Winters' Nachschlag: Mehr Schein als Sein
Mit einer Hand voll Schlagworten erfolgreich durchs Leben kommen? Kein Problem für Peter Acker!
"Die Bourgeoisie!" Wie oft musste ich diesen triumphierenden Ausruf während meiner Schulzeit hören! Peter Acker hieß der Kollege, der zwar den größten Teil des Unterrichts im intellektuellen Winterschlaf verbrachte, aber ein untrügliches Gespür dafür besaß, im richtigen Moment eines seiner ausgelutschten Schlagworte abzufeuern. Auf diese Weise gelang es Acker zum Beispiel in Geschichte regelmäßig, sich als tragende Säule des Unterrichts zu positionieren.
Auch für Bildende Kunst verfügte Acker über eine solche Allzweckwaffe: Sekunden, nachdem die Lehrerin das zu analysierende Gemälde an die Wand projiziert hatte, hob der eben noch pflanzenhaft vor sich hin dämmernde "Experte" die Hand und vermeldete mit provozierender Sicherheit, es handele sich um eine Dreieckskomposition. Genial! Denn selbst wenn es sich für jeden Blinden sichtbar um eine Viereckskomposition handelte, wirkte sein Vorstoß nur umso kühner. Auf diese Weise verankerten sich Vorstellungen wie "Acker beteiligt sich rege an kontroverser Diskussion" nachhaltig im Lehrerinnenhirn, obwohl sie überhaupt nichts mit der Realität zu tun hatten.
Es würde mich wirklich interessieren, wie die Autorin des Artikels "Die eingebildeten Schwindler" auf S. 24 Peter Acker einordnen würde. Frau Spinath berichtet dort von begabten, fähigen Menschen mit einer kuriosen Macke: Diese "Impostoren" halten sich selbst für Betrüger und glauben, dass sie ihre objektiv erbrachten Leistungen nur vortäuschen.
Bei Acker hingegen lagen die Dinge exakt umgekehrt: Der ahnungslose Dünnbrettbohrer, der vermutlich nicht einmal wusste, was Bourgeoisie überhaupt bedeutet, war tatsächlich ein Betrüger. Nur erkannten das weder die Lehrer noch er selbst!
Eine Eigenschaft der Impostoren ist laut Frau Spinath ihre Neigung zum "Self-handicapping". Die Betroffenen geben sich also größte Mühe, ihr eigenes Vorankommen zu hindern. Und auch Anti-Impostor Acker legte gern Steine in den Weg – allerdings nicht sich selbst.
Ich sehe mich noch heute, wie ich unter immensen Schweißausbrüchen ein lange vorbereitetes Referat über den Roman "Die Blechtrommel" von Günter Grass hielt. Acker, der eigentlich erst in der darauf folgenden Unterrichtsstunde meine Ausführungen als zweiten Teil des Vortrags fortsetzen sollte, fiel mir schon nach drei Minuten und ohne jede Vorwarnung ins Wort. Ungefragt, mit ernstem Blick und vor der Brust verschränkten Armen, platzte er mit der apodiktischen Feststellung heraus, man müsse Grass' Drama "Die bösen Köche" gelesen haben, um den Schriftsteller wirklich verstehen zu können.
Dieser nicht abgesprochene Einwurf brachte mich dermaßen aus dem Konzept, dass mein Referat von diesem Moment an in sinnloses Gestammel ausartete. Acker eilte mir jovial "zu Hilfe", indem er den vermutlich einzigen Satz aus Grass' unbedeutendem Drama zitierte, den er gelesen hatte. Sofort entstand dadurch eine den Deutschlehrer in höchstem Maße beglückende Diskussion über Hermeneutik, die bedauerlicherweise auch die für Ackers Referat reservierte Stunde auffraß. Wieder war es dem Scharlatan gelungen, ohne jegliche eigene Leistung zu glänzen.
Nach der Schulzeit hatte ich nichts mehr von Acker gehört – bis ich vor einigen Wochen unter den Kandidaten einer Fernsehquizshow ein teigiges, selbstzufriedenes Gesicht entdeckte, das mir irgendwie ziemlich bekannt vorkam. Es gehe um 100 000 Euro, verkündete der Quizmaster unter dramatischem Musikgeorgel und verlas die Frage: "Wer steht im marxschen Klassenkampf dem Proletariat unversöhnlich gegenüber?" Die Kamera zeigte die Kandidaten in Großaufnahme: Acker grinste und hob den Arm. Ich schaltete auf einen anderen Kanal um.
Auch für Bildende Kunst verfügte Acker über eine solche Allzweckwaffe: Sekunden, nachdem die Lehrerin das zu analysierende Gemälde an die Wand projiziert hatte, hob der eben noch pflanzenhaft vor sich hin dämmernde "Experte" die Hand und vermeldete mit provozierender Sicherheit, es handele sich um eine Dreieckskomposition. Genial! Denn selbst wenn es sich für jeden Blinden sichtbar um eine Viereckskomposition handelte, wirkte sein Vorstoß nur umso kühner. Auf diese Weise verankerten sich Vorstellungen wie "Acker beteiligt sich rege an kontroverser Diskussion" nachhaltig im Lehrerinnenhirn, obwohl sie überhaupt nichts mit der Realität zu tun hatten.
Es würde mich wirklich interessieren, wie die Autorin des Artikels "Die eingebildeten Schwindler" auf S. 24 Peter Acker einordnen würde. Frau Spinath berichtet dort von begabten, fähigen Menschen mit einer kuriosen Macke: Diese "Impostoren" halten sich selbst für Betrüger und glauben, dass sie ihre objektiv erbrachten Leistungen nur vortäuschen.
Bei Acker hingegen lagen die Dinge exakt umgekehrt: Der ahnungslose Dünnbrettbohrer, der vermutlich nicht einmal wusste, was Bourgeoisie überhaupt bedeutet, war tatsächlich ein Betrüger. Nur erkannten das weder die Lehrer noch er selbst!
Eine Eigenschaft der Impostoren ist laut Frau Spinath ihre Neigung zum "Self-handicapping". Die Betroffenen geben sich also größte Mühe, ihr eigenes Vorankommen zu hindern. Und auch Anti-Impostor Acker legte gern Steine in den Weg – allerdings nicht sich selbst.
Ich sehe mich noch heute, wie ich unter immensen Schweißausbrüchen ein lange vorbereitetes Referat über den Roman "Die Blechtrommel" von Günter Grass hielt. Acker, der eigentlich erst in der darauf folgenden Unterrichtsstunde meine Ausführungen als zweiten Teil des Vortrags fortsetzen sollte, fiel mir schon nach drei Minuten und ohne jede Vorwarnung ins Wort. Ungefragt, mit ernstem Blick und vor der Brust verschränkten Armen, platzte er mit der apodiktischen Feststellung heraus, man müsse Grass' Drama "Die bösen Köche" gelesen haben, um den Schriftsteller wirklich verstehen zu können.
Dieser nicht abgesprochene Einwurf brachte mich dermaßen aus dem Konzept, dass mein Referat von diesem Moment an in sinnloses Gestammel ausartete. Acker eilte mir jovial "zu Hilfe", indem er den vermutlich einzigen Satz aus Grass' unbedeutendem Drama zitierte, den er gelesen hatte. Sofort entstand dadurch eine den Deutschlehrer in höchstem Maße beglückende Diskussion über Hermeneutik, die bedauerlicherweise auch die für Ackers Referat reservierte Stunde auffraß. Wieder war es dem Scharlatan gelungen, ohne jegliche eigene Leistung zu glänzen.
Nach der Schulzeit hatte ich nichts mehr von Acker gehört – bis ich vor einigen Wochen unter den Kandidaten einer Fernsehquizshow ein teigiges, selbstzufriedenes Gesicht entdeckte, das mir irgendwie ziemlich bekannt vorkam. Es gehe um 100 000 Euro, verkündete der Quizmaster unter dramatischem Musikgeorgel und verlas die Frage: "Wer steht im marxschen Klassenkampf dem Proletariat unversöhnlich gegenüber?" Die Kamera zeigte die Kandidaten in Großaufnahme: Acker grinste und hob den Arm. Ich schaltete auf einen anderen Kanal um.
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