Kunsttheorie: Die Vermessung des Menschen
Im Entwurf eines Vorworts für sein kunsttheoretisches Werk "Vier Bücher von menschlicher Proportion" gestand Albrecht Dürer ein, dass er sich erfolglos bei Jacopo de' Barbari (um 1440 – 1516) um Rat und Beistand bemüht hatte. Der junge Künstler hatte den italienischen Maler, der später in Nürnberg in den Diensten Kaiser Maximilians I. arbeitete, möglicherweise bei seiner ersten Venedigreise 1494 kennen gelernt. Ohne Unterweisung durch den venezianischen Meister war der junge deutsche Maler gezwungen, sich selbst eine Methode der Darstellung des Menschen zu erarbeiten – auf der Grundlage eigener Erfahrungen und antiker Schriften.
Schon vor seinem ersten Italienaufenthalt (siehe Beitrag S. 78) hatte der Nürnberger versucht, den menschlichen Körper möglichst perfekt abzubilden. Das "Bademädchen" von 1493 ist seine erste bekannte Aktzeichnung – und zugleich das früheste nördlich der Alpen geschaffene Abbild einer Nackten in der Renaissance (siehe Bild S. 60 links). Die junge, nur mit einem Tuch um den Kopf bekleidete Frau ist frontal abgebildet. Sie wirkt etwas ungelenk, blickt den Betrachter geradeheraus an und scheint ihm zuzuwinken. Für Dürer muss es – obgleich ihm die Dame wahrscheinlich Modell stand – eine ziemlich große Herausforderung gewesen sein, einen weiblichen Akt zu zeichnen. Denn der frühe Versuch des gerade erst 22-Jährigen zeigt durchaus einige Unzulänglichkeiten. Er konzentrierte sich darauf, durch Kreuzschraffuren am Bauch, den Brüsten und der rechten Schulter dem Körper der Frau räumliche Dimensionen zu verleihen. Offenbar musste er mehrere Korrekturen vornehmen, doch gelang es ihm, auch solche "pentimenti" (von pentimento, italienisch: Reue) kreativ einzusetzen: Mehrfach ausgeführte Konturlinien an den Ellenbogen etwa lassen die Arme plastischer erscheinen ...
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