese Provinz Ecuadors 1000 Kilometer vor der Festlandküste besteht aus 13 größeren und 17 kleineren Inseln sowie vielen Felsen, die insgesamt knapp 8000 Quadratkilometer einnehmen, aber über 60000 Quadratkilometer des Pazifik verstreut sind. Benannt sind sie nach den Riesenschildkröten (spanisch galápagos), die dort einst in großer Zahl lebten, doch seit längerem vom Aussterben bedroht sind.
Lavafelder prägen die erst drei bis vier Millionen Jahre alten äquatorialen Inseln, die durch Vulkanausbrüche entstanden sind. Charles Darwin, der sie 1835 auf seiner fünfjährigen Reise mit dem Forschungsschiff "Beagle" besuchte, bezeichnete den Archipel als "Laboratorium der Evolution". Vor allem die eigentümliche Vogelwelt brachte ihn nach seinen eigenen Worten "auf das Studium des Ursprungs der Arten", war also eine entscheidende Anregung für seine 1859 veröffentlichte Evolutionstheorie.
Wegen der Abgeschiedenheit der Inseln konnte sich über Jahrtausende eine Tier und Pflanzenwelt entwickeln, wie sie sonst nirgendwo auf der Erde anzutreffen ist – darunter finden sich Abkömmlinge von Arten, die es sowohl aus heißen wie aus kalten Zonen dahin verschlagen hatte. Etwa ein Viertel der Küstenfische, die meisten Vögel und fast alle Reptilien auf den Galapagos sind ausschließlich dort beheimatet, von den rund 700 Spezies höherer Pflanzen etwa 40 Prozent.
Dieses faszinierende Ökosystem wurde 1934 unter Naturschutz gestellt und ist seit 1959 größtenteils Nationalpark. Gleichwohl ist die Situation aus verschiedenen Gründen kritisch.
Die Riesenschildkröten waren schon im vorigen Jahrhundert von Wal und Robbenfängern fast ausgerottet worden; 13 von 15 Arten, die früher jeweils andere Inseln bewohnten, sind vom Aussterben bedroht. Viele andere einheimische Tierarten sind gleichfalls in ihrer Existenz gefährdet, unter anderem durch verwilderte Haustiere wie Ziegen, Schweine, Hunde und Katzen, die ihren Lebensraum immer weiter einschränken. Auch die Viehzucht und eine unkontrollierte Einwanderung vom Festland (die Bevölkerung nimmt pro Jahr um ungefähr acht Prozent zu) stören, schädigen und dezimieren Fauna und Flora. Illegale Fischerei greift um sich. Der offiziell begrenzte, aber trotzdem anschwellende Touristenstrom ist von der Parkverwaltung, die mit gravierenden Mängeln der Infrastruktur zu kämpfen hat, kaum so zu kanalisieren, daß er auf Dauer harmlos bleibt. Besonders schwierig ist die Brandbekämpfung: Auf Isabela zerstörte 1985 ein mehrere Wochen anhaltendes Feuer alles Leben auf rund 300 Quadratkilometern; und letztes Jahr konnten nur in einer spektakulären Rettungsaktion, bei der sogar Hubschrauber eingesetzt werden mußten, die Riesenschildkröten auf dieser größten Insel des Archipels vor einem Flammenmeer in Sicherheit gebracht werden.
Außergewöhnliche Naturerscheinungen: der Sugi-Wald auf Yakushima. Die nur rund 500 Quadratkilometer große japanische Insel südlich der südlichen Hauptinsel Kyushu ist berühmt für ihre dort Sugi genannten Sicheltannen. Diese Gattung der Sumpfzypressengewächse ist weltweit nur mehr durch eine Art (Cryptomeria japonica) vertreten. Die immergrünen Bäume kommen in China und Japan vor und werden auch in europäischen Gärten kultiviert. Aber auf Yakushima erreichen sie oft ein ungewöhnliches Alter, dem zur selben Nadelhölzer-Familie gehörenden amerikanischen Riesenmammutbaum (Sequoiadendrum giganteum) vergleichbar.
Die noch nicht tausendjährigen Exemplare heißen Ko-Sugi, YakuSugi die oft mehrere tausend Jahre alten Riesen, die inzwischen unter keinen Umständen mehr gefällt werden dürfen (Bild 5 links). Einzig zur Nutzung freigegeben ist das Holz abgestorbener Äste oder Stümpfe. Weil YakuSugi traditionell als heilig gelten (manche haben Eigennamen) und für ihre Erhaltung großes öffentliches Interesse besteht, ist nicht zu befürchten, daß der Bestand – einer der ältesten Wälder der Erde – Opfer von Raubbau wird. Gefahr droht eher durch mehr und mehr Besucher. Vor allem zieht es sie zu dem Patriarchen unter den Sicheltannen weit oben am Zentralberg der Insel, dem 1935 Meter hohen Miyanoura-dake; dieser YakuSugi soll laut Prospekt 7000 Jahre alt sein.
Ein Zentrum biologischer Vielfalt: das große Barriereriff (Bild 4 unten). Entlang der Nordostküste Australiens erstreckt sich über fast 2000 Kilometer bis kurz vor Papua-Neuguinea die größte je von Lebewesen geschaffene Struktur. Das Große Barriereriff besteht aus 2900 Einzelriffen verschiedenen Typs, die dem 10 bis 260 Kilometer vom Festland entfernten Schelfrand aufsitzen und insgesamt mehr als 200000 Quadratkilometer einnehmen. Die belebten Kuppen liegen größtenteils einen halben bis drei Meter unter Hochwasserniveau (als erster Europäer sah der britische Weltumsegler James Cook das Riff, als die "Endeavour" hier 1770 auf Grund lief); überragt werden sie von etwa 600 meist unbewohnten Inseln mit amphibischen Pflanzen sowie Schrauben- und (vom Menschen angesiedelten) Kokospalmen.
Die ältesten Korallenbauten entstanden hier bereits im Miozän vor etwa 28 Millionen Jahren. Die Riffe wuchsen, stagnierten oder wurden erodiert, je nachdem ob sich der Untergrund weiter senkte oder wieder hob und wie der Meeresspiegel im Wechsel von Warm- und Eiszeiten fluktuierte. Die Korallenpolypen dürfen nämlich allenfalls kurze Zeit trockenfallen. Außerdem brauchen sie klares, sauerstoff- und nährstoffreiches Wasser mit ausreichendem Salzgehalt und einer Temperatur von mindestens 21 Grad Celsius; unterhalb etwa 40 Metern Tiefe ist es ihnen zu dunkel.
In den angrenzenden Gewässern leben rund 14000 Tierarten, darunter allein wohl mehr als 350 riffbildende Korallen-Spezies: Die festsitzenden Polypen, die sich von Plankton ernähren, bilden Kalkkelche, zwischen denen die Reste von Schalen und Binnenskeletten anderer Meeresorganismen, dazu anderwärts von der Brandung weggerissener und zu Sand zerriebener Korallenkalk gleichsam einzementiert werden.
Schon im 19. Jahrhundert reisten viele Forscher zu diesem Naturwunder. Den größten wissenschaftlichen Ertrag brachte dann eine Expedition in den Jahren 1928 und 1929. Ein modernes Laboratorium wurde 1951 auf der Insel Heron eingerichtet.
Zu den großen Gefahren für das Riff-system gehört ein natürlicher Feind der Korallen, der bis zu 60 Zentimeter im Durchmesser große, vielarmige DornenkronenSeestern (Acanthaster planci), der sich auf der Stockoberfläche festklammert, seinen Magen ausstülpt und die Polypen in etwa drei Stunden verdaut. So werden ganze Riffs abgetötet. Erhebliche Schäden richten auch die Anker von Schiffen an, des weiteren Muschel- und Korallensammler und gelegentlich Krabbenfischer. Ein wachsender Besucher- und Touristenstrom stellt die aufsichtsführende Great Barrier Reef Authority wegen der gewaltigen Ausdehnung des Welterbe-Gebietes vor eine schwierige Aufgabe.
Nicht alle Probleme lassen sich örtlich lösen: Das potentiell tödliche Ausbleichen von Korallen (Spektrum der Wissenschaft, März 1993, Seite 84) ist weltweit zu beobachten, aber seine Ursachen sind noch nicht ergründet – diskutiert werden unter anderem Krankheiten, der Eintrag von Pestiziden von Land her, Änderungen des Salzgehalts des Wassers, verstärkte Ultraviolett-Einstrahlung und eine zu hohe Wassertemperatur. Jedenfalls ist das an biologischem Reichtum unübertroffene Korallenriff-Ökosystem besonders empfindlich.
Gemischte Kultur- und Naturgüter: das Ngorongoro-Schutzgebiet in Tansania (Bild 5 rechts). Zum Abschluß gehen wir auf dieses Welterbe-Gebiet in Ostafrika ein, obwohl es aus Zeitschriften, Büchern, Filmen und Fernseh-Features weltbekannt ist, weil es dringend umfangreicher internationaler Hilfe bedarf.
Ngorongoro ist der Name eines der größten vulkanischen Krater der Welt. Die Caldera hat bei einem Durchmesser von 22 Kilometern eine Fläche von 250 Quadratkilometen; ihr 1750 hoch gelegener Boden wird von den Kraterrändern noch um 600 Meter überragt. Das Naturschutzgebiet besteht vorwiegend aus Savanne. Es schließt auch den Empakaai-See und die OlduvaiSchlucht ein, in der seit den dreißiger Jahren vor allem Louis S. B. Leakey und seine Fau Mary die Reste zahlreicher früher Hominiden gefunden haben, Fossilien von entscheidender Bedeutung für unser Bild von der Evolution des Menschen. Berühmt ist Ngorongoro insbesondere als Habitat vieler, zum Teil vom Aussterben bedrohter Tierarten. In dichtester Konzentration leben hier Elefanten, Nashörner, Gnus, Zebras, Gazellen, Antilopen und Büffel sowie Raubwild – Löwen, Leoparden, Hyänen und Schakale. In dem größeren Schutzgebiet betreiben zudem etwa 20000 Massai Viehzucht (deren Rinderherden allerdings die Grasflächen stark überweiden) und eine wachsende Zahl von Neuankömmlingen aus anderen Stämmen Ackerbau.
Nachdem Ngorongoro 1989 aufgrund eines verbesserten Schutzkonzepts wieder von der Liste der gefährdeten Güter gestrichen worden war, besteht inzwischen erneut Anlaß zur Sorge. Unter zunehmendem Bevölkerungsdruck werden die Kraterhänge mehr und mehr besiedelt. Die stillschweigende Duldung von Rodung und Ackerbau durch die staatlichen Stellen läuft eindeutig dem Schutzzweck der Konvention entgegen.
Auch die kulturellen Werte des Gebiets sind gefährdet, und zwar nicht nur die traditionell nomadische Lebensweise der Massai. Insbesondere gilt es, die dreieinhalb Millionen Jahre alten versteinerten Tier- und Hominiden-Fußspuren von Laetoli (Spektrum der Wissenschaft, April 1982, Seite 44) vor der Zerstörung zu retten. Dafür hofft das Welterbe-Zentrum in Zusammenarbeit mit der Regierung von Tansania und dem Getty Conservation Institute in Marina del Rey (Kalifornien) eine Lösung zu finden.
Lohnt es überhaupt, auf diese Weise eine Arche Noah unserer Zeit zu bauen? Sind nicht die Aussichten einer Rettung dessen, was die UNESCO das Welterbe nennt, sehr düster, wenn man das zerstörerische Potential der Übervölkerung, des Ressourcenverbrauchs und der technischen Zivilisation bedenkt?
Das Leiden der Menschen zeige wie eine Kompaßnadel an, wie weit wir vom rechten Wege abgekommen sind, schrieb im vorigen Jahrhundert der russische Dichter Leo Nikolajewitsch Tolstoi. Die erste Hälfte dieses Jahrhunderts war von ideologischen Diktaturen, den beiden Weltkriegen und dem Holocaust geprägt, die zweite bis in die unmittelbare Gegenwart vom Gegensatz zweier Weltmächte und ihrer Lager unter der Drohung der atomaren Verwüstung der ganzen Erde, während nationalistisch, ethnisch, religiös und wirtschaftlich motivierte Konflikte aufflammten; selbst die Entkolonialisierung hat nur wenigen betroffenen Regionen Frieden gebracht. Dies, die Kluft zwischen Nord und Süd und die destruktive Ausbeutung der Umwelt geben auch unserer Zeit ein unmenschliches Gepräge. Werden aber die Menschenrechte nicht mehr geachtet, besteht kaum mehr Hoffnung für Pflege und Schutz der Kultur- und Naturgüter.
Die Erhaltung des Welterbes für künftige Generationen erfordert erhöhte Anstrengungen in Erziehung und Öffentlichkeitsarbeit, mutiges, gleichsinnig auf die Zukunft gerichtetes Handeln der Entscheidungsträger und Internalisierung der Kosten nicht nur des Umweltverbrauchs, sondern auch der Schäden an Kultur- und Naturgütern in den Preisen der Marktwirtschaft. Der Durchbruch zu allgemeiner Humanität, einer wahrhaften internationalen und intergenerationellen Solidarität sowie einer umweltverträglichen und Kulturgüter bewahrenden, nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung muß dringend vollzogen werden.
Literaturhinweise
- The Struggle to Save our World Heritage. Von Michel Batisse in: Environment, Band 34, Seiten 12 bis 32, Dezember 1992.
– Thema: Welterbe. Herausgegeben von B. von Droste und M. Rössler. Geographische Rundschau, Band 47, Heft 6, 1995.
– Cultural Landscapes of Universal Value. Components of a Global Strategy. Herausgegeben von Bernd von Droste, Harald Plachter und Mechthild Rössler. Fischer, Jena 1995.
– La Convention du Patrimoine, vingt ans après. Von Leon Pressouyre. Editions UNESCO, Paris 1993.
– Operational Guidelines for the Implementation of the World Heritage Convention. Herausgegeben von der UNESCO. Paris 1995.
– Das Weltkulturerbe – deutschsprachiger Raum. Herausgegeben von Hans-Christian Hoffmann, Dietmar Keller und Karin Thomas. DuMont, Köln 1994.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1995, Seite 38
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