Metallischer Wasserstoff
Kürzlich gelang es Physikern, Wasserstoff für Sekundenbruchteile in ein Metall zu verwandeln. Dafür mussten sie im Labor ähnlich extreme Bedingungen schaffen, wie sie sonst nur tief im Innern des Riesenplaneten Jupiter herrschen.
Die zweistufige Gaskanone im Lawrence Livermore National Laboratory in Livermore (Kalifornien) ist so lang wie zwei Autobusse, und das darin gespeicherte Wasserstoffgas würde, wenn es sich entzündete, die Vernichtungskraft von zehn Stangen Dynamit entfalten. Die Kanone beschleunigt Geschosse auf bis zu sieben Kilometer pro Sekunde – mehr als 20fache Schallgeschwindigkeit, etwa 15-mal so schnell wie eine Gewehrkugel. Doch das Gerät ist keine Waffe, sondern ein gewaltiges Versuchsinstrument, mit dem wir auf ein winziges Ziel aus ein paar Flüssigkeitstropfen schießen.
Freilich handelt es sich dabei um eine besondere Flüssigkeit, obwohl sie aus dem häufigsten Element des Universums besteht. Wasserstoff erweist sich trotz seiner einfachen Atomstruktur – nur ein Proton mit einem Elektron – als ungeahnt komplizierte Substanz. Unter normalen Bedingungen ist Wasserstoff ein Gas aus zweiatomigen Molekülen. Bei Abkühlung unter 20 Kelvin (–253 Grad Celsius) wird es flüssig und unter 14 Kelvin fest. In allen drei Zuständen ist es gemeinhin ein elektrischer Isolator; doch schon in den dreißiger Jahren vermuteten die Physiker, dass die Wasserstoffmoleküle bei extremem Druck dissoziieren – in Atome auseinander brechen –, wodurch das Material sich in ein leitfähiges Metall verwandeln sollte.
In den sechziger Jahren behauptete Neil W. Ashcroft von der Cornell Universität (US-Bundesstaat New York) sogar, fester metallischer Wasserstoff würde elektrischen Strom ohne jeden Widerstand leiten. Falls es gelänge, den metallischen Zustand so zu stabilisieren, dass er unter normalen Bedingungen erhalten bliebe, könnte das Material als Supraleiter bei Raumtemperatur dienen – ein lange gehegter Traum der Physiker würde wahr. Außerdem käme metallischer Wasserstoff als kompakte Energiequelle oder als Leichtwerkstoff in Frage. Meine Kollegen und ich kamen kürzlich der Verwirklichung dieser Ideen ein Stück näher. Mit der Gaskanone in Livermore vermochten wir flüssigen Wasserstoff so weit zu komprimieren, dass er zu einem flüssigen Metall wurde. Der Zustand dauerte nur weniger als eine Millionstel Sekunde, doch das reichte aus, um ihn zu messen und die elektrische Leitfähigkeit zu bestimmen. Zwar ist es noch nicht gelungen, festen metallischen Wasserstoff zu erzeugen, aber unsere Ergebnisse geben Aufschluss über das Verhalten von Wasserstoff bei extrem hohen Drücken und Temperaturen. Dieses Wissen wird vielleicht für die Entwicklung von Fusionsreaktoren zur Energiegewinnung nützlich sein. Sogar über den inneren Aufbau des Jupiters könnten wir daraus etwas lernen: Vermutlich wird der Wasserstoff im Innern des Gasgiganten so stark zusammengepresst, dass er dort in metallischem Zustand vorliegt.
Ein Gas voller Rätsel
Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten mehrere Wissenschaftler vorhergesagt, Wasserstoff würde beim Kondensieren metallisch. Immerhin sitzt das leichteste aller Elemente in der ersten Spalte des Periodensystems über den Alkalimetallen. 1898 stellte der schottische Physiker James Dewar (1842–1923) flüssigen und ein Jahr später sogar festen Wasserstoff her. Zur allgemeinen Überraschung erwiesen sich beide kondensierten Phasen als Isolatoren: Die Wasserstoffatome blieben zu Molekülen gepaart und verhielten sich wie die Halogene in der siebten Reihe des Periodensystems, etwa Chlor oder Fluor.
Neue Aspekte bot erst die Quantenmechanik, deren Entwicklung eng mit der Analyse des Wasserstoffatoms verbunden ist. Eugene P. Wigner sagte 1953 an der Princeton Universität vorher, bei ausreichend hohem Druck würde der nichtleitende zweiatomig-molekulare Feststoff in einen metallischen einatomigen Zustand übergehen. Seither schwanken die theoretischen Schätzungen für den nötigen Druck zwischen 25 und 2000 Gigapascal, das heißt zwischen 250000 und 20 Millionen Mal dem Atmosphärendruck auf Meereshöhe. Neuesten Berechnungen zufolge könnte fester molekularer Wasserstoff knapp oberhalb 400 Gigapascal metallisch werden. Aktuelle Röntgenmessungen weisen allerdings auf einen höheren Übergangsdruck bei etwa 620 Gigapascal hin.
Derart hohe Drücke – sie gleichen denen im Erdmittelpunkt – lassen sich unter anderem erreichen, indem eine Probe zwischen zwei extrem harten Oberflächen zusammengepresst wird, etwa in Diamantstempelzellen (siehe "Hochdruckzellen mit Diamant-Stempeln" von A. Jayaraman, Spektrum der Wissenschaft 6/1984, S. 102). Die Forscher haben damit Drücke bis 500 Gigapascal erreicht.
Mit einem solchen Gerät haben Russell J. Hemley und Ho-kwang Mao von der Carnegie Institution of Washington, Isaac F. Silvera von der Harvard-Universität und Arthur L. Ruoff von der Cornell-Universität versucht, bei 340 Gigapascal metallischen Wasserstoff zu erzeugen. Zwar erstarrte das Gas wie erwartet und erlaubte röntgenkristallographische und spektroskopische Messungen; doch die Leitfähigkeit konnten die Physiker nicht direkt bestimmen, da die Messka-bel in der Diamantstempelzelle unter dem enormen Druck brachen. Außerdem misslingt die Metallisierung flüssigen Wasserstoffs in solchen Stempelzellen, weil die Flüssigkeit rasch durch die Wände des Apparats diffundiert.
Die Idee, eine Gaskanone zu verwenden, entstand vor gut zehn Jahren, kurz nach der Entdeckung der Hochtemperatur-Supraleiter. Diese quasi-keramischen Materialien leiten Strom widerstandsfrei, wenn man sie auf Temperaturen nahe dem Siedepunkt von Stickstoff (rund 77 Kelvin oder –196 Grad Celsius) abkühlt; herkömmliche Supraleiter benötigen viel tiefere Temperaturen in der Nähe des Siedepunkts von Helium (etwa 4 Kelvin). Anfang der neunziger Jahre begann ich, die neuen Materialien mit Hilfe der Gaskanone zu untersuchen.
Flüssiger Wasserstoff unter Beschuss
Die Kanone selbst war in den sechziger Jahren von General Motors entwickelt worden, um Forschungen an ballistischen Raketen zu betreiben. Eine größere Version des Geräts diente dazu, Raketenmodelle zu beschleunigen und so die Auswirkungen eines Wiedereintritts in die Erdatmosphäre bei sehr hohen Geschwindigkeiten zu simulieren. Livermore kam schließlich in den Besitz der kleineren Kanone; sie wird in der militärischen Forschung benutzt, um Werkstoffe extremen Bedingungen auszusetzen.
Da ich wusste, welche Drücke die Kanone zu erzeugen vermochte, versuchte ich sie zum Studium der Leitfähigkeit von flüssigem Wasserstoff einzusetzen. Unter hohem Druck steigt der Schmelzpunkt von Wasserstoff: bei 100 Gigapascal bis auf 1500 Kelvin. Darum muss die Flüssigkeit erhitzt werden, wenn sie nicht erstarren soll. Um Wasserstoff zugleich zusammenzupressen und zu erhitzen, eignet sich eine Stoßwelle besonders gut. Solche Wellen sind als Überschallknall bekannt, den ein Flugzeug beim Durchbrechen der Schallmauer auslöst. Der plötzliche Druckanstieg zwingt die davon erfassten Moleküle sehr rasch zusammen; dabei steigt ihre Temperatur. Samuel T. Weir, Arthur C. Mitchell und ich begannen 1991, mit der Gaskanone mehrfach reflektierte Stoßwellen in flüssigem Wasserstoff zu erzeugen.
Die erste Stufe unserer Kanone besteht aus einer Ladekammer mit bis zu 3,3 Kilogramm Schießpulver; es jagt einen schweren Kolben durch ein zehn Meter langes Rohr von 90 Millimetern Durchmesser (siehe Grafik oben). Das Rohr ist mit 60 Gramm Wasserstoff gefüllt – nicht zu verwechseln mit der Wasserstoffprobe, die metallisiert werden soll. Der bis zu 6,8 Kilogramm schwere Kolben komprimiert das vor ihm liegende Gasvolumen. Sobald dieses Gas einen Druck von 0,1 Gigapascal überschreitet, zerreißt es ein Ventil und dringt in die zweite Stufe der Kanone ein: einen engeren, evakuierten Lauf von neun Metern Länge und 28 Millimetern Durchmesser. Die Enge des Laufs ist wichtig, denn durch das kleinere Volumen wird das Gas zusätzlich beschleunigt.
Nach dem Durchtritt durch das Ventil treibt das Gas ein Metallplättchen von der Größe eines Markstücks vor sich her, den so genannten Impactor. Wasserstoff beschleunigt das Projektil am besten, denn dieses Gas hat das kleinste Molekulargewicht und die höchste Schallgeschwindigkeit. Der 20 Gramm schwere Impactor rast mit bis zu sieben Kilometern pro Sekunde (26000 Stundenkilometern) durch den Lauf. Am Ende trifft er auf ein Probengefäß aus Aluminium, welches den flüssigen Wasserstoff enthält – in Form einer 0,5 Millimeter dicken Schicht zwischen zwei harten Saphirplatten. Die Flüssigkeit ist auf 20 Kelvin gekühlt, damit ihre Dichte von vornherein hoch ist.
Der Aufprall erzeugt eine kräftige Stoßwelle, die sich durch den Aluminiumbehälter in den flüssigen Wasserstoff fortpflanzt. Die Saphirplatten reflektieren die Stoßwelle mehr als zehnmal hin und her. Dadurch entstehen Drücke bis zu 180 Gigapascal, die den flüssigen Wasserstoff auf ein Zehntel seines ursprünglichen Volumens komprimieren und ihn auf 3000 Kelvin erhitzen. Der Schlüssel zum Erfolg des Experiments ist die mehrmalige Reflexion der Stoßwelle und die graduelle Steigerung des Drucks; eine einzelne Welle, die den gleichen Druck erzeugt, würde die Probe viel zu stark erhitzen.
Sobald ein Kontaktstift im Probenhalter registriert, dass die erste Stoßwelle die Flüssigkeit erreicht hat, schaltet er die Aufzeichnungsgeräte an. Obwohl in der Probe nur für 100 Nanosekunden (ein Zehntel einer Millionstel Sekunde) maximaler Druck herrscht, vermag der Wasserstoff in dieser Zeit thermisches Gleichgewicht zu erreichen. Die Zeitspanne reicht einerseits für Messungen aus und ist andererseits so kurz, dass der Wasserstoff weder aus dem Probengefäß diffundieren noch chemisch mit den Gefäßwänden reagieren kann.
Ein riskantes Experimentmit gutem Ausgang
Unser Experiment war nicht ungefährlich. Das Wasserstoffgas in der Kanone durfte sich nicht mit dem Sauerstoff in der Targetkammer vermischen. Eine Knallgasreaktion des gesamten Wasserstoffs würde die Sprengkraft von etwa zwei Kilogramm TNT freisetzen. Darum verstärkten wir die Targetkammer so, dass ihr mögliche Splitter vom Aufprall nichts anhaben konnten; denn durch ein Leck hätte Luftsauerstoff eindringen können. Wir sorgten auch dafür, dass selbst dann die eingeströmte Luftmenge nicht für eine Explosion ausgereicht hätte. Alle für Messungen innerhalb der Targetkammer erforderlichen Stromspannungen wurden sofort nach dem Abfeuern der Kanone abgeschaltet, damit kein Funke den Wasserstoff entzünden konnte. Zusätzlich wurde unmittelbar nach jedem Schuss rasch Stickstoff in die Targetkammer gepumpt, um das Wasserstoffgas reaktionsträge zu machen. Und schließlich durfte sich bei einem Schuss niemand im Raum aufhalten.
Dass wir metallischen Wasserstoff entdeckten, war Glückssache: Wir hatten erwartet, dass die Flüssigkeit sich einem metallischen Zustand nur annähern würde, ohne ihn tatsächlich zu erreichen. Zur Messung der Leitfähigkeit schickten wir einen schwachen Strom durch Elektroden im Probenhalter. So bestimmten wir den spezifischen Widerstand des Wasserstoffs. (Der elektrische Widerstand eines Stücks Draht entspricht seinem spezifischen Widerstand multipliziert mit seiner Länge und dividiert durch seine Querschnittsfläche.) Bei einem Druck von 93 Gigapascal erhielten wir einen spezifischen Widerstand von einem Ohm-Zentimeter; bei 120 Gigapascal sank er auf 0,005 Ohm-Zentimeter. Diese Werte passen zu einem Halbleiter: Der spezifische Widerstand ist niedriger als der eines Nichtleiters, aber höher als bei metallischen Leitern.
Doch als wir den Druck auf 140 Gigapascal steigerten, fiel der spezifische Widerstand des flüssigen Wasserstoffs auf etwa 0,0005 Ohm-Zentimeter – ein deutlicher Hinweis auf einen vollständig leitfähigen metallischen Zustand. Auch bei noch höheren Drücken bis zu 180 Gigapascal blieb der spezifische Widerstand auf diesem Wert. Ich war davon so überrascht, dass ich die Daten zunächst nicht veröffentlichte. Ein Jahr lang kontrollierte ich die Resultate immer wieder, bis ich verstehen konnte, warum der spezifische Widerstand bei den höheren Drücken konstant blieb.
Unter atomarer Vergrößerung betrachtet werden beim Übergang in den metallischen Zustand einzelne Elektronen von den Wasserstoffmolekülen freigegeben (Grafik oben). Aber bei niedrigen Drücken ist die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Wasserstoffatome sich zu einem Molekül zusammenschließen, überwältigend hoch. Daher besteht flüssiger Wasserstoff praktisch nur aus Molekülen – jeweils zwei Protonen, die von einer negativen Ladungswolke umgeben sind. Da der Energieaufwand, um ein Elektron aus diesem Verband zu lösen, mit 15 Elektronenvolt relativ hoch ist, kann in molekularem flüssigem Wasserstoff kein Strom fließen: Er ist ein Isolator.
Das ändert sich jedoch, sobald die Moleküle von der mehrfach reflektierten Stoßwelle zusammengedrängt und erhitzt werden. Die Elektronenbeweglichkeitslücke – die zum Loslösen eines Elektrons von seinem Molekül nötige Energie – wird um so kleiner, je dichter die Moleküle gepackt sind. Noch wichtiger ist, dass die Stoßerhitzung die zur Freisetzung beweglicher Ladungsträger erforderliche Energie liefert. In diesem Zustand verhält sich flüssiger Wasserstoff als Halbleiter: Mit wachsenden Drücken und Temperaturen nimmt die elektrische Leitfähigkeit stetig zu, oder – was dasselbe ist – der spezifische Widerstand sinkt kontinuierlich.
Wenn wir den Stoßdruck auf 140 Gigapascal erhöhten, wuchs die Dichte des flüssigen Wasserstoffs auf 0,32 Mol pro Kubikzentimeter, die Temperatur kletterte auf 2600 Kelvin, und die Beweglichkeitslücke fiel auf nur 0,22 Elektronenvolt. Bei dieser Dichte geraten die Wasserstoffmoleküle nun so eng aneinander, dass ihre negativen Ladungswolken sich überlappen und die Elektronen ungehindert von einem Molekül zum nächsten springen können. Nun sind die Ladungsträger frei beweglich, und weitere Drucksteigerungen machen sie nicht noch mobiler. Das erklärt, warum der spezifische Widerstand von Wasserstoff bei höheren Drücken nicht weiter fällt.
Zudem dissoziieren unter solchen Bedingungen rund 10 Prozent der Moleküle. Der flüssige Wasserstoff verwandelt sich in eine Mixtur aus Molekülen, Atomen und vermutlich Clustern höherer Ordnung. Durch Kollisionen brechen die Moleküle immer wieder in Atome auseinander, die sich zu neuen Molekülen rekombinieren. Wegen der Unordnung in der Flüssigkeit werden die Leitungselektronen an jedem Molekül gestreut. Dieser Zustand heißt minimale Leitfähigkeit eines ungeordneten Metalls.
Um Wasserstoff in seiner festen Phase metallisch zu machen, sind noch höhere Drücke erforderlich – wahrscheinlich deswegen, weil das Kristallgitter, in dem die Wasserstoffatome fixiert sind, die Elektronenbeweglichkeitslücke erhöht. Das erschwert die Metallisierung.
Jupiter im Labor
Die neuen Erkenntnisse erlauben insbesondere bessere Modelle für das Innere der Planeten Jupiter und Saturn. Zusammengenommen haben die beiden Gasriesen die 400fache Erdmasse. Ihr Wasserstoff liegt größtenteils als metallische Flüssigkeit vor, deren Konvektionsströmung das Magnetfeld der Planeten erzeugt.
Vor unseren Experimenten vermuteten die Planetenforscher unter Jupiters dicker Wolkenschicht einen elektrisch isolierenden Mantel aus flüssigem Wasserstoff; diese Schicht sollte rund 18000 Kilometer – ein Viertel des Jupiterradius – in die Tiefe reichen und erst dann in einen Kern aus metallischem Flüssigwasserstoff übergehen. In diesem Modell gab es zwischen Mantel und Kern eine scharfe Grenze, und zwar in derjenigen Tiefe, wo der dort herrschende Gravitationsdruck von rund 300 Gigapascal den Wasserstoff von einem zweiatomigen flüssigen Nichtleiter in eine einatomige metallische Flüssigkeit umwandeln sollte. Doch unseren Laborergebnissen zufolge geht dieser Übergang kontinuierlich vor sich; das spricht gegen eine scharfe Grenze zwischen Jupiters Mantel und Kern. Molekularer Wasserstoff beginnt wahrscheinlich schon bei einem Druck von 40 Gigapascal zu dissoziieren, bis er bei 300 Gigapascal vollständig atomisiert ist. Minimale metallische Leitfähigkeit erreicht er schon bei 140 Gigapascal und 4000 Kelvin – und dieser Druck herrscht bereits in einer Tiefe von nur 7000 Kilometern.
Demnach wird das Magnetfeld des Jupiters in viel geringeren Tiefen erzeugt als bisher angenommen. Das erklärt, warum die Feldstärke an seiner Oberfläche mit 10 Gauß relativ groß ist. Das Magnetfeld der Erde entsteht hingegen tief im Planeteninneren, nämlich im Eisenkern, der nur bis zum halben Erdradius emporreicht – und darum ist das Magnetfeld an der Erdoberfläche auch nur rund 0,5 Gauß stark.
Interessant sind unsere Ergebnisse aber nicht nur für Astrophysiker, sondern auch für irdische Energietechniker. Bei der Kernfusion mit Trägheitseinschluss wird ein Brennstoffkügelchen – ein Pellet – aus den Wasserstoffisotopen Deuterium und Tritium in einen speziell geformten Hohlraum platziert und dort in rascher Folge mit äußerst intensiven Laserpulsen bestrahlt. Der erste Laserpuls erzeugt eine Stoßwelle von etwa 100 Gigapascal, und die nachfolgenden Pulse wirken wie die reflektierte Welle in unserem Gaskanonenexperiment. Um den wirksamsten Rhythmus für die Laserpulse zu finden, müssen die Fusionsforscher wissen, wie Wasserstoff auf solche Drücke reagiert.
Leider sind unsere Experimente noch weit entfernt von der interessantesten, aber vorläufig rein hypothetischen Anwendung: der Herstellung festen Wasserstoffmetalls, das seinen Zustand bei normalem Luftdruck und Zimmertemperatur beibehält. Vielleicht kann man Wasserstoff extrem zusammenpressen und dann den Druck so plötzlich aufheben, dass er ein metallischer Festkörper bleibt – ähnlich wie Kohlenstoff seine unter Druck gewonnene Diamantstruktur beibehält. Für einen derartigen Werkstoff gäbe es unzählige Verwendungen (siehe Kasten auf Seite 51).
Das größte Hindernis sind die starken Van-der-Waals-Kräfte zwischen den Wasserstoffmolekülen: Sie streben auseinander, sobald der äußere Druck nachlässt. Vermutlich sind Zusatzstoffe nötig, die sich unter Druck an die Wasserstoffatome und -moleküle binden und sie nach Wegfall des Drucks festhalten. Freilich dürften diese Zusätze die positiven Eigenschaften des hypothetischen Werkstoffs nicht beeinträchtigen.
Künftige Experimente mit der Gaskanone könnten uns bei dieser Suche helfen. Selbst wenn die Hoffnung sich nicht erfüllt, werden wir gewiss noch mehr über die ungewöhnlichen Eigenschaften von Wasserstoff unter extremem Druck erfahren. Diese faszinierende Substanz ist das einfachste Element im Universum – und steckt doch noch voller Rätsel.
Mögliche Verwendung für metallischen Wasserstoff
Bei unseren Experimenten blieb der flüssige Wasserstoff nur weniger als eine Millionstel Sekunde metallisch. Doch wenn es gelänge, festen metallischen Wasserstoff zu erzeugen und ihn bei Zimmertemperatur und Atmosphärendruck stabil zu halten, ergäben sich enorme wissenschaftliche und technische Möglichkeiten. Da nicht bekannt ist, wie – und ob überhaupt – metallischer Wasserstoff unter Normalbedingungen stabil bleibt, ist das Folgende pure Spekulation; jedenfalls wären seine elektrischen, magnetischen, optischen, thermischen und mechanischen Eigenschaften höchst ungewöhnlich. Hier einige Anwendungen:
Zimmertemperatur-Supraleiter
Nach Meinung einiger Physiker sollte fester metallischer Wasserstoff elektrischen Strom bei Zimmertemperatur ohne Widerstand leiten. Ein solcher Supraleiter würde das moderne Leben in vieler Hinsicht radikal verändern: Überlandleitungen hätten keine Energieverluste mehr, Computer wären schneller, Züge würden auf Magnetkissen schweben, und riesige Energiemengen könnten ohne nennenswerte Verluste in Magnetfeldern gespeichert werden. Die derzeit besten Hochtemperatur-Supraleiter arbeiten bei etwa 150 Kelvin (–123 Grad Celsius); sie müssen mit flüssigem Stickstoff gekühlt werden und sind darum für den Einsatz im Alltag ungeeignet.
Extrem leichte Werkstoffe
Vielleicht lässt sich metallischer Wasserstoff durch Zusatzstoffe stabilisieren. Sie müssten zunächst unter extremen Drücken an die Wasserstoffmoleküle und -atome gebunden werden; danach würden Druck und Temperatur rasch gesenkt. Durch das schnelle Abschrecken entstünde wahrscheinlich ein metallisches Glas – vielleicht ähnlich dem Palladium-Metallglas, das heute mit den Zusätzen Bor und Phosphor hergestellt wird. Fester metallischer Wasserstoff hätte vermutlich eine ähnliche Dichte wie sein flüssiges Gegenstück: rund 0,7 Gramm pro Kubikzentimeter, fast die Dichte von Wasser. Damit wäre er dreimal leichter als Aluminium und zehnmal leichter als Eisen. Seine Belastbarkeit lässt sich leider nicht vorhersagen. Im günstigsten Fall könnten mit metallischem Wasserstoff besonders leichte Automobile mit äußerst geringem Treibstoffverbrauch gebaut werden.
Sauberer Treibstoff
Fester metallischer Wasserstoff könnte große Energiemengen speichern, die beim Übergang in die Gasphase frei würden. Der Wirkungsgrad dieses Vorgangs lässt sich zwar noch nicht abschätzen, doch jedenfalls würde dabei fast nur gasförmiger Wasserstoff frei werden. Darum wäre fester Wasserstoff – bis auf die mögliche Umweltbelastung durch die zu seiner Synthese nötigen Zusatzstoffe – ein sehr umweltfreundlicher Treibstoff. Könnte die gespeicherte Energie verhältnismäßig langsam freigesetzt werden, so würde fester Wasserstoff in Verkehrsmitteln bald an die Stelle von Benzin und anderen Treibstoffen treten. Bei rascherer Freisetzung könnte metallischer Wasserstoff als Raketenantrieb dienen; beispielsweise würde er pro Kilogramm fünfmal so viel Schubkraft liefern wie das heute für Raketenstarts verwendete flüssige Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch. Würde die gespeicherte Energie plötzlich entfesselt, könnte Festwasserstoff als Sprengmittel eingesetzt werden.
Fusionspellets
Die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium dienen als Brennstoff für die Kernfusion mit Trägheitseinschluss. Leistungsstarke Laser komprimieren und erhitzen ein Brennstoffkügelchen (Pellet) so stark, dass die Atomkerne verschmelzen. Ein Pellet aus festem metallischem Wasserstoff würde wegen seiner hohen Dichte viel mehr Fusionsenergie liefern – zum einen, weil die Ingenieure in ein gegebenes Volumen mehr Brennstoff packen könnten als mit gasförmigem oder tiefgekühltem molekularem Wasserstoff, zum anderen wegen der bereits vor der Kompression größeren Dichte des Pellets.
Literaturhinweise
Solid Hydrogen at 342 GPa: No Evidence for an Alkali Metal. Von Chandrabhas Narayana, Huan Lou, Jon Orloff und Arthur L. Ruoff in: Nature, Bd. 393, S. 46; 7. Mai 1998.
Metallization of Fluid Molecular Hydrogen at 140 GPa (1,4 Mbar). Von S. T. Weir, A. C. Mitchell und W. J. Nellis in: Physical Review Letters, Bd. 76, Heft 11, S. 1860; 11. März 1996.
Metallischer Wasserstoff – im Wandel der Zeit. Von Roland Winter in: Chemie in unserer Zeit, Bd. 26, Heft 6, S. 285 (1992).
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 2000, Seite 46
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