Kunstformen der Natur
Prestel, München 1998. Gebunden 280 Seiten mit 100 Farbtafeln, DM 198,– (nach dem 1. 1. 1999 DM 248,–), broschiert 144 Seiten mit 100 Farbtafeln, DM 39,80.
Der Zoologe Ernst Haeckel (1834 bis 1919) war als entschiedener Verfechter Darwinscher Ideen zur Abstammungslehre über die Jahrzehnte seines Wirkens in Jena hinaus heftig umstritten. Vorbehaltlos bewundert wurde indessen sein künstlerisches Werk. Haeckel war exakter Beobachter und genialer Zeichner und Aquarellist, wie bereits die 1861 erschienene, in der Folgezeit sehr breitenwirksame Monographie über Radiolarien (marine Einzeller) zeigt.
Zwischen 1899 und 1904 veröffentlichte Haeckel in zehn Einzellieferungen zu je zehn Tafeln seine berühmten „Kunstformen der Natur“, in denen er der formalen Ästhetik des natürlichen Formenreichtums ein bis heute unerreichtes Denkmal setzte. Die thematisch zusammengestellten Einzeltafeln porträtieren vor allem Meeresorganismen von den Einzellern (Radiolarien, Foraminiferen, Kieselalgen) über Wirbellose (Kalkschwämme, Polypen, Medusen, Platt- und Röhrenwürmer, Weichtiere) bis zu den Fischen; andere halten festländische Organismen fest, darunter Flechten, Pilze, Orchideen, Insekten, Fledermäuse und Kolibris – allesamt in Sinne der idealistischen Morphologie typisiert und unter Betonung des Monströsen stilisiert, aber niemals zu bloßer Geometrie erstarrt. An der Faszination dieser Bildwelten hat neben Haeckels gezeichneten Vorlagen und Entwürfen auch deren kongeniale Umsetzung durch den Jenaer Lithographen Adolf Giltsch (1852 bis 1911) entscheidenden Anteil.
Die jetzt vorliegende Neuausgabe präsentiert alle 100 Tafeln in exzellenter Wiedergabe sowie drei Beiträge zum Thema: Olaf Breidbach, Naturphilosoph, Neurobiologe und seit 1995 Direktor des Ernst-Haeckel-Hauses in Jena, beleuchtet neben der Einordnung der „Kunstformen“ in das Haeckelsche Gesamtwerk auch deren besondere Rezeptionsgeschichte. Irenäus Eibl-Eibesfeldt reflektiert in seinem Beitrag über den Künstler im Wissenschaftler, und der Mediziner Richard P. Hartmann deutet die Bildsprache Haeckels als gemalte Weltanschauung. Darüber hinaus enthält die gebundene Ausgabe alle ausführlichen Bildlegenden Haeckels, das 1904 erschie-nene „Supplement-Heft“, eine theoretische Abhandlung über die in den organismischen Formenwelten realisierten Gestaltungsprinzipien, sowie eine – sehr aktualisierungsbedürftige – Liste, welche die gezeichneten Organismen nach moderner wissenschaftlicher Klassifikation aufführt.
Die gestalterische Qualität der Einzeldarstellungen, an denen sich Designer und Fotografen vom Jugendstil bis in die Postmoderne geschult haben, hält jedem Vergleich mit den ausgefallensten modernen Dokumentationen stand. Um so erfreulicher, daß sie fast ein Jahrhundert nach der Erstveröffentlichung in einer ansehnlichen Neuausgabe vorliegen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1998, Seite 126
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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