Langjährige gleichläufige Wachstumsschwankungen bei Bäumen in Europa und Asien
Bislang galt für Jahrringkalender, daß sie kleinräumig an die Region und die Baumart gebunden sind, für die sie aufgestellt wurden. Wertet man jedoch statt der dafür aufbereiteten Daten die reinen Meßwerte aus, so zeigen sich zwischen verschiedenen Arten und selbst zwischen verschiedenen Erdteilen überraschend übereinstimmende Langzeittrends.
Der Zuwachs von Bäumen, wie er sich an den Jahrringen im Stammquerschnitt ablesen läßt, hängt von Faktoren wie Niederschlag, Temperatur, Standort und genetischen Anlagen ab. Man weiß, daß die Schwankungen in den Ringbreiten einer Baumart innerhalb des gleichen Wuchsgebietes deutlich übereinstimmen – ein Indiz für den prägnanten Einfluß der von Jahr zu Jahr wechselnden Witterung. Dies macht man sich zum Aufbau von Jahrringkalendern und somit zur Datierung von Hölzern in der Dendrochronologie zunutze (Spektrum der Wissenschaft, Januar 1988, Seite 56).
Eine Holzprobe läßt sich um so sicherer datieren, je zuverlässiger die Vergleichschronologie ist. Diese, oft auch Standardchronologie oder Jahrringkalender genannt, umfaßt einen ausreichend repräsentativen Querschnitt aus möglichst vielen zeitgleichen Bäumen einer Region, ist also eine Mittelungskurve. An ihr entlang wird das Jahrringmuster einer zu datierenden Holzprobe verschoben, bis die beste Deckung mit dem Vorbild erreicht ist.
Damit der Computer diese Deckungs- oder Synchronlage in genügender Trennschärfe aus anderen, zufällig übereinstimmenden Lagen herausfindet, werden die Rohdaten der Ringbreiten vorher standardisiert, das heißt in Abweichungen vom gesamten Mittelwert umgerechnet. Diese Prozedur erhöht die Datierungsgenauigkeit, weil sie die jährlichen Schwankungen betont und standortbedingte Unterschiede, aber auch Langzeittrends unterdrückt. Findet man nun ältere Hölzer, deren Jahrringmuster sich mit dem Anfang einer etablierten Chronologie noch überschneidet, läßt sich diese zeitlich verlängern.
Nach diesem weltweit üblichen Verfahren konnten Dendrochronologen für Westeuropa einen lückenlosen Eichen-Jahrringkalender bis 8021 vor Christus aufbauen. Bisher galt der Grundsatz, daß solche Chronologien eng an ihr regionales Klima gebunden seien. Deshalb wurden in den vergangenen Jahrzehnten separate Eichen-Kalender aufgebaut, etwa für Nord- und für Süddeutschland, um flächendeckend datieren zu können.
Jahrringchronologien aus Europa und Asien
Auf der Suche nach langzeitlichen und weiträumigen Zusammenhängen haben wir nicht mehr die für Datierungszwecke eigens aufbereiteten Werte benutzt, sondern auf die Rohdaten – die unmittelbar gemessenen Jahrringbreiten – zurückgegriffen. Dies ist zulässig, wenn eine Chronologie aus einer großen Zahl sich zeitlich möglichst gleichmäßig überlappender Baumkurven besteht. Vergleicht man auf dieser Basis die Wachstumswerte selbst verschiedener Spezies wie Eichen und Tannen aus Deutschland mit solchen von Kiefern aus Asien über die Jahrhunderte, so zeigen sich deutliche Ähnlichkeiten, besonders in Form von Langzeitschwankungen (Bild 1 links). Auffällig sind ein Anstieg der Ringbreiten zwischen 1650 und 1850 (der zweiten Hälfte der sogenannten Kleinen Eiszeit in Europa) und ein anschließender Rückgang, und zwar auch bei den asiatischen. Das ist eine erstaunliche Parallelität zwischen dem Baumwachstum im gemäßigten Klima Europas und in den Trockengebieten Asiens, die vom Monsunregen abhängen.
Die asiatischen Daten stammen zum einen von der Arbeitsgruppe um den Geographen Matthias Winniger von der Universität Bonn; sie hat im Bagrot-Tal des Hunza-Karakorum die Kiefernart Pinus wallichiana analysiert. Ebenfalls im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts hat unsere Gruppe für die Region Südmustang in Nepal eine andere Kiefern-Chronologie erstellt, indem sie Proben von mehr als 1500 Kiefern derselben Art auswertete – von lebenden Bäumen, verbautem Holz aus alten Häusern und Klöstern sowie aus Ausgrabungen.
Zur weiteren Prüfung haben wir die Rohdaten-Chronologien von Nepal und dem Karakorum jeweils mit vier regionalen von Deutschland mittels Korrelationsanalyse verglichen – drei für Eichen, eine für die Weißtanne. Ein Korrelationskoeffizient von +1 bedeutet, daß die Kurven völlig gleichsinnig, einer von -1, daß sie genau gegensinnig verlaufen; bei Null ist keinerlei Zusammenhang zu finden. Zwischen den deutschen Chronologien ergaben sich Werte von fast 0,5, was bei einer Spanne von rund 500 Jahren eine recht deutliche Ähnlichkeit anzeigt (die standardisierten Daten liefern nur Werte unter 0,1; es fehlen die Langzeit-Schwankungen).
Auffällig ist, daß der Korrelationskoeffizient, wenn man eine Kurve gegen die anderen in Jahresschritten nach links oder rechts verschiebt, um die Synchronlage herum ein Maximum durchläuft (Bild 1rechts). Diese weit außerhalb der Zufallswahrscheinlichkeit liegende Übereinstimmung im Wachstumsmuster bei den bisher untersuchten Baumreihen können wir allerdings noch nicht hinreichend interpretieren. Die Möglichkeit, daß standortbedingte oder genetische Faktoren die langfristigen Wachstumstendenzen vortäuschen, ist weitgehend auszuschließen; denn verschiedene Regionalchronologien, die man an den Universitäten Hamburg, Göttingen, Stuttgart-Hohenheim und Köln aufgebaut hat, sind im Verlauf gleichartig.
Ferner kann sich das stärkere Jugendwachstum jedes Baumes – in der Altersspanne zwischen 10 und 30 Jahren – bei ihnen nicht wesentlich auswirken, weil sie vorwiegend auf 70 bis 120 Ringe umfassenden Hölzern basieren, die zeitlich gestreut sind, und weil sich zudem in jedem Kurvenpunkt meist etwa 50 bis 100 Bäume überschneiden (eine Häufung "jugendlicher" Ringbreiten in einem Bereich der Mittelwertskurven würde einen Aufwärtstrend vortäuschen). Eine Ausnahme bildet die Karakorum-Chronologie, für die nur sechs Kiefern zur Verfügung standen. Sie wurde aber mit einbezogen, weil ihre beiden je über 150 Jahre laufenden und fast stetigen Langzeit-Wachstumstrends überwiegend von Außenfaktoren geprägt sind.
Schließlich haben wir viele Regionalchronologien aus dem deutschen und schweizerischen Raum zu einer Kurve zusammengefaßt; sie zeigt die genannten Langzeittrends noch ausgeprägter.
Sonnenflecken, Temperatur und Niederschlag
Der Begründer der Dendrochronologie, der amerikanische Astronom Andrew Ellicot Douglass (1867 bis 1962), hatte schon zu Beginn dieses Jahrhunderts als erster versucht, einen Zusammenhang zwischen Ringbreiten und Sonnenaktivität, insbesondere dem im Mittel elfjährigen Zyklus der Sonnenflecken, zu finden. Einen Hinweis auf einen möglichen langzeitlichen Zusammenhang außerhalb dieses kurzen Zyklus lieferte uns ein Sekundärprodukt der Höhen- und Sonnenstrahlung: das radioaktive Kohlenstoffisotop C-14. (Bei hoher Aktivität, wenn der Sonnenwind die Magnetfelder weiter in den Raum hinaus trägt und den Fluß kosmischer Teilchen ablenkt, wird wenig C-14 in der Atmosphäre gebildet.) Die Schwankungen seines atmosphärischen Gehalts sind inzwischen für die letzten 12000 Jahre genau bekannt. Darin sind verschiedene sich wiederholende Perioden zu erkennen.
Für die entsprechende Analyse unserer neuen Erhebungen haben wir für jedes Jahr das zurückliegende Zehnjahresintervall zu einem Wert zusammengefaßt, also das sogenannte gleitende Mittel gebildet, und zwar für die absoluten Ringbreiten der Bäume aus Asien und Deutschland ebenso wie für die genaue, als Züricher Reihe bekannte Sonnenfleckenchronologie. Dadurch werden in unserem Zusammenhang nicht interessierende kurzzeitige Änderungen wie der elfjährige Sonnenaktivitätszyklus stark gedämpft, Langzeitschwankungen bleiben dagegen unbeeinflußt. Dann berechneten wir wie bisher die Korrelationskurve bei gegenseitiger Verschiebung (Bild 2). In Synchronlage haben die Bäume aus Deutschland und Nepal eine hohe negative Korrelation zur Sonnenkurve. Selbst bei Bäumen aus Nordamerika, von denen wir versuchsweise standardisierte Jahrringbreiten heranzogen, zeigt sich ein gleiches Muster. (Eine Ausnahme macht nur die Kiefern-Chronologie aus dem Karakorum.)
Auffällig ist nun, daß sich diese negative Korrelation bei einer Verschiebung um 85 bis 90 Jahre wiederholt. Diese Spanne deckt sich mit einer Periode, die in der Kurve des atmosphärischen C-14-Gehalts nachgewiesen ist.
Danach wurden Klimadaten aus Europa und versuchsweise aus den USA in die Vergleiche einbezogen: außer Jahresmitteltemperaturen auch der Pegelstand des Rheins als indirekte Klimagröße, die relativ weiträumige Niederschlagstendenzen von der Schweiz bis Westdeutschland aufzeigt (für den interessierenden asiatischen Raum fehlten solche Daten). Den Analysen zufolge entsprechen hohe Pegelstände niedrigen Jahrestemperaturen und starkem Baumwachstum sowohl in Deutschland als auch an den beiden Standorten in Asien.
Nach den Befunden beginnt also zwischen 1620 und 1650 eine rund 200 Jahre dauernde Zunahme von Jahrringbreiten, auf die ab etwa 1850 eine Abnahme folgt. Stets sind dabei die Trends der Temperatur und der Langzeitperiodik in der Sonnenfleckenaktivität umgekehrt; mit den Niederschlägen, wie sie aus dem Rhein-Pegel zu erschließen sind, laufen die Ringbreiten hingegen konform.
Nun darf man daraus nicht ohne weiteres raumübergreifende Klimaschwankungen ableiten. Hilfe bei der schwierigen Interpretation verspricht eine von uns neu entwickelte Informationsgröße der Jahrringkurven: die Mobilität, ein Maß für die stetig schwankende Fluktuation in der Zu- und Abnahme der absoluten Ringbreiten. Sie hängt nicht von der Höhe der Temperatur und der Niederschläge ab, ist aber hoch positiv mit dem jeweiligen Jahrringkalender korreliert. Im Falle der Temperatur- wie auch der Niederschlagsreihen findet sich kein Zusammenhang zwischen ihnen und ihrer Mobilität. Überraschenderweise stimmen jedoch Sonnenfleckenmobilität und Sonnenfleckenaktivität hochgradig überein, so daß ein direkter Zusammenhang zwischen längerfristigen Schwankungen der solaren Strahlung und des Baumwachstums zu vermuten ist.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1995, Seite 18
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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