Lichtflugkörper
Heutige Raumfahrzeuge führen ihre Energiequelle mit. Die gesamte Raumfahrt wäre viel billiger, wenn Treibstoff und schwere Bauteile daheim bleiben könnten und die Flugkörper ihre Energie in Form hochintensiver Laser- oder Mikrowellenstrahlung empfingen. Im vergangenen Jahr haben die NASA und die US-Luftwaffe das Prinzip eines Lichtflugkörpers erprobt, den ein gepulster Infrarotlaserstrahl vom Boden emportreibt. Spiegelflächen am Flugkörper bündeln den Strahl zu einem Ring, in dem die Luft auf die fünffache Temperatur der Sonnenoberfläche erhitzt wird. Dadurch expandiert die Luft explosionsartig und erzeugt Schub.
Mit Hilfe eines Kohlendioxidlasers der US-Armee mit 10 Kilowatt Leistung und einer Pulsfrequenz von 28 Pulsen pro Sekunde konnten Franklin B. Mead vom Forschungslabor der US-Luftwaffe und ich einen durch Eigendrehung stabilisierten Miniatur-Lichtflugkörper innerhalb von etwa drei Sekunden etwa 30 Meter hoch steigen lassen. Mit der verfügbaren Finanzierung können wir die Laserleistung auf 100 Kilowatt steigern und Flughöhen bis zu 30 Kilometern erreichen. Wenngleich die heutigen Modelle weniger als 50 Gramm wiegen, wollen wir in fünf Jahren einen 1 Kilogramm schweren Mikrosatelliten mit einem bodengestützten 1-Megawatt-Laser in eine niedrige Erdumlaufbahn befördern – zu Stromkosten von einigen hundert Mark.
Die Versuchsmodelle sind aus üblichem Flugzeug-Aluminium gefertigt und bestehen aus einer aerodynamischen Hülle vorne, einer ringförmigen Ummantelung in der Mitte und einer optischen Düse hinten. Bei Flügen in der Atmosphäre komprimiert der Vorderteil die Luft und leitet sie zur Triebwerksöffnung. Der Ringmantel nimmt den größten Teil des Schubes auf. Der hintere Abschnitt dient als Parabolspiegel, der den einfallenden Laserstrahl ringförmig fokussiert und zugleich dem Druck der erhitzten Luft eine zusätzliche Angriffsfläche bietet. Das Gerät steuert sich allein aufgrund seiner Konstruktion von selbst: Sobald es den Laserstrahl zu verlassen droht, neigt sich der Schub und drückt den Flugkörper zur Strahlmitte zurück.
Auf diese Weise wird ein Flugkörper von 1 Kilogramm Gewicht auf ein Tempo von Mach 5 und eine Höhe von 30 Kilometern kommen. Dann schaltet er, weil die Luft zu dünn wird, auf Wasserstoff-Raketenantrieb um; nach unserer Berechnung genügt schon 1 Kilogramm Wasserstoff zum Erreichen einer Umlaufbahn. Ein Lichtraumschiff von 1,4 Metern Durchmesser sollte bis zu 100 Kilogramm schwere Mikrosatelliten auf einem 100 Megawatt starken Laserstrahl in Umlaufbahnen befördern können. Da wir mit gepulsten Lasern arbeiten, wäre diese Leistung recht einfach durch Kombination mehrerer Laserstrahlen zu erzielen. Solche Laser-Gruppen könnten Nachrichtensatelliten starten und nach Veralten
der Elektronik auch wieder zurückholen.
Anders gestaltete Lichtflugkörper bewegen sich auf ihre Energiequelle zu statt von ihr weg – oder sogar seitwärts. Mit diesen Varianten lassen sich Frachten kostengünstig um die Erde transportieren. Als Antriebsquelle kommen auch Mikrowellen
in Frage. Sie erreichen zwar nicht die Leistungsdichte von Laserstrahlen, so daß die Raumsonden größer sein müßten. Doch dafür sind Mikrowellensender erheblich billiger, und ihre Leistung läßt sich leichter steigern.
Ich habe auch kompliziertere Flugkörper mit Energiestrahlantrieb entworfen, die nach einem anderen Prinzip funktionieren und sogar Passagiere transportieren können. Da sie wirksamer Schub erzeugen, eignen sie sich besser für die Beförderung großer Frachten.
Ein Spiegel im Flugkörper fokussiert einen Teil der eingestrahlten Energie auf einen Punkt knapp vor der Hülle. Die intensive Wärme erzeugt einen Luftkegel, der die entgegenkommende Luft am Flugkörper vorbeilenkt; dadurch reduzieren sich Luftwiderstand und Erwärmung der Hülle.
Außerdem werden bei diesem Modell mit einem weiteren Teil der Strahlungsenergie starke elektrische Felder rund um die hintere Hüllenkante erzeugt, um dort die Luft zu ionisieren. Zugleich bauen supraleitende Magnete starke Magnetfelder auf. Wenn die ionisierte Luft durch diese Felder hindurchströmt, beschleunigen die dabei entstehenden magnetohydrodynamischen Kräfte den Nachstrom und erzeugen zusätzlichen Schub.
Durch Variieren der vorwärts reflektierten Energiemenge läßt sich der Luftstrom um das Raumschiff steuern. Im April 1995 habe ich in einem Überschallwindkanal am Rensselaer Polytechnic Institute die Verringerung des Luftwiderstands durch einen Luftkegel nachgewiesen – allerdings nicht mit Laserenergie, sondern mit einem elektrisch erzeugten Plasma. Soeben haben wir auch mit Versuchen begonnen, bei einem Modell mit 15 Zentimetern Durchmesser magnetohydrodynamischen Schub zu erzeugen. Ein bemanntes Lichtraumschiff dieses Typs, das mit Mikrowellen oder einem 1000 Megawatt starken gepulsten Laser angetrieben würde, dürfte Höhen bis zu 50 Kilometern erreichen und ohne weiteres bis auf Umlaufgeschwindigkeit beschleunigen.
Lichtflugkörper können die
Raumfahrt revolutionieren, wenn sie von erdumkreisenden Sonnenkraftwerken angetrieben werden – allerdings nur, wenn die Montagekosten dafür höchstens einige hundert Mark pro Kilogramm betragen. Zum Vergleich: Der Transport eines Kilogramms Nutzlast in die Erdumlaufbahn mit der Raumfähre kostet derzeit etwa 33000 Mark.
Meiner Ansicht nach läßt sich diese Kostenlücke schließen, indem das erste Weltraum-Sonnenkraftwerk speziell auf die Verbilligung der Raumfahrt ausgerichtet wird. Stellen wir uns ein Gebilde von 1 Kilometer Durchmesser vor, das einem riesigen Speichenrad gleicht und in 500 Kilometern Höhe die Erde umkreist. Es hat eine Masse von etwa 1010 Tonnen und rotiert langsam, um seine Lage im Raum zu stabilisieren. Außer den Speichen, die ihm Festigkeit verleihen, trägt das Rad eine Scheibe aus 55 großen Segmenten – jeweils aus nur 0,32 Millimeter dickem Siliciumcarbid. Die eine Seite der riesigen Scheibe ist vollständig von Dünnschicht-Solarzellen bedeckt, die bei einem Wirkungsgrad von 30 Prozent 320 Megawatt Strom leisten; solche Elemente wird es voraussichtlich schon in zehn Jahre geben. Auf der anderen Seite sitzen 13,2 Milliarden Miniatursender, deren jeder nur 8,5 Millimeter breit ist und eine Mikrowellenleistung von 1,5 Watt liefert.
Um all diese Bauteile im All zu stationieren, müßten große chemische Raketen heutigen Typs etwa 55mal starten, und die Kosten wären mit rund 9 Milliarden Mark halbwegs erschwinglich. Ein Energiespeichersystem aus zwei supraleitenden Kabeln mit einer Masse von je 100 Tonnen würde das Rad wie ein Reifen umgeben; darin könnten zwei Ströme kreisen – und zwar gegenläufig, um das riesige magnetische Drehmoment zu neutralisieren, das mit nur einem Kabel entstünde.
Dieser Speicher würde sich während zwei Erdumkreisungen mit 1800 Gigajoule Energie aufladen, und anschließend könnte das Kraftwerk Mikrowellen mit einer Leistung von 4,3 Gigawatt auf einen knapp 1200 Kilometer entfernten Lichtflugkörper strahlen. Mit absichtlich durch Verlagern kleiner Strommengen von einem Kabel zum anderen erzeugten Drehkräften ließe sich das Kraftwerk grob ausrichten. Zur Feinsteuerung dient ein Funkfeuer auf dem Flugkörper; sein Signal veranlaßt die einzelnen Sender des Kraftwerks, die Mikrowellen auf einen Kreis von nur 10 Metern Durchmesser am Startplatz zu fokussieren. Der Flugkörper könnte in weniger als fünf Minuten die Umlaufbahn erreichen und würde dabei die Besatzung nur dreifacher Erdbeschleunigung aussetzen – ähnlich wie bei einem Shuttle-Flug. Das Kraftwerk könnte aber auch all seine Energie in einem 54 Sekunden langen Strahlungsstoß entladen und damit einen unbemannten Flugkörper mit fast 20facher Erdbeschleunigung in eine geostationäre Umlaufbahn oder sogar darüber hinaus befördern.
Das erste Weltraum-Sonnenkraftwerk könnte den Weg für eine ganze Flotte von Raumstationen ebnen, die mit Hilfe von speziellen Lichtraumschiffen transportiert und montiert würden. Innerhalb einiger Jahrzehnte wären dadurch schnelle und billige Reisen um den Erdball, zum Mond und darüber hinaus möglich.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1999, Seite 86
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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