Leuchtende Flügel - berührungsfrei Druckmessung an Modellen im Windkanal
Drücke auf optischem Wege zu messen, ohne die Strömung selbst durch die eingebrachten Sonden zu stören, war ein langgehegter Wunsch der Aerodynamiker. Mit der Entwicklung einer druckempfindlichen Farbe ist er nun Wirklichkeit geworden. Sie ermöglicht eine neuartige Meßtechnik, mit der ich mich seit 1991 am Forschungszentrum Göttingen der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR) beschäftige, wobei ich anfangs von Wissenschaftlern am Zentralinstitut für Aerodynamik (TSAGI) der Universität Moskau unterstützt wurde. Ab 1995 habe ich zusammen mit dem Doktoranden Christian Klein das System noch einmal derart modifiziert, daß es eine weltweit einmalige Genauigkeit erreicht. Inzwischen wird es bereits für Auftragsversuche im Transonischen Windkanal der DLR Göttingen eingesetzt.
Zur aerodynamischen Optimierung von um- oder durchströmten Körpern ist die genaue Kenntnis der Druckverteilung an ihrer Oberfläche unerläßlich. So gilt es bei einem Laminarflügel, nicht nur den gewünschten Auftrieb zu erzeugen, sondern zugleich den Strömungswiderstand zu minimieren. Dazu muß der Druck über der Flügeltiefe derart verteilt sein, daß die Luftschicht, die direkt an die Flügeloberfläche grenzt, möglichst weit hinten vom laminaren (glatten) in den turbulenten (verwirbelten) Zustand umschlägt. Im Wechselspiel zwischen Rechnung und Experiment wird die Form des Profils so lange modifiziert, bis diese Bedingung erfüllt ist. Außerdem darf an keiner Stelle auf dem Flügel die Strömung abreißen, was einen abrupten Auftriebsverlust und damit ein unangenehmes Durchsacken zur Folge hätte.
Bei der konventionellen Methode der Druckmessung versieht man die Oberfläche an ausgewählten Stellen mit Bohrungen und schließt in eingefrästen Kanälen verlegte Leitungen an die Löcher an. Der lokale Druck wird über einen Vielfachschalter zu einem Drucksensor geleitet, der reihum immer wieder jede einzelne Bohrung abfragt. Diese Technik verlangt äußerste Präzision und kostet viel Zeit und Geld. Zudem kann man nur relativ wenige Bohrungen anbringen, weil der Flügel sonst instabil wird, und muß deren Position schon vor dem Versuch festlegen, wenn die kritischen Stellen noch gar nicht sicher bekannt sind. Schließlich wird das Modell trotz aller Sorgfalt durch die Bohrungen und die Kanäle geschwächt und die Oberfläche nachweislich gestört.
All diese Mängel vermeidet das neue PSP-Verfahren (nach englisch pressure sensitive paint, druckempfindliche Farbe). Man kann damit den Druck auf Oberflächen mittels einer sehr empfindlichen CCD-Kamera optisch erfassen – und zwar berührungsfrei und flächenhaft statt nur punktuell und entlang vorher festgelegter Linien (Bild 1). Die zu untersuchende Fläche muß dazu nur sichtbar, das heißt dem optischen System zugänglich sein. Die von Klein und mir entwickelte schnelle PSP-Variante erlaubt es, auch punktuell Drücke innerhalb eines Zeitraum von nur einer millionstel Sekunde zu erfassen. Die größten Vorteile bringt das neue Meßverfahren bei der Entwicklung von Propellern, Turbinen und Hubschrauber-Rotoren, bei denen umfangreiche Meßdaten extrem schnell erfaßt werden müssen und die Anwendung der herkömmlichen Technik besonders kompliziert ist.
Grundlage unseres optischen Druckmeßsystems ist eine spezielle Beschichtung – kurz als LIPS (nach englisch light intensity pressure sensor, Lichtintensitäts-Druckfühler) bezeichnet –, die auf die Oberfläche des Modells aufgebracht wird. Sie enthält einen Farbstoff, welcher beim Bestrahlen mit ultraviolettem Laserlicht blau fluoresziert. Sauerstoff-moleküle unterdrücken allerdings diese Leuchterscheinung, wenn sie mit einem Farbstoffmolekül zusammenstoßen. Je höher nun der Luftdruck ist, desto größer ist die Sauerstoffkonzentration und desto mehr Moleküle des Gases prallen auf die Beschichtung. Dunkle Stellen zeigen somit Bereiche hohen Drucks an.
Der Farbstoffüberzug hat extreme Anforderungen zu erfüllen. So muß er mechanisch stabil und sehr homogen sowie leicht aufzutragen und wieder zu entfernen sein. Ebenso wichtige Voraussetzungen sind gute Haftung, kurze Reaktionszeit, starke Empfindlichkeit gegenüber Luftdruck und hohe Intensität der Fluoreszenz, die zudem möglichst wenig von der Temperatur abhängen sollte. Trotz dieser Ansprüche konnten geeignete LIPS-Farben gefunden werden, größtenteils organische Verbindungen; je nach Anwendungszweck sind sogar unterschiedliche Systeme verfügbar.
Eine hochempfindliche, gekühlte CCD-Slow-Scan-Kamera, die derzeit ei-ne räumliche Auflösung von 512×512 Pixeln hat, erfaßt die Lumineszenzstrahlung. Die Meßergebnisse wertet ein schneller Rechner direkt am Windkanal bereits grob aus und stellt die Druckverteilung farbig auf einem Bildschirm dar. Die Weiterverarbeitung, bei der die Aufnahme zum Beispiel pixelweise kalibriert und eine Reflexionskorrektur vorgenommen wird, erfolgt später auf einer leistungsfähigen Computer-Workstation, die dabei rund 260000 Gleichungen pro Bild zu lösen hat. Dies ermöglicht Auflösungen des Absolutdruckes im Promille-Bereich; eine derart hohe, weltweit einmalige Genauigkeit ist mit herkömmlichen Verfahren nur punktuell erreichbar.
Die besten Ergebnisse wurden bisher im Bereich der transsonischen Strömungen (nahe der Schallgeschwindigkeit) erzielt. Nach Möglichkeit sollten Laser und Sensor ihre Position gegenüber dem Modell beibehalten und zum Beispiel mitschwenken, wenn bei einem Flügel der Anstellwinkel verändert wird. Anderenfalls sind Korrekturrechnungen erforderlich, was die Auswertung erschwert.
Vor der dem eigentlichen Versuch ist die LIPS-Schicht zu kalibrieren, indem man das Modell definierten Drücken und Temperaturen aussetzt. Im Transsonischen Windkanal der DLR Göttingen kann dies direkt in der Meßstrecke geschehen; denn die Anlage läßt sich als geschlossenes System evakuieren sowie unter Überdruck setzen. In den meisten Fällen muß die Kalibrierung dagegen in einer gesonderten Druckkammer vorgenommen werden. Zwischen der relativen Intensität des Fluoreszenzlichtes und dem Druck besteht eine fast exakt lineare Beziehung. Der Temperaturgang ist zwar klein, aber nicht gleich null. Er wird derzeit im Bereich der zu vermessenden Oberfläche gleichzeitig mit den PSP-Messungen mittels Infrarottechnik erfaßt und kann so bei der nachfolgenden Auswertung direkt berücksichtigt werden.
Die PSP-Methode bietet viele Vorzüge, ist dafür aber auch technisch anspruchsvoll. So besteht die LIPS-Schicht aus drei Lagen (der Farbstoff-, einer Haft- und einer Abschirmschicht), die in einer Gesamtdicke von nur wenigen Mikrometern aufgebracht werden müssen. Dies erfordert einiges Geschick. Zudem muß, wenn die Kalibrierung in einem temperaturgeregelten Druckgefäß erfolgt, dafür eine gesonderte Kalibrierfläche mit exakt demselben Schichtaufbau wie auf dem Modell hergestellt werden.
Für eine einfache rasche Druckmessung lohnt dieser Aufwand nicht, wohl aber, wenn komplette Meßreihen mit systematischen Änderungen bestimmter Parameter auszuführen sind. In diesem Falle zeigen sich die Stärken der PSP-Methode: Druckverteilung und -gradienten sowie das Muster der örtlichen Strömungsgeschwindigkeiten stehen in Echtzeit zur Verfügung, und aerodynamisch interessante Strömungsbereiche lassen sich bereits während der Messung ausmachen und dann detailliert untersuchen.
Weil mit dem PSP-Verfahren selbst minimale Druckänderungen flächenhaft registriert werden können, sind auch Feinstrukturen der Strömung erkenn- und umfassend interpretierbar. Ein Beispiel bietet die Druckverteilung auf Flügeln und Rumpf eines Raumgleitermodells (Bild 2). Ein Bildverarbeitungsverfahren, das Klein und ich eigens für die PSP-Methode entwickelt haben, macht bei einem bestimmten Flugzustand insbesondere im hinteren Flügelbereich drei ringförmige Strukturen auf jeder Flügelseite sichtbar. Sie stammen von einer sich spiralförmig aufrollenden Wirbelschicht, die im hinteren Flügelbereich die Oberfläche berührt und dabei erhebliche Kraftänderungen während des Fluges verursacht. Dieses Phänomen, das ich bereits während meiner Promotion eingehend untersucht habe, macht das Flugverhalten des Raumgleiters instabil, was unbedingt vermieden werden muß.
Unzulänglichkeiten hat das Verfahren noch bei der Druckmessung in stark gekrümmten Bereichen, bei der sich aber auch die klassische Röhrchenmethode schwertut. In solchen Regionen hängen die Reflexionseigenschaften hauptsächlich von der Krümmung ab. Als Ausweg kann man beispielsweise zwei senkrecht zueinander angeordnete Systeme für Beleuchtung und Sensorik installieren. Damit steigt der Aufwand für das Experiment und für die rechnerische Auswertung der Daten jedoch erheblich.
Weitere Verbesserungen sind in Sicht. So ist seit Jahresbeginn ein neuartiges Kamerasystem einsatzbereit. Damit werden sich in Verbindung mit empfindlicheren LIPS-Schichten noch kleinere Druckunterschiede registrieren lassen, die etwa bei der aerodynamischen Optimierung von Straßenfahrzeugen von Bedeutung sind. Damit erschließt sich dem Verfahren abseits der Luftfahrt ein neues breites Einsatzfeld.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1997, Seite 23
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben