Diagnostik II: Licht ertastet Organe
Von Erfolgsrezepten soll man lernen: Was mit Ultraschall im Großen geht, soll infrarotes Licht im Kleinen leisten. Gewebe enthüllen ihre Struktur, und das sogar via Endoskop.
Wer zum Ultraschall geht, erfährt Neues aus seinem Körper, ohne sich Röntgenstrahlen oder der Enge eines Kernspintomografen aussetzen zu müssen. Ein so genannter Schallkopf sendet dazu hochfrequente Wellen aus, die durch den Körper wandern und an Grenzflächen verschiedener Gewebe reflektiert werden, weil sich deren akustische Eigenschaften unterscheiden. Das Resultat ist ein Schwarzweißbild der inneren Strukturen des Körpers. Die optische Kohärenztomografie (OCT) arbeitet im Grunde nach dem gleichen Prinzip, nutzt aber infrarotes Licht einer speziellen Halbleiterdiode.
Ein solches Gerät haben wir seit 1994 bis zur Prototypreife entwickelt. Es bestimmt den Abstand zu Gewebegrenzflächen dank der Welleneigenschaft von Licht: Spaltet man einen Lichtstrahl, schickt die "Hälften" auf zwei getrennte Wege und führt sie dann wieder zusammen, entsteht entlang des gemeinsamen Weges das bekannte Streifenmuster der Interferenz, also wechselnde Bereiche hoher und abgeschwächter Lichtintensität. Unterscheiden sich die getrennt zurückgelegten Strecken aber um mehr als die so genannte Kohärenzlänge, bleibt das Streifenmuster aus, die Helligkeiten addieren sich einfach. Dieses Phänomen eignet sich trefflich, um einen Abstand auszumessen: Ein Strahl reist entlang der unbekannten Strecke, der andere auf einer verstellbaren Referenz. Sobald Interferenz auftritt, ist der Wert bis auf die Kohärenzlänge genau bekannt.
Je breiter das Spektrum einer Lichtquelle, desto kleiner ist diese Länge. Ein Laser, der im Idealfall nur eine einzelne Wellenlänge aussendet, erlaubt deshalb einige Meter Wegdifferenz – zu viel für unsere Zwecke. Wir verwenden vielmehr spezielle Halbleiterdioden (Superlumineszenzdioden, SLD), die im nahen Infrarot leuchten, wobei die Zentralwellenlänge bei 1300 Nanometern liegt und die spektrale Breite 45 Nanometer (millionstel Millimeter) beträgt. Bei diesen Wellenlängen wird Licht in biologischen Geweben weniger stark gestreut und absorbiert als bei anderen, dringt also tiefer ein. Die Kohärenzlänge schrumpft auf nur noch 15 Mikrometer und gibt damit die Auflösung eines OCT-Bildes vor.
Das System vergleicht die Lichtwege von der Diode zu einem Referenzspiegel einerseits und zu einer Gewebegrenzfläche andererseits. Der erste Weg wird automatisch verstellt, bis Interferenz auftritt. Dann kann man ihn weiter verfahren, um schließlich alle Strukturen in der Tiefe zu erfassen.
Das Messprinzip liefert aber nicht nur geometrische Informationen, sondern zeigt auch unterschiedliche optische Eigenschaften der Gewebe. Die Helligkeit in den Streifen ist nämlich umso größer, je mehr Licht jeweils zurück gestreut wurde. Diese Amplitude ist es schließlich, die bei einem Tiefenscan, dem so genannten A-Bild, auf dem Monitor dargestellt wird.
Bislang wurde diese neue Technik in der Haut- und in der Augenheilkunde erfolgreich eingesetzt. Das Licht koppelt man in Quarzglas-Lichtwellenleiter ein. Die können mehrere Meter lang sein und verzeihen auch Ecken und Kanten. Das mittlerweile von der Lübecker Firma 4optics, einem Spin-off-Unternehmen des dortigen Laserzentrums, zum Produkt entwickelte System erreicht eine hohe Messgeschwindigkeit, sodass zwei Millimeter Gewebetiefe – ein typischer Wert in der Haut – in einer hundertstel Sekunde abgetastet werden. Dazu variiert das Gerät den optischen Weg des Referenzstrahls nicht durch Verstellen von Spiegeln, sonderen durch Dehnen des elastischen Lichtwellenleiters. Etwa 200 Tiefenscans ergeben ein zweidimensionales Schnittbild, das B-Bild. Ein komplettes Bild aufzunehmen dauert bei Hautmessungen etwa zwei Sekunden, kurz genug, um Störungen durch Bewegung des Patienten weitgehend zu vermeiden.
Ein weiteres Anwendungsfeld erschließt unser Zentrum derzeit gemeinsam mit der Firma Richard Wolf – die endoskopische OCT für urologischeUntersuchungen. Um beispielsweise die Infiltrationstiefe und Lage von Tumoren der Harnblase zu untersuchen, wird die zur Probe führende Glasfaser über einen OCT-Adapter mit einem starren, bildgebenden Endoskop kombiniert; das OCT-Basisgerät stammt von 4optics. Eine Kamera mit einem speziellen Adapter zeigt dem Arzt parallel zu dem ihm geläufigen Bild der Blasenwand online die OCT-Darstellung der oberen Gewebeschichten und der tiefer liegenden Strukturen.
Bislang haben sich fünf Patienten an der Charité für die klinische Prüfung zur Verfügung gestellt (siehe den vorigen Beitrag), bis zu siebzig sollen es innerhalb der nächsten zwei Jahre insgesamt sein. Dann werden wir wissen, inwieweit sich dieses endoskopische Verfahren auch für andere diagnostische Fragestellungen eignet.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 2002, Seite 92
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben