Menschen statt Roboter?
Der Hauptgrund, Astronauten zum Roten Planeten zu entsenden, wäre die Suche nach Leben.
Im Laufe der Jahrtausende besiedelte der Mensch die gesamte Erde. In der Neuzeit waren es europäische Abenteurer, die es in für sie unbekannte Gegenden trieb. Oft spielten dabei wirtschaftliche Gründe oder Nationalgefühl eine Rolle. Christoph Columbus segelte gen Westen, um kürzere Handelsrouten in den Orient zu finden und um Ruhm und Ehre der spanischen Krone zu mehren. Anfang des 19. Jahrhunderts drangen die ersten US-Kundschafter in Gebiete westlich des Mississippi vor und leiteten so die weitere Expansion der USA ein. Während des Kalten Krieges, nach einem beispiellosen technologischen Wettlauf mit der Sowjetunion, hissten die Apollo-Astronauten die Flagge der Vereinigten Staaten auf dem Mond.
Trotz der zumeist kommerziellen, politischen und strategischen Motive erweiterten diese Pioniere auch das wissenschaftliche Weltbild – einfach deshalb, weil sie in Gebiete vordrangen, in denen noch kein Wissenschaftler gewesen war. Die Flora und Fauna im Westen des nordamerikanischen Kontinents war für die Siedler und die gesamte europäisch geprägte Kultur größtenteils fremd. Dem von den Astronauten mitgebrachten Mondgestein und Datenmaterial verdanken wir unser grundlegendes Verständnis vom Ursprung und von der Entwicklung des Mondes (Spektrum der Wissenschaft 9/94, S. 58).
Der Planet Mars könnte das nächste große Ziel der Menschheit werden. Ein Raumflug dorthin hätte aber nichts mit Gewinnstreben oder Machtdemonstration zu tun. Eher wäre es der Wille zu internationaler Zusammenarbeit in der Raumfahrt, die Herausforderung an sich und das wissenschaftliche Interesse, das Menschen veranlassen würde, ihren Fuß auf den staubigen Boden des Roten Planeten zu setzen.
Selbstverständlich muss man fragen, ob es überhaupt erforderlich ist, Menschen zum Mars zu schicken. Könnten die Experimente dort nicht auch von Robotern ausgeführt werden? Und selbst wenn Raumfahrer einen Informationsgewinn brächten: Würde das die enormen Kosten und Risiken bemannter Missionen rechtfertigen?
Eine Erkundung des Mars ist eine Herausforderung ohnegleichen. Die Frage, ob es jemals Leben auf unserem Nachbarplaneten gab und vielleicht heute noch gibt, wurde durch die Erkenntnis aufgeworfen, dass es dort einst große Mengen an Wasser gegeben haben muss. Die Kontroverse über vermeintliche fossile Organismen in einem vom Mars stammenden Meteoriten hat die Debatte erneut entfacht. Sollten sich tatsächlich Lebensspuren finden lassen, so würden sie den Forschern unschätzbare Einsichten über die Bedingungen liefern, unter denen Leben auf Planeten entsteht – und wie häufig es im Universum sein könnte.
"Wenn man irgendeine Form von Leben entdeckt, bedeutet das, dass die Prozesse, die zu seiner Entwicklung führen, allgemein gültig sind", betonte der Raumfahrtingenieur Robert Zubrin kürzlich auf einer Konferenz am Massachusetts Institute of Technology. "Diese Frage hat großes philosophisches Gewicht, und Mars könnte die Antwort liefern."
Ein bemannter Marsflug wäre heute schon prinzipiell möglich. Die Vereinigten Staaten verfügen über die erforderlichen finanziellen und technischen Fähigkeiten. Die aktuellen Erkenntnisse über die Klimageschichte unseres Nachbarplaneten liefern nun einen wissenschaftlichen Anreiz, Menschen dorthin zu entsenden, um nach Lebensspuren zu suchen. Die Vermutung, es könnte einst flüssiges Wasser auf Mars gegeben haben, wurde erst kürzlich durch die Sonde Mars Global Surveyor gestützt. Sie fotografierte einen Graben, der vermutlich über Jahrhunderte, wenn nicht sogar Jahrtausende, von fließendem Wasser in den Boden eingeschnitten wurde.
Diese wichtigen Ergebnisse des Mars Global Surveyors folgten kurz nach der erfolgreichen Landung von Mars Pathfinder im Juli 1997. Beide unbemannte Sonden gehören zu dem ehrgeizigen Programm, mit dem die amerikanische Luft- und Raumfahrtbehörde Nasa den äußeren Nachbarplaneten der Erde erkunden möchte. Unter der Devise "billiger, schneller, besser" wurde eine Reihe preiswerter Robotersonden konstruiert. Doch den Anfangserfolgen folgte eine peinliche Pannenserie. Im Abstand von nur drei Monaten gingen die nächsten beiden Marssonden verloren: der 125 Millionen Dollar teure Mars Climate Orbiter und der 165 Millionen Dollar teure Mars Polar Lander. Als Konsequenz aus diesen Vorfällen wurde die für 2001 vorgesehene unbemannte Mission, Mars Surveyor 2001, um mindestens zwei Jahre verschoben. In der Zwischenzeit versucht die Nasa, die eigentlichen Ursachen der Fehlschläge zu beheben.
Letztlich bedeutet dies, dass es länger als vorgesehen dauern wird, bis erstmals ein Mensch seinen Fuß auf den Roten Planeten setzt. Manche der Experimente auf den jetzt geplanten Roboter-Missionen sollen nämlich wichtige Vorarbeiten für einen bemannten Raumflug leisten. Nach dem Erfolg der Pathfinder-Sonde gab es informelle Gespräche innerhalb der Nasa, die eine bemannte Mission schon für das Jahr 2020 vorsahen. Ein solcher Zeitpunkt erscheint aus heutiger Sicht illusorisch.
Doch Befürworter einer bemannten Erkundung des Mars lassen sich in ihrem Enthusiasmus nicht bremsen. Zubrin beispielsweise meint: "Wenn wir ernsthaft der Frage nach Leben auf dem Mars nachgehen und herausfinden wollen, wie weit es sich entwickelt haben könnte, kommen wir um den Einsatz von Menschen nicht herum." Denn die Suche nach fossilen Überresten bedeute auch "die großräumige Erkundung unbekannten Geländes, Grabungen mit Spitzhacken, das Aufschließen von Felsgestein, das schichtweise Freilegen der Funde wie auch deren Säuberung mit feinen Pinseln. All diese Arbeiten liegen jenseits der Möglichkeiten von Roboterfahrzeugen."
Auch wenn es – trotz der extremen Umweltbedingungen – heute noch Leben auf Mars geben sollte, wäre dieses nach Meinung von Experten nur durch Menschen zu entdecken. Denn es würde sich vermutlich um Mikroorganismen handeln, die an geschützten und somit schwer zugänglichen Stellen gedeihen, meint Pascal Lee, Forscher am Ames-Forschungszentrum der Nasa: "Um diese Organismen aufzuspüren, muss man große Areale der Marsoberfläche unter die Lupe nehmen. Hierfür ist ein hoher Grad an Mobilität und Flexibilität erforderlich." Zwar werden Roboter eines fernen Tages auch solch schwierige Aufgaben meistern können, gibt Lee zu. Aber: "Es würde Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte dauern, den Mars auf diese Weise nach Lebensspuren abzusuchen".
Ein rein unbemanntes Erkundungsprogramm würde eine Vielzahl von Robotersonden erfordern, die nach und nach gestartet werden müssten. Doch Starts sind nicht zu beliebigen Zeiten möglich, sondern nur zu bestimmten "Startfenstern": Nur alle 26 Monate stehen Erde und Mars in einer so günstigen Konstellation zueinander, dass eine Reise zwischen beiden Planeten weniger als ein Jahr dauert.
Mancher zweifelt jedoch daran, dass ein auf mehrere Jahrzehnte angelegtes Programm den Rückhalt der Öffentlichkeit und der Regierungen finden würde. "Wer", so fragt der Geologe Paul D. Spudis vom Lunar and Planetary Institute in Houston (Texas), "will schon eine ganze Reihe von Marsmissionen unterstützen, die alle mit negativen Befunden enden?"
Ein weiteres Argument für die Anwesenheit von Menschen ist, dass Organismen auf dem Mars – wenn überhaupt – wohl nur tief unter der Oberflä-che des Planeten überlebt haben könnten. Die Marsatmosphäre enthält nämlich Spuren eines sehr stark oxidierenden Stoffes – vermutlich Wasserstoffperoxid. Die obersten Schichten der Marskruste sind deshalb frei von jeder organischen Materie. So sehen die meisten Strategien zur Suche nach Mikroorganismen auch Bohrungen bis in solche Tiefen vor, in denen Leben und organisches Material von den oxidierenden Stoffen und der intensiven UV-Strahlung an der Marsoberfläche gut abgeschirmt wäre.
Einige der geplanten Marssonden werden daher mit automatischem Bohrgerät ausgestattet sein, um in Felsgestein mehrere Zentimeter und in den staubigen Marsboden mehrere Meter eindringen zu können. Sollte in diesen oberflächennahen Schichten kein Leben zu finden sein, sähen sich die Forscher genötigt, Proben aus mehreren hundert Metern Tiefe zu gewinnen, bevor sie eine endgültige Aussage über Leben auf Mars treffen können. Für die Entnahme solcher Proben "ist der Einsatz von Menschen unumgänglich", sagt Charles Elachi, Direktor des Space and Earth Sciences Program am Jet Propulsion Laboratory in Pasadena (Kalifornien).
Zwar stellt kaum ein Forscher die Vorteile einer bemannten Marsmission für die Wissenschaft generell in Frage. Doch die Kritik entzündet sich in der Regel an der Kosten-Nutzen-Relation eines solchen Unternehmens im Vergleich zu unbemannten Missionen. Die Diskussion wird nicht gerade erleichtert durch den Umstand, dass manche der maßgebenden Randbedingungen für einen bemannten Marsflug nur unzureichend bekannt sind.
Zudem ist es schwierig, den Stand der Technik in fünf oder zehn Jahren abzuschätzen. Unter der heutigen "billiger, schneller, besser"-Strategie der Nasa wäre es noch nicht einmal möglich, eine Sonde zu einem anderen Planeten zu bringen, die in der Lage wäre, dort Minigolf zu spielen. Die Suche nach Fossilien in einem unwirtlichen und unbekannten Terrain wäre ungleich diffiziler. Die Fähigkeiten des bisher erprobten Rover-Systems muten vergleichsweise armselig an: Das von Mars Pathfinder mitgeführte Fahrzeug "Sojourner" rollte nur 106 Meter um die Landestelle herum, bevor die Funkübertragung zur Erde abbrach. Selbst die bisher besten mobilen Roboter können sich mit ihrer "Intelligenz" nicht mal mit einer Küchenschabe messen.
Auch Teleoperatoren – roboterähnliche Vehikel mit Sensoren und Manipulatoren, – die von der Erde aus gesteuert und gewissermaßen den verlängerten Arm eines Wissenschaftlers darstellen würden, können nicht weiterhelfen. Die Laufzeit eines Funksignals von der Erde zum Mars und zurück beträgt immerhin bis zu 40 Minuten. "Im besten Falle", so Spudis, "hätte man damit so etwas wie einen überwachten Teleroboter, und ich glaube nicht, dass dies für eine ernsthafte wissenschaftliche Feldarbeit ausreichen würde."
Die Kosten für eine bemannte Marsmission wären zweifellos hoch: Zubrin schätzt sie auf 20 Milliarden Dollar, die Nasa auf 55 Milliarden Dollar. Dennoch hält Zubrin ein solches Unternehmen für effizienter als eine Serie von unbemannten Raumflügen. Für ein Zehnfaches der Kosten könnten Astronauten nämlich die hundertfache Menge an Gesteinsproben zur Erde zurückbringen und ein zehntausendfach größeres Areal untersuchen.
Die gegensätzliche Meinung vertritt Ardeen L. Albee. Der frühere Chefwissenschaftler am Jet Propulsion Laboratory und Projektleiter der Global-Surveyor-Mission beruft sich dabei auf eine Studie des Solar System Exploration Committees der Nasa von 1986. Darin heißt es, dass die während der Apollo-15-Mission gewonnenen Bodenproben auch von autonomen Robotern hätten eingesammelt werden können. Damals legten die Astronauten David R. Scott und James B. Irwin an einem Tag 11,2 Kilometer mit ihrem Mondauto zurück und sammelten hierbei Proben an fünf verschiedenen Stellen der Mondoberfläche ein. Die Ausbeute an diesem Tag betrug 45 Gesteinsbrocken, 17 Proben lockeren Materials und acht Bohrkerne. Ein Roboterfahrzeug hätte der Studie zufolge die gleiche Arbeit in 155 Tagen erledigen können. Einen Großteil dieser Zeit hätte der Rover in Warteposition verharrt, während Experten auf der Erde seine nächsten Schritte festgelegt hätten. Für das eigentliche Einsammeln der Proben wären nur 70 Tage zu veranschlagen gewesen. Tatsächlich bewegt hätte sich der Rover nur 31 Stunden lang. "Mit einer solchen Kosten-Nutzen-Analyse fällt es schwer, bemannte Raumflüge zu befürworten", folgert Albee.
Mit einer Oberfläche, die viermal so groß ist wie die des Erdmondes, mit seinen ungewöhnlichen geologischen Formationen und seinem ungastlichen Klima wird der Rote Planet womöglich nur in einer Kombination von bemannten und unbemannten Missionen zu erobern sein. Der Nasa-Forscher Lee beispielsweise leitet ein Projekt auf der Insel Devon in der kanadischen Arktis. In dieser entlegenen Eiswüste der weltgrößten unbewohnten Insel, die mit dem Haughton-Meteoritenkrater und den klimatischen Bedingungen sehr stark der Marslandschaft ähnelt, erproben er und seine Kollegen Geräte und Arbeitsweisen, die künftigen Astronauten auf dem Roten Planeten nützlich sein könnten.
Auf der Suche nach repräsentativen Proben haben Lee und seine Mitarbeiter mittlerweile Hunderte von Kilometern zurückgelegt und unzählige Felsvorsprünge erklommen. "Es gibt keine Standard-Felsformation", berichtet er. "Nur wenige von denen, die wir erkletterten, hätten auch durch einen gewöhnlichen Rover erklommen werden können. Und: Die Erforschung und Entdeckung neuer Gebiete ist ein schrittweiser Prozess. Der ist überhaupt nur durch die extreme Anpassungsfähigkeit und Mobilität der Menschen in einer noch akzeptablen Zeit zu leisten."
"Noch", so fährt Lee fort, "träumt niemand von bemannten Missionen zum Mars ohne Unterstützung durch Roboter. Halbautonome Maschinen werden gebraucht, um Arbeiten verrichten zu können, die entweder zu eintönig oder zu gefährlich für Menschen wären, wie zum Beispiel bei der großräumigen Erkundung, beim Einrichten von Versorgungsdepots und Schutzbauten für lange Exkursionen, sowie dem Transport und dem Aufarbeiten großer Mengen an Gesteinsproben, die Geologen aufsammeln.
Steven W. Squyres, der den Bau von Rovern zum Gewinnen von Bodenproben leitet, glaubt ebenfalls, dass sich Menschen und Roboter auf dem Roten Planeten gut ergänzen könnten. Er beruft sich dabei auf Erfahrungen, die er während der geologischen, biologischen und chemischen Untersuchung von unterirdischen Seen in der Antarktis machte. Die Bedingungen in diesen Gewässern fern der Zivilisation sind ähnlich kalt und lebensfeindlich wie auf dem Mars. Um Daten gewinnen zu können, setzte das Forscherteam sowohl ferngesteuerte Roboterfahrzeuge als auch herkömmliche Tauchausrüstungen ein. "Am effektivsten war, für die Voruntersuchungen einen der Roboter zu entsenden", berichtet Squyres. "Erst dann folgten die Menschen."
Einige der ersten Fragen, die bei der Suche nach Leben unterhalb der Marsoberfläche beantwortet werden müssten, wären Squyres zufolge etwa die: "Wo und wie tief müssen wir bohren? Aus welchem Material besteht die Mars-
kruste? Gibt es Wasser unter der Marsoberfläche – und wenn ja, wo?" Squyres, der auch Professor für Astronomie an der Cornell-Universität in Ithaca (New York) ist, betont, dass es noch mehrerer unbemannter Sonden zum Mars bedarf, um diese Fragen zu beantworten.
Neben rein wissenschaftlichen Ar-gumenten spielen bei den Planungen für einen bemannten Marsflug sicherlich auch andere Motive eine Rolle. Nationalstolz kann es eigentlich nicht mehr sein, denn ein solches Unterfangen könnte nur in internationaler Zusammenarbeit in Angriff genommen werden. Denkbar ist allerdings, dass sich eine Gruppe von Industrienationen mit dem ersten bemannten Flug zum Mars ein Denkmal setzen möchte. Im Zeitalter der Globalisierung haben vielleicht auch internationale Großunternehmen ein Interesse daran, sich durch aktive Unterstützung eines Marsflugs auf dem Weltmarkt zu profilieren. Ein solches Sponsoring ist gar nicht so abwegig. Schließlich sind viele der von sportlichem Ehrgeiz geprägten Unternehmungen – von den Olympischen Spielen bis hin zu der kürzlich geglückten ersten Erdumrundung mit dem Ballon – durch aktives Firmensponsoring zu Stande gekommen.
Ein 55-Milliarden-Dollar-Projekt wie die bemannte Marsmission würde zwar alles Dagewesene in den Schatten stel-len. Doch der Prestigegewinn wäre in einigen Jahren vielleicht eine solche Investition wert.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 2000, Seite 50
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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