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Lichtmikroskop enthüllt dreidimensionale Genomstruktur

Mit speziellen Tricks konnten Wissenschaftler die Auflösung von Lichtmikroskopen drastisch verbessern. Dadurch gelang es, an intakten Zellkernen Details der Chromosomen mit fast molekularer Auflösung zu ermitteln.


Ein Bild sagt bekanntlich mehr als tausend Worte. Das trifft auch auf biologische Strukturen zu. Wenn man sie nur detailliert genug betrachten kann, springen viele Aspekte ihrer Funktion unmittelbar ins Auge. Dies gilt bis hinab in den molekularen Bereich. So liefert die räumliche Gestalt von Proteinen oft wertvolle Hinweise darauf, wie sie ihre Aufgabe in der Zelle erfüllen. Ähnliche Erkenntnisse gelangen nun an der Erbsubstanz: Hochaufgelöste Bilder von Chromosomen gaben Aufschluss über die Mechanismen, nach denen die Aktivität von Genen gesteuert wird.

Den ersten Einblick in die Feinstruktur von Lebewesen eröffnete das Lichtmikroskop. Mit ihm konnten schon in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts zunächst Zellen und mit geeigneten Färbungstechniken wenig später auch der Zellkern sowie – bei Zellteilungen – die Chromosomen sichtbar gemacht werden. Inzwischen wissen wir, dass die menschliche Erbinformation auf 46 Chromosomen in den Zellkernen gespeichert ist und etwa sieben Milliarden "Buchstaben" umfasst, in denen die Bauanleitungen für 300 Millionen Proteine verschlüsselt sind.

Derzeit geht das Human-Genom- Projekt, ein internationaler Kraftakt zur vollständigen Entzifferung des menschlichen Genoms, in den Endspurt (siehe "Das Geschäft mit den Genen", S. 30). Zu 85 Prozent ist die Abfolge der Buchstaben des genetischen Alphabets – der "Basen" A (Adenin), C (Cytosin), G (Guanin) und T (Thymin) – beim Menschen bereits aufgeklärt, und der Rest soll in Kürze folgen. Doch damit wird die Erbinformation noch keineswegs auch entschlüsselt sein: Für weite Passagen bleibt die Bedeutung des "Textes" zunächst unklar.

Hinzu kommt, dass in der Abfolge der Buchstaben allein wohl nicht die gesamte Information steckt, die eine Zelle zum Funktionieren braucht. Durch Wechselwirkung mit Proteinen und Ionen nimmt das fadenförmige Erbmolekül DNA innerhalb eines Chromosoms eine komplizierte dreidimensionale Gestalt an. Vieles deutet darauf hin, dass diese räumliche Struktur von großer funktioneller Bedeutung ist. Beispielsweise dürfte sie entscheidend mitbestimmen, welche Gene zu einem bestimmten Zeitpunkt gerade abgelesen werden. Bisher ließ sie sich mit lichtmikroskopischen Methoden allerdings nicht scharf genug abbilden.

Eine Frage des Blickwinkels


Das liegt an der mangelnden Ortsauflösung von Lichtmikroskopen, die normalerweise durch zwei Faktoren begrenzt ist: die Wellenlänge des verwendeten Lichtes und die Apertur, gleichsam der Blickwinkel, des Mikroskops. Beim technisch maximal möglichen Aperturwinkel von 70 Grad ist das Beugungs-Hauptmaximum – und damit der Brennpunkt des Mikroskops – ungefähr 200 Nanometer breit und 600 bis 700 Nanometer lang.

Dass die Auflösung entlang der optischen Achse drei- bis viermal schlechter ist als in der Brennebene, liegt am begrenzten Aperturwinkel: Nur wenn er 360 Grad betrüge, hätte die fokussierte Welle Kugelform, und die Auflösung wäre in allen Raumrichtungen gleich gut. Mittlere Abstände zwischen funktionell bedeutsamen Genomstrukturen – beispielsweise Genen – und der Oberfläche von Chromosomen können wesentlich kleiner sein als 600 Nanometer. Deshalb lässt sich die dreidimensionale Feinstruktur der Chromosomen mit konventioneller optischer Mikroskopie nicht erforschen.

Allerdings sind in neuerer Zeit Methoden entwickelt worden, die Ortsauflösung optischer Mikroskope über den "naturgegebenen" Wert zu steigern. So gelang es jüngst einer Arbeitsgruppe um Stefan Hell am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen, durch geeignete Überlagerung zweier gegeneinander laufender Wellenfronten die Apertur des Mikroskops so zu erhöhen, dass sich fast die gleiche Auflösung erzielen lässt wie bei einem "idealen" Instrument mit voller Apertur.

Der drei- bis viermal schärfere Fokus entlang der optischen Achse ermöglicht es etwa, in einer Mauszelle fluoreszenzmarkierte Mikrotubuli – röhrenförmige Streben des Fasergerüsts, das der Zelle Form und Festigkeit gibt – zu unterscheiden, die bisher nicht zu trennen waren (Bild oben). Bei einer Lichtwellenlänge von 780 Nanometern beträgt die laterale Auflösung 210 und die axiale 145 Nanometer. Die Fluoreszenz verbessert die Sichtbarkeit, nicht aber die Auflösung.

Die neue Anordnung heißt 4Pi-konfokales Mikroskop, da der volle Raumwinkel 4p beträgt. Bearbeitet man die Aufnahmen zusätzlich mit mathematischen Methoden der Bildrestaurierung, wird dieses Gerät zum höchstauflösenden fokussierenden Lichtmikroskop, das es derzeit gibt.

Ganz neue Möglichkeiten zur Gewinnung optischer Information eröffnen selbstleuchtende Objektpunkte. Der geometrische Ort einer solchen Lichtquelle – etwa eines fluoreszenzmarkierten Gens im Zellkern – wird durch das Maximum der Intensitätsverteilung ihres Beugungsbildes bestimmt. Mit Verfahren der digitalen Bildverarbeitung lässt er sich mit einer Präzision lokalisieren, die wesentlich besser als das Auflösungsvermögen von Hochleistungsmikroskopen ist. Beispielsweise kann man fluoreszierende Mikropartikel mit einem konfokalen Laserscanningmikroskop betrachten, welches das abzubildende Objekt mit einem fokussierten Laserstrahl punktweise in verschieden tiefen Schichten abrastert. Mit einer solchen Anordnung ist eine Ortsbestimmung auf bis zu zehn Nanometer genau erreichbar – etwa ein Fünfzigstel der benutzten Anregungswellenlänge. Mit anderen neu entwickelten Methoden lässt sich die Position sogar noch präziser ermitteln.

Befinden sich nun zwei kleine selbstleuchtende Objekte unterschiedlicher spektraler Signatur – beispielsweise zwei verschiedene Gene, die mit zwei unterschiedlichen Fluoreszenzmarkierungen versehen wurden – in einem geringen Abstand voneinander, so kann man die von ihnen erzeugten Beugungsbilder samt den zugehörigen Positionen im dreidimensionalen Raum unabhängig voneinander mit einer Genauigkeit von zehn Nanometern lokalisieren. Daraus ergibt sich bei sorgfältiger Kalibrierung auch der Abstand zwischen ihnen mit einer entsprechend hohen Präzision. Dieses Verfahren der spektralen Präzisionsdistanz-Mikroskopie (SPDM) hat eine Gruppe um Christoph Cremer am Kirchhoff-Institut der Universität Heidelberg entwickelt und zum Patent angemeldet. Damit lassen sich zwei Objekte unterschiedlicher spektraler Signatur noch im Abstand von 30 Nanometern in beliebiger räumlicher Lage auflösen – das ist etwa ein Siebzehntel der Anregungswellenlänge.

Ersten Messungen zufolge eignet sich das SPDM-Konzept in der Tat dazu, die dreidimensionale Nanostruktur des Genoms zu erforschen. Mit diesem Verfahren konnten sogar schon Modelle der Genaktivierung experimentell getestet werden. Beispielsweise vermutet man, dass "angeschaltete" Gene, deren Information gerade abgelesen wird, sich an der Oberfläche des kompliziert gefalteten Chromosomenstrangs befinden. Wenn sie "abgeschaltet" werden, ändert sich diesen Vorstellungen zufolge die dreidimensionale Struktur des betreffenden Chromosomenabschnittes lokal derart, dass das Gen ins Innere zu liegen kommt und damit für gewisse Proteine unzugänglich wird.

Ein Gen versteckt sich


Messungen am Gen für ein bestimmtes Enzym – die Adenin-Nucleotid-Translocase (ANT) – haben dies bestätigt. Dieses Gen befindet sich in zwei Varianten (ANT2/ANT3) auf dem weiblichen Geschlechtschromosom, dem so genannte X-Chromosom. Cremer und seine Mitarbeiter bestimmten nun per SPDM die Position dieser beiden Gen-Varianten im an- und abgeschalteten Zustand relativ zur Oberfläche des X-Chromosoms. In der Tat zeigte sich, dass jenes Gen, das nicht abgelesen wurde, um etwa 290 Nanometer ins Innere des Chromosoms verschoben war.

Solche Erfolge sind Ansporn, das Verfahren weiter zu verbessern. Insbesondere wollen die Heidelberger Wissenschaftler multispektrale Markierungsmethoden entwickeln, um möglichst viele Objekte (DNA- und RNA-Sequenzen, Proteine) im Beobachtungsvolumen unterscheiden zu können. Zugleich soll die dreidimensionale Auflösung (also der kleinste mit SPDM unterscheidbare Abstand) auf wenige Nanometer gesteigert werden. Aus theoretischen Gründen setzt dies voraus, dass zugleich der kleinste unterscheidbare Abstand zwischen Punkten derselben spektralen Signatur verringert wird. Daher sind auch für die SPDM jene Methoden zu verbesserter Ortsauflösung sehr wichtig, welche die Göttinger Gruppe entwickelt hat – weshalb sich beide Forschungsrichtungen in idealer Weise ergänzen. Langfristiges Ziel ist es, in konservierten Zellkernen die Genomstruktur auf der Größenskala einzelner Nucleosomen zu untersuchen. Nucleosomen sind Protein-"Spulen", auf die jeweils etwa zwei Windungen des DNA-Fadens gewickelt sind. Ein erster Schritt zu diesem Ziel ist bereits gelungen: Einzelne Chromosomenabschnitte in lebenden Zellen konnten mit verschiedenen Fluoreszenzfarbstoffen markiert werden.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2000, Seite 22
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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