Mikrobiologie: Leben auf dem Menschen
Die Geschichte unserer Besiedler Rowohlt Taschenbuch-Verlag, Reinbek 2000. 218 Seiten, DM 16,90
Der Mensch ist, ökologisch betrachtet, nichts anderes als ein ungewöhnlich artenreiches Biotop. Auf unseren äußeren und inneren Oberflächen gedeihen Hunderte verschiedener Bakterienarten – mehr als 500 sind es alleine im Mund. Hinzu kommen Viren, Pilze, Amöben und Flagellaten, die sich in den verschiedenen "Feuchtbiotopen" von der Achselhöhle bis zu den Genitalorganen tummeln.
Wie üblich in einem Ökosystem profitieren die diversen Partner voneinander. So unterstützen Mikroorganismen uns bei der Verdauung, stellen dem Körper diverse Vitamine und Spurenelemente zur Verfügung, "trainieren" die körpereigenen Abwehrmechanismen und bestimmen über spezifische Körperdüfte unser Sexualverhalten mit.
Für die Infektionsmedizin sind die Heerscharen körperfremder Bewohner dagegen in erster Linie Risikofaktoren, die gravierende, manchmal akut lebensbedrohliche Erkrankungen auslösen können. Und immer noch werden neue Verursacher entdeckt. Es mehren sich die Indizien, dass Mikroben auch bei so unterschiedlichen Krankheiten wie Asthma, Alzheimer oder Colitis ulcerosa die Hand im Spiel haben.
Der Biologe Jörg Blech, Wissenschaftsjournalist beim "Spiegel", erzählt uns von "Gesundheitserregern" und krankmachenden Mikroben, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie auf und in uns leben. Unterhaltsam und leicht lesbar wird nahezu das gesamte Spektrum altbekannter und neu entdeckter Erreger abgehandelt, die uns im Leben begleiten – von harmlosen Schmarotzern über lebenswichtige Symbionten bis hin zum gefährlichen Opportunisten.
Von Micrococcus sedentarius, Kugelbakterien, die den charakteristischen Schweißfußgeruch permanenter Turnschuhträger erzeugen, weiß Blech genauso gut zu berichten wie von der Dasselfliege Dermatobia hominis, deren Maden Ekel erregende Beulen unter sonnengebräunter Touristenhaut verursachen. Nahezu vollständig werden auch die Endo- und Ektoparasiten abgehandelt (es fehlen nur einige Exoten wie beispielsweise der Sandfloh Tunga penetrans), mit denen der Mensch von den Polen bis zum Äquator mehr oder minder regelmäßig zu kämpfen hat.
Angereichert mit zahlreichen Anekdoten und untermauert mit wissenschaftlichen Fakten, zeigt uns Blech in zehn Kapiteln ein System komplexer Abhängigkeiten zwischen Mensch und Mikrobe, die im Laufe der Evolution entstanden sind und auf die gängige Schablonen vom "tödlichen Feind" oder "guten Freund" nicht passen. Ob aus einer Besiedlung eine Infektion wird und ob sich aus einer latenten Infektion eine Krankheit entwickelt, das hängt – so zeigt Blech an zahlreichen, ungewöhnlichen Beispielen – nicht alleine von den Mikroorganismen ab. Umweltfaktoren und Merkmale des Wirts wie Immunstatus, Ernährungslage und genetische Prädisposition spielen gleichermaßen eine Rolle. Diese Erkenntnis ist zwar nicht neu (schon Louis Pasteur wird der Ausspruch zugeschrieben "Die Mikrobe ist gar nichts, das Milieu ist alles"), aber selten wurden die Zusammenhänge so unterhaltsam wie umfassend dargestellt – auch wenn der typische "Spiegel-Jargon" auf die Dauer etwas nervt.
Bei offensichtlicher Liebe zum Detail hätte man vom Autor allerdings eine größere Genauigkeit bei den Fakten erwartet. Zahlreiche falsche Angaben zeugen von einer gewissen Schludrigkeit: Die typische Reisediarrhöe wird nicht von Shigellen verursacht, Mücken übertragen nicht die Schlafkrankheit – das macht die Tsetse-Fliege –, und gegen die Malaria werden Menschen nie immun. Wiederholungen machen die Argumentation nicht überzeugender, und bei einem Sachbuch sollten im Text benutzte Fachausdrücke oder Namen von Mikroorganismen im Index zu finden sein.
Wer sich in der großen Welt der Mikroorganismen nicht auskennt, vielleicht sogar Horror vor allen Arten von Bazillen hat oder Parasiten jedweder Größe und Form als ekelhaft empfindet, wird beim Streifzug durch "die Geschichte unserer Besiedler" viel Neues und Interessantes entdecken. Leicht verpackt und gekonnt serviert, ist es allerdings mehr ein Buch für "zwischendurch".
Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 2001, Seite 99
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben