Medizin: Es werde Licht!
Bei meiner Mutter stand an der Haustür eine kleine blaue Glasschale mit Kleingeld. Immer wenn sie ausging, nahm sie ein paar Münzen mit – für Arme auf den Straßen von Neu-Delhi. Diese Geste hat mich stets beeindruckt, denn die meisten wohlhabenderen Inder sind gegen den Anblick von Armut abgestumpft. Ein Jahr nach ihrem Tod, als ich meinen Vater wieder besuchte, stand die Schale immer noch da – eine der wenigen Dinge seiner Frau, die er behalten hatte. Ich ahnte nicht, dass dieser Besuch von 2002 mein Leben verändern würde.
An einem ausgesprochen kalten, ungemütlichen Winternachmittag wollte ich damals einen Freund besuchen und steckte einige Münzen aus der blauen Schale ein. Bei einem Halt des Taxis an einer Ampel bemerkte ich am Straßenrand eine zusammengekauerte kleine Familie. Ich kurbelte das Fenster herunter und winkte sie zu mir.
Langsam kam das Grüppchen heran. Die beiden ausgezehrten ungefähr sechs- oder siebenjährigen Kinder, barfuß und in dünnen Baumwolllumpen, klammerten sich an den Sari der Mutter. Sie waren blind: Als sie zitternd am Auto standen, sah ich deutlich die Katarakte in ihren Augen. Das verblüffte mich, kannte ich doch den grauen Star bisher nur bei alten Menschen. Ich gab der Frau die Münzen, und wir fuhren weiter. Doch die unglücklichen Gesichter konnte ich nicht vergessen.
Was ich dann über blinde Kinder in diesem Land herausfand, war entsetzlich. Geschätzte 400 000 Betroffene gibt es in Indien. Kommt extreme Armut hinzu, führen diese jungen Menschen ein höchst elendes Leben. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation sterben bis zu 60 Prozent aller erblindeten Kinder innerhalb eines Jahres. Nicht einmal jedes zehnte erhält zumindest ansatzweise eine Schul- oder Ausbildung, am wenigsten die Mädchen. Sie sind oft komplett ans Haus gefesselt, werden vernachlässigt, misshandelt und nicht selten sexuell missbraucht.
Noch mehr schockierte mich zu lesen, dass dieses Elend in vielen Fällen nicht sein müsste, denn fast 40 Prozent der Erblindungen ließen sich verhindern oder medizinisch behandeln. Viele der Kinder zumal aus armen Familien erhalten jedoch keinerlei Behandlung – schon allein deswegen, weil sich die therapeutischen Einrichtungen weit gehend auf die Großstädte beschränken und zwei Drittel der Bevölkerung auf dem Land lebt ...
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