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Lokale Folgen globalen Klimawandels - Beispiel Bornhöveder Seenkette

Aktive Klimaschutzpolitik erfordert nicht nur Informationen über globale Trends, sondern vor allem über Handlungsmöglichkeiten in bestimmten Regionen. Kleinräumige Studien sollten möglichst alle Kreisläufe und ökologischen Aspekte einer Landschaft erfassen.

Das Projektzentrum Ökosystemforschung der Universität Kiel hat detailliert die Auswirkungen einer Temperaturerhöhung für den eigenen Forschungsraum analysiert. Für solche interdisziplinären Aufgaben ist das 1988 vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) sowie vom Land Schleswig-Holstein eingerichtete Projektzentrum, in dem mehr als 100 Wissenschaftler aus 35 Instituten mitarbeiten, geradezu prädestiniert.

Das Untersuchungsgebiet, die Bornhöveder Seenkette, liegt in der Holsteinischen Schweiz, 30 Kilometer südöstlich von Kiel. Dort finden sich auf kleinstem Raum viele typische Ökosysteme Nordwestdeutschlands: landwirtschaftlich genutzte Äcker, Wiesen und Weiden, Buchenwälder, Feuchtgebiete, Erlenbrüche und Binnenseen (der Belauer See). Die Studie sollte nicht nur die Auswirkungen einer Temperaturerhöhung analysieren; wir wollten auch sehen, inwieweit sich mit unseren Methoden und Daten die Entwicklung des Gebiets überhaupt vorhersagen läßt.

Weil die globalen Klimamodelle aufgrund ihrer geringen Auflösung für lokale Studien nicht verwendbar sind, berechneten wir die Klimadaten selbst. Dazu wurde ein 60jähriger Datensatz einer nahen Klimastation in Perioden gleicher Großwetterlage aufgeteilt (Tage mit typischer, gleicher Witterung). Diese einzelnen Zeitabschnitte wurden dann zu einem neuen, ebenfalls 60 Jahre umfassenden Szenarien-Datensatz mit langsam – um maximal 2,7 Celsiusgrade – ansteigender Durchschnittstemperatur zusammengestellt. Die Niederschläge hielten wir konstant.


Wasser- und Stoffhaushalt

Besonders stark wirkt sich die höhere Temperatur auf die Ökosysteme durch Änderung des Wasserhaushalts aus: Die Verdunstung nimmt wie zu erwarten zu, und die Versorgung der Pflanzen wird schwieriger, da sich die Wasservorräte des Bodens früher erschöpfen (Bild 1 links). Ein gutes Beispiel bot der Sommer 1995, der auf den leichten Böden in Schleswig-Holstein und Dänemark bei vielen natürlichen und landwirtschaftlich genutzten Flächen sogenannten Trockenstreß hervorrief.

Während in den grundwassernahen Niederungen und auf Böden mit guter Wasserversorgung nur mit höherer Verdunstung zu rechnen ist, wird es auf den leichten Böden der Kuppen zu Wassermangel kommen. Interessant ist auch die Verschiebung der Versickerung (Bild 1 rechts): Im Frühjahr bleiben die Sickerungsraten wie bisher; die Abweichungen treten vor allem im zweiten Halbjahr auf. Durch die stärkere Austrocknung im Sommer dauert es wesentlich länger, bis die Bodenvorräte im Herbst wieder aufgefüllt sind und eine Sickerung in das Grundwasser einsetzt.

Wie vermag die Pflanze darauf zu reagieren? Sie kann tiefere Wurzeln ausbilden und braucht theoretisch bei steigendem Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre weniger Wasser. Beide Anpassungsstrategien bringen auf dem Sandboden des Bornhöveder Buchenwaldes keine wesentlichen Änderungen der Wasserbilanz, weil der Bodenspeicher die Verdunstung begrenzt.

Auch die Einzugsgebiete werden – zumindest unter unseren Szenario-Bedingungen – wesentlich trockener: Die Abflüsse von dort nehmen um bis zu 30 Prozent ab. Das Problem zunehmender Hochwässer wurde für diese Studie außer acht gelassen, da es ökologisch für das untersuchte Gebiet wenig relevant ist; außerdem gibt es keine zuverlässigen Prognosen für die Änderungen der lokalen Hochwasserhäufigkeit.

Bedingt durch die flache Topographie Schleswig-Holsteins wirkt sich jede Änderung der Grundwasserneubildung auch auf das unterirdische Einzugsgebiet der Gewässer aus. Für den Belauer See haben wir berechnet, daß bei schwächerer Grundwasserneubildung das Einzugsgebiet um bis zu 30 Prozent schrumpft und darum der Zufluß auf die Hälfte abnehmen kann. Im Extremfall können bei einer Erwärmung einige Gewässer austrocknen, während andere sich praktisch gar nicht verändern.

Bei abnehmender Sickerungsmenge sollte eigentlich auch weniger Nitrat (natürlich vorkommend oder als Stickstoffdünger) in das Grundwasser ausgewaschen werden. Doch tatsächlich wird sich die Gesamtfracht aus den landwirtschaftlich genutzten Flächen bei gleichem Düngungsniveau etwa auf dem heutigen Stand einpendeln, weil zwar die Sickerwassermenge sinkt, aber gleichzeitig die Nitratkonzentration steigt. Nur eine geänderte Bewirtschaftung könnte die Auswaschung mindern. Hingegen nimmt der Gesamtaustrag aus dem nicht gedüngten Buchenwald bei gleichbleibendem Eintrag aus der Atmosphäre ab; allerdings wird das Sickerwasser höher belastet.

Obwohl in unseren Breiten keine Wälder mehr abgeholzt werden und es keine Permafrostgebiete gibt, die bei Erwärmung auftauen würden, kann sich der Kohlenstoffgehalt der Ökosysteme in weiten Grenzen ändern. Eine wichtige Rolle spielt dabei die im Humus der Böden und im Holz der Wälder festgelegte Menge an Kohlenstoff. Dabei ist das Vorzeichen der Bilanz strittig: Bessere Bedingungen für das Pflanzenwachstum bewirken zum Beispiel bei Bäumen höheren Zuwachs und deshalb eine vermehrte Festlegung von Kohlendioxid in der Biomasse und in den Wurzeln. Dies gilt jedoch nur für Standorte mit ausreichender Wasserversorgung; bei erhöhtem Trockenstreß sinkt der Ertrag. Die Freisetzung von Kohlendioxid aus dem Humus – die Bodenatmung – wird im Winter (Oktober bis April) durch die zunehmende Temperatur steigen und im Sommer wegen der geringeren Feuchte abnehmen (Bild 2). Insgesamt ist mit einer leichten Abnahme des Kohlenstoffvorrats im Boden zu rechnen, die aber je nach Nutzung sehr unterschiedlich ausfallen kann. Temperaturerhöhung bedeutet deshalb bei ausreichender Bodenfeuchte vermehrte Kohlendioxid-Freisetzung (positive Rückkopplung).

Als Beispiel für die Entwicklung der landwirtschaftlichen Erträge wählten wir Mais (Bild 3). Schleswig-Holstein liegt nahe der nördlichen Anbaugrenze; es wäre deshalb theoretisch zu erwarten, daß mit höheren Temperaturen auch die Erträge steigen. Durch die zunehmende Trockenheit gehen die Maiserträge auf dem Versuchsfeld jedoch so stark zurück, daß der Anbau nicht mehr lohnt. Zusätzlich sinkt die Ertragssicherheit, das heißt, das Risiko von Mißernten steigt. Erst bei ausreichender Wasserversorgung (etwa durch Beregnung) ließe sich ein höheres Ertragsniveau erreichen.


Landnutzung

Land- und Forstwirtschaft sind mehr als alle anderen Erwerbszweige vom Wetter abhängig – sie werden also die negativen oder positiven Konsequenzen einer Klimaänderung am deutlichsten spüren. Die Entscheidung über Umfang und Art des Anbaus hängt nicht nur vom Wetter ab, sondern auch von nicht prognostizierbaren ökonomischen und politischen Bedingungen (zum Beispiel von Richtlinien der Europäischen Union und Umweltschutzgesetzen). Denkbar wäre etwa, daß der Anstieg der Weltbevölkerung steigende Getreidepreise zur Folge hat, wodurch bereits stillgelegte Flächen auch bei wärmerem Klima wieder rentabel bewirtschaftet werden können. Auch der Einstieg in die konsequente Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen könnte das Aussehen von Landschaften und ihre Stoffbilanzen verändern. Einigermaßen realistische Szenarios lassen sich nur zusammen mit den Nutzern der Landschaft, Politikern und anderen Entscheidungsträgern erarbeiten; diesen Weg wird das Projektzentrum in seiner neuen, 1996 beginnenden Phase gehen.

Solche Szenarios künftiger Landnutzung sind vor allem zur Modellierung von Menge und Qualität der Oberflächengewässer erforderlich. Einige Aussagen lassen sich jedoch schon jetzt treffen: Einiges spricht – auch bei zunehmender Wahrscheinlichkeit von Hochwasser im Winter – für eine stark abnehmende Wasserführung im Sommer. Da sich zugleich bei steigenden Nährstoffkonzentrationen die Temperatur erhöht, ist mit wachsendem Sauerstoffmangel in den Seen zu rechnen. Das wiederum bedeutet zunehmende Eutrophierung und damit letztlich auch eine höhere Belastung der Meere.


Fauna

Die Bestimmung vieler Tiere ist extrem aufwendig: Es ist zum Beispiel so gut wie unmöglich, alle Insekten eines Areals zu erfassen. Konkrete Aussagen sind oft nur für einige gut untersuchte Arten möglich, aber nicht für die Zusammensetzung der Fauna ganzer Landschaften. Auch die häufig gezeigten Karten von temperaturgesteuerten Veränderungen der Verbreitungsgrenzen sind nur begrenzt aussagefähig, da sie keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Verbreitung zulassen.

Ein besonders komplexes Thema ist die Entwicklung der Vogelbestände. In den letzten Jahren haben wir im Untersuchungsgebiet einen Rückgang der sogenannten Langstreckenzieher beobachtet; das sind Zugvögel, die über die Sahara hinaus südwärts ziehen. Ein möglicher Grund könnte sein, daß durch den früheren Vegetationsbeginn der letzten Jahre die Reviere der später zurückkehrenden Vögel bereits von den Kurzstreckenziehern besetzt sind und der Bestand aufgrund der schlechteren Konkurrenzsituation abnimmt. Doch vielleicht wird der Rückgang durch veränderte Bedingungen in den Winterrevieren oder auf den Rastplätzen verursacht – die wirkliche Ursache wird wohl noch für einige Zeit ungeklärt bleiben.


Grenzen der Vorhersagbarkeit

Die letztlich entscheidende Frage ist: Können wir die Entwicklung von Kulturlandschaften bei erhöhten Temperaturen vorhersagen? Die Antwort ist, wie oft in der Wissenschaft, ein bedingtes Ja und Nein. Hätten wir zuverlässige Informationen über Klima und künftige Landnutzung, so könnte man zumindest Wasser- und Stoffhaushalt sowie die land- und forstwirtschaftlichen Erträge mit den vorhandenen Modellen berechnen. Prognosen über die Entwicklung wichtiger Teile von Ökosystemen sind nach dem gegenwärtigen Stand nicht möglich.

So werden zum Beispiel Wanderungsbewegungen von Insekten oder Vögeln oft durch Extremereignisse beeinflußt und lassen sich darum nicht prognostizieren. Auch die botanische Zusammensetzung von Ökosystemen – zum Beispiel von Grünland – ist nur bedingt vorhersagbar. Hier hilft nur die Kopplung von Computersimulationen mit der traditionellen Arbeitsweise der Ökologie: Durch Monitoring (gezielte Beobachtung von Ökosystemen im Freiland) lassen sich Verschiebungen im Artenspektrum frühzeitig aufspüren; diese Daten sind dann Grundlage von kurz- bis mittelfristigen Simulationsläufen.

Eine Erhöhung der Temperatur wird sich somit alles in allem auf die Landschaft der Bornhöveder Seenkette folgendermaßen auswirken:

- Die Unterschiede zwischen Tal und Hügel werden stärker hervortreten;

- auf den grundwasserfernen Standorten wird im Sommer zunehmend Trockenstreß mit den damit verbundenen Ertragseinbußen auftreten;

- durch die höhere Verdunstung wird die Grundwasserneubildung sinken, die Belastung der Gewässer und des Grundwassers hingegen steigen.

Welche Konsequenzen ergeben sich nun daraus für die Forschung? Da in Deutschland natürliche Ökosysteme so gut wie keine Rolle mehr spielen, kann die Entwicklung von Landschaften unter geänderten klimatischen Bedingungen nur zusammen mit den Nutzern dieser Landschaft in einer iterativen Prozedur erfaßt werden. Mögliche Szenarien wären die Optimierung von Energie- und Kohlendioxid-Bilanzen, die Umstellung möglichst vieler Betriebe auf biologische Landwirtschaft, der verstärkte Anbau von nachwachsenden Rohstoffen oder die Einführung neuer Kulturarten. Hier liegt die Herausforderung für die künftige Arbeit des Kieler Zentrums: die Landnutzung so umzugestalten, daß Mensch und Natur sich langfristig vertragen.

Literaturhinweise

Die Studie ist als Band 2 der Reihe "EcoSys" erschienen und kann über den Buchhandel oder

direkt beim Verein zur Förderung der Ökosystemforschung, Schauenburgerstraße 112, 24118 Kiel, zum Preis von DM 35,- bestellt werden.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1996, Seite 106
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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