Direkt zum Inhalt

Medizin: Mit Bakterien gegen faule Zähne

Eine Impfung könnte künftig vielleicht Löcher in den Zähnen verhindern. Gentechnisch veränderte Lactobazillen, die Antikörper gegen Streptococcus mutans auf ihrer Oberfläche tragen, fangen den Karieserreger damit ein.


Neben vielen harmlosen Bakterien leben im Zahnbelag auch Streptokokken, die Hauptverursacher von Karies. Sie ernähren sich von Zucker aus Nahrungsresten und schädigen die Zahnsubstanz durch die Milchsäure, die sie als Stoffwechselprodukt ausscheiden. Der Ätzvorgang benötigt zwar Zeit, sodass sich Karies eigentlich durch regelmäßiges Zähneputzen verhindern lässt. Oft entgehen Streptokokken aber an schwer zugänglichen Stellen zwischen den Zähnen den Bürstenattacken. Trotz aller Mundpflege entsteht dann ein Loch im Zahnschmelz. Daher können sich nur 0,8 Prozent der Deutschen naturgesunder Zähne ohne Füllungen erfreuen.

Seit in den 1970er Jahren der Zusammenhang zwischen Streptococcus mutans und Karies erkannt wurde, versuchen Forscher einen Impfstoff gegen das missliebige Bakterium zu entwickeln. Ursprünglich strebten sie eine aktive Immunisierung an. Dabei sollen Eiweißmoleküle des Erregers, die auf die Mund- oder Nasenschleimhaut gesprüht werden, das Abwehrsystem dazu veranlassen, mit dem Speichel schützende Antikörper auszuscheiden. Klinische Studien mit derartigen Sprays zeigten aber, dass die Immunreaktion nur sehr schwach ausfällt. Deshalb ist es fraglich, ob sich die Bildung von Karies auf diese Weise verhindern lässt.

Passiv-Impfungen, bei denen der Organismus die Abwehrmoleküle nicht selbst produziert, scheinen dagegen aussichtsreicher. Man kann im Labor mit Hilfe von Zellkulturen besonders wirksame Antikörper herstellen, die sich an das Oberflächenprotein SAI/II (streptococcal antigen I/II) von S. mutans anlagern. Mit diesem Molekül heftet sich der Karieserreger normalerweise an den Speichelfilm auf den Zähnen. Ist es durch einen Antikörper blockiert, kann sich das Bakterium nicht mehr im Mund festsetzen.

Das belegen Tests mit Personen, deren Zähne mit einer solchen Antikörperlösung eingepinselt wurden. Sie besaßen nach der Behandlung deutlich weniger gefährliche Streptokokken in der Plaque als die Teilnehmer der Kontrollgruppe. Bislang war dieser Weg der passiven Immunisierung allerdings nicht praktikabel, da sich isolierte Antikörper im Mund nur kurze Zeit halten und die Zähne deshalb ständig behandelt werden müssten.

Lennart Hammarström und seine Mitarbeiter vom Zentrum für Oralbiologie in Huddinge (Schweden) haben nun gemeinsam mit Kollegen aus den Niederlanden und Großbritannien eine abgewandelte Passiv-Impfmethode entwickelt, die dieses Problem äußerst trickreich umgeht (Nature Biotechnology, Bd. 20, S. 702).

Das dahinter stehende Prinzip ist einfach: Die Antikörper werden direkt im Mund von genmanipulierten Bakterien der Art Lactobacillus zeae produziert und in deren Zellwand integriert, was sie vor dem Abbau schützt. Lactobazillen sind für den Menschen völlig ungefährlich. Schon seit Jahrhunderten benutzt man sie zur Herstellung vieler Lebensmittel wie Joghurt, Käse oder Salami.

Die Wissenschaftler mussten allerdings zunächst eine stark verkleinerte Version des potenten Antikörpers gegen das SAI/II-Protein von S. mutans konstruieren, indem sie aus der entsprechenden Erbsubstanz gezielt nur die beiden Abschnitte herausschnitten, die für die Bindungsstelle des Antikörpers verantwortlich sind, und sie miteinander verketteten. Erst ohne den unnötigen Ballast ist die DNA kurz genug, um sie in L. zeae einschleusen zu können. Die gentechnisch veränderten Bakterien lesen die fremde Erbinformation ab und synthetisieren große Mengen der Mini-Antikörper, die sie dann auf ihrer Oberfläche tragen.

Bei Impfversuchen mit Ratten siedelten sich die aufgerüsteten Mikroben problemlos auf der Mundschleimhaut an. Für Karieserreger wirken sie wie Klebfallen. Die meisten binden sich mit ihren vielen SAI/II-Proteinen nicht mehr an Zähne, sondern an die Antikörperhüllen der genetisch veränderten Bakterien und verklumpen dadurch mit ihnen. Im Endeffekt werden sie schließlich heruntergeschluckt und im Magen verdaut.

Tierversuche bestätigen die schützende Wirkung der Lactobazillen. Die Forscher impften entspeichelte Ratten, die normalerweise extrem schnell Karies bilden, mit den Antikörper produzierenden Bakterien und strichen ihre Mundhöhle vier Tage später mit S. mutans ein. Nach knapp drei Wochen zeigten sich deutliche Unterschiede: Immunisierte Tiere besaßen signifikant weniger Streptokokken auf ihren Zähnen als unbehandelte. Zugleich entwickelten in der geimpften Gruppe weniger Ratten Karies, und die Anzahl der Löcher, die trotz der Behandlung entstanden, war deutlich niedriger als in der Kontrollgruppe.

Genmanipulierte Lactobazillen könnten somit eine elegante Methode zur pas­siven Immunisierung gegen Zahnkaries darstellen. Das Prinzip, dem Organismus langfristig Antikörper mit Hilfe harmloser Bakterien zuzuführen, bietet sich aber auch für die Prophylaxe und Therapie vieler anderer Krankheiten an. Fast jeder Abschnitt des Verdauungstrakts kann von einer Lactobacillus-Spezies besiedelt werden. Mit der DNA für die entsprechenden Mini-Antikörper ausgestattet, wären Lactobazillen daher auch geeignet, beispielsweise im Magen Bakterien der Art Helicobacter pylori abzufangen, die dort die Schleimhaut schädigen und Geschwüre induzieren, oder im Dünndarm Durchfallerreger in Schach zu halten.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2003, Seite 11
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Kennen Sie schon …

Spektrum Kompakt – Das Mikrobiom – Vielseitige Darmflora

Fachleute finden immer mehr Hinweise darauf, wie die Billionen Bakterien im menschlichen Darm unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden beeinflussen.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.