Meeresforschung: Der neue Klang der Ozeane
Im März 1960 brachte das Forschungsschiff »Diamantina« vor der Westküste Australiens nahe Perth drei Wasserbomben mit einer Sprengkraft von jeweils 136 Kilogramm TNT aus. Die Sprengladungen waren Teil eines gemeinsamen Akustikexperiments mit Wissenschaftlern vom Lamont Geological Observatory der Columbia University in den USA. Sie detonierten im Abstand von fünfeinhalb Minuten in rund 1650 Meter Tiefe. Knapp vier Stunden später zeichneten die Hydrophone der »SOFAR«-Station auf Bermuda die Explosionen auf – fast 20 000 Kilometer entfernt. Die Station hatten die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg genutzt, um über dem Meer abgeschossene Kampfpiloten zu lokalisieren.
Schallwellen können sich unter Wasser vier- bis fünfmal schneller ausbreiten als in der Luft und große Distanzen zurücklegen, wie das Perth-Bermuda-Experiment eindrucksvoll belegte. Die Schallwellen der Detonationen waren um die halbe Erde gereist, vom östlichen Indischen Ozean bis in den westlichen Nordatlantik. In welcher Entfernung zur Quelle Geräusche im Meer noch zu vernehmen sind, hängt – neben dem Hörvermögen des Empfängers – von ihrer Frequenz, der Wassertemperatur sowie dem Druck ab. Am weitesten verbreiten sich Töne mit niedriger Frequenz im SOFAR-Kanal, einer Zwischenschicht in rund 500 bis 1500 Meter Wassertiefe, wo die Geschwindigkeit und der Energieverlust von Schallwellen am geringsten sind. Große Bartenwale wie Blau- und Buckelwale kommunizieren über diesen Kanal hunderte Kilometer weit miteinander.
Viele Meerestiere, von Säugern über Fische bis hin zu Wirbellosen, setzen auf akustische Signale: zur Kommunikation und Navigation, um Beute aufzuspüren, einen Partner oder einen geeigneten Lebensraum zu finden. Denn Töne haben im Ozean eine wesentlich größere Reichweite als andere Sinnesreize wie Licht oder chemische Signalstoffe. In der Tiefsee beispielsweise ist visuelle Orientierung bestenfalls noch im Nahbereich möglich. Entsprechend klangvoll geht es unter der Wasseroberfläche zum Teil zu, sagt Ilse van Opzeeland vom Alfred-Meeresforschung in Bremerhaven. Die Biologin untersucht die Klanglandschaft und Verbreitung von Meeressäugern im Südpolarmeer, unter anderem mit Hydrophonen, die unter dem Schelfeis an der deutschen Neumayer-Station III hängen. »In der Region leben mehrere Robben- und Walarten, und bisweilen hört man dort ein gehöriges Quietschen und Trompeten«, erklärt van Opzeeland. »Die Unterwasserwelt ist keine ›Silent World‹, wie sie der Franzose Jacques Cousteau in seinem berühmten Dokumentarfilm einst betitelte.«
Und nicht nur die Töne von Lebewesen – die Biophonie – tragen zur Soundkulisse im Ozean bei. Auch der Schall, den geologische Prozesse und das Wetter erzeugen – die Geophonie –, prägt sie: untermeerische Vulkane, Seebeben und brodelnde Hydrothermalschlote in der Tiefsee, Wellen und prasselnder Regen an der Meeresoberfläche, kalbende Gletscher und knackende Eisschollen in den Polargebieten.
Doch seit der industriellen Revolution hat sich die marine Klanglandschaft massiv gewandelt …
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben