Smart Car: Mein Auto versteht mich
Fahrzeuge sollen künftig sensibel auf Stimmungen und Befindlichkeiten ihrer Fahrer reagieren.
Weg mit den seelenlosen Fahrmaschinen, die nur Kilometer abspulen, bis sie auf dem Schrott landen. Nein, her mit den automobilen Partnern auf der Straße! Was früher nur den Besitzern einer Citroen-"Ente" vorbehalten war, soll bald allen Autofahrern zuteil werden: Mein Auto versteht mich und reagiert auf meine Stimmungen.
Was nach Satire klingt, steht für ein ernst gemeintes Konzept, das Autofahren sicherer zu machen. So stellten Toyota und Sony unter dem Namen "Pod" auf der Tokio Motor Show Ende letzten Jahres ein Konzeptfahrzeug vor, das die Stimmung des Fahrers erfasst und selbst "Emotionen" zeigt. Es grüßt beim Einsteigen über einen LED-Bildschirm und Lautsprecher mit einem freundlichen "Hello". Danach beginnen verschiedene Sensoren die Stimmung des Wagenlenkers zu erfassen. Dazu wertet Pod Lenkrad-, Gas- und Bremspedal-Aktionen sowie Puls und Hauttranspiration aus. Der Grund: In Fahrsimulationen haben die japanischen Forscher herausgefunden, dass aggressive Fahrer hektischer am Lenkrad reißen und auf das Gaspedal treten, ruckartiger bremsen, mehr schwitzen und einen höheren Puls erreichen.
Wenn Pod derartig unfallträchtige Signale empfängt, versucht er zu beruhigen: Das Auto schickt via Klimaanlage kühlende Luft ins Cockpit und sucht einen Radiosender mit sanfter Musik. Außerdem unterscheidet es anhand der Fahrmuster einen routinierten von einem weniger trainierten Autofahrer. Entsprechend lobt oder kritisiert ein Sprachcomputer den jeweiligen Fahrstil, um riskanten Fahrmanövern vorzubeugen.
Einen ähnlichen Weg beschreiten die IBM-Forscher Wlodek Zadrozny und Dimitri Kanevsky vom Watson Research Center in Yorktown (US-Bundesstaat New York). Sie entwickelten einen virtuellen Beifahrer, der dann in Aktion tritt, wenn der Fahrer am Steuer auf allzu langen Fahrten einzunicken droht. Im Wesentlichen steckt ein Sprachsystem dahinter, in dessen Speicher das Interessenprofil des Fahrers einprogrammiert wurde, ergänzt um eine Innenraumkamera, die sein Gesicht beobachtet. Klimpert der Fahrer verdächtig mit den Augenlidern, was einem Sekundenschlaf vorausgeht, so beginnt der virtuelle Beifahrer ein provozierendes Gespräch in der Art von "Wann warst du zum ersten Mal verliebt?" oder "Wusstest du, dass der DAX um 500 Punkte gefallen ist?". Über Mikrofone analysiert das Sprachsystem die Antworten. Falls der Angesprochene zu wenig reagiert, kann es für ihn ungemütlich werden. Feine Düsen spritzen ihm kaltes Wasser ins Gesicht, die Seitenscheiben gleiten auf und zu, das Radio wechselt plötzlich sein Programm, und Warntöne heulen aus den Lautsprechern. "Natürlich hat unser System nur einen kurzzeitigen Effekt", schränkt Zadrozny ein. "Es kann aber vor dem Sekundenschlaf warnen und den Fahrer daran erinnern, eine Pause einzulegen. Wir denken, dass der virtuelle Beifahrer in etwa vier Jahren in Serie gehen könnte."
Was Fahrer denken
Solche Ideen klingen zwar skurril, aber einleuchtend. Doch will ein Wagenlenker sich wirklich mit seinem Auto unterhalten, das ihn auch noch belehrt? Welche Art von Informationen und Signalen kann ein Fahrer während der Fahrt überhaupt wahrnehmen, ohne dass er verwirrt und abgelenkt wird? Verkehrspsychologen sprechen von einer "kognitiven Zusatzbelastung", die manche Assistenzsysteme vom Autofahrer verlangen. Auch dass die oft nicht rational auf Warnsignale reagieren, ist bekannt. Beispiel Fluchtreflex: Muss der Fahrer einem auftauchenden Hindernis ausweichen, neigt er zu übertriebenen Lenkmanövern. Beispiel selektive Wahrnehmung: Nur was der Fahrer im Augenblick für wichtig hält, dem widmet er seine Aufmerksamkeit, wie dem Lesen von Straßennamen oder dem quengelnden Kind auf dem Rücksitz.
Was im Kopf eines Fahrers während Extremsituationen vorgeht, wissen die Fahrzeugentwickler noch zu wenig. Um solche Fragen zu beantworten, beziehen sie deshalb immer mehr Psychologen, Anthropologen, Ergonomen und Neurophysiologen in ihre Forschungen mit ein. Erste Erkenntnisse flossen bereits in neue Systeme ein. So haben DaimlerChrysler-Forscher bereits vor Jahren in Fahrsimulationen nachgewiesen, dass die meisten Fahrzeuglenker in Notsituationen zu schwach auf das Bremspedal treten und den Bremsweg so verlängern. Ein Bremsassistent soll deshalb bei schreckhaftem Bremsen das Auto sofort maximal verzögern.
Aber nur Reaktionen von Fahrern auf virtuellen Teststrecken zu beobachten, ist den Forschern heute zu wenig. Sie wollen direkt ins Gehirn ihrer Probanden schauen und dort ergründen, wie sie bei stressigen Fahrsituationen denken und fühlen. Mit diesen Erfahrungen könnten die Wissenschaftler wesentlich genauere kognitive Fahrermodelle für die Sicherheitsforschung entwickeln.
Beim Blick in die Black Box Gehirn hilft den Forschern ein physiologischer Effekt: Aktive Hirnbereiche verbrauchen mehr Sauerstoff als ihre Nachbarn. Diesen erhöhten Bedarf kann ein bildgebendes Verfahren wie die funktionelle Magnetresonanz-Tomographie (fMRT) sichtbar machen. Sie liefert ein räumliches Bild der Gehirnaktivitäten. Dazu liegen die Probanden im Tomographen. Über eine Stereobrille mit eingelassenen Minibildschirmen bekommen sie wie bei einem Videospiel eine Aufgabe eingeblendet und reagieren mit einem Joystick darauf.
Die ersten Ergebnisse verblüfften. DaimlerChrysler-Forscher Stefan Hahn, Leiter der Abteilung Maschinelle Perzeption, fand zusammen mit einem Team um den Psychiater Manfred Spitzer von der Universitätsklinik Ulm heraus, dass männliche und weibliche Versuchspersonen ihren Weg durch ein Labyrinth – oder eben auch das Straßengewirr einer Stadt – auf unterschiedliche Weise finden. Die meisten Männer orientieren sich, indem sie eine Wegkarte im Kopf zeichnen, während Frauen sich mehr an markanten Umgebungspunkten entlangtasten. "Dieser Unterschied", so interpretiert Hahn das Ergebnis, "spricht beispielsweise dafür, auf den Displays von Navigationssystemen unterschiedliche Bildinformationen anzubieten – etwa Straßenkarten für Karten- und Fotos für Landmarkeninterpretierer."
Freilich eignet sich der etwa drei Meter lange Tomograph nicht für den mobilen Einsatz. Außerdem kann eine fMRT-Untersuchung nur in einem magnetisch abgeschirmten Raum erfolgen, um magnetische Störungen auszuschließen. Als mobilen Gehirnspäher setzten die Neurophysiologen deshalb im Fahrsimulator oder auf der Straße einen Elektroenzephalographen (EEG) ein, der die Gehirnströme über Elektroden am Kopf abgreift und so ein Aktivitätsmuster erzeugt. Leider liefert dieses Verfahren nur sehr grobe räumliche Bilder. Bessere Auflösungen erhoffen sich die Forscher von einem neuartigen mobilen Tomographen, der mit Laserstrahlen im nahen Infrarot arbeitet; er soll eine ähnlich gute Sicht ins Gehirn liefern wie fMRT. Der Sensor wird wie beim EEG-Verfahren direkt auf die Schädeldecke aufgesetzt. Das Laserlicht dringt bei dieser Wellenlänge bis zu sechs Zentimeter tief ins Gehirn ein und wird dort an aktiven Hirnzellen mit hohem Sauerstoffverbrauch reflektiert. Zwar stecken all diese neurophysiologischen Untersuchungen noch in den Kinderschuhen und niemand weiß, wie wertvoll ihre Resultate sein werden. Aber Stephan Hahn ist optimistisch: "Es wäre auf jeden Fall ein Fehler, ihre Chancen nicht sorgfältig auszuloten."
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 2002, Seite 90
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