Messen und Einstellen thermischer Behaglichkeit
Ob in der eigenen Wohnung oder am Arbeitsplatz – ein Mensch sollte sich in einem Raum wohl fühlen. Verschiedene Normen bieten Architekten und Bauphysikern deshalb Methoden, das Raumklima so zu optimieren, daß keine Zugluft herrscht und die Temperatur den meisten Menschen angenehm ist. Doch in entsprechenden Untersuchungen waren bis zu 20 Prozent der Probanden damit nicht zufrieden, denn individuelle Abweichungen vom durchschnittlichen Kalt-Warm-Empfinden sowie Veränderungen dieser Wahrnehmung im Tagesverlauf bei derselben Person erschweren eine Standardisierung. Deshalb haben wir einen Sensor entwickelt, der – unter bestimmten Bedingungen – das thermische Empfinden von Menschen nachvollzieht und somit Klimaanlagen individuell regelbar macht.
Physiologische Grundlagen
Der warmblütige menschliche Organismus sucht eine gleichmäßige Temperatur von 36,5 bis 37 Grad Celsius in seinem Kern aufrechtzuhalten. Dazu muß er je nach Umgebungstemperatur einen stoffwechselbedingten Wärmeüberschuß nach außen abgeben oder diese Abgabe reduzieren und den Energieumsatz steigern; am wohlsten fühlt man sich – bekleidet – gemeinhin bei einer Raumtemperatur von 22 Grad. Die wichtigste Regelungsinstanz liegt im Hypothalamus, einer Struktur des Zwischenhirns (Spektrum der Wissenschaft, November 1978, Seite 68). Dort werden alle Reizsignale der körpereigenen Temperaturfühler ausgewertet und entsprechende Effektoren aktiviert.
Kälterezeptoren in der Haut ermöglichen, auf Umgebungsänderungen zu reagieren, bevor die Kerntemperatur sinkt. Unbehagliche Kühle empfindet man im allgemeinen schon, wenn die Hauttemperatur etwa 34 Grad unterschreitet. Dann beginnt man zu zittern, und der Stoffwechsel wird erhöht, bis der Sollwert von etwa 37 Grad wieder erreicht ist; außerdem verengen sich die Blutgefäße der Haut und verringern somit den Wärmetransport zu dieser Austauschfläche. Steigt hingegen die Kerntemperatur an, erhöht sich auch die des Blutes, worauf die Wärmerezeptoren im Hypothalamus selbst ansprechen (bei Fieber werden sie zudem von im Blut kreisenden Abbaustoffen und Bakteriengiften gereizt). Zum Ausgleich sucht der Körper zusätzlich Energie durch Verdunstung und verstärkte Hautdurchblutung abzugeben: Man schwitzt merklich und bekommt einen roten Kopf.
Das objektive Kriterium thermischer Behaglichkeit ist demnach, daß weder Kaltrezeptoren der Haut noch Warmrezeptoren des Hypothalamus Anlaß geben dürfen, die Temperatur der Umgebung verändern zu wollen. Vereinfacht gesagt wäre das der Fall, wenn die Temperatur der Haut nicht unter etwa 34 und die des Stammhirns nicht über etwa 37 Grad Celsius liegt. Allerdings variieren diese Grenzen – wie erwähnt – zwischen Individuen und schwanken im Tagesverlauf, wobei das Wärmebedürfnis am frühen Morgen weniger ausgeprägt ist. Noch fehlen allerdings statistische Daten von Temperaturschwellenwerten, die beispielsweise nach Geschlecht, Alter oder ethnischer Zugehörigkeit aufgeschlüsselt wären.
Der Sensor
Wie läßt sich nun eine Heizung oder Kühlung so regeln, daß sich ein Individuum in einem Raum nach dem genannten Kriterium wohl fühlt? Erforderlich ist eine Stellgröße, die als Klimasummenvariable den Einfluß der Umgebungsgrößen Temperatur sowie Bewegung und Feuchte der Luft, Temperatur der Umschließungsflächen und Sonneneinstrahlung erfaßt.
Sofern die Kerntemperatur nicht infolge zu hoher Raumtemperatur, körperlicher Arbeit oder zu dicker Kleidung steigt, kann thermische Unbehaglichkeit nur durch Kälteempfinden entstehen; unser Sensor imitiert deshalb die Wärmebilanz trockener, nicht schwitzender Haut. Die Summengröße (resultant surface temperature, RST) stellt sich auf der Oberfläche einer hautfarbenen Scheibe ein, die entsprechend der stoffwechselbedingten Wärmeproduktion elektrisch konstant beheizt wird (Bild 1 links). Neun um und hinter der quadratischen Meßfläche angeordnete Rand- und Gegenheizflächen gewährleisten einen vorwärtsgerichteten Wärmestrom, analog dem Temperaturgradienten zwischen wärmerer Haut und kühlerer Umgebung.
Das RST-Meter kann somit wie trockene Haut Energie auf zweierlei Wei- sen abgeben: durch elektromagnetische Strahlung sowie durch Erwärmen der unmittelbar angrenzenden Luftschicht und damit verbundenen konvektiven Transport. Der Einfluß der Konvektion wird mit einem im Aufbau gleichen Gerät bestimmt, dessen Oberfläche allerdings blank poliert ist und deshalb praktisch elektromagnetische Strahlung weder aufnimmt noch abgibt. Führt man nun die Oberflächentemperatur derjenigen des RST-Meters nach, ergibt sich die Dichte des konvektiv abgegebenen Wärmestroms. Temperatur und Feuchte der Luft werden zusätzlich gemessen.
Damit steht der RST-Wert als Regelgröße für das Raumklima zur Verfügung. Sinkt er unter einen Schwellenwert, der sich aus Reihenuntersuchungen ergibt, wird entsprechend gegengesteuert. Weil die Wärmeabgabe durch Konvektion berechenbar ist, läßt sich auch der Einfluß eventueller Zugluft bestimmen.
Mögliche Anwendungen
Das Gerät wurde unter anderem in Kraftfahrzeugen getestet; die Behaglichkeitsbewertungen von etwa 100 Versuchspersonen ließen sich direkt mit den RST-Meßwerten in Zusammenhang bringen. Auf diese Weise kann man mit Hilfe von Dummys Automobile für die Insassen klimatisch angenehmer gestalten (Bild 1 rechts). Zudem dienen solche Reihenuntersuchungen der Kalibrierung.
Als weitere Anwendung wird derzeit an unserem Institut das Einstellen des Raumklimas am Büroarbeitsplatz entwickelt. Die vorgeschlagene Anlage stellt dazu eine konstante Lufttemperatur ein, variiert jedoch lokal die Wärmeeinstrahlung mit einer wasserdurchströmten Kühl-/Heizdecke von etwa fünf Quadratmetern Fläche, was bei unseren Annahmen der halben Grundfläche des Büros entspricht. Auf dem Schreibtisch steht der nach oben gerichtete Sensor. Ein Regler vergleicht den gemessenen Klimasummen- mit dem vom Nutzer vorgegebenen Sollwert und verstellt über ein Ventil den Wasserkreislauf der Kühl-/Heizdecke dementsprechend (Bild 2).
Solche Sensoren können auch konventionelle Temperaturfühler zur Steuerung der Raumheizung in Wohnräumen ersetzen. Derzeit arbeiten wir daran, sie zu miniaturisieren und die Herstellungskosten zu verringern.
Schließlich lassen sich aus den Meßwerten, insbesondere dem konvektiven Wärmeübergang und der Luftfeuchte, der Hautbenetzungsgrad und damit die durch Schwitzen abgegebene Wärme berechnen. Dazu wird eine für die Stirn eines sitzenden und normal bekleideten Menschen typische Heizleistung von 95 Watt pro Quadratmeter eingestellt; die Klimasummengröße bezeichnen wir als resultant forehead temperature (RFT). Berücksichtigt wird des weiteren die beständige passive Verdunstung von Wasser durch die Haut, die wir mit typischerweise 18 Watt pro Quadratmeter ansetzen. Aus diesen Größen läßt sich der Wärmetransport beim Schwitzen je nach Umgebungsbedingungen und RFT-Wert ermitteln und in die Klimatisierung einbeziehen. Wird sie derart bedarfsgerecht reguliert, ist eine merkliche Energieeinsparung zu erwarten.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1997, Seite 108
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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